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BGH - Entscheidung vom 12.07.2011

X ZR 75/08

Normen:
EPÜ Art. 123 Abs. 2
PatG § 38
EPÜ Art. 123 Abs. 2
PatG § 38

Fundstellen:
GRUR 2011, 1109

BGH, Urteil vom 12.07.2011 - Aktenzeichen X ZR 75/08

DRsp Nr. 2011/17138

Hinzufügen weiterer Inhaltsstoffe nach Angaben über "enthaltene" Bestandteile eines Erzeugnis in den ursprünglichen Unterlagen der Patentanmeldung

Ist den ursprünglichen Unterlagen der Patentanmeldung zu entnehmen, dass ein Erzeugnis bestimmte Bestandteile "enthalten" soll, ist damit nicht ohne weiteres auch als zur Erfindung gehörend offenbart, dass ihm keine weiteren Bestandteile hinzugefügt werden dürfen. Für die Offenbarung, dass es zur Erfindung gehört, dass das Erzeugnis ausschließlich aus den genannten Bestandteilen "besteht", bedarf es vielmehr in der Regel darüber hinausgehender Anhaltspunkte in den ursprünglichen Unterlagen, wie etwa des Hinweises, dass das ausschließliche Bestehen des Erzeugnisses aus den genannten Bestandteilen besondere Vorteile hat oder sonst erwünscht ist.

Tenor

Die Berufung gegen das am 16. Mai 2008 an Verkündungs Statt zugestellte Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Normenkette:

EPÜ Art. 123 Abs. 2; PatG § 38 ;

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 753 420 (Streitpatents), das am 9. Juli 1996 unter Inanspruchnahme zweier deutscher Prioritätsanmeldungen vom 11. Juli und 8. Dezember 1995 angemeldet wurde.

Patentanspruch 1, auf den die Patentansprüche 2 bis 9 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, und Patentanspruch 18, auf den die Patentansprüche 19 und 20 unmittelbar rückbezogen sind, haben in der englischen Verfahrenssprache des Streitpatents folgenden Wortlaut:

"1. A preparation for sealing tyres with a puncture which is introducible via the valve into the tyre, characterized in that the preparation contains a natural rubber latex and an adhesive resin compatible with the rubber latex.

18. An apparatus for the sealing of punctures and pumping up of tyres, comprising a pressuretight container (4) containing a sealing preparation (6) and having an outlet valve for the sealing preparation and also a gas inlet, and a pressure source with which gas under pressure can be introduced into the pressure-tight container via the gas inlet, characterized in that the sealing preparation (6) is according to any of claims 1 to 9."

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 9 sowie 18 bis 20 sei nicht patentfähig. Demgegenüber hat die Beklagte das Streitpatent in der erteilten Fassung und in der Fassung von sechs Hilfsanträgen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent im angegriffenen Umfang für nichtig erklärt.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, wobei sie das Streitpatent zuletzt mit einem Haupt- und drei Hilfsanträgen verteidigt.

Nach dem Hauptantrag soll Patentanspruch 1 folgende Fassung erhalten:

"Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel einen Kautschuklatex und ein mit dem Kautschuklatex kompatibles Klebstoffharz enthält und wobei der Kautschuklatex im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht."

Nach Hilfsantrag I soll Patentanspruch 1 lauten:

"Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel aus einem Kautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz, einem Gefrierschutzmittel und optional einem Dispergiermittel besteht, wobei der Kautschuklatex im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht."

Nach Hilfsantrag II soll Patentanspruch 1 folgende Fassung erhalten:

"Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel einen Kautschuklatex und ein mit dem Kautschuklatex kompatibles Klebstoffharz enthält, wobei in dem Mittel das Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoffharz 4:1 bis 1:1 beträgt und wobei der Kautschuklatex im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht."

Mit Hilfsantrag III wird folgende Fassung des Patentanspruchs 1 verteidigt:

"Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel aus einem Naturkautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz und einem Gefrierschutzmittel besteht."

An Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags und der Hilfsanträge sollen sich jeweils die erteilten Patentansprüche 2 bis 9 und 18 bis 20 mit Ausnahme des Hauptantrags umformuliert zu Verwendungsansprüchen anschließen.

Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. Claus D. E. , Universität S. , Institut für Polymerchemie, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

I.

Das Streitpatent betrifft ein Mittel zum Abdichten von Reifen bei Pannen und eine Vorrichtung zum Abdichten und Aufpumpen von Reifen bei Pannen mit einem druckfesten Behälter.

In der Beschreibung wird ausgeführt, dass bereits verschiedene Abdichtmittel für Reifenpannen auf dem Markt seien. Während die meisten Latices kolloidale Dispersionen aus Polymeren in einem wässrigen Medium enthielten, gebe es auch andere Abdichtmittel, deren Trägermittel nicht Wasser, sondern Tetrachlorethylen sei. Eine aus der US-Patentanmeldung 4 116 895 (KS 29) bekannte Abdichtzusammensetzung sei dazu bestimmt, bei der Herstellung des Reifens auf dessen innerer Oberfläche aufgebracht zu werden, damit sich ein teilweise vernetzter Kautschuk bilde. Dies habe jedoch den Nachteil, dass sich das Gewicht des Reifens bzw. des Radaufbaus von Anfang an vergrößere (Rn. 3).

Ferner sei bekannt, im Falle einer Reifenpanne das Abdichtmittel aus einem druckfesten Behälter mit einem verflüssigten Gas als Druckquelle (Spraydose) durch das Reifenventil in das Innere des Reifens zu sprühen. Dabei werde der Reifen mittels des Treibgases auf einen bestimmten Druck aufgepumpt und dann einige Kilometer in Abhängigkeit von der Art des Defektes gefahren, um das Abdichtmittel im Inneren des Reifens zu verteilen und den Defekt abzudichten (Rn. 5). Bei einer anderen Vorrichtung werde der Ventileinsatz entfernt und das Abdichtmittel durch Pressen einer Flasche in den Reifen gespritzt, der Ventileinsatz wieder eingesetzt und der Reifen mit Hilfe von Kohlendioxidpatronen wieder aufgepumpt (Rn. 6). Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift seien die bisher verwendeten Abdichtmittel jedoch nicht zufriedenstellend, weil sie leicht mechanisch entfernt werden könnten, einige von ihnen nicht ausreichend wasserfest seien und keine Abdichtung bewirkten, wenn der Reifendefekt an den Rändern des Reifens (Protektorauslauf) liege (Rn. 7).

Der Erfindung liegt nach den Angaben der Streitpatentschrift das Problem ("die Aufgabe") zugrunde, ein Abdichtmittel bereit zu stellen, das eine wirksame Abdichtung auch bei Nässe sowie bei Defekten im Protektorauslauf erreiche und das mechanisch schwer zu entfernen sei. Außerdem sollen Vorrichtungen zum Einbringen des Abdichtmittels in den Reifen und Aufpumpen des Reifens auf einen Druck vorgestellt werden, bei dem der Reifen verwendet werden kann (Rn. 11).

Die Lehre aus Patentanspruch 1 in der im Hauptantrag von der Beklagten verteidigten Fassung umfasst folgende Merkmale:

1.

Das Mittel wird verwendet zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen.

2.

Das Mittel enthält einen Kautschuklatex, der im Wesentlichen nur aus Naturkautschuk besteht.

3.

Das Mittel enthält einen Klebstoffharz, der mit Kautschuklatex kompatibel ist.

In der Streitpatentschrift wird dem Fachmann, bei dem es sich um einen Chemiker handelt, der über vertiefte Kenntnisse und praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Kautschuktechnologie (natürliche und synthetische Werkstoffe und deren Verarbeitung) insbesondere im Hinblick auf die Herstellung von Abdichtmitteln von Reifen verfügt und sich in diesem Zusammenhang auch mit Dispersionsklebstoffen und Fragen der Polymerchemie beschäftigt hat, erläutert, dass ein Klebstoffharz "kompatibel" mit dem Kautschuklatex ist, wenn er keine Koagulation desselben verursacht. "Klebstoffharze" sind Harze, welche die Haftfähigkeit des Kautschuklatex am Reifen verbessern, wie etwa Harze, denen Elastomere als Klebrigmacher ("Tackifier") zugesetzt worden sind (Rn. 14). Merkmal 3 schließt es aus Sicht des Fachmanns nicht aus, dass das Mittel neben einem Naturkautschuklatex auch synthetischen Kautschuk "enthält". Das exklusive Vorhandensein von Naturkautschuk in dem Mittel ist in der Streitpatentschrift lediglich als "besonders bevorzugt" beschrieben (vgl. Rn. 16).

