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BGH - Entscheidung vom 01.04.2011

V ZB 26/11

Normen:
FamFG § 16 Abs. 1
FamFG § 425 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 01.04.2011 - Aktenzeichen V ZB 26/11

DRsp Nr. 2011/8134

Berechnung der Dauer einer Freiheitsentziehung nach dem FamFG im Falle der Anordnung einer befristeten Sicherungshaft

Im Falle der Anordnung einer befristeten Sicherungshaft ist die Dauer der Freiheitsentziehung ist nach §§ 425 Abs. 1, 16 Abs. 1 FamFG zu berechnen, wenn sie nach Wochen oder Monaten bestimmt ist. Der Beginn der Frist richtet sich nach dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung, wenn ihre sofortige Wirksamkeit nach § 422 Abs. 2 FamFG angeordnet worden ist. Der Beginn der Haftdauer darf dagegen auch bei einem flüchtigen oder untergetauchten Betroffenen nicht an dessen Verhaftung und damit an einen in der Zukunft liegenden ungewissen Zeitpunkt geknüpft werden.

Die Vollziehung der durch Beschluss des Amtsgerichts Celle vom 2. Juli 2010 angeordneten und mit Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 7. Januar 2011 aufrechterhaltenen Abschiebungshaft wird einstweilen ausgesetzt.

Normenkette:

FamFG § 16 Abs. 1; FamFG § 425 Abs. 1;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein kosovarischer Staatsangehöriger, reiste 1999 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte seinen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab. Die Entscheidung ist seit April 2002 bestandskräftig. Die Beteiligte zu 2 beabsichtigt, den Betroffenen in den Kosovo zurückzuschieben. Seit dem 9. Dezember 2009 liegt ihr eine Rückübernahmezusage der Republik Kosovo vor. Der Betroffene konnte jedoch bislang nicht abgeschoben werden, weil er zu den angekündigten Abschiebungsterminen unter seiner Meldeadresse nicht angetroffen werden konnte. Zeitweise befand sich der Betroffene in stationärer psychiatrischer Behandlung.

Auf Antrag der Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht am 2. Juli 2010 die Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von längstens drei Monaten und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Dazu hatte es den Betroffenen, der zu dem Anhörungstermin nicht erschienen war, nicht persönlich angehört. Die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht nach persönlicher Anhörung des Betroffenen und Einholung eines psychiatrischen Fachgutachtens am 7. Januar 2011 zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Betroffene, mit seiner Rechtsbeschwerde und möchte die einstweilige Aussetzung der Vollziehung der Haftanordnung erreichen. Bisher ist gegen den untergetauchten Betroffenen die angeordnete Sicherungshaft nicht vollstreckt worden.

II.

Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 2 AufenthG lägen vor. Abschiebungshindernisse bestünden nicht. Der Betroffene sei nach dem Ergebnis des psychiatrischen Fachgutachtens nicht ernsthaft suizidgefährdet und daher reisefähig. Auf den Gesundheitszustand der Mutter des Betroffenen komme es nicht an, da dieser volljährig sei. Da er sich bislang nicht in Haft befunden habe, sei auch die von dem Amtsgericht angeordnete Befristung der Haft nicht ausgeschöpft.

III.

1.

Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Mai 2010 - V ZB 121/10, Rn. 5, [...]; Senat, Beschluss vom 21. Januar 2010 - V ZB 14/10, FGPrax 2010, 97 ; Senat, Beschluss vom 30. März 2010 - V ZB 79/10, FGPrax 2010, 158).

2.

Er ist auch begründet.

Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte einstweilige Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, wird danach regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Januar 2010 - V ZB 14/10, FGPrax 2010, 97 ) und dem Betroffenen durch die mögliche Vollziehung schon jetzt größere Nachteile drohen als der beteiligten Behörde bei Aussetzung der Vollziehung (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - V ZB 114/07, WuM 2008, 95 , 96). So verhält es sich hier.

a)

Das Beschwerdegericht hat zu Unrecht angenommen, dass die von dem Amtsgericht angeordnete Befristung der Sicherungshaft auf drei Monate nicht ausgeschöpft sei, weil der Betroffene sich bislang nicht in Haft befunden habe.

