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BGH - Entscheidung vom 27.01.2011

2 StR 493/10

Normen:
StGB § 227 Abs. 2

BGH, Urteil vom 27.01.2011 - Aktenzeichen 2 StR 493/10

DRsp Nr. 2011/4907

Prüfung einer strafrechtlichen Verantwortung durch Unterlassen im Falle der fehlenden Einschaltung ärztlicher Hilfe für ein erkennbar nicht unerheblich verletztes Kind; Berücksichtigung vermittelter Vorstellungen aus einer ausländischen Rechtsordnung als strafmildernd bei einem seit vielen Jahren in Deutschland lebenden, zwei Studiengänge erfolgreich abgeschlossen habenden und die deutsche Rechtsordnung kennenden Täter

1. Der Versuch, sich der Strafverfolgung zu entziehen, darf zwar nicht straferschwerend zu Lasten eines Angeklagten herangezogen werden. Dazu zählt auch die bloße Spurenbeseitigung, selbst wenn sie kaltblütig ist.2. Anders ist dies allerdings, wenn das Nachtatverhalten neues Unrecht schafft oder der Täter Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen.

1. a) Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 19. Februar 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

b) Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die Revision der Nebenklägerin wird verworfen.

3. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

StGB § 227 Abs. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision der Nebenklägerin erstrebt eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines Tötungsdelikts. Ihr bleibt der Erfolg versagt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das allein auf die Aufhebung des Strafausspruches zielt, hat dagegen Erfolg.

1.

a)

Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte, ein ghanaischer Staatsbürger, der im Jahre 2000 nach Deutschland gekommen war, im April 2003 die damals 20-jährige Nebenklägerin kennen. Aus der Beziehung ging im Juli 2004 das spätere Tatopfer, das gemeinsame Kind L. , hervor. Zwei Monate später heirateten der Angeklagte und die Nebenklägerin, im Jahre 2008 kam die zweite Tochter zur Welt.

L. wuchs seit Mai 2005 bei ihren Großeltern auf, um dem Angeklagten und der Nebenklägerin jeweils die Beendigung ihrer Ausbildung an anderen Orten zu ermöglichen. Zur Entlastung der Großeltern zog die Nebenklägerin, nachdem die Ausbildung beendet war, zu diesen nach Le. , bevor die Familie im Oktober 2006 schließlich in K. zusammenfand.

Der Angeklagte gewann in der Folgezeit den im Grundsatz auch von der Nebenklägerin geteilten Eindruck, dass seine Tochter bei ihren Großeltern zu sehr verwöhnt worden sei. Auf unerwünschtes Verhalten seines Kindes, etwa Einnässen, reagierte er streng; bei vier oder fünf Gelegenheiten fügte er ihr, so wie er es aus seiner Kindheit in Gh. gewohnt war, eine oder mehrere "erzieherische" Ohrfeigen zu. Durch schmerzhaft empfundene Schläge mit der flachen Hand sollte das Kind lernen, sich richtig zu verhalten. Die Nebenklägerin war mit diesem Verhalten des Angeklagten nicht einverstanden, weshalb es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den Eheleuten kam, in denen die Nebenklägerin wie auch noch andere Personen den Angeklagten darauf hinwies, dass Schlagen in Deutschland nicht als die richtige Erziehungsmethode angesehen werde. Mindestens in zwei Fällen verließ die Nebenklägerin den Angeklagten aufgrund dieser Meinungsverschiedenheiten, kam aber jedes Mal, nachdem der Angeklagte sich entschuldigt und um Verständnis gebeten hatte, nach einigen Tagen zu ihm zurück. Lediglich im Anschluss an einen Vorfall im Februar 2007, als der Angeklagte L. geschlagen und getreten hatte, blieb sie länger bei ihren Eltern, zog aber schließlich doch - im Mai 2007 - zu ihm nach K. zurück.

b)

