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BGH - Entscheidung vom 17.11.2011

3 StR 359/11

Normen:
StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3

Fundstellen:
NStZ 2012, 268
NStZ-RR 2012, 332

BGH, Beschluss vom 17.11.2011 - Aktenzeichen 3 StR 359/11

DRsp Nr. 2012/710

Notwendigkeit des Vorliegens einer Feststellung des Ausnutzungsbewusstseins auf Grund einer hinreichenden Beweiswürdigung im Urteil bei einer Verurteilung wegen sexueller Nötigung; Voraussetzungen für eine sexuelle Nötigung unter Ausnutzen einer schutzlosen Lage

1. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt zunächst voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert wäre; hierfür kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischen Umstände an, die in den äußeren Gegebenheiten, in der Person des Opfers oder des Täters vorliegen.2. Weiterhin muss der Täter das Ausgeliefertsein des Opfers dazu ausnutzen, dieses zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen zu nötigen. Dies bedeutet, dass er die tatsächlichen Voraussetzungen der Schutzlosigkeit auch als Bedingung für das Erreichen seiner sexuellen Handlungen erkennen muss, so dass der subjektive Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz dahin voraussetzt, dass das Opfer in die sexuellen Handlungen nicht einwilligt und dass es gerade wegen seiner Schutzlosigkeit auf einen grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, das Opfer also die Handlungen nur wegen seiner Schutzlosigkeit vornimmt oder geschehen lässt.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 9. Juni 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensbeanstandung nicht mehr ankommt.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erschien die Nebenklägerin auf Vorladung zu einer Zeugenaussage auf der Polizeidienststelle B. , in der der Angeklagte als Polizeihauptkommissar am Nachmittag allein seinen Dienst verrichtete. Nach Abschluss der Vernehmung lud der Angeklagte die Nebenklägerin auf eine Tasse Kaffee in den angrenzenden Sozialraum ein. Im Verlauf des nachfolgenden Gesprächs ergriff der Angeklagte die Hand der Nebenklägerin und küsste sie zuerst auf die Wange, später auch auf den Mund. Die Nebenklägerin erkannte die sexuellen Absichten des Angeklagten, mit denen sie nicht einverstanden war, hatte aber den Eindruck, sie käme nicht aus dem Raum; sie war unsicher, ob sie die Dienststelle ohne weiteres Zutun des Angeklagten würde verlassen können, und befürchtete zudem, dass dieser bei einer Gegenwehr zornig würde und sie unter Anwendung von roher Gewalt vergewaltige. Sie versuchte, den Angeklagten abzulenken und beschränkte sich deshalb auf sanfte Abwehrbewegungen sowie die Mahnung, der Angeklagte solle "nicht so stürmisch" sein oder er "solle das lieber lassen". Als der Angeklagte ihr wiederholt den Reißverschluss der Jacke herunterzog und ihr unter dem T-Shirt an die Brust griff, schubste sie ihn "nun deutlich energischer mit den Worten 'Schluss jetzt!' und 'Ich muss jetzt los.' weg, bot ihm aber gleichzeitig aus Angst, die Situation könne eskalieren, und in der Hoffnung, ihn dadurch besänftigen zu können, ein Treffen zu einem späteren Zeitpunkt an" (UA S. 6). Daraufhin ließ der Angeklagte von ihr ab. Die Nebenklägerin konnte die Polizeidienststelle ohne weiteres verlassen.

Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht festgestellt, der Angeklagte habe "die Abgeschlossenheit der Räumlichkeit und seine offensichtliche körperliche Überlegenheit sowie die dadurch gegebene schutzlose Lage und deren Bedeutung für das Verhalten der Zeugin" erkannt und dies ausgenutzt (UA S. 6).

2. Die Voraussetzungen für eine sexuelle Nötigung unter Ausnutzen einer schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB ) sind nicht dargetan.

a) Dieser Tatbestand setzt zunächst voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert wäre. Hierfür kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischen Umstände an, die in den äußeren Gegebenheiten, in der Person des Opfers oder des Täters vorliegen. Neben den äußeren Umständen, wie etwa die Einsamkeit des Tatortes und das Fehlen von Fluchtmöglichkeiten, kann auch die individuelle Fähigkeit des Opfers, in der konkreten Situation mögliche Einwirkungen abzuwehren, wie zum Beispiel eine stark herabgesetzte Widerstandsfähigkeit aufgrund geistiger oder körperlicher Behinderung, von Bedeutung sein. Diese spezifische Schutzlosigkeit gegenüber nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters muss ferner eine Zwangswirkung auf das Opfer dahin entfalten, dass es solche Einwirkungen fürchtet und im Hinblick hierauf einen - ihm grundsätzlich möglichen - Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet.

