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BGH - Entscheidung vom 12.05.2011

V ZB 166/10

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5
FamFG § 427
AufenthG § 62 Abs. 1- 3
AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1

BGH, Beschluss vom 12.05.2011 - Aktenzeichen V ZB 166/10

DRsp Nr. 2011/10894

Überprüfung eines zulässigen Haftantrags in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen; Ausweisung und Abschiebung eines gegen ihn öffentliche Klage erhobenen Ausländers nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 16. Mai 2010 und der Beschluss des Landgerichts Hannover vom 3. Juni 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben, soweit die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung ab dem 16. Mai 2010 angeordnet und aufrechterhalten worden ist; im Übrigen wird das Rechtsmittel als unzulässig verworfen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Landeshauptstadt Hannover trägt die notwendigen Auslagen des Betroffenen aller Instanzen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5; FamFG § 427; AufenthG § 62 Abs. 1 - 3; AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1;

Gründe:

I.

Der Betroffene ist libyscher Staatsangehöriger. Am 14. Mai 2010 reiste er ohne Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet ein. Am nächsten Tag wurde er von der Bundespolizei festgenommen und im Anschluss daran zur Dienststelle der Polizeiinspektion Hannover Mitte verbracht, wo er als Beschuldigter wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise vernommen wurde. Auf Antrag der Beteiligten zu 2, dem das Protokoll über die Vernehmung des Betroffenen als Beschuldigter beigefügt war, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 16. Mai 2010 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis längstens 18. August 2010 angeordnet und zudem die Ingewahrsamnahme des Betroffenen für rechtmäßig erklärt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben. Am 9. Juni 2010 wurde der Betroffene nach Schweden zurückgeschoben. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er nunmehr die Feststellung, dass er durch die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts in seinen Rechten verletzt worden ist.

II.

Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass die Freiheitsentziehung zu Recht angeordnet und bis zur Ausreise des Betroffenen aufrechterhalten worden ist.

III.

Das Rechtsmittel hat ganz überwiegend Erfolg.

1. Soweit der Betroffene seinen Fortsetzungsfeststellungsantrag im Zusammenhang mit der von der Beteiligten zu 2 kurzzeitig angeordneten Ingewahrsamnahme weiterverfolgen möchte, ist das Rechtsmittel allerdings unzulässig. Zwar ist die Rechtsbeschwerde grundsätzlich auch nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthaft (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360). Hiervon ausgenommen sind nach § 70 Abs. 4 FamFG jedoch Entscheidungen in Verfahren, in denen über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung befunden worden ist (vgl. auch BT-Drucks. 16/6308, S. 209). Dass hierzu - verfassungsrechtlich unbedenklich - auch Entscheidungen über vorläufige Haftanordnungen gehören, die von einem Richter nach § 427 FamFG i.V.m. § 62 Abs. 1 bis 3 AufenthG angeordnet worden sind, hat der Senat bereits entschieden (Beschluss vom 3. Februar - V ZB 128/10, juris Rn. 6; vgl. auch Beschluss vom 11. November 2010 - V ZB 123/10, juris Rn. 3 f.). Gleiches gilt jedenfalls für die der richterlichen Beschlussfassung vorgelagerte Möglichkeit der Behörde, einen Ausländer unter den strengen Voraussetzungen des § 62 Abs. 4 AufenthG für einen kurzen Zeitraum vorläufig in Gewahrsam zu nehmen, um diesen unverzüglich dem Richter vorzuführen (Senat, Beschluss vom 12. Mai 2011 - V ZB 135/10, zur Veröffentlichung vorgesehen). Davon abgesehen ist die Rechtsbeschwerde mit Blick auf die behördliche Ingewahrsamnahme auch deshalb unzulässig, weil das Rechtsmittel insoweit nicht in einer den Vorgaben nach § 71 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FamFG genügenden Weise begründet worden ist.

2. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde zulässig und begründet. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung des Amtsgerichts und durch die diese bestätigende Beschwerdeentscheidung des Landgerichts in seinen Rechten verletzt. Die Haft hätte schon deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil der Haftantrag unzulässig war.

Ob ein zulässiger Haftantrag vorliegt, ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 , 211; Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10, zur Veröffentlichung bestimmt; jeweils mwN). Zu den unerlässlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen gehört es nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG, dass die Antragsbegründung insbesondere Angaben zu den Voraussetzungen und zur Durchführbarkeit der Abschiebung enthält (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, Rn. 8 f.). Diesen Anforderungen wird der gestellte Antrag nicht gerecht. Nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden; für die Zurückschiebung gilt nichts anderes (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10; Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 211/10; beide Entscheidungen zur Veröffentlichung bestimmt). Fehlen in dem Haftantrag Ausführungen zu dem Einvernehmen, obwohl sich aus ihm selbst oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass die öffentliche Klage erhoben worden ist oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt wird, ist der Haftantrag unzulässig (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, aaO.). So verhält es sich hier. Wie sich spätestens aus dem dem Haftantrag beigefügten Protokoll über die Beschuldigtenvernehmung ergibt, wurde gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 84 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO , wobei der Senat bei der Ermessensausübung dem Umstand Rechnung getragen hat, dass der Betroffene nur in ganz geringfügigem Umfang unterlegen ist und es bei dieser Sachlage unbillig wäre, ihn mit Verfahrenskosten zu belasten. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, juris Rn. 27 f.).

Vorinstanz: LG Hannover, vom 03.06.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 8 T 28/10
Vorinstanz: AG Hannover, vom 16.05.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 43 XIV 57/10