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BGH - Entscheidung vom 16.03.2011

2 StR 521/10

Normen:
StPO § 261

BGH, Urteil vom 16.03.2011 - Aktenzeichen 2 StR 521/10

DRsp Nr. 2011/6285

Beschränkung einer revisionsgerichtlichen Prüfung auf den vom Tatrichter unterlaufenen Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 11. Mai 2010 werden verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch und durch die Revision der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.

Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte.

Von Rechts wegen

Normenkette:

StPO § 261 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten nach Einstellung von drei diesem zur Last gelegten sexuellen Handlungen an einem Kind gemäß § 154 Abs. 2 StPO von dem Vorwurf 16 weiterer Missbrauchshandlungen an einem Kind, davon zwei Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs und 10 Fälle des tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen diesen Freispruch wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

Die Revisionen bleiben ohne Erfolg.

I.

Dem Angeklagten wird vorgeworfen, in der Zeit vom 1. Juni 1997 bis zum 1. Oktober 2005 in insgesamt 19 Fällen an verschiedenen Orten die am 19. September 1994 geborene Nebenklägerin sexuell missbraucht zu haben, indem er diese in Abwesenheit der Mutter an der Scheide streichelte und dabei in zwei Fällen einen Finger einführte, bzw. indem er das Mädchen veranlasste, ihn manuell - teils bis zum Samenerguss - zu befriedigen oder aber indem er in angezogenem Zustand seinen erigierten Penis an dessen Schoß rieb.

1.

Die Strafkammer hat dazu Folgendes festgestellt:

Der nicht vorbestrafte Angeklagte lernte im März 1997 S. M. kennen, die verwitwete Mutter des 1991 geborenen P. und der am 19. September 1994 geborenen Nebenklägerin M. . Im Juli 1997 zog er zu seiner Lebensgefährtin und den beiden Kindern. Er brachte sich bei der Kindererziehung in die Familie ein und wuchs rasch in die Vaterrolle hinein. Während sich sein Verhältnis zu den beiden Stiefkindern als vertrauensvoll und fürsorglich darstellte, kriselte es in der Beziehung zur Mutter. Nach einem Umzug in eine neue Wohnung erhob die Mutter im Sommer 1998 im Zuge von Trennungsstreitigkeiten erstmals Missbrauchsvorwürfe gegen den Angeklagten, setzte aber die Beziehung fort. Nach weiteren Streitigkeiten erneuerte sie die Missbrauchsvorwürfe, weil sie so eine Möglichkeit sah, den Angeklagten "loszuwerden". Bewusst wahrheitswidrig gab sie an, die damals vierjährige Nebenklägerin habe ihr von stattgefundenem Oral- und Vaginalverkehr berichtet. Aufgrund dieser Vorwürfe befand sich der Angeklagte im Sommer 1999 für mehrere Wochen in Untersuchungshaft. Letztlich bewahrheiteten sich die Missbrauchsvorwürfe nicht, weil die Nebenklägerin die Anschuldigungen der Mutter nicht bestätigte. Nach einer zwischenzeitlichen Versöhnung und weiteren Umzügen kam es wiederum zu teilweise handgreiflich geführten Auseinandersetzungen zwischen den Lebenspartnern. S. M. , die selbst als Kind missbraucht worden war, stellte - ohne dass es dafür konkrete Anhaltspunkte gab - immer wieder die Nebenklägerin zur Rede, ob der Angeklagte dieser gegenüber sexuell übergriffig geworden sei, was das Mädchen durchgängig verneinte. Ungeachtet der Streitigkeiten mit der Mutter war das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und den Kindern ungetrübt und weiterhin von Wärme und Herzlichkeit geprägt. An dieser familiären Situation änderte sich bis zur endgültigen Trennung der Lebenspartner im Jahre 2006 nichts, äußere Anhaltspunkte für eine Störung der Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin gab es nicht; vielmehr litt diese unter dem Auszug des Angeklagten, der sich einer neuen Lebensgefährtin zugewandt hatte.

Das Verhältnis der Nebenklägerin zu ihrer Mutter gestaltete sich nach der Trennung von dem Angeklagten zunehmend schwieriger. Das pubertierende Mädchen hatte disziplinarische Schwierigkeiten in der Schule, nahm erheblich an Gewicht zu und begann sich blutig zu kratzen und zu "ritzen". Erstmals im Oktober 2008 erhob die Nebenklägerin pauschal Missbrauchsvorwürfe gegen den Angeklagten gegenüber ihrer Mutter und warf dieser vor, solche nicht wahrgenommen zu haben. Die Mutter erstattete daraufhin Strafanzeige. Der Angeklagte hat die Vorwürfe gegenüber seiner derzeitigen Lebensgefährtin bestritten und sich im Übrigen nicht zur Sache eingelassen.

2.

