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BGH - Entscheidung vom 08.02.2011

X ZR 22/09

Normen:
PatG § 121 Abs. 2 S. 2
ZPO § 97 Abs. 1

BGH, Urteil vom 08.02.2011 - Aktenzeichen X ZR 22/09

DRsp Nr. 2011/6236

Patentnichtigkeitsklage aufgrund mangelnder Patentfähigkeit eines Gegenstands des Streitpatents über eine Vorrichtung und des Verfahrens zum Öffnen eines Schlachttieres sowie eine unzulässige Erweiterung gegenüber den Ursprungsunterlagen; Zurückweisung einer Berufung aufgrund der Nichtannahme einer erfinderischen Tätigkeit und mangels Patentfähigkeit eines Verfahren zur Öffnung eines Schlachttieres

Die Berufung gegen das am 4. Dezember 2008 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

PatG § 121 Abs. 2 S. 2; ZPO § 97 Abs. 1 ;

Tatbestand:

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des die Prioritäten niederländischer Patentanmeldungen vom 18. Juli 1991 und vom 6. April 1992 in Anspruch nehmenden, am 13. Juli 1992 angemeldeten und in der Verfahrenssprache Englisch erteilten europäischen Patents 594 791 (Streitpatents). Das Streitpatent umfasst 20 Patentansprüche, von denen die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 6 lauten:

"1. Method for opening a slaughtered animal comprising the following steps: (1) providing a slaughtered animal; (2) suspending the animal from the hind legs;

(3) arranging a cut only in the belly wall close to the hind legs substantially in the plane of symmetry of the animal;

(4) continuing this cut in substantially vertical downward direction;

(5) holding the intestines clear of the belly wall during step (4);

(6) tensioning the belly wall during step (4) by pushing the belly wall outward;

(7) continuing the cut after step (4) to cut through the midriff;

(8) continuing the cut after step (6) to cut through the breast bone.

6. Apparatus for opening a slaughtered animal suspended from the hind legs with a method as claimed in any of the preceding claims, said apparatus comprising:

a knife borne by a structure (57) displaceable relative to the animal in a substantially vertical plane by means of guide and drive means and having a cutting edge oriented such that the slaughtered animal can be opened therewith by being cut into during relative displacement of the knife; and a pin extending in the plane of the knife beyond the cutting edge thereof, said pin having a guide surface and extending into the slaughtered animal during operation; in which the guide surface is adapted for directing toward the belly wall and can slide along the inner surface of the belly wall of a slaughtered animal during opening of that animal and which pin holds the intestines clear of the belly wall, the relative positioning of the guide surface and the knife being such that the guide surface is adapted to press the belly wall towards and beyond the cutting edge of the knife; and actuating means for displacing the pin; characterized in that the actuating means are adapted such as to allow displacement of the pin relative to said structure (57) bearing the knife."

Mit Entscheidung vom 19. September 2002 hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts den Einspruch gegen das Streitpatent zurückgewiesen.

Mit der Patentnichtigkeitsklage macht die Klägerin mangelnde Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents sowie eine unzulässige Erweiterung gegenüber den Ursprungsunterlagen geltend.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat das Streitpatent hilfsweise mit der Maßgabe verteidigt, dass Patentanspruch 20 in Patentanspruch 6 eingefügt wird.

Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die weiterhin die Abweisung der Nichtigkeitsklage erstrebt.

Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Öffnen eines Schlachttieres.

1. Nach den Angaben in der Streitpatentschrift sind aus dem Stand der Technik Verfahren bekannt, bei denen das geschlachtete Tier an den Hinterläufen aufgehängt und die Bauchwand möglichst in der Symmetrieebene des Tieres nahe den Hinterläufen durchschnitten wird. Der Schnitt werde in vertikaler Richtung nach unten fortgeführt, wobei die Eingeweide von der Bauchwand fern- bzw. freigehalten würden. Problematisch sei dabei, dass durch das Öffnen bzw. Aufschneiden des geschlachteten Tieres die Eingeweide bzw. inneren Organe des Schlachttieres beschädigt werden können.

Davon ausgehend liegt dem Streitpatent das Problem zugrunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung anzugeben, mit denen das Risiko einer Beschädigung der inneren Organe vermieden oder jedenfalls verringert wird.