Am 13. Oktober 2007 hatte die Nebenklägerin, die am 1. Oktober 2007 die Betreuung eines Wachkomapatienten übernommen hatte, Wochenenddienst und überließ das Kind in dieser Zeit -wie schon einige Male zuvor -der alleinigen Aufsicht des Angeklagten. Dieser sah sich im Fernsehen eine Gospelmesse an, als L. aufwachte und alsbald zwischen Kinder- und Wohnzimmer hin- und herlief. Der Angeklagte fühlte sich hierdurch gestört und fuhr sie laut an, sie solle in ihrem Zimmer spielen. Das tat sie dann auch. Als der Angeklagte später nach ihr sah, stellte er jedoch fest, dass sie sich eingenässt hatte. Das ärgerte ihn, er war der Ansicht, das Kind müsse schon trocken sein.

Der Angeklagte packte L. daraufhin und brachte sie ins Badezimmer. Dort stellte er sie in die Badewanne und zog ihr den Schlafanzug aus, um sie zu säubern. Sie wollte das nicht und schrie. Der Angeklagte herrschte sie an, ruhig stehen zu bleiben, und schlug sie heftig mit der flachen Hand, so dass sie durch den Schlag Schmerzen verspürte. Infolgedessen verlor sie das Gleichgewicht, kam in der nassen Badewanne zu Fall und zog sich so eine Verletzung zu, die zu ihrem Tode führte.

Der Angeklagte entschloss sich, das tote Kind aus der Wohnung zu schaffen und es zu vergraben. Er zog ihm den Schlafanzug an, wickelte es in Folie und brachte es in einem Hartschalenkoffer in ein Waldstück, wo er es in eine von ihm ausgehobene Grube legte und anschließend mit Erde, Laub, Ästen und Sperrmüll bedeckte. Als am Abend die Nebenklägerin zurückkehrte und aufgeregt nach ihrer Tochter fragte, erklärte er ihr zur Verschleierung der Geschehnisse, er habe sie mit einem Bekannten nach Gh. geschickt, sie würden sie im Frühjahr 2008 dort wieder abholen. Kurz vor der anstehenden Reise nach Gh. im April 2008 teilte der Angeklagte seiner Ehefrau mit, das Kind sei an Malaria schwer erkrankt, schließlich daran verstorben und deshalb dort begraben worden. Nach dem Besuch eines Grabes in Gh. , das die Nebenklägerin für die letzte Ruhestätte ihres Kindes hielt, kehrten beide - mit vom Angeklagten besorgten gefälschten Krankenpapieren und einer gefälschten Sterbeurkunde - nach Deutschland zurück. Hier versuchte der Angeklagte, der befürchtete, dass die Echtheit der Dokumente in Deutschland angezweifelt werde, den Leichnam des Kindes wieder auszugraben, um ihn nach Gh. zu verschiffen und dort beerdigen zu lassen, konnte ihn aber nicht wieder finden.

c)

Das Landgericht sah den Tatbestand des § 227 StGB als erwiesen an, an einer Verurteilung wegen Totschlages sah es sich jedoch gehindert, da dem Angeklagten ein Tötungsvorsatz nicht nachzuweisen sei.

d)

Bei der Strafzumessung ist die Kammer im Rahmen einer Gesamtwürdigung vom Vorliegen eines minderschweren Falles gemäß § 227 Abs. 2 StGB ausgegangen. Ihr erschienen die zu Gunsten des Angeklagten zu wertenden Gesichtspunkte unter besonderer Berücksichtigung der allein feststellbaren Tathandlung so gewichtig, dass ein deutliches Übergewicht der für die Annahme eines minderschweren Falles sprechenden Gründe bejaht werden könne. Zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigte das Landgericht vor allem, dass nur ein einmaliges Schlagen mit der Hand als Tathandlung nachweisbar sei, der Angeklagte teilgeständig sei, weil er Anwendung körperlicher Gewalt gegenüber L. zugegeben habe, sowie zusätzlich den Umstand, dass er selbst als Kind in Gh. mit genau der Form von Gewalt erzogen worden sei, die er nunmehr gegenüber L. angewendet habe. Er habe trotz klarer Hinweise darauf, dass dies in Deutschland nicht akzeptiert sei, diese in Gh. übliche Form der Kindeserziehung seit frühester Kindheit als erlaubt verinnerlicht. Zu Lasten des Angeklagten wertete die Kammer, dass er das Kind aus nichtigem Anlass geschlagen habe, dieses ihm gegenüber wehrlos gewesen sei und der Angeklagte - wenn auch nicht einschlägig - vorbestraft sei.