II.

Das Patentgericht hat es dahingestellt sein lassen, ob dem Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung bereits die Neuheit fehle, weil er durch die französische Patentschrift 1 016 016 (KS 4) offenbart sei. Denn jedenfalls sei der Fachmann im Prioritätszeitpunkt in der Lage gewesen, die Lehre des Patentanspruchs 1 aus der US-Patentschrift 4 501 825 (KS 6) in Verbindung mit der US-Patentschrift 4 337 322 (KS 19) in naheliegender Weise aufzufinden.

In der KS 6 sei ein Mittel zum Abdichten von Reifen bei Pannen beschrieben, wobei das Mittel über das Ventil in den Reifen einführbar sei. Dieses Mittel enthalte neben anderen Bestandteilen einen Kautschuklatex und ein Klebstoffharz. Zwar sei nicht ausdrücklich angesprochen, dass das Klebstoffharz mit dem Kautschuklatex kompatibel sei. Dem Fachmann, der auch wisse, dass Phenolharze zu den gebräuchlichsten Additiven in der Kautschuk-Verarbeitung zählten, werde jedoch mangels gegenteiliger Hinweise aus der KS 6 den Schluss ziehen, dass mit dem Einsatz von Phenolharzen als Klebharz die Eigenschaften von Kautschuklatices nicht beeinträchtigt würden und Phenolharze deshalb keinerlei Koagulation der Latices verursachten. Da das in der KS 6 beschriebene Abdichtmittel zum Zeitpunkt der Anwendung bei einer Reifenpanne fließfähig sei, müsse das in KS 6 verwendete Klebstoffharz zwangsläufig auch kompatibel mit dem Kautschuklatex sein.

Als Material für den Kautschuklatex schlage die KS 6 vor, Polymere und/oder Copolymere von Isopren, Styrol und Butadien einzusetzen. Zwar gehe aus der Stoffangabe Polyisopren nicht ausdrücklich hervor, dass Naturkautschuk - aufgrund der gleichen chemischen Zusammensetzung - ein Mittel der Wahl sei, zumal in den Beispielen der KS 6 ein solcher nicht genannt sei. Allerdings werde der Fachmann Naturkautschuk als Polyisopren schon deshalb in seine Überlegungen einbeziehen, weil in der Beschreibungseinleitung der KS 6 als Stand der Technik auf die US-Patentschrift 4 337 322 (KS 19) Bezug genommen werde, aus der ein Reifenabdichtmittel hervorgehe, das neben anderen Bestandteilen ebenfalls Polyisopren und zwar in Form eines Naturkautschuklatex enthalte. Damit verdeutliche die KS 19, dass es sich bei Polyisopren und Naturkautschuk um für den Fachmann auf dem Gebiet der Reifenabdichtmittel überschneidende Begriffe und um zwei nicht klar voneinander abgrenzbare Stoffe handele. Deshalb werde der Fachmann, wenn er mit der Entwicklung eines Reifenabdichtmittels befasst sei, bei dem Hinweis auf Polyisopren zwangsläufig auch Naturkautschuklatex als parates Mittel in Erwägung ziehen und zwar unabhängig von der Bezeichnung in der jeweiligen Veröffentlichung.

Auch der Einwand der Beklagten, der Fachmann beziehe die KS 6 nicht in seine Überlegungen mit ein, weil es sich um die Bereitstellung eines Abdichtmittels auf Basis synthetischer Kautschuklatices handele, überzeuge nicht. Im Streitpatent sei auch der Einsatz von Synthesekautschuklatices als geeignet beschrieben, darunter auch Styrolbutadienlatex. Die Verwendung von natürlichen Kautschuklatices allein als Kautschuklatex sei lediglich eine besonders bevorzugte Ausführungsform. Die von der Beklagten weiter geltend gemachten Vorteile, insbesondere unerwartete Vorteile des erfindungsgemäßen Abdichtmittels, qualifizierten dieses ebenfalls nicht als Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit.

Wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht rechtsbeständig seien überdies die Unteransprüche im angegriffenen Umfang sowie die Fassungen des Patentanspruchs 1, mit denen die Beklagte das Streitpatent hilfsweise verteidigt habe.

III.

Die Überlegungen des Patentgerichts halten den Angriffen der Berufung auch hinsichtlich der mit Haupt- und Hilfsanträgen verteidigten Fassung des Patentanspruchs 1 im Wesentlichen stand.

1.

Dem Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags fehlt die Patentfähigkeit (Art. 52 EPÜ).

a)

Die Lehre aus Patentanspruch 1 ist allerdings neu (Art. 54 EPÜ). Wie sich aus den oben wiedergegebenen Ausführungen des Patentgerichts in dem mit der Berufung angegriffenen Urteil ergibt und zwischen den Parteien auch nicht streitig ist, offenbart die US-Patentschrift 4 501 825 (KS 6) zwar ein Mittel zum Abdichten von Reifen, das mit Ausnahme der näheren Definition der Latexkomponente der Lehre des Patentanspruchs 1 entspricht. Insbesondere konnte der Fachmann der Entgegenhaltung die Verwendung des Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen im Pannenfall entnehmen (vgl. KS 6, Sp. 2 Z. 53 ff.).

Nicht offenbart ist jedoch das Merkmal 2, wonach das Mittel einen Kautschuklatex enthalten soll, der im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht. In der Vorveröffentlichung wird zwar ausgeführt, dass als Latexkomponente alle geeigneten polymerischen oder copolymerischen Latices, wie Polymere oder Copolymere von Isopren, Styrol und Butadien in Betracht kommen (K 6, Sp. 3 Z. 44 ff.). Zudem war dem Fachmann bekannt, dass Naturkautschuk ein Polymer von Isopren ist. Unter die abstrakte Bezeichnung "Polymere oder Copolymere von Isopren, Styrol und Butadien" fallen jedoch mehrere Tausend natürliche oder synthetische Verbindungen (vgl. die gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. W. vom 21.1.2011, E 24), und Naturkautschuk wird weder an dieser noch an einer anderen Stelle der Entgegenhaltung ausdrücklich als mögliche Latexkomponente erwähnt. Es kann daher nicht angenommen werden, dass es aus fachlicher Sicht selbstverständlich gewesen ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedurfte, Naturkautschuk als Latexkomponente auszuwählen (vgl. Senat, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, Rn. 26, BGHZ 179, 168 , 174 - Olanzapin).

b)

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags ergab sich für den Fachmann allerdings in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Art. 56 EPÜ).

Wie dargelegt wurde dem Fachmann in der KS 6 ein Mittel zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil offenbart, welches unter anderem ein Klebstoffharz enthält, das mit der Latexkomponente kompatibel ist. Hinsichtlich der genauen Art des zu verwendenden Latex erhielt er aus der Entgegenhaltung die Anregung, dafür ein geeignetes Polymer oder ein Copolymer von Isopren, Styrol und Butadien zu nehmen (K 6, Sp. 3 Z. 44 ff.). Zwar wird als insoweit bevorzugte Latexkomponente ein Styrol-Butadien-Copolymer genannt, das unter der Marke Pliolite 5336 von Goodyear erhältlich ist, einen Butadiengehalt von über 50 % aufweist und auf der Basis von Fettsäureemulsion hergestellt ist (KS 6, Sp. 3 Z. 47 ff.), und dieses Latex (Pliolite Latex) wird auch in Ausführungsbeispiel 1 der Entgegenhaltung zur Herstellung des Abdichtmittels eingesetzt (KS 6, Sp. 5 Z. 31, 38). Jedoch schloss dies aus Sicht des Fachmanns auf Grundlage der allgemeinen Erläuterungen in der Entgegenhaltung, dass insoweit "jedes geeignete Polymer oder Copolymer von Isopren, Styrol und Butadien" in Betracht kommt, nicht aus, als Latexkomponente auch einen anderen Latex als das ausdrücklich genannte Produkt Pliolite 5336 oder ein sonstiges Copolymer von Styrol und Butadien zu nehmen. Als eine solche alternative Latexkomponente bot sich dem Fachmann nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung ein Naturkautschuklatex als (Mono-)Polymer von Isopren an. Für diese Alternative sprach zunächst die Überlegung, dass für die Herstellung von Reifen üblicherweise Mischungen aus Styrol-Butadien (SBR [Styrene-Butadiene-Rubber]) und Naturkautschuk verwendet werden und die Verwendung eines Naturkautschuklatex es daher wie bei der von der KS 6 ausdrücklich gelehrten Benutzung eines Styrol-Butadien-Copolymers erlaubte, für die Latexkomponente eines Mittels zur Abdichtung von Reifen, das sich fest und dauerhaft mit dem Reifen verbinden soll, auf einen Reifengrundstoff zurückzugreifen. Hinzu kamen die hervorragenden elastomeren Eigenschaften des aus Latex ausgefällten und aufgearbeiteten Naturkautschuks aufgrund des hohen Anteils von cis-1,4-Polyisopren (vgl. Gutachten, S. 10 f.), die aus fachlicher Sicht Naturkautschuklatex als eine realistische Alternative zu Styrol-Butadien als Latexkomponente erscheinen ließen.