2. Zur Lösung dieses Problems lehrt Patentanspruch 1 ein Verfahren zum Öffnen eines geschlachteten Tieres mit den folgenden Schritten:

(1) Zuführen des Tieres;

(2) Aufhängen des Tieres an den Hinterläufen;

(3) Anordnen eines Schnitts nur in der Bauchwand nahe den Hinterläufen und im Wesentlichen in der Symmetrieebene des Tieres;

(4) Fortführen dieses Schnitts in im Wesentlichen vertikaler Richtung nach unten; wobei während dieses Schnitts

(5) die Eingeweide von der Bauchwand freigehalten werden (holding the intestines clear of the belly wall) und

(6) die Bauchwand durch Drücken nach außen gedehnt wird;

(7) Fortführung des Schnitts zum Durchschneiden des Zwerchfells;

(8) Fortführung des Schnitts zum Durchschneiden des Brustbeins.

Patentanspruch 6 gibt zur Lösung des Problems eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

(A) Die Vorrichtung ist geeignet zum Öffnen eines an den Hinterläufen (52) aufgehängten, geschlachteten Tieres (53) gemäß den Verfahrensschritten 1 bis 8 und umfasst:

(B) ein von einem Aufbau getragenes Messer (58), das

(a) relativ zu dem Tier mittels Führungs- und Antriebseinrichtungen in einer im Wesentlichen vertikalen Ebene versetzbar ist, und

(b) eine Schneidkante aufweist, die derart orientiert ist, dass das geschlachtete Tier damit geöffnet werden kann, indem während des Versatzes in das Tier hinein geschnitten wird;

(C) einen Dorn (66), der sich in der Ebene des Messers (58) über dessen Schneidkante erstreckt, wobei

(a) der Dorn eine Führungsfläche (67) hat und sich während des Öffnungsvorgangs in das geschlachtete Tier erstreckt,

(b) die Führungsfläche für eine Ausrichtung auf die Bauchwand und ein Gleiten entlang ihrer inneren Oberfläche ausgelegt ist,

(c) der Dorn die Eingeweide von der Bauchwand freihält und

(d) Führungsfläche und Messer so zueinander positioniert sind, dass die Führungsfläche dazu ausgelegt ist, die Bauchwand in Richtung und über die Schneidkante des Messers zu drücken;

(D) Betätigungsmittel zum Versetzen des Dorns;

(a) wobei die Betätigungsmittel dafür ausgelegt sind, einen Versatz des Dorns gegenüber dem das Messer tragenden Aufbau (57) zu gestatten.

Eine dem Patentanspruch 6 entsprechende Vorrichtung wird in der Patentschrift wie folgt zeichnerisch dargestellt:

II. Das Patentgericht hat die Patentfähigkeit des Gegenstands der Patentansprüche 1 und 6 verneint und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Es könne dahingestellt bleiben, ob die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 6 neu seien, sie beruhten jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Aus der sowjetischen Patentschrift 599 780 (K12) sei dem Fachmann, einem Ingenieur der Lebensmitteltechnik oder Maschinenbauingenieur mit langjähriger Erfahrung in der Bereitstellung von Schlacht- und Fleischverarbeitungsanlagen, ein Verfahren bekannt, bei dem entsprechend der Darstellung in der nebenstehenden Figur 1 einer Längszerlegungsanlage ein an den Hinterläufen aufgehängter Tierkörper zugeführt werde. Es werde ein mittiger Schnitt in die Bauchwand ausgeführt, der nach unten bis zum Zwerchfell und Brustbein fortgeführt werde. Das Zerschneiden der Bauchhöhle solle dabei ohne Beschädigung der Eingeweide erfolgen, weshalb zu deren Schutz eine federgelagerte Ellipse (Platte) in die Bauchhöhle eingeführt werde. Damit seien die Merkmale 1 bis 5, 7 und 8 des Patentanspruchs 1 beschrieben. Nicht beschrieben und auch den Figuren der Entgegenhaltung nicht zwingend zu entnehmen sei, dass die Platte durch Drücken der Bauchwand nach außen zu einem Dehnen der Bauchwand führe (Merkmal 6).

