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BGH - Entscheidung vom 12.01.2011

XII ZB 181/10

Normen:
ZPO § 115;
StGB § 42;
StPO § 459 a
ZPO § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4
StGB § 42
StPO § 459a

Fundstellen:
FamRB 2011, 111
FamRZ 2011, 554
MDR 2011, 315
NJW 2011, 1007

BGH, Beschluss vom 12.01.2011 - Aktenzeichen XII ZB 181/10

DRsp Nr. 2011/2798

Angemessenheit der Berücksichtigung einer auf eine Geldstrafe zu zahlenden Rate bei der Einkommensermittlung gem. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 ZPO ; Erwirkung einer Zahlungserleichterung bei der Vollstreckungsbehörde im Falle einer nicht mehr zumutbaren wirtschaftlichen Belastung eines Bedürftigen

a) Es ist grundsätzlich nicht angemessen, die auf eine Geldstrafe zu zahlende Rate bei der Einkommensermittlung gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO zu berücksichtigen. b) Nach § 42 StGB iVm § 459 a StPO kann der Bedürftige bei einer - auch im Lichte der von ihm verwirkten Strafe - nicht mehr zumutbaren wirtschaftlichen Belastung eine entsprechende Zahlungserleichterung bei der Vollstreckungsbehörde erreichen. Damit ist sichergestellt, dass ihm der Zugang zu den Gerichten nicht versperrt wird.

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 4. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts München vom 27. April 2010 aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Augsburg vom 22. Januar 2010 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels dahin abgeändert, dass der Beklagte auf die Kosten der Prozessführung monatliche Raten in Höhe von 75 € zu zahlen hat.

Dem Beklagten wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. Ackermann bewilligt. Der Beklagte hat auf die Kosten der Prozessführung monatliche Raten von 75 € an die zuständige Landeskasse ab dem 1. März 2010 zu zahlen.

Beschwerdewert: bis 300 €

Normenkette:

ZPO § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 ; StGB § 42 ; StPO § 459a;

Gründe

Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist die Frage, ob bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe die auf eine Geldstrafe zu zahlende Rate zu berücksichtigen ist.

In der Hauptsache nimmt die Klägerin den Beklagten auf Trennungsunterhalt in Anspruch. In diesem Verfahren hat das Amtsgericht dem Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm dabei die Zahlung monatlicher Raten von 275 € aufgegeben. Die Geldstrafe hat das Amtsgericht dabei nicht berücksichtigt.

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten hat das Beschwerdegericht die Monatsraten auf einen Betrag von 115 € reduziert. Die Geldstrafe hat das Beschwerdegericht ebenfalls unberücksichtigt gelassen.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nur deshalb begründet, weil dem Berufungsgericht ein Rechenfehler unterlaufen ist.

Für das Verfahren ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG -RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. etwa Senatsurteil vom 16. Dezember 2009 - XII ZR 50/08 -FamRZ 2010, 357 mwN).

Der Auffassung des Beschwerdegerichts, das die Berücksichtigung einer Geldstrafe im Rahmen von § 115 ZPO für nicht angemessen hält, weil dadurch der Strafcharakter teilweise entfallen würde, ist grundsätzlich zu folgen.

1.

Nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO sind für die Ermittlung des - für die Prozesskosten - einzusetzenden Einkommens weitere Beträge abzusetzen, soweit dies mit Rücksicht auf besondere Belastungen angemessen ist.

a)

Ob dies bei der auf eine Geldstrafe zu entrichtenden Rate der Fall ist, ist in Rechtsprechung und Literatur streitig.

aa)