2.

Die Revision der Nebenklägerin, die Erörterungen zum Vorliegen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen vermisst, bleibt ohne Erfolg.

Ein durchgreifender Erörterungsmangel - wie ihn die Revision in der Revisionshauptverhandlung geltend gemacht hat - liegt nicht vor. Dies gilt ohne Weiteres auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen zum Tathergang, die - rechtlich unangreifbar - keine Einzelheiten zur genauen Todesursache, zum Todeszeitpunkt oder zur Art der Verletzung enthalten (UA S. 10) und deshalb auch keinen Anknüpfungspunkt für ein strafrechtlich relevantes Unterlassen darstellen. Dies gilt letztlich aber auch, wenn man - wie die Revision es tut - die Einlassung des Angeklagten zum Ausgangspunkt einer Überprüfung macht. Zwar enthält die Schilderung des Angeklagten, der sich auf das Vorliegen eines Unglücksfalles beruft, auch nähere Einzelheiten zum Aufschlagen des Kopfes in der Badewanne und zu den dadurch hervorgerufenen körperlichen Beeinträchtigungen, insbesondere zum Erbrechen des Kindes, das "die ganze Zeit gebrabbelt" habe (vgl. UA S. 18). Diese Umstände könnten bei einem Angeklagten, der sowohl als Vater des Kindes wie auch unter dem Gesichtspunkt des pflichtwidrigen gefährdenden Vorverhaltens eine Garantenstellung zum Schutz des Kindes inne hatte, grundsätzlich auch Anlass für die Prüfung einer strafrechtlichen Verantwortung durch Unterlassen sein, indem er nach dem Vorfall in der Badewanne das erkennbar nicht unerheblich verletzte Kind sich selbst überlassen hat, ohne ärztliche Hilfe zu rufen. Es kann letztlich aber dahinstehen, ob die Kammer, die die auf ein Unfallgeschehen hinauslaufende Einlassung des Angeklagten als widerlegt ansah und offenbar deshalb auch die weitere Schilderung der Ereignisse nach dem eigentlichen Sturz in der Badewanne außer Betracht gelassen hat, zu einer solchen Prüfung Veranlassung gehabt hätte. Dagegen könnte immerhin sprechen, dass der Angeklagte, dem die Kammer an anderer Stelle auch fürsorglichen Umfang mit seiner Tochter bescheinigte (UA S. 38), in seiner Einlassung auch angegeben hat, er habe gedacht, er könne sie (wohl ohne weitere Gefahren für ihre Gesundheit) im Bett schlafend alleine zurücklassen (UA S. 18). Jedenfalls schließt der Senat aus, dass im Fall einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden könnten, die zur Annahme eines Tötungsdelikts durch Unterlassen führen könnten. Allein die bisherige Einlassung des Angeklagten, die wie dargelegt, auch gegen einen Tötungsvorsatz sprechende Umstände enthält, wäre hierfür nicht genügend. Weitere Erkenntnisquellen stehen nicht zur Verfügung. Zeugen des Tatgeschehens gibt es nicht; der Leichnam des Kindes, der Aufschluss über die Todesursache geben könnte, ist bislang nicht gefunden worden.

3.

Dagegen hat die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft Erfolg. Mit Recht beanstandet die Revision die Annahme eines minderschweren Falls der Körperverletzung nach § 227 Abs. 2 StGB .

