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BGH - Entscheidung vom 18.01.2011

X ZR 147/08

Normen:
PatG § 1

BGH, Urteil vom 18.01.2011 - Aktenzeichen X ZR 147/08

DRsp Nr. 2011/4339

Patentanspruch auf eine tragbare Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen bei Vereinheitlichung von Bildschirm, Gestell und Haspel in einem Gerät und Bedienbarkeit von nur einer Person; Vorwegnahme des Gegenstands eines Streitpatents für eine Geräteeinheit zur Inspektion von Hohlräumen durch das bekannte Inspektionsgerät "farb mini flexiprobe" (FMF); Horizontale Bedienbarkeit eines neuen Hohlrauminspektionsgeräts als Argument für dessen Neuartigkeit ggü. dem bereits vorher bekannten und auch horizontal bedienbaren FMF

Der Gegenstand eines Patentanspruchs ist patentfähig, wenn er neu und dem Fachmann nicht durch den Stand der Technik nahegelegt worden ist.

Die Berufung gegen das am 24. September 2008 verkündete Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

PatG § 1 ;

Tatbestand:

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 1 091 159 (Streitpatents), das eine deutsche Priorität vom 22. Juli 1999 in Anspruch nimmt und am 8. Juli 2000 angemeldet wurde. Das Streitpatent betrifft eine tragbare Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen und umfasst in der erteilten Fassung 29 Patentansprüche.

Patentanspruch 1 lautet wie folgt:

"Tragbare Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen, insbesondere von Rohrleitungen, mit einer Video-Kamera (33), einem Signalkabel (29) und mit einem Gerätegestell (1), das mittels Aufstellstützen (6, 8) zur Abstützung in Betriebsstellung auf einer Aufstellfläche (10) dient und an dem ein Bildschirmgerät (15) und eine Haspel (25) für das Signalkabel (29) angeordnet sind, wobei

a) das Gerätegestell (1) aus Rahmenteilen mit in Betriebsstellung waagrechten Schenkeln (2a, 2b) besteht und in Längsrichtung eine in Betriebsstellung vertikale Symmetrieebene (E), eine Mittenlängsachse und eine in der Betriebsstellung zumindest im Wesentlichen waagrechte Bezugsplattform aufweist, auf der das Bildschirmgerät (15) angeordnet ist,

b) die Haspel (25) in Betriebsstellung waagrecht und mit senkrechter Drehachse (A-A) unter der Bezugsplattform angeordnet ist,

c) an mindestens einem Ende des Gerätegestells (1) eine der Aufstellstützen (8) angeordnet ist, die gegenüber der Aufstellfläche (10) eine wirksame Breite ("B2") besitzt, die größer ist als das Höhenmaß ("HS") des Massenschwerpunkts ("S") der Geräteeinheit über der Aufstellfläche (10) in der Betriebsstellung,

d) am jeweils anderen Ende des Gerätegestells (1) eine weitere der Aufstellstützen (6) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass

e) der Bildschirm (14) gegenüber dem Gerätegestell (1) unbeweglich angeordnet ist und die optische Achse des Bildschirmgeräts (15) in der in Betriebsstellung vertikalen Symmetrieebene (E) verläuft, die durch die Mittenlängsachse der Bezugsplattform des Gerätegestells (1) verläuft,

f) die Anordnung von unbeweglichem Bildschirmgerät (15) und in Betriebsstellung waagrechter Haspel (25) spiegelsymmetrisch zu der in Betriebsstellung vertikalen Symmetrieebene (E) ausgebildet ist, in der auch die Längsmittenachse des Gerätegestells (1) und der Massenschwerpunkt ("S") der Geräteeinheit liegen."

Die Patentansprüche 2 bis 29 sind unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogen.

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht neu sei, weil er durch das Inspektionsgerät "farb mini flexiprobe" der P. Ltd. vorweggenommen sei. Zumindest beruhe er nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung und beantragt, das Urteil des Patentgerichts abzuändern und das Streitpatent für nichtig zu erklären.

Demgegenüber beantragt die Beklagte, die Berufung zurückzuweisen.

Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. G. W., Universität B., Fakultät für Maschinenbau, Lehrstuhl für Maschinenelemente und Fördertechnik, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

I. Das Streitpatent betrifft eine tragbare Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen. Derartige Inspektionsgeräte weisen eine nicht angetriebene Haspel auf, die ein flexibles, biegesteifes Signalkabel aufnimmt, das in Hohlräume, wie insbesondere Rohrleitungen, eingeschoben werden kann. An der Spitze des Signalkabels ist eine Videokamera befestigt, die über das Signalkabel Bilder auf ein Bildschirmgerät überträgt.

Nach den Angaben der Beschreibung sind bei den meisten derartigen auf dem Markt befindlichen Inspektionsgeräten die Haspel (mit dem Signalkabel und der Videokamera) und das Bildschirmgerät als getrennte Einheiten ausgeführt, die vor dem Einsatz aufgebaut und signaltechnisch miteinander verbunden werden müssen. Es sind aber auch Geräte bekannt, bei denen die senkrecht stehende Haspel mit waagrechten Achsen in vierbeinigen Ständern gelagert und das Bildschirmgerät über die Gestellabmessungen ausladend und fliegend angesetzt ist. Bei einer anderen Ausgestaltung ist das Bildschirmgerät zwecks aufrechter Bildwiedergabe vom Rahmengestell getrennt und wird in Bezug auf eine Rohr-Einführungsöffnung für das Signalkabel im Dreieck auf eine Bodenfläche aufgestellt, so dass die Bedienungsperson den Blick abwechselnd auf die Haspel, den Monitor und die Rohreinführungsöffnung richten muss.

In der Beschreibung wird auch eine Veröffentlichung mit dem Titel "farb mini flexiprobe" der P. Ltd. erwähnt, welche ein Gerät offenbart, bei dem auf der Rückseite eines Kunststoffgehäuses eine senkrechte Haspel mit waagrechter Achse für ein Signalkabel angeordnet ist und das in der Vorderseite ein Fenster aufweist, in dem sich ein Bildschirmgerät befindet, das durch ein Gestänge mit vier Achsen aus dem Fenster heraus schwenkbar ist. In versenkter Stellung des Bildschirmgeräts verläuft die Abzugsrichtung des Signalkabels senkrecht zur Achse der Bildröhre, so dass das Gerät - wie weiter erläutert wird - nur dann ergonomisch bedient werden kann, wenn das Bildschirmgerät aus dem Fenster heraus geschwenkt ist. Dadurch wird aber - nach den Ausführungen der Beschreibung - der ohnehin auf hohem Niveau liegende Schwerpunkt des Geräts verlagert. Die Gebrauchsstellung werde durch die senkrechte Stellung der Haspel vorgegeben.

Dem Streitpatent liegt nach den Angaben in der Beschreibung das technische Problem ("die Aufgabe") zugrunde, eine tragbare Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen zu schaffen, das eine Einheit von Bildschirm, Gestell und Haspel bildet, die eine ergonomische Bedienung, insbesondere auch durch eine Person, ermöglicht, möglichst klein dimensioniert ist und eine möglichst hohe Standfestigkeit hat. Die Geräteeinheit soll zudem von Hand tragbar, auch bei kleinen Rohrdurchmessern einsetzbar und möglichst kostengünstig herstellbar sein. Sie soll schließlich auch für Handwerksbetriebe und Hausverwaltungen geeignet sein und kostspieligere Inspektionssysteme ersetzen können.

Nach Patentanspruch 1 soll dies - in der Gliederung des Patentgerichts - durch eine tragbare Geräteeinheit erreicht werden,

1. die zur Inspektion von Hohlräumen, insbesondere von Rohrleitungen dient und

2. eine Video-Kamera (33),

3. ein Signalkabel (29) und

4. ein Gerätegestell (1) aufweist,

4.1 das mittels Aufstellstützen (6, 8) zur Abstützung in Betriebsstellung auf einer Aufstellfläche (10) dient,

4.2 an dem ein Bildschirmgerät (15) und eine Haspel (25) für das Signalkabel (29) angeordnet sind,

4.3 das aus Rahmenteilen mit in Betriebsstellung waagrechten Schenkeln (2a, 2b) besteht und in Längsrichtung eine in Betriebsstellung vertikale Symmetrieebene (E), eine Mittenlängsachse und eine in der Betriebsstellung zumindest im Wesentlichen waagrechte Bezugsplattform aufweist, auf der das Bildschirmgerät (15) angeordnet ist, wobei

