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BFH - Entscheidung vom 02.12.2011

VII B 98/11

Normen:
§ 418 ZPO
§ 14 VwZG
EuAuslVwZÜbk
ZPO § 418
FGO § 115 Abs. 2

Fundstellen:
BFH/NV 2012, 744

BFH, Beschluss vom 02.12.2011 - Aktenzeichen VII B 98/11

DRsp Nr. 2012/5085

Haftung eines Geschäftsführers einer inländischen GmbH mit Wohnsitz in Italien für Steuerrückstände

1. NV: Die Beweisregel des § 418 ZPO gilt --als allgemeiner Rechtsgedanke-- auch im finanzgerichtlichen Verfahren. 2. NV: Eine auf ein deutsches Zustellungsersuchen hin ausgestellte Zustellungsurkunde der ersuchten ausländischen Behörde begründet als öffentliche Urkunde vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen nach § 418 ZPO . Dies gilt selbst dann, wenn sie nicht dem Muster des Europäischen Übereinkommens über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland entspricht.

Normenkette:

ZPO § 418 ; FGO § 115 Abs. 2 ;

Gründe

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) nimmt den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als Geschäftsführer einer inländischen GmbH für deren Steuerrückstände in Haftung. Da der Kläger seinen Wohnsitz im maßgeblichen Zeitpunkt in Italien hatte, ersuchte das FA die Agenzia Entrate Direzione Centrale Accertamento in Rom, den an die Adresse des Klägers Via X 1,I-30001 A gerichteten Haftungsbescheid zuzustellen. Laut Zustellungsurkunde dieser Behörde erfolgte die Zustellung am 23. August 2005 durch die Gemeinde A im Ortsteil Z durch persönliche Aushändigung des vom FA ausgestellten Verwaltungsakts an den Kläger in dessen Wohnung.

Den Einspruch des Klägers vom 13. Oktober 2009 und den damit verbundenen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist wies das FA zurück. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Einspruch sei verspätet eingelegt worden. Die Zustellung am 23. August 2005 sei wirksam, da die Zustellungsurkunde vollen Beweis des in ihr dokumentierten Vorgangs liefere. Zwar sei der Haftungsbescheid in der Urkunde nicht ausdrücklich bezeichnet, das Schriftstück sei aber durch die Bezugnahme auf den vom FA ausgestellten Verwaltungsakt und das Ersuchen des Bundesamtes für Finanzen hinreichend konkretisiert. Auch sei der Haftungsbescheid an die richtige Adresse gerichtet worden. Dass der Ortsteil Z eine eigene Postleitzahl besitzen solle, habe die Zustellung offensichtlich nicht verhindert.

Der Kläger stützt seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Divergenz. Es sei ungeklärt, ob die Zustellungsunterlagen beweiskräftige öffentliche Urkunden i.S. des § 418 der Zivilprozessordnung ( ZPO ) darstellen könnten. Außerdem könne die Beweisregel des § 418 ZPO wegen des das finanzgerichtliche Verfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatzes nicht gelten. Im Übrigen seien die Anforderungen an den Gegenbeweis in der Rechtsprechung widersprüchlich. Schließlich seien die Mängel der Zustellung so gravierend, dass sie die Beweiswirkung der Unterlagen von vornherein erschütterten.

II. Die Beschwerde ist --bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit-- jedenfalls unbegründet.

1. Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen begründen weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) noch ist eine Revisionsentscheidung zur Wahrung der Rechtsprechungseinheit geboten (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ).

a) Geklärt ist entgegen der Darstellung des Klägers, dass die Beweisregel des § 418 ZPO --als allgemeiner Rechtsgedanke-- im finanzgerichtlichen Verfahren gilt. Der Bundesfinanzhof (BFH) wendet die Vorschrift in ständiger Rechtsprechung an (z.B. auf die Postzustellungsurkunde: Beschluss vom 18. Januar 2011 IV B 53/09, BFH/NV 2011, 812 , m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung , 7. Aufl., § 82 Rz 40, m.w.N.). Die behauptete Abweichung vom BFH-Urteil vom 7. Mai 1969 I R 68/67 (BFHE 95, 395 , BStBl II 1969, 444 ) liegt aufgrund der neueren Rechtsprechung nicht vor.

b) Geklärt ist auch, dass eine auf ein deutsches Zustellungsersuchen hin ausgestellte Zustellungsurkunde der ersuchten ausländischen Behörde als öffentliche Urkunde vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen nach § 418 ZPO begründet. Wie der BFH bereits im Urteil vom 3. Mai 1963 II 72/61 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963, 367 ) ausgesprochen hat, können Zustellungen im Ausland aus völkerrechtlichen Gründen grundsätzlich nur in der nach § 14 des Verwaltungszustellungsgesetzes --im Streitfall in der Fassung des Zustellungsreformgesetzes vom 25. Juni 2001 (BGBl I 2001, 1206 )-- vorgesehenen Form bewirkt werden. Danach erfolgt eine Zustellung im Ausland auf Ersuchen der Behörde durch die Behörden des fremden Staates. Die Zustellung wird durch die Bescheinigung der ersuchten Behörde, dass zugestellt ist, nachgewiesen. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass diese Bescheinigung --wie die deutsche Postzustellungsurkunde-- eine öffentliche Urkunde i.S. des § 418 ZPO ist.

c) Die vom Kläger in den Raum gestellte Behauptung, die von der ersuchten italienischen Behörde erstellte Zustellungsurkunde entspreche nicht dem Muster, das nach dem Europäischen Übereinkommen über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland vom 24. November 1977 (BGBl II 1981, 535 ) zu verwenden ist, änderte --selbst wenn sie zuträfe-- nichts an der Beweiskraft der Bescheinigung als öffentliche Urkunde.

2. Soweit der Kläger gegen die Beweiskraft der Zustellungsurkunde einwendet, die richtige Adresse für die Zustellung sei nicht angegeben gewesen und aus der Urkunde ergebe sich die Identität des zugestellten Schriftstücks nicht eindeutig, macht er keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO geltend. Vielmehr wendet er sich gegen die Würdigung des FG, das nach den von ihm getroffenen Feststellungen zu der Überzeugung gelangt ist, der Haftungsbescheid sei durch die Angaben in der Zustellungsurkunde ausreichend konkretisiert und --offensichtlich-- an die richtige Adresse zugestellt worden. Die tatrichterliche Überzeugungsbildung, die Tatsachen- bzw. Sachverhaltswürdigung sowie Schlussfolgerungen tatsächlicher Art sind einer Nachprüfung durch den BFH weitgehend entzogen. Die tatrichterliche Überzeugungsbildung der Vorinstanz (§ 96 Abs. 1 FGO ) ist nur insoweit revisibel, als Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorliegen (ständige Rechtsprechung, Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz 30; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , § 118 FGO Rz 87, m.w.N.). Solche Verstöße sind jedoch im Streitfall nicht erkennbar.

Vorinstanz: FG München, vom 15.04.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 8 K 3057/10
Fundstellen
BFH/NV 2012, 744