In diesen Überlegungen konnte sich der Fachmann dadurch bestätigt sehen, dass in der KS 6 bei der Darstellung des Standes der Technik auf die US-Patentschrift 4 337 322 (KS 19) verwiesen und dabei ausgeführt wird, dass diese eine Zusammensetzung für die Radauswuchtung und Abdichtung offenbart, die neben anderen Komponenten aus Polyisopren besteht. Der KS 19 konnte der Fachmann dann bei der Beschreibung der bevorzugten Ausführungsform entnehmen, dass als Polyisopren ein ungehärteter Naturlatex eingesetzt werden kann bzw. das Polyisopren in der Form von natürlichem Latexkautschuk (natürlichem Poly-cis-1,4-polyisopren) in dem Abdichtmittel enthalten ist (KS 19, Sp. 2 Z. 12, 21 ff.). Dies war geeignet, den Fachmann darin zu bestärken, für das Abdichtmittel als Latexkomponente einen Naturkautschuklatex in Erwägung zu ziehen.

Das wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die KS 19 vor allem die vorbeugende Behandlung eines Reifens gegen Perforationen betrifft und die Reparatur eines bereits platten Reifens nicht erwähnt (vgl. K 19, Sp. 1 Z. 29 ff.; Sp. 2 Z. 53 ff.). Denn dabei handelt es sich vornehmlich um einen anwendungstechnischen Unterschied, der es, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, aus fachlicher Sicht jedenfalls nicht ausschließt, die Verwendung des in der KS 19 als Polyisoprenkomponente vorgeschlagenen natürlichen Kautschuklatex als Latexkomponente des in der KS 6 vorgeschlagenen Abdichtmittels in Erwägung zu ziehen.

Zwar sind die Ausführungen der Beklagten zutreffend, dass es sich bei den in der KS 6 neben Polymeren oder Copolymeren von Isopren genannten beiden anderen Latices (Polymere oder Copolymere von Styrol und/oder Butadien) um synthetische Kautschuklatices handelt. Dies rechtfertigt jedoch nicht den Schluss, dass auch mit dem Begriff der Polyisoprene, der nach allgemeinem Verständnis sowohl natürliche als auch synthetische Polymere des Isopren umfasst, lediglich synthetische Polymere des Isoprens gemeint sind. Ein derart eingeschränktes fachliches Verständnis wird durch die KS 6 nicht veranlasst, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend in seinem Gutachten ausgeführt und in der Verhandlung bestätigt hat. Der Beklagten kann daher nicht in dem Argument gefolgt werden, dass die Beschreibung der Entgegenhaltung ganz (ausschließlich) auf die Verwendung von synthetischem Latex ausgerichtet sei. Dies verkennt den Begriff des Polyisoprens, der nach allgemeinem Verständnis neben synthetischen auch natürliche Polymere von Isopren umfasst und der auch im Offenbarungsgehalt der KS 6 nicht eingeschränkt worden ist.