Auch unter Berücksichtigung des dem Tatgericht bei der Annahme oder Ablehnung eines minderschweren Falles eingeräumten weiten Beurteilungsspielraums erweist sich die Entscheidung des Landgerichts als rechtsfehlerhaft. Es hat zu Unrecht Umstände zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt und zudem wesentliche Umstände außer Betracht gelassen, die zu seinen Lasten in die erforderliche Gesamtwürdigung hätten einfließen müssen.

a)

Das Landgericht durfte zwar strafmildernd berücksichtigen, dass der Angeklagte selbst als Kind mit der Gewalt erzogen wurde, die er L. gegenüber einsetzte, ohne sie schwer verletzen zu wollen. Es durfte der Strafzumessung allerdings nicht zu Gunsten des Angeklagten zugrunde legen, dass er diese in Gh. übliche Form der Kindeserziehung seit frühester Kindheit als erlaubt verinnerlicht und sie so auch bei seinem eigenen Kind angewendet habe (vgl. UA S. 43). Solche vermittelten Vorstellungen eines aus einer ausländischen Rechtsordnung stammenden Täters können zwar grundsätzlich strafmildernd zu Buche schlagen (vgl. BGH NStZ 1996, 80 ). Dies liegt allerdings bei einem Täter wie dem Angeklagten, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, zwei Studiengänge erfolgreich abgeschlossen hat, als Software-System-Entwickler arbeitet und die deutsche Rechtsordnung kennt, nicht auf der Hand. Hinzu kommt, dass er nicht nur von seiner Ehefrau, die ihn deshalb sogar mehrfach kurzfristig verlassen hatte, sondern auch von zwei Landsleuten auf die abweichenden Vorstellungen von einer Kindererziehung in Deutschland hingewiesen worden ist. Es ist ohne Weiteres zu erwarten, dass ein in Deutschland seit vielen Jahren lebender ausländischer Mitbürger die Ge- und Verbote der hier geltenden und ihm bekannten Rechtsordnung akzeptiert und insoweit in der Lage ist, sich von abweichenden Vorstellungen und Erfahrungen in seinem Heimatland freizumachen.

Auch soweit das Landgericht ein (Teil-) Geständnis zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, ist dies rechtsfehlerhaft. Der Angeklagte hat den eigentlichen Tatvorwurf bestritten. Soweit er die Gewaltanwendung gegenüber L. bei früheren Gelegenheiten eingeräumt hat, ist nicht zu sehen, inwiefern dies im konkreten Fall mildernd zu Buche schlagen könnte.

b)

Dass das Landgericht das Nachtatverhalten des Angeklagten bei seiner Gesamtwürdigung nicht ausdrücklich berücksichtigt hat, stellt einen weiteren durchgreifenden Rechtsfehler dar.

Der Versuch, sich der Strafverfolgung zu entziehen, darf zwar nicht straferschwerend zu Lasten eines Angeklagten herangezogen werden (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 13, 17). Dazu zählt auch die bloße Spurenbeseitigung, selbst wenn sie kaltblütig ist (vgl. BGH StV 1995, 131 ). Anders ist dies allerdings, wenn das Nachtatverhalten neues Unrecht schafft oder der Täter Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen. So aber liegt der Fall hier.

Zwar kommt weder dem Beiseiteschaffen des Leichnams noch dem Bedecken der Grabstelle mit Erde, Laub, Ästen und Sperrmüll strafschärfende Bedeutung zu. Der Versuch des Angeklagten, den Leichnam des getöteten Kindes auszugraben und nach Gh. zu verschiffen, um den Behörden ein Versterben des Kindes in Gh. vorzutäuschen, geht aber genauso wie die Verschaffung gefälschter Papiere über noch zulässiges Verhalten eines Täters hinaus. Mit diesen der eigentlichen Tat nachfolgenden Handlungen hat sich der Angeklagte erneut über strafrechtliche Verbote hinweg gesetzt und seine rechtsfeindliche Einstellung dokumentiert. Das Landgericht hätte deshalb das Nachtatverhalten zu Lasten des Angeklagten in seiner Gesamtwürdigung berücksichtigen müssen.

c)

Diese fehlerhaften bzw. unvollständigen Strafzumessungserwägungen führen zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Kammer bei fehlerfreier Würdigung einen minderschweren Fall abgelehnt und im Rahmen der konkreten Strafzumessung zu einer höheren Strafe gelangt wäre.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Köln, vom 19.02.2010