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BGH - Entscheidung vom 11.01.2011

X ZR 104/07

Normen:
IntPatÜbkG § 6 Abs. 1 Nr. 1
EPÜ Art. 138 Abs. 1 Buchst. a

BGH, Urteil vom 11.01.2011 - Aktenzeichen X ZR 104/07

DRsp Nr. 2011/1782

Patentfähigkeit eines diagnostischen Nachweisverfahrens für den Blasensprung; Bestimmung der Patentfähigkeit bzw. des Stands der Technik anhand des Ausbildungsschwerpunktes eines Fachmanns

Der Gegenstand eines Patentanspruchs ist nicht patentfähig, wenn er sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab.

Die Berufung gegen das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 22. Februar 2007 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

IntPatÜbkG § 6 Abs. 1 Nr. 1; EPÜ Art. 138 Abs. 1 Buchst. a;

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des am 30. Dezember 1991 unter Inanspruchnahme der Priorität der finnischen Patentanmeldung 906 469 vom 31. Dezember 1990 angemeldeten und mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 565 541 (Streitpatents), das ein "diagnostisches Verfahren zum Nachweis des Zerreißens von fötalen Membranen und Testsatz zur Ausführung des Verfahrens" betrifft und 13 Patentansprüche umfasst. Die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 8 lauten in der Verfahrenssprache Englisch:

"1. A diagnostic method for detecting the rupture of fetal membranes, said method being based on the determination of a protein present in a vaginal secretion sample, characterized in that the protein to be detected is a insulin-like growth factor binding protein 1, IGFBP-1, the presence of IGFBP-1 resulting from the rupture of fetal membranes being detected in the sample with the aid of at least one specific binding substance of IGFBP-1 by adjusting the test conditions so that a positive result appears only, when the concentration of IGFBP-1 in the sample is above the threshold value of IGFBP-1 deriving from other sources than the presence of amniotic fluid.

8. A test kit for the diagnosis of the rupture of fetal membranes in accordance with the method of claim 1, characterized in that the kit contains at least one reagent containing a specific binding substance of a insulin-like growth factor binding protein 1, IGFBP-1, for detecting the presence of IGFBP-1, said kit being adapted for giving a positive signal only when the concentration of IGFBP-1 in a vaginal secretion sample is above the threshold value of IGFBP-1 deriving from other sources than the presence of amniotic fluid."

In der deutschen Übersetzung der Patentschrift lauten sie:

"1. Diagnostisches Nachweisverfahren für die Ruptur von fötalen Membranen, wobei das Verfahren auf der Bestimmung eines Proteins basiert, das in einer Vaginalsekretprobe vorhanden ist, dadurch gekennzeichnet, dass das nachzuweisende Protein das den Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor bindende Protein 1 (IGFBP-1) ist, wobei das Vorhandensein von IGFBP-1 aus der Ruptur von fötalen Membranen resultiert, die in der Probe mit Hilfe von mindestens einer spezifisch IGFBP-1 bindenden Substanz nachgewiesen wird, indem man die Testbedingungen so einstellt, dass ein positives Ergebnis nur dann erzielt wird, wenn die IGFBP-1-Konzentration in der Probe über dem Schwellenwert von IGFBP-1 liegt, das aus anderen Quellen als der Amnionflüssigkeit stammt.

8. Diagnostischer Testkit für die Ruptur von fötalen Membranen gemäß dem Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Kit mindestens ein Reagenz mit einer spezifisch bindenden Substanz für das den Insulinähnlichen Wachstumsfaktor bindende Protein 1 (IGFBP-1) enthält, zum Nachweis der Anwesenheit von IGFBP-1, wobei dieser Kit angepasst wurde, um nur dann ein positives Signal zu erzeugen, wenn die IGFBP-1-Konzentration in einer Vaginalsekretprobe über einem Schwellenwert von IGFBP-1 liegt, das aus anderen Quellen als aus der Amnionflüssigkeit stammt."

