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BGH - Entscheidung vom 15.03.2011

3 StR 476/10

Normen:
StGB § 22
StGB § 176a Abs. 2 Nr. 1

BGH, Beschluss vom 15.03.2011 - Aktenzeichen 3 StR 476/10

DRsp Nr. 2011/6719

Anforderungen an die gerichtlichen Feststellungen bei Annahme eines Fehlschlags beim Versuch des Missbrauchs eines körperlich unterlegenen Kindes; Vorstellungsbild eines Täters von der Möglichkeit einer Vollendung einer Missbrauchstat nach Verweigerung einer Missbrauchshandlung durch das Kind

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 17. Juni 2010 im Fall II. 1. der Urteilsgründe sowie im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 22 ; StGB § 176a Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern sowie wegen versuchter sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf eine Verfahrensrüge sowie sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.

1.

Im Fall II. 1. der Urteilsgründe hält der Schuldspruch wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a Abs. 2 Nr. 1 , § 22 StGB ) der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf die allein für diese Tat relevante Verfahrensrüge (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Januar 2001 - 3 StR 528/00, bei Becker NStZ-RR 2002, 102) kommt es deshalb nicht an.

Nach den Feststellungen des Landgerichts forderte der Angeklagte die 10jährige Y. auf, an ihm den Oralverkehr auszuüben, was das Kind "kategorisch ablehnte. Der Angeklagte erkannte, dass er aufgrund der Weigerung der Zeugin sein Vorhaben in dieser Form nicht mehr durchsetzen konnte, ergriff daraufhin Y. von hinten und zog sie halb tragend, halb schleppend" aus dem Erdgeschoss seines Hauses "die Treppe in sein Schlaf- und Arbeitszimmer im Obergeschoss hinauf. Dort angekommen warf er sie auf das Bett und verschloss die Zimmertür mit einem Schlüssel" (UA S. 3 f.). Sodann zog er Y. die Hose aus, legte sich auf das Kind und rieb sein Glied bis zum Samenerguss an dessen Scheide.

Das Landgericht hat das Geschehen im Erdgeschoss im Ausgangspunkt zutreffend als Versuch eines schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern eingeordnet. Seine Annahme, der Angeklagte sei von diesem Versuch nicht strafbefreiend zurückgetreten, hat es damit begründet, der Angeklagte habe "nach der Weigerung von Y. erkannt, dass er den Oralverkehr mit ihr nicht mehr durchführen konnte". Dies entbehrt indes einer tragfähigen Beweiswürdigung.

Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv - sei es auch nur wegen aufkommender innerer Hemmungen - die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Hält er dagegen die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für erreichbar, wenn auch mit anderen Mitteln, dann ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (BGH, Beschluss vom 26. September 2006 - 4 StR 347/06, NStZ 2007, 91 ; Beschluss vom 9. Juli 2009 - 3 StR 257/09, NStZ 2009, 688).

Worauf der Schluss beruht, der Angeklagte habe die Tat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr vollenden können, teilt das Urteil nicht mit. Dessen hätte es aber bedurft, nachdem der Angeklagte unmittelbar danach das Kind mit körperlicher Gewalt in das erste Stockwerk verbracht und dort auf das Bett geworfen, das Zimmer abgeschlossen und sich auf das Kind gelegt hat. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte auch nach seiner eigenen Vorstellung die von ihm ausgeübte körperliche Gewalt im unmittelbaren Handlungszusammenhang noch hätte steigern und so an sein Ziel gelangen können. Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass der Angeklagte sodann das Kind auf andere, die Qualifikation des § 176a StGB nicht erfüllende Weise missbraucht hat, ändert dies an der Beurteilung der Rücktrittsfrage nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2002 - 4 StR 520/01, NStZ-RR 2002, 168).

Die Verurteilung wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern muss deshalb aufgehoben werden. Davon wird auch die Verurteilung wegen des tateinheitlich abgeurteilten sexuellen Kindesmissbrauchs erfasst.

2.

Im Fall II. 2. der Urteilsgründe ist gegen den Schuldspruch nichts zu erinnern. Indes begegnet der Strafausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken, da das Landgericht die Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nicht erörtert hat.

Nach den Feststellungen leidet der bislang nicht bestrafte, heute 75 Jahre alte Angeklagte an einer Herzerkrankung. Zum Zeitpunkt des Übergriffs auf das 10jährige Kind (Tat 1) war er 67 Jahre alt. Drei Jahre später erschien er an einem Vormittag mit heruntergelassener Hose im Wohnzimmer seiner 79jährigen Nachbarin, packte die Frau an den Schultern und warf sie auf das Sofa, um dort mit ihr gewaltsam sexuelle Handlungen auszuführen (Tat 2). Hierbei hatte er "einen Gesichtsausdruck, als ob er neben sich stünde, und grinste" (UA S. 4). Angesichts dieser Umstände durfte das Landgericht nicht ohne jegliche Erörterung von der uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgehen. Es hätte vielmehr der ausdrücklichen Prüfung bedurft, ob bei dem Angeklagten der Altersabbau bereits ein Stadium erreicht haben könnte, in dem eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit jedenfalls nicht mehr ausgeschlossen werden kann (BGH, Beschlüsse vom 6. November 1992 - 2 StR 480/92, NStZ 1993, 332 , sowie vom 8. September 1993 - 3 StR 471/93, BGHR StGB § 21 Sachmangel 2; Urteil vom 13. Oktober 2005 - 5 StR 347/05, StV 2006, 13 ; zu den Indizien für eine hirnorganische Beeinträchtigung vgl. auch Kröber NStZ 1999, 298).

Der Fehler gefährdet den Schuldspruch nicht, da ausgeschlossen werden kann, dass sich der Angeklagte bei der Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit befunden hat.

Vorinstanz: LG Oldenburg, vom 17.06.2010