4.4 die Haspel (25) in Betriebsstellung waagrecht und mit senkrechter Drehachse (A-A) unter der Bezugsplattform angeordnet ist,

4.5 an mindestens einem Ende des Gerätegestells (1) eine der Aufstellstützen (8) angeordnet ist, die gegenüber der Aufstellfläche (10) eine wirksame Breite ("B2") besitzt, die größer ist als das Höhenmaß ("HS") des Massenschwerpunkts ("S") der Geräteeinheit über der Aufstellfläche (10) in der Betriebsstellung, und

4.6 am jeweils anderen Ende des Gerätegestells (1) eine weitere der Aufstellstützen (6) angeordnet ist.

4.7 Der Bildschirm (14) ist gegenüber dem Gerätegestell (1) unbeweglich angeordnet und die optische Achse des Bildschirmgeräts (15) verläuft in der in der Betriebsstellung vertikalen Symmetrieebene (E), die durch die Mittenlängsachse der Bezugsplattform des Gerätegestells (1) verläuft.

4.8 Die Anordnung von unbeweglichem Bildschirmgerät (15) und in Betriebsstellung waagrechter Haspel (25) ist spiegelsymmetrisch zu der in Betriebsstellung vertikalen Symmetrieebene (E) ausgebildet, in der auch die Längsmittenachsen des Gerätegestells (1) und der Massenschwerpunkt ("S") der Geräteeinheit liegen.

Die tragbare Inspektionsgeräteeinheit nach Patentanspruch 1 verfügt also, wie beispielhaft in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2 der Streitpatentschrift gezeigt wird, über ein Gerätegestell (1), an dem ein Bildschirmgerät (15) und eine Haspel (25) für das Signalkabel (29) angeordnet sind.

Wie für den Fachmann, bei dem es sich nach den nicht beanstandeten Ausführungen des Patentgerichts um einen Diplomingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau oder um einen erfahrenen Konstrukteur mit Techniker-Ausbildung handelt, der mit den besonderen Einsatzbedingungen der Geräte für Rohrinspektionen vertraut ist und über das für die Bilderfassung und Übertragung erforderliche physikalische Wissen verfügt, erkennbar ist, ist die Geräteeinheit kompakt aufgebaut, um eine hohe Standsicherheit zu erreichen:

Das Gerätegestell (1) ist mit Aufstellstützen (6, 8) versehen, um die Geräteeinheit in Betriebsstellung auf einer Aufstellfläche (10) abzustützen. Dabei ist an mindestens einem Ende des Gerätegestells eine der Aufstellstützen (8) angeordnet, die gegenüber der Aufstellfläche (10) eine wirksame Breite ("B2") besitzt, die größer als das Höhenmaß ("HS") des Massenschwerpunkts ("S") der Geräteeinheit über der Aufstellfläche (10) in der Betriebsstellung ist, und ist am jeweils anderen Ende des Gerätegestells (1) eine weitere der Aufstellstützen (6) angeordnet (vgl. Sp. 7 Abs. 26). Um die Standsicherheit zu erhöhen, ist weiterhin in Betriebsstellung die Haspel (25) waagerecht und mit senkrechter Drehachse (A-A) unter der Bezugsplattform angeordnet, auf der sich das Bildschirmgerät (15) befindet. Damit liegt der Schwerpunkt der flach über der Aufstellfläche angeordneten Haspel (25) am tiefstmöglichen Punkt der Geräteeinheit, was es auch ermöglicht, das Bildschirmgerät (15) sehr tief anzuordnen (vgl. Sp. 9 Abs. 33 Z. 10 ff.; Sp. 11 Abs. 42 Z. 18 ff. i.V.m. Figur 8 der Beschreibung; Gutachten S. 2). Der Standsicherheit dient außerdem die spiegelsymmetrische Anordnung des unbeweglichen Bildschirmgeräts (15) und der in Betriebsstellung waagerechten Haspel (25) gegenüber der in Betriebsstellung vertikalen Symmetrieebene (E), in der auch die Längsmittenachsen des Gerätegestells (1) und der Massenschwerpunkt ("S") der Geräteeinheit liegen, so dass sich dieser von gegenüber liegenden Kippkanten jeweils gleich weit befindet (vgl. Sp. 8 Abs. 33 Z. 58 ff.; Sp. 11 Abs. 42 Z. 12 ff. i.V.m. Figur 8; Gutachten S. 2).