Die Klägerin, die im Lauf des Verfahrens ihre Firmenbezeichnung und ihre Rechtsform geändert hat, hat geltend gemacht, das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne, weiterhin, sein Gegenstand gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und es sei nicht patentfähig, weil sein Gegenstand gegenüber dem Stand der Technik jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Sie hat sich hierzu insbesondere auf die Veröffentlichungen von Rutanen/Bohn/Seppälä, Radioimmunoassay of placental protein 12, Am. J. Obstet. Gynecol. 144 (1982) 460-463 (E1), Rochelson/Rodke/ White/Bracero/Baker, A Rapid Colorimetric AFP Monoclonal Antibody Test for the Preterm Rupture of the Membranes, Obstetrics & Gynecology 69 (1987) 163-165 (E7), Rochelson/Richardson/Macri, Rapid Assay: Possible Application in the Diagnosis of Premature Rupture of the Membranes, Obstetics & Gynecology 62 (1983), 414 (E10) und Bell, Secretory endometrial and decidual proteins, Human Reproduction 1 (1986), 129-143 (E12), sowie auf weitere Veröffentlichungen bezogen.

Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland antragsgemäß in vollem Umfang für nichtig erklärt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die das Klagepatent in seiner erteilten Fassung verteidigt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. B. , Leiter des Instituts für Biomedizinische Technik, P. , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat sachverständige Stellungnahmen von Priv.-Doz. Dr. M. , M. , die Beklagte eine Stellungnahme von Prof. Dr. H. , B. , eingereicht.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten bleibtohne Erfolg.

I.

Das Streitpatent betrifft nach seinem Patentanspruch 1 ein diagnostisches Nachweisverfahren für den Blasensprung (in der deutschen Übersetzung in Anlehnung an den englischsprachigen Begriff der [premature] rupture of fetal membranes [PROM] als Ruptur fötaler Membranen bezeichnet), wobei das Verfahren auf der Bestimmung eines bestimmten Proteins (IGFBP-1) basiert, das im Vaginalabstrich vorhanden ist. Bei vorzeitigem Reißen der Fruchtblase ist die Diagnose von hoher Bedeutung, weil mit ihm ein signifikant erhöhtes Risiko einer intrauterinen Infektion einhergeht. Dieses Risiko ist umso größer, je mehr Zeit zwischen dem Blasensprung und der Geburt verstreicht (Beschreibung S. 2 Z. 3 bis 12). Die Beschreibung des Streitpatents gibt weiter an, dass verschiedene nicht zufriedenstellende Verfahren zum Nachweis von Amnionflüssigkeit (Fruchtwasser) in der Vagina entwickelt und angewendet worden seien.

Durch das Streitpatent soll eine weitere Methode zur Feststellung des Blasensprungs zur Verfügung gestellt werden, die schnell, einfach und zuverlässig durchgeführt werden kann und Schwierigkeiten, die sich bei anderen Tests ergeben, nicht aufweist (vgl. Beschreibung S. 2 Z. 40 bis 44).

Hierzu stellt Patentanspruch 1 des Streitpatents ein Verfahren unter Schutz,

(1)

bei dem das (infolge des Blasensprungs) in einer Vaginalsekretprobe vorhandene Protein IGFBP-1 bestimmt wird,

(2)

wobei die Bestimmung erfolgt

(2.1)

in der Probe

(2.2)

mittels einer für IGFBP-1 spezifischen Bindungssubstanz

(2.3)

unter derart eingestellten Testbedingungen, dass sich ein positives Ergebnis nur dann ergibt, wenn die Konzentration von IGFBP-1 in der Probe über einem Schwellenwert von IGFBP-1 aus anderen Quellen als der Amnionflüssigkeit liegt.

Die Beschreibung des Streitpatents führt hierzu aus, es seien zwar Testverfahren zur Bestimmung der IGFBP-1-Konzentration und monoklonale Antikörper gegen dieses Protein entwickelt worden, die Untersuchungen hätten jedoch nicht zu klinischen Anwendungen geführt. Auch gebe es keinen Vergleich zwischen den Konzentrationen von IGFBP-1 in Amnionflüssigkeit und in anderen in der Vagina vorhandenen Sekreten. Eine Untersuchung habe ergeben, dass die Konzentration von IGFBP-1 in der Amnionflüssigkeit in allen Fällen mehr als hundertfach höher sei als im mütterlichen Serum. Es handle sich um den größten Unterschied zwischen einem Protein im Blut und in der Amnionflüssigkeit, der der Erfinderin bekannt sei. Aus diesem Grund eigne sich IGFBP-1 ausgezeichnet zum Nachweis der Anwesenheit von Amnionflüssigkeit auch dann, wenn diese mit Blut vermischt sei (Beschreibung S. 3 Z. 34 bis S. 5 Z. 49).

