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BGH - Entscheidung vom 26.01.2011

2 StR 458/10

Normen:
StGB § 24 Abs. 1 S. 1

BGH, Urteil vom 26.01.2011 - Aktenzeichen 2 StR 458/10

DRsp Nr. 2011/3512

Rücktritt vom unbeendeten Versuch nach § 24 Abs. 1 S. 1 Strafgesetzbuch ( StGB ) bei zweifacher Deutung des Rücktrittshorizonts durch den Tatrichter und Bewertung der Umstände anhand unzutreffender rechtlicher Maßstäbe

1. Das bloße Aufgeben weiterer auf den Taterfolg gerichteter Handlungen erfüllt die Voraussetzungen eines Rücktritts vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB 1. Variante nur dann, wenn der Versuch unbeendet ist, der Täter also aus seiner Sicht noch nicht so viel getan hat, dass der Taterfolg eintritt.2. Bei der Feststellung dieses so genannten Rücktrittshorizonts, für den auf den Zeitpunkt nach der letzten Tathandlung abzustellen ist, kommt es nicht darauf an, ob der Täter den Eintritt des Erfolgs für sicher oder ganz nahe liegend hält. Vielmehr ist der Versuch schon dann beendet, wenn der Täter den Erfolgseintritt zu diesem Zeitpunkt für möglich hält.3. In Fällen offenkundig besonders gefährlicher Tathandlungen, deren Erfolgseignung der Täter erkennt, wird sich seine Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolgseintritts oft aus den objektiven Umständen der Tat erschließen lassen; bei einem dynamischen Geschehen versteht sich dies aber nicht von selbst.

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 2. März 2010 im Schuld- und Strafausspruch aufgehoben. Die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt bleiben aufrechterhalten.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

StGB § 24 Abs. 1 S. 1;

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren verurteilt und eine Entscheidung im Adhäsionsverfahren getroffen. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Schuld- und Strafausspruchs.

1.

Nach den Feststellungen des Landgerichts gerieten die beiden Angeklagten am Tatabend in einer Diskothek in G. in Streit mit dem als Sicherheitsbediensteter dort tätigen Nebenkläger, weil dieser den Angeklagten O. aus dem Lokal verwies, weil er sich auffällig und aggressiv verhielt und einen anderen Gast verletzt hatte. Als der Angeklagte von den Sicherheitsbediensteten aus dem Lokal geführt wurde, kam es zu Tätlichkeiten und massiven Todesdrohungen gegen den Nebenkläger.

Im weiteren Verlauf der Nacht liehen sich die Angeklagten, die den Entschluss gefasst hatten, sich an dem Nebenkläger zu rächen, einen Pkw und folgten in den frühen Morgenstunden dem Geschädigten L. , als dieser nach Hause fuhr, bis zu seiner Wohnung.

Als er sich in das Haus begeben wollte, überfielen ihn die Angeklagten unvorhergesehen von hinten und schlugen ihm zunächst eine Glasflasche so auf den Kopf, dass sie zerbrach. Sodann schlugen beide Angeklagten mit Schlagstöcken auf den Geschädigten ein; einer der Angeklagten fügte ihm mit einem Messer insgesamt sechs Stiche in Brust, Rücken und Bein zu, durch die der Geschädigte unter anderem einen Pneumothorax erlitt.

Inzwischen waren Anwohner auf den Lärm aufmerksam geworden. Eine Anwohnerin rief aus dem Fenster, sie werde die Polizei alarmieren. Kurz danach ließen die Angeklagten von dem Geschädigten ab und flohen. Ob sie den Ruf der Anwohnerin wahrgenommen hatten, konnte nicht festgestellt werden.

Das Landgericht hat festgestellt, die Angeklagten hätten, als sie gemeinschaftlich auf den Nebenkläger einwirkten, mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Von dem Versuch eines Tötungsdelikts seien sie jedoch strafbefreiend zurückgetreten. Der Versuch sei, als die Angeklagten von dem Geschädigten abließen, unbeendet gewesen, da die Täter "bereits auf Grund der nach wie vor vorhandenen aktiven Gegenwehr nicht mit Sicherheit davon ausgehen (konnten), dass ihr Opfer auch sterben würde" (UA S. 41).