Die Strafkammer vermochte sich auch nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin und zur Glaubhaftigkeit ihrer Beschuldigungen nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte die ihm für den Zeitraum 1997 bis 2005 konkret vorgeworfenen Missbrauchshandlungen begangen hat. Zwar geht sie - in Übereinstimmung mit der Sachverständigen - davon aus, dass es zwar möglicherweise tatsächlich irgendwelche Übergriffe sexueller Art seitens des Angeklagten gegeben haben möge (UA 30); diese könnten jedoch, da die Taten in keiner Weise nach Ort, Zeit oder Tathergang auch nur ansatzweise konkretisierbar seien, eine Verurteilung des Angeklagten nicht rechtfertigen (UA 41 f.).

II.

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der von der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin erhobenen Sachrüge deckt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.

Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei.

1.

Gemäß § 261 StPO entscheidet über das Ergebnis der Beweisaufnahme das Gericht. Spricht es einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders würdigt oder Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2010, 102 , 103 mwN).

2.

Das Landgericht hat hier alle relevanten Umstände in seine Würdigung einbezogen. Die jeweils im Einzelnen wie auch in der Gesamtbetrachtung gezogenen Schlussfolgerungen sind möglich. Das gilt insbesondere, soweit das Landgericht in Übereinstimmung mit der Sachverständigen B. den Anschuldigungen der Nebenklägerin betreffend die angeklagten Taten keinen Glauben schenkt.

a)

Nachvollziehbare Zweifel hat die Strafkammer schon insoweit, als die Nebenklägerin vorgibt, selbst solche Ereignisse, die sie im Alter von sieben Monaten erlebt habe, "ganz genau" zu erinnern, auch deshalb, weil sie jeden einzelnen Fall träume (UA 20 f.). Dies deutet darauf hin, dass die Nebenklägerin, die einen hohen Grad an Suggestibilität aufweist, ohne sich einer Fremdbeeinflussung bewusst zu sein, tatsächlich stattgefundene Ereignisse sowie ihr später von dritter Seite erzählte Begebenheiten miteinander vermischt. So ist vor allem eine unbewusste Beeinflussung durch ihre Mutter, die in der Vergangenheit den Angeklagten wegen angeblichen Missbrauchs angezeigt und ihre Tochter immer wieder entsprechend befragt hatte, nicht auszuschließen.

b)

Zutreffend hat die Strafkammer im Einzelnen dargelegt, dass die Aussage der Nebenklägerin zum unmittelbaren handlungsrelevanten Geschehen detailarm, in sich widersprüchlich und nicht konstant war (UA 26 ff.). So entsprachen z.B. die Angaben der Nebenklägerin in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 9. Juni 2009, die der Anklage zugrunde liegen, weder in zeitlicher und örtlicher Hinsicht noch hinsichtlich Art und Intensität der Taten ihren Angaben in der Hauptverhandlung, so dass die Feststellung auch nur einer konkreten Tat nicht möglich war. Insgesamt unterscheiden sich ihre Angaben bei den polizeilichen Vernehmungen, der Exploration durch die Sachverständige und in der Hauptverhandlung nicht nur in wesentlichen Punkten; auch innerhalb einzelner Vernehmungen, insbesondere bei der Sachverständigen und in der Hauptverhandlung, hat sie widersprüchlich ausgesagt, ohne dies nachvollziehbar erklären zu können (UA 23, 33 ff.).

c)

Dass die Strafkammer - der Sachverständigen folgend - in einer Gesamtschau einzelne verifizierbare Missbrauchshandlungen nicht feststellen konnte, hält sich im Rahmen tatrichterlicher Beweiswürdigung und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Abweichungen im schriftlichen von dem allein maßgeblichen mündlich erstatteten aussagepsychologischen Gutachten hat das Landgericht unter Hinweis auf Informationsdefizite der Sachverständigen bei Fertigung des schriftlichen Gutachtens und auf in der Hauptverhandlung aus dem Aussageverhalten der Nebenklägerin gewonnene Erkenntnisse plausibel erklärt (UA 30). Objektive Hinweise auf die Täterschaft des Angeklagten oder andere Belastungszeugen standen nicht zur Verfügung.

d)

Das Landgericht hätte den Angeklagten auch nicht nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" im Wege der "Abschmelzung" zumindest wegen einer Tat des sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilen müssen. Zwar ging die Strafkammer davon aus, "dass es zwar möglicherweise tatsächlich Übergriffe sexueller Art seitens des Angeklagten gegen die Zeugin gegeben haben mag" (UA 30), falls "von der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin zumindest hinsichtlich der Durchführung der sexuellen Handlungen selbst ausgegangen werden könnte". Für eine Verurteilung auch wegen nur einer Tat fehlte es aber - wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt - jedenfalls an den erforderlichen Mindestfeststellungen (BGH StV 2010, 61; 1994, 114 f.; NStZ 1997, 280 f.; BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 1-5).

III.

Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenklägerin erfolglos geblieben sind, hat die Nebenklägerin außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (§ 473 Abs. 1 und 2 StPO ; BGH, Urteil vom 15. Dezember 2010 - 1 StR 254/10, Rn. 37 mwN).

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Koblenz, vom 11.05.2010