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BGH - Entscheidung vom 28.06.2011

1 StR 192/11

Normen:
StGB § 32

BGH, Beschluss vom 28.06.2011 - Aktenzeichen 1 StR 192/11

DRsp Nr. 2011/14672

Anforderungen an das Vorliegen einer gegenwärtigen Notwehrsituation bei Verletzung des unbewaffneten Angreifers mit einem Messer

Liegt ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff nicht vor, dann kommt es auf die Wahl des Verteidigungsmittels nicht an, weil es schlechthin an einer durch Notwehr gebotenen Handlung fehlt.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 30. November 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 32 ;

Gründe

I.

1.

Das Landgericht hat zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen:

Es kam in der Nacht vom 9. Juli 2010 gegen 2.30 Uhr zwischen dem Angeklagten und dem späteren Opfer M. unter Alkoholeinfluss auf offener Straße zu einer verbalen Auseinandersetzung. In deren Verlauf beleidigte M. den Angeklagten zunächst mit Ausdrücken wie "Ich habe Deine Mutter gefickt, ich habe Deine Schwester und Deine ganze Familie gefickt". Sodann schlug M. dem Angeklagten zweimal mit der Faust ins Gesicht. Der Angeklagte nahm das von ihm mitgeführte Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 20 cm in die Hand und forderte M. auf, abzuhauen und "sich zu verpissen" (UA S. 5). Als M. dies nicht tat, stach ihm der Angeklagte mit dem Küchenmesser in den linken Oberbauch und brachte ihm abstrakt lebensgefährdende Verletzungen bei.

Dem Angeklagten war nach den Feststellungen bewusst, dass zum Zeitpunkt des Messerstichs kein unmittelbarer Angriff vom Tatopfer ausging.

2.

Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe aus einem Reflex heraus mit dem Messer zugestochen, um sich zu verteidigen.

3.

M. , der Nebenkläger, gab an - so das Landgericht -, als er zum dritten Schlag ansetzen wollte, habe er gemerkt, "dass etwas nicht stimme". Er habe sein T-Shirt hochgeschoben und gesehen, dass er am Bauch blute.

4.

In der zusammenfassenden Würdigung der Beweisaufnahme kommt das Landgericht zu dem Ergebnis, dass "nur" folgende objektive Umstände zum Kerngeschehen festgestellt werden könnten: Es habe einen tätlichen Angriff in Form zweier Faustschläge des körperlich deutlich unterlegenden Geschädigten gegen den Angeklagten mit einhergehenden Beleidigungen gegeben, auf die der Angeklagte mit dem Messerstich reagiert habe. Detaillierte Feststellungen seien aufgrund der nebulösen und vertuschenden Aussagen der Tatzeugen nicht möglich (UA S. 11).

5.

In der rechtlichen Würdigung geht die Kammer davon aus, der Angeklagte sei zwar berechtigt gewesen, sich gegen die Schläge des Nebenklägers zu verteidigen, er sei aber bei der Wahl der Verteidigungsmittel weit über die gebotene und geeignete Methode hinausgegangen. Der Messerstich sei daher nicht durch Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt.

II.

Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

Die Feststellungen zum Tatgeschehen sind widersprüchlich, die Beweiswürdigung ist lückenhaft und die rechtliche Bewertung baut nicht auf den Feststellungen auf. Das Revisionsgericht ist daher nicht in der Lage zu prüfen, ob die Handlung des Angeklagten durch Notwehr geboten war.

1.

Nach den zunächst getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte den Nebenkläger nach den bestehenden Feststellungen mit dem Messer in der Hand aufgefordert "abzuhauen". Die Drohung ist daher ersichtlich als Vorwarnung zu verstehen. Eine solche findet sich in der zusammenfassenden Beweiswürdigung indes nicht wieder. Da letztere sich durch das Wort "nur" hinsichtlich der objektiven Umstände zum Kerngeschehen auf Ausschließlichkeit beruft, liegt insoweit ein Widerspruch vor. Die Bedeutung der Vorwarnung für die Beurteilung einer Notwehrlage liegt auf der Hand.

2.

Eine Lücke in der Beweiswürdigung ist insofern gegeben, als sie sich zu den Angaben des Nebenklägers, er habe - offenbar vor dem Messerstich - zum dritten Schlag ansetzen wollen, nicht verhält. Wenn der Geschädigte selbst einen weiteren gegenwärtigen Angriff beschreibt, so hätte die Strafkammer darlegen müssen, ob sie diesem folgt oder die Angaben - aus welchen Gründen - für widerlegt hält.

3.

In der rechtlichen Würdigung geht sie zwar davon aus, der Angeklagte sei berechtigt gewesen, sich gegen die Schläge des Nebenklägers zu verteidigen. Diese rechtliche Bewertung wird aber nicht von den damit nicht ohne Weiteres zu vereinbarenden Feststellungen getragen, wonach dem Angeklagten bewusst war, dass zum Zeitpunkt des Messerstrichs kein unmittelbarer Angriff vom Tatopfer ausging. Liegt ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff nicht vor, dann kommt es auf die Wahl des Verteidigungsmittels nicht an, weil es schlechthin an einer durch Notwehr gebotenen Handlung fehlt.

4.

Das Urteil war daher mit den Feststellungen aufzuheben.

Vorinstanz: LG Bayreuth, vom 30.11.2010