Der durch die genannten Maßnahmen realisierte kompakte Aufbau der tragbaren Geräteeinheit und die Anordnung der optischen Achse des gegenüber dem Gerätegestell (1) unbeweglichen Bildschirmgerätes (15) in der in der Betriebsstellung vertikalen Symmetrieebene (E), die ihrerseits durch die Mittenlängsachsen der Bezugsplattform des Gerätegestells (1) verläuft, ermöglichen es zudem, das Gerät so auszurichten, dass (lediglich) eine Bedienungsperson sowohl den gegenüber dem Gerätegestell (1) unbeweglichen Bildschirm (14) beobachten als auch das Signalkabel mit der Videokamera in ergonomischer Haltung in beiden Richtungen knickfrei bedienen kann (vgl. Sp. 11 Abs. 44 Z. 46 ff.).

Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, ist vor diesem Hintergrund die in den Merkmalen 4.7 und 4.8 geforderte unbewegliche Anordnung des Bildschirms (14) gegenüber dem Gerätegestell (1) aus fachmännischer Sicht dahin zu verstehen, dass der Bildschirm (14) gegenüber dem Gerätegestell (1) unbeweglich festgelegt ist und zwar sowohl in der Betriebs- als auch in der Transportposition.

II. Das Patentgericht hat die Patentfähigkeit dieses Gegenstands im Wesentlichen mit folgenden Erwägungen bejaht:

Das bekannte Inspektionsgerät "farb mini flexiprobe" (FMF) nehme den Gegenstand des Streitpatents nicht vorweg.

Das Gerät weise ein Gestell aus Kunststoff auf, das auf der (dem Tragegriff gegenüberliegenden) Unterseite mit Aufstellstützen für eine vertikale Betriebsstellung ausgestattet. Gegen die Ausführungen der Klägerin, dass vier die Haspel übergreifenden Gehäusevorsprünge als Aufstellstützen für eine horizontale Betriebsstellung in Betracht kämen, spreche, dass unter den regulären Aufstellstützen Gummiplatten angeordnet seien, wohingegen die Gehäusevorsprünge aus Kunststoff bestünden und keine rutschhemmenden Maßnahmen vorgesehen seien. Außerdem bestehe bei horizontaler Betriebsposition lediglich ein geringer Abstand zwischen der im regulären Betrieb mit einem Deckel abgedeckten Haspel und der Aufstellfläche.

Eine Vorwegnahme der Lehre des Patentanspruchs 1 komme aber auch dann nicht in Betracht, wenn zugunsten der Klägerin von einer horizontalen Betriebsstellung der Geräteeinheit FMF ausgegangen werde. Denn bei dieser sei der Bildschirm mit einem viergelenkigen Arm beweglich am Gerätegestell befestigt. Der Bildschirm könne daher - entgegen den Vorgaben der Merkmale 4.7 und 4.8 - beliebig gegenüber der Geräteeinheit verstellt werden.

Das Inspektionsgerät nach Patentanspruch 1 ergebe sich auch nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik. Insbesondere vermittele die Geräteeinheit FMF keine Anregung, diese in der beanspruchten Weise weiterzubilden. Bei dem bekannten Gerät sei der Bildschirm mit einem viergelenkigen Arm beweglich am Gestell befestigt. Nach der Bedienungsanleitung werde zur Inbetriebnahme zunächst ein Schutzdeckel von dem Bildschirm entfernt. Dann werde der Bildschirm ausgezogen und seien die Gelenke des Arms gegebenenfalls zu justieren. Bei diesem bestimmungsgemäßen Gebrauch ermögliche es der Gelenkarm dem Benutzer, den Bildschirm genau in die Position zu verstellen, die ihm bei gleichzeitigem Einschieben des Signalkabels ein optimales Betrachten des Videosignals erlaube, das in dem zu untersuchenden Hohlraum aufgenommenen worden sei. Das Signalkabel müsse nämlich seitlich aus der Geräteeinheit gezogen werden, so dass sich der Bediener neben der Geräteeinheit befinde. Wäre der Bildschirm zu diesem Zeitpunkt noch versenkt in der Geräteeinheit, hätte der Bediener beim Abziehen des Kabels keine ausreichende Sicht auf den Bildschirm. Daher sei das unbewegliche Anordnen des Bildschirms nicht nur ein Aufgeben einer Funktionalität, wie die Klägerin meine, sondern eine Vereinfachung, die trotz fehlender Beweglichkeit des Bildschirms einen ergonomischen Gebrauch der Geräteeinheit ermögliche. Hinzu komme, dass die Verstellung des am Gelenkarm angeordneten Bildschirms gerade bei einer Geräteeinheit, die wahlweise in vertikaler oder in horizontaler Position benutzbar sein solle, aus ergonomischen Gründen zwingend erforderlich sei. Auf diesen Vorteil in der Bedienung würde der Fachmann nicht verzichten.