Der Nachweis des Proteins kann mit unterschiedlichen biochemischen Verfahren geführt werden, insbesondere immunologisch mit bestimmten Bindeproteinen wie monoklonalen Antikörpern; dies ist Gegenstand der Unteransprüche 2 und 3. Die Beschreibung des Streitpatents führt weiter aus, die Nachweisgrenze könne auf einen geeigneten Wert eingestellt werden, so dass eine niedrige IGFBP-1-Konzentration, die bereits durch Blut oder ein anderes Sekret in der Probe hervorgerufen werde, kein als positiv zu interpretierendes Signal ergebe (Beschreibung S. 5 Z. 65 bis S. 6 Z. 2). Die Anzeige des Testergebnisses kann durch eine radioaktive Markierung erfolgen, bei der die Antikörper einen Isotopenmarker tragen (Beschreibung S. 3 Z. 34 bis 39); Patentanspruch 1 überlässt es jedoch dem Fachmann, das Testergebnis in geeigneter Weise erkennbar zu machen.

II.

Einige Begriffe bedürfen dabei der näheren Erläuterung.

IGFBP-1 bezeichnet das Protein "Insulinlike Growth Factor Binding Protein 1" (das Insulinähnliche Wachstumsfaktor bindende Protein), das in der Literatur auch als α 1- PEG bezeichnet wird, insbesondere im Serum schwangerer Frauen nachweisbar ist und in Amnionflüssigkeit hundert- bis tausendfach vermehrt gegenüber mütterlichem Serum vorkommt. Es handelt sich dabei um ein Protein der Uterusschleimhaut.

Amnionflüssigkeit (amniotic fluid) ist das Fruchtwasser, eine in der Fruchtblase gebildete klare, wässrige Körperflüssigkeit.

Die vorzeitige Ruptur von fötalen Membranen (PROM) ist die spontane Ruptur der Membran mindestens 24 Stunden vor dem Einsetzen von Wehen zum errechneten Termin oder bei einer Fehlgeburt (Blasensprung). Sie tritt bei etwa 5 bis 10 % der Geburten auf und ist die Ursache von etwa 10 % perinataler Todesfälle. Etwa 30 bis 50 % der vorzeitigen Blasensprünge treten ein, wenn die Schwangerschaftsdauer weniger als 37 Wochen beträgt und das Ende der Schwangerschaft somit noch nicht termingerecht ist.

III.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, weil es dessen Gegenstand nicht als patentfähig angesehen hat. Es werde dem Fachmann, einem mit der Entwicklung von diagnostischen Tests befassten und vertrauten Biochemiker, Chemiker oder Mediziner mit Ausbildungsschwerpunkt in klinischer Chemie, jedenfalls durch die Entgegenhaltung E7 nahegelegt, wobei es sich von der Lehre der E7 in der Wahl von IGFBP-1 als dem in einer Probe von Vaginalsekret anstelle von α -Fetoprotein (AFP) zu bestimmenden Protein unterscheide. Darin sei indessen kein erfinderisches Zutun zu erkennen, weil dem Fachmann bereits vor dem Prioritätstag aus der E1 bekannt gewesen war, dass IGFBP-1 in sehr viel höherer Konzentration in Amnionflüssigkeit als in anderen Körperflüssigkeiten vorkomme. Der Fachmann werde bei der Suche nach einer Substanz, deren Bestimmung in Amnionflüssigkeit eine rasche und sichere Diagnose eines vorzeitigen Blasensprungs zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Schwangerschaft ermöglichen könne, auf die E1 stoßen. Eine besondere Anregung zur Verwendung von IGFBP-1 als diagnostischem Marker zur Feststellung eines vorzeitigen Blasensprungs ergebe sich für den Fachmann aus der E1 bereits unmittelbar wegen der gegenüber Serum drastisch erhöhten Konzentration von IGFBP-1 in Amnionflüssigkeit und weiterhin dadurch, dass in dieser Veröffentlichung auf die besondere Eignung der Messwerte dieser Substanz bei anormalem Verlauf der Schwangerschaft, der, wie ihm bekannt sei, in den meisten Fällen mit einer vorzeitigen Ruptur fötaler Membranen einhergehe, ausdrücklich hingewiesen werde (E1 S. 460; Zusammenfassung letzter Satz). Seinen Blick werde der Fachmann aber auch schon deshalb nicht von IGFBP-1 als Markersubstanz abwenden können, weil die Empfindlichkeit und damit die Störanfälligkeit eines entsprechenden Tests beispielsweise durch die Anwesenheit von Blut in Vaginalproben gerade wegen der gegenüber anderen Körperflüssigkeiten wie Blut etwa hundert- bis tausendfach höheren Konzentration in Amnionflüssigkeit und der damit einhergehenden hohen Verdünnbarkeit deutlich geringer sei.

