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BGH - Entscheidung vom 13.10.2011

V ZB 126/11

Normen:
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 2

BGH, Beschluss vom 13.10.2011 - Aktenzeichen V ZB 126/11

DRsp Nr. 2011/20051

Rechtmäßigkeit der Verlängerung der Abschiebungshaft von sechs auf neun Monate bei Fehlen des staatsanwaltlichen Einvernehmens

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Bingen vom 28. Februar 2011 und der Beschluss des Landgerichts Mainz vom 18. April 2011 ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Saarland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 62 Abs. 3 S. 2;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste 2006 ohne Aufenthaltstitel und Legitimationspapiere in die Bundesrepublik ein. Gegen ihn wurde nach seiner Festnahme in Saarbrücken mit Beschluss des Amtsgerichts vom 10. September 2010 Abschiebungshaft bis zum 9. Dezember 2010 angeordnet. Seine Beschwerde blieb erfolglos. In dem Verfahren machte der Betroffene widersprüchliche Angaben zu seiner Nationalität und zu dem Vorhandensein und Verbleib seiner algerischen Ausweispapiere. Am 1. Dezember 2010 wurde er der algerischen Botschaft vorgeführt, wo er erklärte, er sei nicht bereit, freiwillig nach Algerien zurückzukehren. Die algerische Botschaft kündigte an, die Angaben zur Person zu überprüfen, und erhielt dazu später auch die Fingerabdrücke des Betroffenen. Mit Beschluss vom 8. Dezember 2010 ordnete das (nunmehr zuständige) Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde die Verlängerung der Abschiebungshaft bis zum 9. März 2011 an. In der dem vorausgegangenen Anhörung erklärte der Vertreter der beteiligten Behörde, es liege ein generelles Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung vor, die Staatsanwaltschaft sei mit der Abschiebung einverstanden.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 28. Februar 2011 die Abschiebungshaft bis zum 9. Juni 2011 verlängert. Die Beschwerde hat das Landgericht nach Anhörung des Betroffenen zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Abschiebung am 1. Juni 2011 mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Anordnung von Abschiebungshaft über den 9. März 2011 hinaus festzustellen.

II.

Das Beschwerdegericht meint, die Verlängerung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus auf insgesamt neun Monate sei verhältnismäßig, weil der Betroffene seine Abschiebung verhindert habe. Er sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Er habe zunächst zwar erklärt, er habe algerische Papiere, sei aber nicht bereit gewesen, mit seinen Verwandten, bei denen sich diese befänden, Kontakt aufzunehmen. Jetzt bestreite er, algerische Papiere zu haben. Seine fehlende Mitwirkung sei auch ursächlich dafür, dass seine Abschiebung bislang nicht gelungen sei. Dem Antrag des Betroffenen festzustellen, dass die Abschiebung algerischer Staatsangehöriger ohne Papiere regelmäßig mehr als sechs Monate in Anspruch nimmt, sei nicht nachzugehen gewesen, weil die Abschiebung innerhalb der verstrichenen sechs Monate nicht erfolgt sei. Sonstige Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Insbesondere liege auch das erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vor. Dazu verhalte sich der Antrag zwar nicht. Die Behörde habe aber davon ausgehen können, dass dem Gericht das allgemeine Einvernehmen der Staatsanwaltschaft bekannt gewesen sei.

III.

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist festzustellen, dass die Verlängerung der Abschiebungshaft von sechs auf neun Monate durch das Amtsgericht und die Zurückweisung der Beschwerde des Betroffenen durch das Beschwerdegericht den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