III. Die Ausführungen des Patentgerichts halten den Angriffen der Berufung stand.

1. Das Inspektionsgerät "farb mini flexiprobe", das vor dem Prioritätstag des Streitpatents bekannt war und von dem nachfolgend eine aus der dazugehörigen Betriebsanleitung stammende zeichnerische Darstellung (Anlage AG1, Seite 2-1, Figur 2.1) wiedergegeben wird, verfügt über eine Videokamera, ein Signalkabel und ein aus Kunststoff bestehendes Gerätegestell (Merkmale 1 bis 3).

In der vorstehend gezeigten aufrechten Betriebsposition ist das Gerätegestell an der Unterseite mit an den seitlichen Enden der Längsseiten hervorragenden Aufstellstützen zur Abstützung in Betriebsstellung auf einer Aufstellfläche ausgestattet. Befindet sich die Geräteeinheit in der aufrechten Betriebsposition ist die Haspel - entgegen den Vorgaben des Merkmals 4.4 - senkrecht und mit waagerechter Drehachse angeordnet.

Die Klägerin macht jedoch geltend, dass die Geräteeinheit "farb mini flexiprobe" für den Fachmann erkennbar auch in einer horizontalen Betriebsposition, wie sie in der nachfolgenden Abbildung gezeigt ist, eingesetzt werden konnte und auch tatsächlich vor dem Prioritätstag des Streitpatents eingesetzt worden sei.

Der gerichtliche Sachverständige hat die Bedenken geteilt, die das Patentgericht gegenüber einer solchen Betriebsposition gehabt hat. Er hat darauf hingewiesen, dass sich in der umfangreichen Betriebsanleitung für den "farb mini flexiprobe" kein Hinweis auf die Möglichkeit einer horizontalen Betriebsposition finde. Zudem seien die vier Abstützungen an der Geräteunterseite rutschfest ausgeführt, während dies bei den seitlichen Auflagepunkten nicht der Fall sei. Auch lägen die Eingänge der Rohrleitungen in der Praxis nicht unmittelbar über dem Boden, sondern höher, um etwa den Anschluss eines Siphons als Geruchsverschluss zu ermöglichen, so dass auch keine Notwendigkeit bestehe, das Geräte betriebsbedingt flach auf den Boden zu legen (Gutachten S. 3 f.).

2. Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Fachmann zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents - sei es aufgrund seines Fachwissens, sei es, weil dergleichen offenkundig praktiziert worden ist - erkennen konnte, dass die Geräteeinheit "farb mini flexiprobe" auch in einer horizontalen Position zur Inspektion von Hohlräumen eingesetzt werden kann. Denn selbst wenn dies - wie bereits vom Patentgericht - zugunsten der Klägerin als zutreffend unterstellt wird, wird die Patentfähigkeit des Gegenstandes von Patentanspruch 1 dennoch nicht in Frage gestellt.

a) Die Geräteeinheit "farb mini flexiprobe" nimmt die Merkmale des Patentanspruchs 1 auch in horizontaler Betriebsstellung nicht vollständig vorweg.

Zwar ist die Haspel in horizontaler Betriebsstellung waagerecht und mit senkrechter Drehachse unter der Bezugsplattform angeordnet (Merkmal 4.4).

