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BGH - Entscheidung vom 09.06.2011

3 StR 154/11

Normen:
StGB § 64

BGH, Beschluss vom 09.06.2011 - Aktenzeichen 3 StR 154/11

DRsp Nr. 2011/12718

Notwendigkeit der Berücksichtigung einer möglichen Betäubungsmittel- (BTM) Abhängigkeit im Sinne des § 64 StGB bei der Strafzumessung im Rahmen eines BtM-Verfahrens; Auswirkungen einer nicht berücksichtigten BtM-Abhängigkeit i.S.d. § 64 StGB auf den Strafausspruch; Bewertung der Schuldfähigkeit unter Berücksichtigung des Vorliegens eines Hangs zu Betäubungsmitteln i.S.d. § 64 StGB

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 18. Januar 2011 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Strafausspruch,

b) soweit das Landgericht von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 64 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt, die sichergestellten Betäubungsmittel eingezogen und 875 € für verfallen erklärt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

1.

Das Urteil hat keinen Bestand, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB ) abgesehen hat. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

"Die - nicht sachverständig beratene - Strafkammer hat diese Entscheidung damit begründet, dass 'nach den eigenen Angaben des Angeklagten' (!) kein Hang im Sinne des § 64 StGB gegeben, der Angeklagte vielmehr lediglich 'Gelegenheitskonsument' sei (UA S. 9). Dem stehe nicht entgegen, dass er nach seiner Festnahme unter 'leichten Entzugserscheinungen' gelitten sowie -zu seinen Gunsten unterstellt -während der Inhaftierung eigeninitiativ Kontakt zur Drogenberatung aufgenommen habe (UA a.a.O.). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verkannt hat. Ein Hang gemäß § 64 StGB ist nicht nur -wovon die Strafkammer möglicherweise ausgegangen ist -im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden (erheblichen) Abhängigkeit zu bejahen; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; BGH, Senat, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 3 StR 194/07; Beschluss vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10, Rdnr. 4; Fischer, StGB , 58. Aufl., § 64 Rdnr. 9 m.w.N.). Dass eine derartige Neigung beim Angeklagten besteht, lässt sich vorliegend nicht von vornherein ausschließen. So konsumiert der Angeklagte nach den Feststellungen seit vier bis fünf Jahren 'gelegentlich' Cannabis sowie seit etwa drei Jahren Kokain, wobei die Mengen zwischen 0,5 bis 1,5 Gramm pro Woche betrugen (UA S. 4). Auch hatte er sich zu der verfahrensgegenständlichen Tat unter anderem deshalb bereit erklärt, weil er von seinem Auftraggeber zwei bis drei Gramm Kokain erhalten hatte, wovon er vor Antritt der Rückreise aus den Niederlanden etwa ein halbes Gramm zu sich nahm (UA S. 5 f.). Schließlich litt der Angeklagte nach seiner Festnahme nach eigenen Angaben einige Tage unter Entzugserscheinungen wie Schlafstörungen, Schweißausbrüchen und Durst (UA S. 4). Angesichts dieser Feststellungen erscheint nicht fernliegend, dass das Gericht von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu Unrecht abgesehen hat, zumal gerade eine körperliche Entzugssymptomatik erhebliche Indizwirkung für das Vorliegen eines Hanges im Sinne von § 64 StGB hat (BGH, Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2009 - 3 StR 386/09, Rdnr. 6; Fischer a.a.O.). Da auch die übrigen Voraussetzungen des § 64 StGB nicht bereits offenkundig ausscheiden, ist über die Frage der Maßregelanordnung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO ) insgesamt neu zu verhandeln und zu entscheiden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, stünde der Anordnung der Maßregel nach § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht entgegen. Dieser hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362 f.)."

Dem stimmt der Senat zu.

2.

Es ist nicht auszuschließen, dass die erneute Beweisaufnahme zu den Voraussetzungen des § 64 StGB auch Auswirkungen auf die Bewertung der Schuldfähigkeit des Angeklagten haben kann. Der Senat hebt deshalb auch den - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts im Übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen - Strafausspruch auf, damit die Rechtsfolgenentscheidung insoweit insgesamt auf einheitliche und widerspruchsfreie Feststellungen gestützt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2001 - 2 StR 204/01, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 7). Er schließt allerdings aus, dass der Angeklagte die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB beging.

3.

Ergänzend bemerkt der Senat: Die Ablehnung eines minder schweren Falles nach § 30 Abs. 2 BtMG durch das Landgericht ist entgegen der Ansicht des Revisionsführers und des Generalbundesanwalts nicht zu beanstanden; sie hätte deshalb für sich genommen nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs geführt. Es ist insbesondere nicht zu besorgen, dass das Landgericht keine wirkliche Abwägung aller relevanten Umstände vorgenommen, sondern sich bei der Wahl des Strafrahmens rechtsfehlerhaft allein an Art und Menge der Betäubungsmittel orientiert hat. Der vom Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidung des Senats vom 1. März 2011 (Az: 3 StR 28/11) hatte ersichtlich ein Sachverhalt zugrunde gelegen, der sich von dem vorliegenden wesentlich unterscheidet. Neben zahlreichen weiteren Strafmilderungsgründen war unter anderem das Drogengeschäft durch verdeckte Ermittler der Polizei provoziert, vorangetrieben und in der Folge auch polizeilich überwacht worden. Es hatte zu keinem Zeitpunkt die Gefahr bestanden, dass die Drogen selbst im Falle der Durchführung des Geschäfts in den Handel kommen konnten; unabhängig davon war es noch nicht einmal zu einer Übergabe des Rauschgifts gekommen. Zu Gunsten der Angeklagten hatten daneben die Voraussetzungen von zwei vertypten Strafmilderungsgründen vorgelegen. All diese Gesichtspunkte sind hier nicht gegeben.

Vorinstanz: LG Krefeld, vom 18.01.2011