IV.

Dies hält der Überprüfung stand. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ergabsich für den Fachmann am Prioritätstag in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Art. 54 EPÜ). Dies füllt den Nichtigkeitsgrund des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ aus.

Die Parteien stimmen darin überein und auch der gerichtliche Sachverständige sieht dies nicht anders, dass die Leistung, die der vom Patentgericht zutreffend bestimmte Fachmann vollbringen musste, sowohl hinsichtlich des Verfahrensanspruchs als auch hinsichtlich des Sachanspruchs allein darin liegt, α -Fetoprotein (AFP), wie es bei dem Testverfahren nach der E7 verwendet wird, durch IGFBP-1 als weitere in der Amnionflüssigkeit vorhandene und damit bei einem vorzeitigen Blasensprung mittels eines Vaginalabstrichs nachweisbare Bindungssubstanz (Marker) zu ersetzen. Dies war dem Fachmann indessen durch den Stand der Technik nahegelegt.

Mit dem AFP-Test stand bereits ein Test zur Verfügung, der nach Art eines Schnelltests eingesetzt werden konnte. Die E7 beschreibt einen Schnelltest ("a rapid monoclonal antibody test"), bei dem ein steriles Wattestäbchen in das hintere Scheidengewölbe geführt, dann in die Lösung eines konjugierten, AFP-spezifischen monoklonalen Maus-Immunoglobulins eingeführt, anschließend entfernt und gewaschen, für zehn Minuten in einer Substratlösung platziert und nach erneutem Waschen auf eine Blaufärbung abgelesen wird. Weitere Maßnahmen sind dabei nicht erforderlich.

Ob der Stand der Technik hierbei eine Anregung zu Änderungen bot, hängt nicht notwendigerweise davon ab, ob der AFP-Test Schwächen oder Nachteile aufwies, die es sinnvoll oder gar geboten erscheinen ließen, sich Gedanken über einen anderen Marker zu machen. Jedoch werden vom Fachmann umso stärkere Bemühungen um Alternativen erwarten sein, desto größer die Defizite der im Stand der Technik bekannten Lösungen sind und desto eher er erwarten kann, diese Defizite durch bestimmte Maßnahmen zu beseitigen oder zumindest zu verringern.