2.

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich mit der Sachrüge gegen die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom (unbeendeten) Versuch wendet, ist begründet. Die Ausführungen des angefochtenen Urteils belegen, dass das Landgericht bei der Anwendung des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB möglicherweise von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist.

Das bloße Aufgeben weiterer auf den Taterfolg gerichteter Handlungen erfüllt die Voraussetzungen eines Rücktritts vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB 1. Variante nur dann, wenn der Versuch unbeendet ist, der Täter also aus seiner Sicht noch nicht so viel getan hat, dass der Taterfolg eintritt. Bei der Feststellung dieses so genannten Rücktrittshorizonts, für den auf den Zeitpunkt nach der letzten Tathandlung abzustellen ist, kommt es nicht darauf an, ob der Täter den Eintritt des Erfolgs für sicher oder ganz nahe liegend hält. Vielmehr ist der Versuch schon dann beendet, wenn der Täter den Erfolgseintritt zu diesem Zeitpunkt für möglich hält. Schon in diesem Fall darf er sich, um Straffreiheit zu erreichen, nicht mehr auf bloßes Unterlassen weiterer Tathandlungen beschränken, sondern muss sich gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB

2.

Variante aktiv um die Rettung des angegriffenen Rechtsguts bemühen.

Dies hat der Tatrichter vorliegend verkannt, indem er darauf abgestellt hat, ob die Angeklagten "mit Sicherheit" vom baldigen Eintritt des Todes des Geschädigten "ausgehen konnten" (UA S. 41). Zwar ist an anderer Stelle des Urteils ausgeführt, es sei den Angeklagten "bewusst (gewesen), dass sie zur Verwirklichung eines weiteren und nur bedingt für möglich gehaltenen Taterfolges weiterer Ausführungshandlungen bedurften" (UA S. 9). Dies würde für die Annahme eines unbeendeten Versuchs ausreichen. Beide Urteilsausführungen sind jedoch nicht miteinander vereinbar und legen die Annahme nahe, dass das Landgericht aufgrund eines unzutreffenden rechtlichen Maßstabs zur Feststellung eines unbeendeten Versuchs gelangt ist.

3.

Soweit die - vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft meint, schon aus den objektiven Tatumständen, namentlich der Massivität und Gefährlichkeit der mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführten Verletzungshandlungen, ergebe sich, dass die Angeklagten den Versuch für beendet, den Erfolgseintritt also zumindest für möglich gehalten hätten, lässt sich dies auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht mit hinreichender Sicherheit annehmen. Zwar wird sich in Fällen offenkundig besonders gefährlicher Tathandlungen, deren Erfolgseignung der Täter erkennt, seine Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolgseintritts oft schon aus den objektiven Umständen der Tat erschließen lassen. Bei einem dynamischen Geschehen, wie es hier vorlag, versteht sich dies aber nicht von selbst. Der neue Tatrichter wird auf der Grundlage eines zutreffenden rechtlichen Maßstabs möglicherweise weitere Feststellungen zum Zustandsbild des Geschädigten sowie zur Erkennbarkeit der Verletzungsfolgen für die Angeklagten im Zeitpunkt des Ablassens von ihrem Opfer treffen können. Hierbei wird, soweit Feststellungen hierzu möglich sind, insbesondere auch näher darzulegen sein, ob, in welcher Form und wie lange der Geschädigte sich gegen die Angreifer zur Wehr setzte.

4.

Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei und können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich. Die Adhäsionsentscheidung ist von der Aufhebung des Schuld- und Strafausspruchs nicht berührt (vgl. BGHSt 52, 96 ).

5.

Der neue Tatrichter wird auch über die Anrechnung der in den Niederlanden erlittenen Auslieferungshaft zu entscheiden haben.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Gera, vom 02.03.2010