Das aus Kunststoff bestehende Gerätegestell verfügt auch über vier die Haspel übergreifende Gehäusevorsprünge (P1 bis P4), die zur Abstützung der Geräteeinheit in horizontaler Betriebsstellung dienen können (Merkmal 4.1).

Das Gerätegestellt weist Vorsprünge und Verbindungsstege auf, die Hohlräume bilden. Die Hohlräume nehmen auf der Oberseite das Bildschirmgerät und auf der Unterseite die Haspel auf. Das Gerätegestell besteht damit auch aus Rahmenteilen mit in horizontaler Betriebsstellung waagrechten Schenkeln, die durch die in dieser Betriebsstellung horizontalen Vorsprünge und Verbindungsstege gebildet werden.

Die Anordnung der Geräteeinheit ist spiegelsymmetrisch zu einer vertikalen Symmetrieebene ausgebildet, die von der Mitte des Tragegriffs durch die Rotationsachse der Haspel geht. In dieser Symmetrieebene liegt die Mittenlängsachse des Gerätegestells. Überdies verfügt die Geräteeinheit über eine in der horizontalen Betriebsstellung im Wesentlichen waagrechte Bezugsplattform, auf der das Bildschirmgerät angeordnet ist. Denn diese muss nicht - wie in der Beschreibung des Streitpatents erläutert (Sp. 5 Abs. 17) - als Platte ausgeführt sein, sondern ist eine gedachte Plattform, die auch eine Öffnung zwischen Rahmenprofilen des Gerätegestells erlaubt. Bei dem Inspektionsgerät "farb mini flexiprobe" ist die waagrechte Bezugsplattform durch die waagrechten Verbindungsstege und Vorsprünge verwirklicht, auf denen das Bildschirmgerät aufliegt (Merkmal 4.2).

Die Aufstellstützen (P1 bis P4) sind an den Enden des Gerätegestells derart angeordnet, dass sie gegenüber der Aufstellfläche eine wirksame Breite ("B2") besitzen, die größer ist als das Höhenmaß ("HS") des Massenschwerpunkts ("S") der Geräteeinheit über der Aufstellfläche in der horizontalen Betriebsstellung, wie vom Patentgericht unter Verwertung von Maßangaben aus dem Handbuch des "farb mini flexiprobe" festgestellt und von den Parteien im Berufungsverfahren nicht mehr in Abrede gestellt worden ist (Merkmale 4.4 und 4.5).

Die in Betriebsstellung waagrechte Haspel befindet sich in der Symmetrieebene und ist daher auch spiegelsymmetrisch zu dieser Symmetrieebene ausgebildet (Teil des Merkmals 4.8).

Schließlich verläuft die optische Achse des Bildschirmgeräts in der vertikalen Symmetrieebene (E), die von der Mitte des Tragegriffes durch die Rotationsachse der Haspel geht, bzw. ist das Bildschirmgerät spiegelsymmetrisch zu der vertikalen Symmetrieebene (E) ausgebildet, wenn es auf der Oberseite des Gerätegestells in dem Hohlraum versenkt ist.

Das Bildschirmgerät des "farb mini flexiprobe" ist jedoch gegenüber dem Gerätegestell nicht unbeweglich angeordnet (Merkmale 4.7 und 4.8). Vielmehr ist das Bildschirmgerät über einen viergelenkigen Arm beweglich mit dem Gerätegestell verbunden, so dass es an einer Vorwegnahme fehlt.

b) Dem Patentgericht ist darin beizutreten, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents dem Fachmann durch das vorbenutzte Gerät nicht nahegelegt worden ist.

Die Berufung hält die Annahme des Patentgerichts, ein Fachmann würde bei der Geräteeinheit "farb mini flexiprobe" nicht auf die beiden möglichen (vertikal/horizontal) Betriebspositionen verzichten, für unzutreffend. Sie meint, der Fachmann werde eine der Betriebspositionen aufgeben, wenn er die Aufgabe des Streitpatents lösen wolle, ein kostengünstiges Inspektionsgerät bereitzustellen. Denn dann könne er den relativ teuren Gelenkarm für das Bildschirmgerät einsparen und das Bildschirmgerät unbeweglich in einer Position befestigen, in der der Bildschirm von dem Anwender einsehbar sei.

Der Argumentation der Berufung kann nicht gefolgt werden.