Insoweit erschien der AFP-Test noch nicht als optimale Lösung. Rochelson bestätigt dies selbst in seinem Leserbrief an die Herausgeber des British Journal of Obstetrics and Gynecology (ebd. 1985, 427, E27). Auch die E7 bringt dies zum Ausdruck. Die Untersuchungsgruppe wird beschränkt auf Patientinnen in der 36. oder einer früheren Schwangerschaftswoche. Es wird bemerkt, dass weitere Variablen praktisch keinen verfälschenden Einfluss ausübten - erwartungsgemäß mit Ausnahme von Blut. Zur Überwindung dieser Schwierigkeit wird eine Referenzmessung in Gestalt eines gleichzeitigen Tests von peripherem Blut angeboten. Im Übrigen wird der Test auf einen etwas höheren Schwellenwert eingestellt, um falschpositive Ergebnisse bei leichter Blutverunreinigung auszuschließen. Dabei wird in Kauf genommen, dass sich der Test bei späterem Gestationsalter nicht mehr eignet oder jedenfalls nicht mehr hinreichend zuverlässig ist. Einleuchtend hat der gerichtliche Sachverständige in der erforderlichen Referenzmessung, die bedeute, dass es für den AFP-Test keinen absoluten Schwellenwert geben könne, einen Nachteil dieses Tests gesehen; dies wird aus klinischer Sicht durch die Stellungnahme des Parteigutachters Dr. M. unterstrichen. Der Fachmann hatte somit Anlass, sich Gedanken über einen weiteren, zudem möglicherweise überlegenen oder auch nur bei fortgeschrittenem Gestationsalter besser geeigneten Test zu machen.

Wenn der AFP-Test insbesondere in der Verfälschung des Ergebnisses durch Blutbestandteile des Vaginalabstrichs unzureichend war, musste die erste Frage für den Fachmann dahin gehen, ob ein anderer Marker gegenüber Blutverunreinigungen der Probe weniger empfindlich ist (ohne deswegen notwendigerweise auch im Ergebnis der bessere Marker zu sein).

Schon diese Überlegung spricht gegen das Vorbringen der Beklagten, der Fachmann hätte, wenn er über eine Alternative zum AFP-Test nachgedacht hätte, nach einem anderen fötalen Antigen gesucht, d.h. nach einem solchen, das aus dem Fötus oder der Plazenta stammt und nicht oder nicht in signifikanten Mengen im Serum, Plasma oder Harn der Mutter vorhanden ist, aber keinen Anlass gehabt, ein maternales Antigen in Erwägung zu ziehen, wie es das vorwiegend im Endometrium (Gebärmutterschleimhaut) exprimierte IGFBP-1 darstellt. Zwar mag eine bessere Unterscheidbarkeit gegenüber anderen Probenbestandteilen grundsätzlich eher von einer fötalen als von einer maternalen Bindungssubstanz zu erwarten gewesen sein, obwohl auch Proteine fötalen Ursprungs in maternales Gewebe und Körperflüssigkeiten wandern können (wie das Blutproblem beim AFP-Test zeigt). Wenn aber die Unterscheidbarkeit gegenüber Blut zunächst im Vordergrund des Interesses stand, gab es keinen Grund, warum nicht auch ein in der Amnionflüssigkeit in signifikanter Menge zur Verfügung stehender maternaler Marker in Betracht gezogen werden sollte. Zudem stellt auch das Antigen Prolaktin, das bereits als Marker vorgeschlagen worden war und von Phocas et al. (in Vaginal fluid prolactin: a reliable marker for the diagnosis of prematurely ruptured membranes, European Journal of Obstetrics & Gynecology and Reproductive Biology 1989, 133, E18) AFP vorgezogen wird, in diesem Sinn ein maternales Antigen dar, da es überwiegend von der Hypophyse und der Decidua produziert wird, wie die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat. Mit der Klägerin ist daher davon auszugehen, dass die Klassifikation als maternales oder als fötales Antigen aus fachmännischer Sicht keinen Grund darstellte, bestimmte Marker von vorneherein auszuschließen.

Damit musste sich die Aufmerksamkeit des Fachmanns jedenfalls auch dem IGFBP-1-Protein zuwenden. Denn er konnte der E1 entnehmen, dass dieses - dort als Plazentaprotein 12 (PP12) bezeichnete - Protein im Fruchtwasser mit einem Spiegel vorlag, der hundert- bis tausendfach höher war als im maternalen Serum. Die in Figur 2 und in Tabelle I wiedergegebenen Werte für die Gestationswochen 15 bis 40 weisen zwar gewisse Schwankungen auf, die höchste Konzentration im Serum liegt jedoch bei 169 ± 126 ng/ml (Mittelwert ± Standardabweichung) in der 22. und 23. Woche, während die niedrigste Konzentration in Amnionflüssigkeit bei 13.178 ± 3.587 ng/ml in der 36. Woche lag. IGFBP-1 war damit ein plausibler Kandidat für weitere Untersuchungen, da von diesem Protein mit einiger Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, dass sein Nachweis durch Blutbestandteile in der Probe nicht in relevanter Weise gestört werde.