Es mag sein, dass sich Naturkautschuklatex und synthetischer Latex insbesondere auch von Polyisopren hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und ihrer Eigenschaften (Stereoisomerenreinheit, Molekulargewicht und Molekularverteilung, Anwesenheit funktioneller Gruppen und Art der vorhandenen Gruppen) unterscheiden, wie von der Beklagten im Einzelnen ausgeführt worden ist. Es ist aber nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht dargetan worden, inwiefern diese Unterschiede den Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents davon hätten abhalten sollen, entsprechend der Anregung in KS 6 natürliches Polyisopren als Latex in Betracht zu ziehen und - wie dargelegt - gestützt auf sein Fachwissen und entsprechend der Anregung in der KS 19, auf die in der KS 6 hingewiesen wird, bei der Herstellung des Reifendichtmittels zu verwenden.

2.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I geht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus und ist daher nicht zulässig (Art. 123 Abs. 2 EPÜ).

Zur Feststellung einer unzulässigen Erweiterung ist der Gegenstand des erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen. Der Inhalt der Patentanmeldung ist der Gesamtheit der Unterlagen zu entnehmen. Der Patentanspruch darf nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht zur Erfindung gehörend erkennen lässt (Senat, Urteil vom 5. Juli 2005 - X ZR 30/02, GRUR 2005, 1023 , 1024 - Einkaufswagen II; Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 28/06, Rn. 29, GRUR 2010, 513 - Hubgliedertor II). Dies ist jedoch hier der Fall.

Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I unterscheidet sich von selbigem in der Fassung des Hauptantrags dadurch, dass nicht mehr nur vorgesehen ist, dass das Abdichtmittel, dessen Verwendung im Pannenfall unter Schutz gestellt werden soll, einen (Natur-)Kautschuklatex und ein mit diesem kompatibles Klebstoffharz "enthält", sondern dass das Abdichtmittel aus einem (Natur-)Kautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz und optional einem Dispergiermittel "besteht". Dies ist - wie auch die Beklagte in der Verhandlung ausgeführt hat - aus fachlicher Sicht dahin zu verstehen, dass das erfindungsgemäße Abdichtmittel ausschließlich aus den genannten Bestandteilen bestehen darf, wobei lediglich das Dispergiermittel nicht zwingend enthalten sein muss. Insbesondere dürfen dem erfindungsgemäßen Abdichtmittel damit auch keine Füllstoffe, wie etwa faserige Materialien, zugesetzt worden sein. Gerade auf das Fehlen solcher faserigen Materialien, auf das im ursprünglich formulierten Hilfsantrag IV ausdrücklich abgestellt worden war, zielt erklärtermaßen die von der Beklagten gewählte Anspruchsfassung.

Die Verwendung eines Abdichtmittels im Pannenfall, das ausschließlich aus einem (Natur-)Kautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz besteht und dem allein ein Dispergiermittel wahlweise zugegeben werden durfte, wird dem Fachmann in der ursprünglichen Anmeldung jedoch nicht als zur Erfindung gehörend offenbart. In den gesamten Anmeldungsunterlagen findet sich an keiner Stelle ein Hinweis darauf, dass eine derart exklusive Zusammensetzung des Abdichtmittels, die vor allem auch keine Füllstoffe aufweist, besondere technische Vorteile hat oder sonst erwünscht ist und deshalb vom Fachmann als zur Erfindung gehörend angesehen wird.