Um eine Beschädigung der Eingeweide noch sicherer zu vermeiden, habe der Fachmann die australische Auslegeschrift 31 317/84 (K4) heranziehen und dieser ein Verfahren sowie eine Vorrichtung zum Öffnen von Schlachttieren entnehmen können, der die gleiche Aufgabe zugrunde liege. Bei dem beschriebenen Verfahren werde das Tier an den Vorderbeinen aufgehängt. Der vertikale Schnitt beginne zwischen den Vorderbeinen. Für den Schutz der Innereien sei ein Dorn vorgesehen, der Druck auf die Bauchwand von innen nach außen ausübe, wobei gleichzeitig die Bauchwand gedehnt werde. Der Druck sei dabei sogar so stark, dass der Dorn am Ende des Öffnungsvorgangs die Körperhöhle des Schlachttieres durchbreche, was in den Figuren 15 (nebenstehend) und 16 der Entgegenhaltung anschaulich dargestellt werde. Damit werde Merkmal 6 verwirklicht. Der Fachmann habe damit ausgehend von der K12 in der K4 eine Anregung zur Lösung der Aufgabe des Streitpatents erhalten. Hierfür sei es ohne Bedeutung, dass nach der K4 das Schlachttier an den Vorderbeinen aufgehängt werde. Auch bei einer solchen Aufhängung müsse eine Verletzung der Eingeweide vermieden werden, die auch dann nach unten sänken und gegen die Bauchwand drückten.

Mit entsprechenden Erwägungen hat das Patentgericht auch die in Patentanspruch 6 beschriebene Vorrichtung für nahegelegt erachtet.

III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.

Dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 fehlt, wie das Patentgericht zu Recht erkannt hat, die Patentfähigkeit. Insofern kann offen bleiben, ob die Lehre des Anspruchs neu war. Jedenfalls war sie durch den Stand der Technik nahegelegt.

1. Mit dem Patentgericht ist ein Ingenieur der Lebensmitteltechnik oder ein Maschinenbauingenieur mit langjähriger Erfahrung in der Bereitstellung von Schlacht- und Fleischverarbeitungsanlagen der für die Lehre des Streitpatents relevante Fachmann.

2. Mit der Entgegenhaltung K12 gehörte ein Verfahren zum Stand der Technik, das jedenfalls sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 mit Ausnahme des Merkmals 6 (Dehnung der Bauchwand) umfasst. Hinsichtlich der Merkmale 1 bis 4 (Tierzuführung, Aufhängung, erstes Einschneiden und Fortführen des Schnittes) wird dies auch von der Beklagten nicht bezweifelt. Die Beklagte zieht weiterhin nicht in Zweifel, dass in der K12 auch das Durchschneiden des Zwerchfells und des Brustbeins als Fortführung des Schnittes durch das Tier beschrieben wird (Merkmale 7 und 8).

Auch das Merkmal 5 (Freihalten der Eingeweide von der Bauchwand) wird in der K12 beschrieben. Die darin dargestellte Platte (19) hat die Funktion, die Eingeweide während des Aufschneidens der Bauchwand von dem Schneidmesser fernzuhalten. Die Entgegenhaltung bezeichnet es als Aufgabe der Erfindung, beim Aufschneiden der Bauchhöhle eine Beschädigung der Innereien zu vermeiden. Dazu wird die Platte (19) als "Einrichtung zum Eingeweideschutz" bzw. "Abgrenzungsvorrichtung der Innereien" verwendet. Unter Mitwirkung der Rückstellfeder (18) gelangt die Platte in die Bauchhöhle und bildet zur Abgrenzung der Innereien einen sicheren Schutz vor Beschädigungen durch das Schneidelement (22) beim Durchgang durch die Bauchhöhle. Damit wird den Anforderungen des Merkmals 5 (holding the intestines clear of the belly wall) genügt. Im Übrigen sieht die Entgegenhaltung zusätzlich vor, Druckluft in die Bauchhöhle einzublasen, um ein Luftkissen zwischen Bauchfellgewebe und Eingeweiden zu bilden. Auch dies trägt dazu bei, die Eingeweide von der Bauchwand fernzuhalten.

3. Ausgehend von diesem Stand der Technik hat es für den Fachmann nahegelegen, während des Schnittes nach Verfahrensschritt 4 nicht nur die Eingeweide von der Bauchwand freizuhalten, sondern auch die Bauchwand durch Drücken nach außen zu dehnen.