Bezüglich weiterer Störfaktoren erlaubte die E1 keine sicheren Schlüsse. Immerhin enthält sie aber den Hinweis, immunohistochemische Studien zeigten, dass PP12 im Synzitiotrophoblasten und in Histiozyten des Chorions (der äußeren Fruchthülle), des Amnions und der Decidua (der Gebärmutterschleimhaut der Schwangeren) sowie in Zellen des intervillösen Raums (zwischen den Zotten der Plazenta) und fötaler Kapillaren vorkomme. Es wird ferner angegeben, dass PP12-ähnliche Immunreaktivität auch bei 24 von 34 anscheinend gesunden Männern und bei allen nichtschwangeren Frauen einer Vergleichsgruppe festgestellt worden sei, wobei die Konzentration, soweit nachweisbar, bei 8 bis 21 ng/ml bei Männern und bei 9 bis 47 ng/ml bei Frauen gelegen habe. Dies ergab zumindest keine Anhaltspunkte dafür, dass andere Bestandteile des Vaginalsekrets als Störfaktoren in Betracht kamen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten bewegte sich das Denken des Fachmanns nicht auf der Linie, lediglich die Verwendung bereits vorgeschlagener und erprobter Marker (wie AFP oder das aus der E18 bekannte Prolaktin) zu optimieren. Die Beklagte kann sich dabei nicht darauf berufen, dass die Schwierigkeiten, die bei den Verfahren nach dem Stand der Technik bestanden, bereits vollständig beseitigt gewesen wären. Das gilt insbesondere für den Test nach der E18, der anders als der AFP-Test nach der E7 nicht als Schnelltest durchgeführt werden konnte, sondern einen erheblich höheren apparativen Aufwand erforderte (Zentrifugieren bei 0°C und Vergleich mit maternalem Serum zur Referenzbildung). Der Austausch des Markers stellt sich damit gegenüber der E18 nicht als Rückschritt, sondern im Gegenteil als Bewahren der bei der E7 bereits erreichten Stufe des Schnelltests dar, die die E18 verlassen hatte.

Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob der Fachmann außerdem durch die E12 einen direkten Hinweis erhielt, dass IGFBP-1 für die Diagnose eines vorzeitigen Blasensprungs von Bedeutung sein könne.

Soweit sich, worauf die Beklagte hinweist, aus der veröffentlichten europäischen Patentanmeldung 316 919 (berichtigte deutsche Übersetzung der nachveröffentlichten Patentschrift als E11 vorgelegt) Vorbehalte gegen die Verwendung eines maternalen Antigens ergeben konnten, ist nicht ersichtlich, dass sich diese zu einer eingefahrenen Fehlvorstellung verdichtet hätten, die den Fachmann davon abgehalten hätten, sich mit IGFBP-1 als Marker zu beschäftigen (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 1998 - X ZR 115/96, GRUR 1999, 145 , 148 - Stoßwellen-Lithotripter; Urteil vom 25. Februar 2010 - Xa ZR 34/08 Rn. 86; Urteil vom 13. April 2010 - X ZR 29/07 Rn. 36). Dies geht zu Lasten der Beklagten (vgl. Benkard/Rogge, PatG , 10. Aufl. Rn. 58; Busse/Keukenschrijver, PatG , 6. Aufl. Rn. 191, jeweils zu § 4 PatG ; Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 4. Aufl. Rn. 222).

Dass die Bestimmung patentgemäß in der Probe (Merkmal 2.1) erfolgt, stellt eine Verfahrensführung dar, die sich bei einem Schnelltest in Verbindung mit der Vorgabe eines Schwellwerts geradezu aufdrängte, da, wie auch der gerichtliche Sachverständige angegeben hat, hier aufwändige Referenzmessungen nach Möglichkeit zu vermeiden sind.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 PatG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 11. Januar 2011

Vorinstanz: BPatG, vom 22.02.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ni 44/05 (EU)