Einerseits wird vertreten, dass solche Raten bei der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens zu berücksichtigen sind (OLG Hamburg FamRZ 2001, 235; OLG Brandenburg Beschluss vom 3. September 2003 - 9 WF 153/03 - [...] Rn. 6; LAG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 29. Juni 2007 - 3 Ta 143/07 - [...] Rn. 8; Zöller/Geimer ZPO 28. Aufl. § 115 Rn. 37; Reichold in Thomas/Putzo ZPO 31. Aufl. § 115 Rn. 14; Bork in Stein/Jonas ZPO 22. Aufl. § 115 Rn. 67; Hk-ZPO/Pukall 3. Aufl. § 115 Rn. 26; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann ZPO 69. Aufl. § 115 Rn. 24). Begründet wird diese Ansicht unter anderem damit, dass Zweck der Prozesskostenhilfe die Verwirklichung des sozialstaatlichen Gebots einer Gleichstellung wirtschaftlich Starker und Schwacher im Rechtsschutzbereich sei. Sie diene dem staatlichen Ziel, den Zugang zu den Gerichten jedermann in gleicher Weise zu eröffnen. Mit diesem Grundsatz sei es nicht zu vereinbaren, im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung Ratenzahlungen auf eine Geldstrafe unberücksichtigt zu lassen. Ihnen könne sich die Partei unter keinen Umständen entziehen. Würde die Geldstrafe nicht gezahlt werden, wäre damit zu rechnen, dass der Betroffene eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müsste (OLG Hamburg FamRZ 2001, 235).

bb)

Demgegenüber lehnt die wohl überwiegende Meinung eine Berücksichtigung von Geldstrafen im Rahmen des § 115 ZPO ab (OLG Karlsruhe FamRZ 2008, 1541 ; OLG München FamRZ 2007, 1340 ; KG FamRZ 2006, 871 ; OLG Koblenz JurBüro 1997, 30 , 31; AG Ludwigslust FamRZ 2003, 1934 f.; LAG Köln Beschluss vom 14. Juli 2010 - 1 Ta 161/10 - [...] Rn. 10; LAG Düsseldorf Beschluss vom 18. September 2009 - 3 Ta 564/09 - [...] Rn. 4 f.; LAG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 17. Juli 2008 - 21 Ta 1105/08 - [...] Rn. 10; LAG Schleswig-Holstein Beschluss vom 1. August 1989 - 4 Ta 33/89 - [...] [LS]; Musielak/Fischer ZPO 7. Aufl. § 115 Rn. 30; MünchKomm-ZPO/Motzer 3. Aufl. § 115 Rn. 42; Völker/Zempel in Prütting/Gehrlein ZPO 2. Aufl. § 115 Rn. 29; Zimmermann Prozesskostenhilfe 3. Aufl. Rn. 117). Die Vertreter dieser Auffassung verweisen zum einen darauf, dass der Strafcharakter der Geldstrafe teilweise entfallen würde, wenn der Bedürftige seinen Prozess auf Kosten der Allgemeinheit wegen Anrechnung etwaiger Geldstrafen führen könnte (siehe dazu etwa OLG München FamRZ 2007, 1340 ). Zum anderen wird argumentiert, dass auch ein Sozialhilfeempfänger die gegen ihn verhängte Geldstrafe aus der ihm gewährten Sozialhilfe unter entsprechenden persönlichen Einschränkungen zu begleichen habe, ohne dass seine Sozialhilfe deshalb erhöht würde. Demnach sei auch im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe davon auszugehen, dass Ratenzahlungen auf eine Geldstrafe von dem der Partei gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO zugebilligten Selbstbehalt mit abgedeckt seien (KG FamRZ 2006, 871 ; AG Ludwigslust FamRZ 2003, 1934).

b)

Der Senat folgt der zuletzt genannten Auffassung.