In der Anmeldung wird zwar, worauf die Beklagte insoweit zutreffend im Verhandlungstermin hingewiesen hat, ein Ausführungsbeispiel beschrieben, bei dem ein Abdichtmittel durch Mischen von Naturkautschuklatex (300 g Naturkautschuklatex mit einem Kautschukgehalt von 60 Gew.-%), das einen pH-Regulator (Ammoniak) enthält, unter einen Klebstoffharz (120 g Terpenphenolharzdispersion mit einem Harzgehalt von 55 Gew.-% [Dermulsene®]) und nach Zugabe eines Gefrierschutzmittels (67 g Ethylenglycol) hergestellt wurde (vgl. Rn. 49). Damit wurde dem Fachmann jedoch lediglich ein Abdichtmittel als erfindungsgemäß offenbart, das die genannten Bestandteile enthält, nicht aber ein solches, das (ausgenommen die wahlweise Zugabe von Dispergiermittel) exklusiv aus diesen Komponenten bestehen und damit insbesondere auch keine Füllstoffe, wie etwa faserige Materialen, umfassen darf. Vielmehr wird an anderer Stelle in der Anmeldung die Zugabe von einem oder mehreren Füllstoffen wie etwa faserigen Materialien als für eine rasche Abdichtung oder für die Abdichtung größerer Löcher vorteilhaft gelehrt (Rn. 20), ohne dass eine solche Zugabe im Hinblick auf das Ausführungsbeispiel ausgeschlossen wird, so dass aus fachmännischer Sicht insoweit kein Grund zu der Annahme besteht, dass die Aufzählung der in dem Ausführungsbeispiel genannten Komponenten zwingend als abschließend zu verstehen ist.

3.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags II, der sich von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal unterscheidet, dass das Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoffharz 4:1 bis 1:1 betragen soll, ist zulässig, aber nicht patentfähig.

War es für den Fachmann - entsprechend den obigen Ausführungen zu Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags - naheliegend, als Alternative zu Styrol-Butadien-Latex Naturkautschuklatex in Erwägung zu ziehen, so stellte sich ihm bei der Formulierung einer konkreten Rezeptur die Frage nach dem Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoffharz. Der KS 6 entnahm er insoweit gemäß der allgemeinen Definition der Mischung in der Beschreibung (KS 6, Sp. 3 Z. 9 ff.) und in Patenanspruch 1, dass der Massenanteil von Harz und Latexdichtmittel jeweils zwischen 20 - 40 % liegen kann. Da die Entgegenhaltung keine näheren Angaben zu dem Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoff enthält, lag für den Fachmann, wie auch das Patentgericht angenommen hat, im Hinblick auf die parallelen Bereichsangaben der Massenanteile von Harz und Latexdichtmittel die Annahme nahe, dass der Feststoffanteil in der wässrigen Phase bei dem Harz und dem Latexdichtmittel in etwa identisch ist, so dass die in der KS 6 offenbarten Gewichtsverhältnisse von Kautschuk zu Klebstoffharz in einem Bereich von etwa 1:2 bis etwa 2:1 liegen. Dabei liegt, wie auch der gerichtliche Sachverständige im Verhandlungstermin bestätigt hat, die genaue Bestimmung des Gewichtsverhältnisses von Kautschuk und Klebstoffharz für das bei Reifenpannen zu verwendende Dichtmittel im "Erprobungsermessen" des Fachmanns, wobei es diesem aufgrund seines Fachwissens auch bekannt ist, das ein verhältnismäßig hoher Anteil von Kautschuk die elastomeren Eigenschaften des Dichtmittels verbessert, so dass er auch unter diesem Gesichtspunkt motiviert ist, den Gewichtsanteil von Kautschuk nicht geringer, sondern höher als den von Klebstoffharz zu bestimmen.

4.

Dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags III über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus geht und daher nicht zulässig ist, folgt ohne weiteres aus den Ausführungen zu Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I, weil sich Patentanspruch 1 in der Fassung der Hilfsanträge I und III lediglich darin unterscheiden, dass die optionale Zugabe von Dispergiermittel nicht mehr erlaubt ist.

5.

Dass die jeweils auf Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags und der drei Hilfsanträge rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen, ist bereits vom Patentgericht verneint worden. Es ist auch unter Berücksichtigung der Neufassung des Patentanspruchs 1 als Verwendungsanspruch weder von der Beklagten dargelegt worden noch sonst ersichtlich, dass die Beurteilung des Patentgerichts fehlerhaft wäre. Gleiches gilt hinsichtlich des Patentanspruchs 18 und der auf diesen rückbezogenen Patentansprüche 19 und 20; die Patentfähigkeit des Gegenstands dieser Vorrichtungsansprüche hat auch die Beklagte nur mit denjenigen Erwägungen gerechtfertigt, die sie zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 angeführt hat.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 12. Juli 2011

Vorinstanz: BPatG, vom 16.05.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ni 48/07 (EU)
Fundstellen
GRUR 2011, 1109