Bei der bekannten Geräteeinheit ist das Bildschirmgerät mit einem viergelenkigen Arm beweglich am Gerätegestell befestigt. Der Bildschirm kann in einen Hohlraum verbracht werden, wenn er etwa für Transportzwecke sicher gelagert werden soll. Der Hohlraum befindet sich auf der der Haspel gegenüber liegenden Seite des Gerätegestells und kann mit einem Schutzdeckel verschlossen werden. Nach Entfernen des Deckels kann der Bildschirm aus dem Hohlraum gezogen und mittels des viergelenkigen Arms in jede gewünschte Position gebracht werden, wie in der Bedienungsanleitung hervorgehoben wird (Seite 1-5, linke Spalte, Abschnitt 1.36: "It [the miniature monitor (2)] is mounted on an adjustable arm so that it can be pulled out of the case and set at any angle."). Dem Bediener ist es also insbesondere möglich, den Bildschirm in eine Position zu bringen, die es ihm ermöglicht, diesen zu betrachten, wenn er das Signalkabel in den Hohlkörper einschiebt bzw. darin bewegt.

In der gesamten Bedienungsanleitung findet sich kein Hinweis darauf, dass auf die bewegliche Anordnung des Bildschirms auf dem viergelenkigen Arm verzichtet werden kann. Zwar mögen Kostengründe einen solchen Verzicht gleichwohl grundsätzlich als erwägenswert haben erscheinen lassen (vgl. Gutachten S. 8, vorletzter Absatz). Zudem verliefe bei einer festen mittigen Anordnung des Bildschirmgerätes dessen optische Achse jedenfalls in aufrechter Betriebsstellung in der vertikalen Symmetrieebene des Gestells, in der sich auch darunter der Massenschwerpunkt der Geräteeinheit befände, was erkennbar die Standsicherheit erhöhen würde (vgl. Gutachten S. 8, vorletzter Absatz). Wenn aber bei dem vorbenutzten Gerät gleichwohl beträchtlicher Aufwand für eine bewegliche und schwenkbare Anordnung des Bildschirms getrieben wird, dann deshalb, weil der Nutzer bei einer unbeweglichen Anordnung des Bildschirmgeräts in dem mittigen Hohlraum des Gerätegestells der Bediener den Bildschirm nicht mehr so einstellen kann, dass es ihm möglich ist, den Bildschirm so einzustellen, wie es für ihn in der konkreten Betriebsposition vorteilhaft ist.

Zwar hat der gerichtliche Sachverständige bei seiner Anhörung ausgeführt, dass der Bediener bei einer festen mittigen Anordnung des Bildschirmgerätes in einem Winkel von etwa 45° gegenüber der Vorderfront des vorbenutzten Geräts sowohl in der vertikalen als auch in der horizontalen Betriebsposition den Bildschirm einsehen und gleichzeitig das Signalkabel in dem Hohlraum bewegen könnte. Der gerichtliche Sachverständige hat jedoch auch darauf hingewiesen, dass eine derart um 45° versetzte Anordnung des Bildschirmgerätes der vorbenutzten Geräteeinheit nicht ohne konstruktive Nachteile zu realisieren gewesen wäre. Der Monitor hätte entweder so angeordnet werden müssen, dass er mit seinem unteren vorderen Teil teilweise aus der Vorderfront der Geräteeinheit herausragt, was den Umfang der Geräteeinheit verbreitert hätte und entsprechend nachteilhaft für den platzsparenden Transport bzw. die platzsparende Lagerung derselben gewesen wäre. Alternativ hätte das um etwa 45° verstellte Bildschirmgerät zwar auch tiefer in dem Hohlraum des Gerätegestells angeordnet werden können, was aber wiederum zu Einschränkungen bei der Einsehbarkeit des Monitors hätte führen können.