Es ist grundsätzlich nicht angemessen, die auf eine Geldstrafe zu zahlende Rate bei der Einkommensermittlung gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO zu berücksichtigen. Allerdings darf dem Bedürftigen der Zugang zu den Gerichten nicht verwehrt werden. Ebenso muss ausgeschlossen sein, dass die Nichtberücksichtigung dieser Rate dazu führt, dass der Bedürftige Gefahr läuft, eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten zu müssen. Dem wird indes mit den Vorschriften des § 42 StGB i.V.m. § 459 a StPO Rechnung getragen. Danach kann der Bedürftige bei der Strafvollstreckungsbehörde Zahlungserleichterungen bis hin zu einer Stundung beantragen.

aa)

Die Berücksichtigung einer Geldstrafe bei der Einkommensermittlung führt jedenfalls in denjenigen Fällen zu unangemessenen Ergebnissen im Sinne von § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO , in denen der Bedürftige dadurch im Ergebnis Prozesskosten ersparte und damit letztlich die Staatskasse für seine Geldstrafe bzw. einen Teil hiervon aufkäme. Ein solches Ergebnis wäre mit Sinn und Zweck der Geldstrafe nicht vereinbar und kann daher auch nicht prozesskostenhilferechtlich angemessen sein.

bb)

Die Nichtberücksichtigung der Geldstrafe darf indes nicht dazu führen, dass dem Bedürftigen der Zugang zu den Gerichten versperrt wird. Die Prozesskostenhilfe soll das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtsschutzgleichheit verwirklichen, indem sie Bemittelte und Unbemittelte in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichstellt (BVerfG NVwZ 2004, 334 , 335). Auch der armen Partei darf die Prozessführung nicht unmöglich gemacht werden. Das wäre aber zu befürchten, wenn ohne zureichende staatliche Prozesskostenhilfe das Existenzminimum einer Partei unterschritten würde (BVerfG FamRZ 1988, 1139 , 1140). Dem steht der Sinn und Zweck einer Geldstrafe nicht entgegen. Danach hat der Verurteilte als "Strafübel" zwar spürbare wirtschaftliche Einbußen hinzunehmen. Die Strafe bezweckt hingegen nicht, ihm den Zugang zu den Gerichten im Falle einer - nicht mutwilligen (vgl. § 114 Satz 1 ZPO ) - Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung zu versperren.

Ebenso muss sichergestellt werden, dass der Bedürftige bei Nichtberücksichtigung der auf die Geldstrafe gezahlten Raten nicht Gefahr läuft, die Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen zu müssen. Dieses Risiko bestünde aber, wenn die (höheren) Zahlungen auf die Prozesskosten dazu führten, dass er die Raten für die Geldstrafe nicht mehr - vollständig - aufbringen könnte (vgl. § 43 StGB ).

cc)

Den vorstehenden Bedenken tragen jedoch die Vorschriften des § 42 StGB i.V.m. § 459 a StPO hinreichend Rechnung. Danach kann der Bedürftige bei einer - auch im Lichte der von ihm verwirkten Strafe - nicht mehr zumutbaren wirtschaftlichen Belastung eine entsprechende Zahlungserleichterung bei der Vollstreckungsbehörde, also der Staatsanwaltschaft (§ 451 Abs. 1 StPO ), erreichen (ebenso OLG Karlsruhe FamRZ 2008, 1541 ).