Weiterhin muss der Täter das Ausgeliefertsein des Opfers dazu ausnutzen, dieses zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen zu nötigen. Dies bedeutet, dass er die tatsächlichen Voraussetzungen der Schutzlosigkeit auch als Bedingung für das Erreichen seiner sexuellen Handlungen erkennen muss, so dass der subjektive Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz dahin voraussetzt, dass das Opfer in die sexuellen Handlungen nicht einwilligt und dass es gerade wegen seiner Schutzlosigkeit auf einen grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, das Opfer also die Handlungen nur wegen seiner Schutzlosigkeit vornimmt oder geschehen lässt (Ausnutzungsbewusstsein - vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2009 - 3 StR 479/09, NStZ 2010, 273 mwN).

b) Nach diesen Maßstäben bestehen schon Zweifel daran, dass die Feststellungen für die Annahme einer schutzlosen Lage ausreichen. Das Landgericht hebt allein auf die Vorstellungen der Nebenklägerin ab, "die nur aufgrund der aus ihrer Sicht hilflosen Lage und aus Angst vor Schlägen und einer gewaltsamen Vergewaltigung von einer über ein Wegdrücken hinausgehenden Gegenwehr absah" (UA S. 6). Danach meinte die Nebenklägerin, sie sei eingesperrt und fürchtete, ohne Unterstützung des Angeklagten das Gebäude nicht mehr verlassen zu können. Festgestellt ist hingegen nur, dass es der Betätigung eines Türöffners vom Schreibtisch des Polizeibeamten bedurfte, um von außen das Gebäude zu betreten. Es reicht indes nicht aus, dass das Opfer sich schutzlos fühlt. Für das Tatbestandsmerkmal kommt es vielmehr allein darauf an, "dass das Tatopfer nach objektiver exante-Prognose möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert wäre" (BGH, Urteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359 , 362).

c) Das Urteil lässt jedenfalls eine Beweiswürdigung vermissen, welche die Feststellung vom Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten tragen könnte. Der Angeklagte hatte das äußere Tatgeschehen eingeräumt und sich im Übrigen dahin eingelassen, man sei sich während der schon angenehmen Vernehmung der Zeugin sympathisch gewesen, man habe sich sodann bei der Tasse Kaffee über Privates unterhalten und sei sich näher gekommen; eine Gegenwehr der Nebenklägerin gegen seine Zärtlichkeiten habe er nicht bemerkt. Das Landgericht begründet ausführlich, warum es der Nebenklägerin in deren Aussage zu den - überwiegend zurückhaltenden - Versuchen, den Angeklagten von weiteren Übergriffen abzuhalten, folgt. Dies trägt die tatrichterliche Überzeugung, dass die Nebenklägerin mit den Handlungen des Angeklagten nicht einverstanden war und ihm dies -wenn auch in zurückhaltender Weise -deutlich machte. Zur subjektiven Seite des Nötigungsdelikts nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB verhält sich die Beweiswürdigung indes nicht. Ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten lag auch nicht in der Weise auf der Hand, dass eine Erörterung ausnahmsweise entbehrlich gewesen wäre. Nach den Urteilsfeststellungen liegt es nahe, dass der Angeklagte wusste, dass die Nebenklägerin die Dienststelle jederzeit hätte verlassen können. Insbesondere hätte es der Auseinandersetzung mit dem Umstand bedurft, dass der Angeklagte in dem Augenblick, als die Nebenklägerin erstmals energischer ein Ende der Zudringlichkeiten des Angeklagten verlangte, von weiteren sexuellen Handlungen sofort Abstand nahm.

Vorinstanz: LG Oldenburg, vom 09.06.2011
Fundstellen
NStZ 2012, 268
NStZ-RR 2012, 332