Hinzu kommt, dass, wenn mit der Klägerin angenommen wird, dass für den Fachmann die Möglichkeit erkennbar war, die vorbekannte Geräteeinheit nicht nur - wie in der Gebrauchsanleitung gezeigt - in vertikaler, sondern auch in horizontaler Betriebsstellung zu verwenden, der Fachmann vor der zusätzlichen Schwierigkeit gestanden hätte, dass ein in der genannten Weise um 45° verstellter Monitor zwar auch in der horizontalen Betriebsposition einsehbar gewesen wäre, dies allerdings nur aus einem - gegenüber der vertikalen Betriebsposition - um 180° versetzten Blickwinkel. Mit anderen Worten wäre der Monitor in der horizontalen Betriebsposition - verglichen mit der vertikalen Betriebssituation - nur "auf den Kopf gestellt" einsehbar gewesen. Dies mag zwar insoweit unerheblich sein, als es für die Inspektion der Hohlräume nicht auf den Blickwinkel angekommen wäre, von dem aus der Bildschirm bzw. die darin wiedergegebenen Hohlräume hätte eingesehen werden können. Wenn der Fachmann erwogen hätte, bei der vorbenutzten Geräteeinheit den Bildschirm unbeweglich anzuordnen, hätte er sich jedoch auch überlegen müssen, welche konstruktiven Konsequenzen sich aus einer solchen Modifikation für die seitlich und unterhalb des Monitors der vorbenutzten Geräteeinheit befindliche Tastatur ergeben hätten, mit der unter anderem die Kamera gesteuert wurde (vgl. Anlage AG1, Seite 1-5, linke Spalte, vorletzter Absatz: "To the left of the LCD monitor is the monitor keyboard containing all the monitor camera control buttons. Beneath the LCD is the computer keyboard. The keyboards are fully sealed."). Denn im Unterschied zur Einsehbarkeit des Monitors wäre es für die Bedienung der Tastatur nicht unerheblich gewesen, wenn sich die Betrachtungsposition des Benutzers von der vertikalen zur horizontalen Betriebsstellung um 180° verändert hätte. Zwar hätte der Fachmann zur Lösung dieses Problems erwägen können, Monitor und Tastatur voneinander zu trennen und allein den Monitor unbeweglich auszugestalten. Dies wäre aber wiederum mit erhöhtem Herstellungsaufwand verbunden gewesen und hätte daher dem Ausgangspunkt der Überlegungen des Fachmanns widersprochen, der gerade darin gelegen hätte, die Herstellungskosten zu senken.

Plausibel könnte danach eine erfindungsgemäße Fixierung des Bildschirmgeräts allenfalls dann sein, wenn der Fachmann Anlass gehabt hätte, von einer ausschließlich liegenden Betriebsstellung des "farb mini flexiprobe" auszugehen. Dafür gab es aber keinen Grund. Die stehende Anordnung des Geräts entsprach der in der Betriebsanleitung dargestellten und erläuterten Gebrauchsweise, und sie entsprach, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, der üblichen Verwendung von Haspeln derart, dass die Drehachse horizontal ausgerichtet wurde (Gutachten S. 9 zu 3c, Punkt 4, zu 3f). Auch wenn für den Fachmann erkennbar war, dass das Gerät gegebenenfalls auch in horizontaler Stellung betrieben werden konnte, war dies jedoch ersichtlich nicht die "Normalstellung", sondern eine Maßnahme, mit der - wie von der Klägerin auch erläutert - gegebenenfalls ungünstigen räumlichen Verhältnissen Rechnung getragen werden konnte. Eine Anregung, sich auf die horizontale Betriebsstellung des "farb mini flexiprobe" zu beschränken, ist nicht zu erkennen.

Das gilt auch dann, wenn zusätzlich der Katalog der Klägerin mit dem Titel "Demand the Best ..." (Anlage B 7) aus dem Jahr 1998 berücksichtigt wird. Dieser zeigt ein von dem Bildschirmmonitor separiertes Gerätegestell mit Haspel, welches dazu ausgelegt ist, sowohl in einer vertikalen als auch in einer horizontalen Betriebssituation eingesetzt zu werden, indem es insbesondere entsprechende Standbeine aufweist (vgl. Anlage B 7, Seite 1, linkes Gestell; Seite 6, Punkt 5; Seite 7, linkes und rechtes oberes Foto). Für den Fachmann ergab sich auch daraus keine Veranlassung, den als Geräteeinheit ausgestalteten "farb mini flexiprobe" ausschließlich in horizontaler Betriebsposition zu verwenden.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am 18. Januar 2011

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Vorinstanz: BPatG, vom 24.09.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 1 Ni 27/07