1. Das ergibt sich entgegen der Ansicht des Betroffenen nicht schon aus dem Fehlen eines zulässigen Haftantrags.

Der Haftantrag der beteiligten Behörde war allerdings zunächst unzulässig, weil er den Anforderungen der Vorschrift des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG an die Begründung eines Haftantrags (dazu Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, [...]) nicht genügt. Er lässt nämlich erkennen, dass gegen den Betroffenen seinerzeit ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren betrieben wurde, enthielt indes nicht die gebotenen (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 9) Angaben zu dem dann nach § 72 Abs. 4 AufenthG notwendigen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft. Diese waren auch nicht entbehrlich, weil ein generelles Einvernehmen vorlag. Von einem solchen generellen Einvernehmen mögen zwar die beteiligten Behörden und Gerichte wissen. Dem Betroffenen, dessen Rechtsverteidigung die Antragsbegründung eine Grundlage geben soll (Senat, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 12 und vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, [...] Rn. 9), ist das aber regelmäßig nicht bekannt. Hier kommt hinzu, dass die Verfügung des Leitenden Oberstaatsanwalts bei dem Landgericht Saarbrücken vom 28. Februar 1991 das Einvernehmen nicht unter dem Vorbehalt der Rücknahme im Einzelfall erteilt, sondern nur in Aussicht stellt. Dieser Fehler ist aber für die Zukunft durch die Angaben des Vertreters der beteiligten Behörde bei der Anhörung des Betroffenen zur ersten Verlängerung der Abschiebungshaft durch das Amtsgericht am 8. Dezember 2010 geheilt worden, was möglich ist (Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11, [...] Rn. 11 und vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, [...] Rn. 15 und 136/11, [...] Rn. 8 f.).

2. Durch die Verlängerung der Abschiebungshaft und die Zurückweisung seiner Beschwerde ist der Betroffene aber deshalb in seinen Rechten verletzt worden, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen.

a) Nach § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf Abschiebungshaft -wie hier -über sechs Monate hinaus nur angeordnet werden, wenn der Betroffene seine Abschiebung verhindert hat. Eine Verhinderung der Abschiebung liegt weder allein in der Einreise ohne die erforderlichen Einreisedokumente (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Juli 1996 - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235 , 239) noch in der Weigerung, freiwillig in sein Heimatland zurückzukehren (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 193/09, InfAuslR 2010, 361, 363). Sie könnte in falschen Angaben zu der eigenen Identität liegen (Senat, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175 , 1176 Rn. 20). Die falsche Angabe zu seiner Nationalität hat der Betroffene aber schon bei seiner ersten Anhörung am 10. September 2010 korrigiert. Sie hat seine Abschiebung nicht verzögert.

b) Eine Verhinderung der Abschiebung kann hier auch nicht darin gesehen werden, dass es der Betroffene abgelehnt hat, sich sein vorhandenes Ausweispapier aus seinem Heimatland im Original oder in Kopie schicken zu lassen. Zu einer solchen Mitwirkung ist der Betroffene zwar verpflichtet (Senat, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175 , 1176 Rn. 21; OVG Münster, InfAuslR 2006, 322 f.). Die Verweigerung der geschuldeten Mitwirkung durch den Betroffenen rechtfertigt eine Verlängerung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus aber nur, wenn diese Verweigerung für die Nichtabschiebung ursächlich bleibt (Senat, Beschlüsse vom 11. Juli 1996 - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235 , 239 und vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10, [...] Rn. 13). Daran fehlt es hier. Der beteiligten Behörde ist die Beschaffung von Ersatzpapieren nicht deshalb erst nach Anordnung der Verlängerung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus gelungen, weil sich der Betroffene geweigert hat, seinen Vater um Zusendung einer Kopie seines Ausweises zu bitten. Der Grund für die Verzögerung liegt vielmehr darin, dass die beteiligte Behörde die zuvor angeordnete Abschiebungshaft von immerhin sechs Monaten nicht genutzt hat, die Abschiebung des Betroffenen mit dem gebotenen Nachdruck (Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 210/10, InfAuslR 2011, 71, 74 Rn. 25) zu betreiben. Sie musste von vornherein nicht nur mit der Weigerung des Betroffenen, seinen Vater um Übersendung einer Kopie seiner Identitätskarte zu bitten, sondern auch mit einem Scheitern eines solchen Versuchs rechnen, weil der Betroffene schon in seiner ersten Anhörung von dem schlechten Verhältnis zu seinem Vater berichtet hatte. Sie musste deshalb zeitnah klären, ob sich der Betroffene an seinen Vater wenden würde, und dann die Beschaffung der Ersatzpapiere zügig einleiten. Daran hat es die beteiligte Behörde fehlen lassen. Sie hat jedenfalls die ersten drei Monate der Abschiebungshaft ungenutzt verstreichen lassen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG und § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog und § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO , die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 128c Abs. 2 , § 30 Abs. 2 KostO .

Vorinstanz: AG Bingen, vom 28.02.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 10 XIV 51/10
Vorinstanz: LG Mainz, vom 18.04.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 8 T 61/11