Grundlage hierfür ist § 42 StGB , wonach das Gericht dem Verurteilten eine Zahlungsfrist bewilligen oder ihm gestatten kann, die Strafe in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen, sofern es dem Verurteilten nach seinen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten ist, die Geldstrafe sofort zu zahlen. Nach rechtskräftiger Verurteilung ist die Vollstreckungsbehörde für die Entscheidung über Zahlungserleichterungen zuständig, § 459 a Abs. 1 StPO . Sie kann diese auch nachträglich ändern oder aufheben (Stree/Kinzig in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 42 Rn. 9; Fischer StGB 57. Aufl. § 42 Rn. 13; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 459 a Rn. 4, wonach auch mehrfache Änderungen zulässig sind). Die Gewährung von Zahlungserleichterungen liegt nicht im Ermessen der Vollstreckungsbehörde. Liegen die Voraussetzungen von § 42 StGB vor, so müssen die Zahlungserleichterungen gewährt werden (OLG Stuttgart MDR 1993, 996 ; siehe auch Stree/Kinzig aaO § 42 Rn. 4). § 42 StGB erlaubt es auch, die Geldstrafe für eine längere Zeit zu stunden (OLG Stuttgart MDR 1993, 996 f.; OLG Bremen NJW 1962, 217; Stree/Kinzig aaO § 42 Rn. 5). Anders als das Prozesskostenhilferecht sieht das Straf- bzw. Strafprozessrecht keine Höchstzahl von zu leistenden Monatsraten vor (vgl. Stree/Kinzig aaO § 42 Rn. 5 mwN, wonach nach hM für die Ratenanordnung keine zeitliche Begrenzung besteht). Deshalb würde der Bedürftige bei einer nach Maßgabe des Strafrechts angeordneten Zahlungserleichterung im Ergebnis -anders als bei der Berücksichtigung einer Geldstrafe nach § 115 ZPO -keine (Prozess-) Kosten ersparen.

Nur so wird einerseits der Strafzweck der Geldstrafe gewährleistet und andererseits dem Bedürftigen der Zugang zu den Gerichten ermöglicht.

2.

Zwar hat das Beschwerdegericht nach diesen Maßstäben die Geldstrafe zu Recht unberücksichtigt gelassen. Jedoch ist ihm bei der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens nach § 115 ZPO offensichtlich ein Rechenfehler unterlaufen, der die von der Rechtsbeschwerde beantragte Ratenermäßigung auf 75 € monatlich rechtfertigt.

a) Das Beschwerdegericht ist - von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet - von folgender Einkommenssituation auf Seiten des Beklagten ausgegangen:

Durchschnittliches Nettoeinkommen nach Pfändung  1.227,29 € 
abzüglich  
Freibetrag  395,00 € 
Erwerbstätigenfreibetrag  180,00 € 
Werbungskosten  25,30 € 
Unterhaltszahlung  65,00 € 
Miete  235,00 € 
Verbindlichkeiten  100,00 € 
Geldstrafe 

Daraus ergibt sich ein einzusetzendes Einkommen von 226,99 € und damit eine Monatsrate von 75 € statt - wie vom Beschwerdegericht angenommen - von 326,99 € bei einer Monatsrate von 115 €.

b)

Bei einem Abzug der monatlichen Rate von 100 € für die Geldstrafe wäre ein Einkommen von 126,99 € einzusetzen und damit Raten in Höhe von 45 € anzuordnen gewesen. Dies führte bereits bei den für die Instanz festgestellten Prozesskosten von 2.214,58 € zu einer Ersparnis des Beklagten von 54,58 €, wie die nachfolgende Berechnung zeigt.

einzusetzendes Einkommen  127,00 € 
Monatsrate  45,00 € 
Prozesskosten  2.214,58 € 
Anzahl der regelmäßigen Raten (höchstens 48)  48 
Von den Prozesskosten zu zahlen (48 x 45 €)  2.160,00 € 
Ersparnis  54,58 € 

Hierzu sind noch die in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen Gebühren der Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu addieren.

Nach alledem kommt eine Berücksichtigung der auf die Geldstrafe zu entrichtenden Raten - auch für die vom Senat zu treffende Entscheidung über die für das Rechtsbeschwerdeverfahren beantragte Prozesskostenhilfe - nicht in Betracht.

III.

Der Beschluss des Beschwerdegerichts war aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil diese zur Endscheidung reif ist, § 577 Abs. 5 ZPO .

Vorinstanz: AG Augsburg, vom 22.01.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 405 F 2259/09
Vorinstanz: OLG München, vom 27.04.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 4 WF 317/10
Fundstellen
FamRB 2011, 111
FamRZ 2011, 554
MDR 2011, 315
NJW 2011, 1007