Das Anliegen, die Bauchwand von den Eingeweiden insbesondere durch einen Dorn oder eine Platte freizuhalten, entspricht dem grundsätzlichen Bestreben des Fachmanns, die Eingeweide von dem Schneidmittel fernzuhalten, um eine schädigende Wirkung des Schneidvorgangs auf die Eingeweide zu vermeiden. Dem Fachmann ist allgemein bekannt, dass er ein Fernhalten im wörtlichen Sinne insbesondere durch eine räumliche Distanz zwischen dem Schneidmittel und den Eingeweiden erzielen und so die Gefahr einer Schädigung vermeiden kann. Er weiß auch, dass die Bauchwand dehnbar und damit ihre Lage zu den Eingeweiden in gewissem Maße flexibel ist, um eine räumliche Distanz zu den Eingeweiden zu schaffen.

Mit diesem Blickwinkel und Vorverständnis erkennt der Fachmann in der Entgegenhaltung K4 die Anregung, die Bauchwand zu dehnen, um den Schneidvorgang von den zu schützenden Eingeweiden fernzuhalten. Die Entgegenhaltung K4 beschreibt gleichfalls ein Verfahren zur Schlachtviehöffnung und spricht ebenfalls ausdrücklich das Problem an, dass es auch einem erfahrenen Schlachter passieren könne, dass er versehentlich die dünne Pansenwand anschneide (S. 2 Z. 18 bis 23 = Übersetzung Anlage K4a S. 1 Z. 21 bis 23). Wie die K12 verwendet deshalb die K4 eine Abschirmung (shield) in Gestalt eines Dorns (pin 14), der die Klinge von den Eingeweiden abschirmt (shields the saw from cutting the paunch, S. 7 Z. 4/5 = Anlage K4a S. 4 Z. 34 bis S. 5 Z. 1). Dass der Dorn dabei von innen gegen die Bauchwand drückt und sie damit dehnt, verdeutlicht die nachfolgende Beschreibung, gemäß der der Druck auf die Bauchwand erhöht werde, bis der Dorn aus dem Bauchraum herausbreche und den Schlachtkörper freigebe (... the force of the pin 14 on the abdominal wall increases until the pin breaks out of the body cavity and automatically clears the carcass, S. 7 Z. 5 bis 9 = Anlage K4a S. 5 Z. 1 bis 3). Dementsprechend verfährt auch die in K4 beschriebene zweite Ausführungsform, bei der zusätzlich Gleitstücke (skids 17) von außen gegen den Bauch drücken. Gerade dieses von außen Drücken setzt voraus, dass gleichzeitig durch den Dorn (14) ein Gegendruck von innen erzeugt wird, der ein Drücken der Bauchwand auf die Eingeweide vermeidet, und so bewirkt, dass die Bauchwand (etwas) gedehnt und damit ein präziser Schnitt begünstigt wird.

Ein solches Dehnen der Bauchwand durch Drücken nach außen war ohne Weiteres auch bei dem Verfahren nach der K12 sinnvoll, um dem Bestreben des Fachmanns entgegen zu kommen, die Eingeweide an der Schnittstelle zuverlässig von der Bauchwand fernzuhalten. Dass die K4 ein Verfahren darstellt, bei dem die geschlachteten Tiere nicht an den Hinterläufen, sondern an den Vorderläufen aufgehängt werden, hat das Patentgericht zutreffend nicht als ein Hindernis für die Übertragung der dort beschriebenen Behandlung der Bauchwand auf die K12 gesehen, die unabhängig von der Aufhängung und der aus dieser folgenden Schnittrichtung ihre Wirkung erzielt.

4. Ebenso hat das Patentgericht zu Recht die Patentfähigkeit des Patentanspruchs 6 verneint. Soweit die Berufung dagegen vorbringt, aus der Patentfähigkeit des Verfahrens nach Patentanspruch 1 folge auch die Patentfähigkeit der Vorrichtung gemäß Patentanspruch 6, führt vielmehr das Naheliegen des Verfahrens nach Patentanspruch 1 aus dem Stand der Technik zugleich auch zu einem Naheliegen der in Patentanspruch 6 definierten Vorrichtung aus dem in den Entgegenhaltungen K12 und K4 beschriebenen Stand der Technik.

5. Auch die Gegenstände der verteidigten Unteransprüche lassen keinen erfinderischen Gehalt erkennen. Ein solcher wird von der Beklagten mit der Berufung auch nicht gesondert geltend gemacht. Es handelt sich durchgehend um naheliegende Ergänzungen zu den Patentansprüchen 1 und 6.

IV. Die Kostenfolge beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 8. Februar 2011

Vorinstanz: BPatG, vom 04.12.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ni 40/07