Die Dauer der Freiheitsentziehung ist nach §§ 425 Abs. 1, 16 Abs. 1 FamFG zu berechnen, wenn sie nach Wochen oder Monaten bestimmt ist. Der Beginn der Frist richtete sich nach dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung, wenn - wie hier - ihre sofortige Wirksamkeit nach § 422 Abs. 2 FamFG angeordnet worden ist (Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 425 Rn. 4). Wirksam geworden ist die Entscheidung des Amtsgerichts vom 2. Juli 2010 durch ihre Bekanntgabe (§ 41 Abs. 1 FamFG) jedenfalls vor dem Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung am 3. August 2010. Damit war die Haftdauer im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung am 7. Januar 2011 abgelaufen.

Diese Fristberechnung gilt auch in den Fällen, in denen ein Betroffener untergetaucht ist (vgl. OLG Braunschweig, InfAuslR 2009, 118; Keidel/Budde, aaO, § 425 Rn. 4). Die Haftdauer beginnt nicht erst im Zeitpunkt der Ergreifung des Betroffenen. Selbst ein solcher ausdrücklich angeordneter Beginn der Sicherungshaft wäre unzulässig (OLG Frankfurt, InfAuslR 1996, 144, 145; Bay-ObLG, FGPrax 1996, 240 ). Der Haftanordnung käme in einem solchen Fall die Wirkung eines Haftbefehls gleich. Eine solche Möglichkeit sieht das Freiheitsentziehungsverfahren nach den Vorschriften der §§ 415 ff. FamFG indes nicht vor (vgl. OLG Frankfurt, InfAuslR 1996, 144, 145, zum FGG ). Der Beginn der Sicherungshaft darf nicht an die Verhaftung und damit an einen in der Zukunft liegenden ungewissen Zeitpunkt geknüpft werden (OLG Frankfurt, InfAuslR 1996, 144, 145).

Die Entscheidung des Beschwerdegerichts wird auch nicht aus anderen Gründen rechtmäßig sein. Soweit das Beschwerdegericht die Auffassung zu erkennen gegeben hat, die Haftvoraussetzungen lägen weiterhin vor, fehlt es an einem verfahrensfehlerfrei zustande gekommenen neuen Haftbeschluss (vgl. OLG Braunschweig, InfAuslR 2009, 118, 119). Da der Beschluss des Amtsgerichts durch Zeitablauf unwirksam geworden ist, durfte eine neue Haftanordnung nur aufgrund eines neuen Haftantrags der zuständigen Behörde ergehen (§ 417 FamFG). An einem solchen neuen Antrag, der die Vorgaben nach § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG erfüllt, fehlt es.

b)

Die Abwägung der gegenläufigen Interessen der Beteiligten gebietet die Aussetzung der Vollziehung, obgleich der Betroffene derzeit untergetaucht ist und sich nicht in Haft befindet.

Sollte der Betroffene aufgegriffen werden, würde ihm auf Grundlage der unwirksamen, jedoch durch die Beschwerdeentscheidung mit dem Rechtsschein der Rechtmäßigkeit und Vollziehbarkeit versehenen Haftanordnung vom 2. Juli 2010 die Freiheit entzogen. Es besteht deshalb die Gefahr, dass der Betroffene im Falle seiner Festnahme eine rechtswidrige Freiheitsentziehung zumindest vorübergehend hinnehmen müsste. Hingegen hat die Beteiligte zu 2 anderweit die Möglichkeit, sich des Betroffenen im Fall seines Aufgriffs zum Zwecke der Abschiebung zu versichern. Sie kann grundsätzlich nach § 427 Abs. 2 FamFG eine - allerdings nur begrenzt gültige - vorläufige Anordnung der Haft beantragen. Darüber hinaus ist jede Ausländerbehörde am Aufgriffsort grundsätzlich befugt, einen untergetauchten Ausländer nach § 62 Abs. 4 AufenthG festzuhalten und die Abschiebungshaft zu beantragen (vgl. Senat, Beschluss vom 18. März 2010 - V ZB 194/09, FGPrax 2010, 156, 157).

Vorinstanz: AG Celle, vom 02.07.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 25 XIV 34 B
Vorinstanz: LG Lüneburg, vom 07.01.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 6 T 58/10