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BFH - Entscheidung vom 26.04.2011

III S 24/10 (PKH)

Normen:
§ 72 Abs 2 S 3 FGO
§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

BFH, Beschluss vom 26.04.2011 - Aktenzeichen III S 24/10 (PKH)

DRsp Nr. 2011/11097

Fehler der Familienkasse im Kindergeldverfahren als Verfahrensmängel i.S.d. Revisionsrechts

1. NV: Eine Klagerücknahme ist als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und kann auch nicht - etwa in entsprechender Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Anfechtung von Willenserklärungen - angefochten werden. 2. NV: Von einer Unwirksamkeit der Klagerücknahme ist nur dann auszugehen, wenn der Steuerpflichtige in unzulässiger Weise - etwa durch Drohung, Druck, Täuschung oder auch unbewusste Irreführung - zur Abgabe der Erklärung veranlasst worden ist und diesen Ausnahmefall schlüssig und glaubhaft darlegt.

Normenkette:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I.

In dem Verfahren 15 K 2818/09 Kg wegen Kindergeld hatte das Finanzgericht (FG) mit Beschluss vom 21. August 2009 den Antrag der Antragstellerin und Klägerin (Klägerin) auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin die Klagefrist versäumt habe und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich sei. Auf die anschließende "Beschwerde" sowie weitere Eingaben der Klägerin hat das FG ihr seinen Standpunkt nochmals erläutert und zudem auf die Möglichkeit von Erlass- bzw. Stundungsanträgen hinsichtlich der Gerichtskosten hingewiesen.

In der mündlichen Verhandlung am 4. März 2010, an der die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) mit Kenntnis des FG nicht teilgenommen hat, wurde die Klägerin erneut auf die fehlenden Erfolgsaussichten der Klage hingewiesen; außerdem wurde ihr mitgeteilt, dass die Sitzung im Hinblick auf organisatorische bzw. zeitliche Probleme der Familienkasse in deren Abwesenheit stattfinde. Die Klägerin hat daraufhin die Klage zurückgenommen. Das Verfahren wurde in der Sitzung durch Beschluss eingestellt.

Mit Schriftsatz vom Folgetag hat die Klägerin die Klagerücknahmeerklärung widerrufen. Auf den Hinweis des FG, dass eine Rücknahmeerklärung als Verfahrenshandlung nur bei Zustandekommen durch Druck, Täuschung oder Irreführung des Gerichts wirksam widerrufen werden könne, hat die Klägerin vorgetragen, sie sei getäuscht worden. Sie sei wegen der Gerichtskosten irregeführt worden; wenn sie gewusst hätte, dass sie diese trotz der Klagerücknahme zahlen müsse, hätte sie die Rücknahme nicht erklärt. Außerdem habe sie missverstanden, dass die Familienkasse damals wegen ihres eigenen --der Klägerin-- verspäteten Erscheinens zur mündlichen Verhandlung nicht anwesend gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung am 23. April 2010 hat die Klägerin wiederholt geltend gemacht, die (erste) Klage rechtzeitig erhoben und die Klage nicht wirksam zurückgenommen zu haben.

Mit Urteil vom 23. April 2010 entschied das FG, dass das Verfahren 15 K 2818/09 Kg durch Klagerücknahme vom 4. März 2010 beendet sei. Die Klägerin könne sich nicht erfolgreich darauf berufen, die Klage infolge einer Täuschung des Gerichts zurückgenommen zu haben. Das Gericht habe keine Täuschung oder Irreführung begangen. Insbesondere habe das Gericht nicht erklärt, bei einer Rücknahme der Klage entfielen sämtliche Gerichtskosten; eine derartige Aussage --die zudem der (das Gericht bindenden) Gesetzeslage widersprochen hätte-- habe das FG (Einzelrichterin) in der Sitzung nicht abgegeben. Ob bei der Klägerin eine abweichende Vorstellung bzw. Motivlage bestanden habe, könne dahinstehen. Darüber hinaus habe die Einzelrichterin der Klägerin auch den Grund des Nichterscheinens eines Vertreters der Familienkasse in der Sitzung vom 4. März 2010 hinreichend erläutert; nach damaligem Eindruck der Richterin habe die Klägerin die Angaben auch verstanden. Ob die Klägerin dennoch --wie nunmehr geltend gemacht werde-- eine abweichende Vorstellung gehabt habe, könne dahinstehen.

Dagegen wendet sich die Klägerin und begehrt für eine noch einzulegende Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision PKH und die Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin ist auf dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck beigefügt. In dem von der Prozessbevollmächtigten unterzeichneten Entwurf einer Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet die Klägerin die Nichtmitteilung der Wiedereinsetzungsfrist in der Rechtsmittelbelehrung der Einspruchsentscheidung der Familienkasse. Wenn diese Frist nicht mitgeteilt werde, könne man auch nicht fristgemäß die Wiedereinsetzungsgründe vortragen und die versäumte Rechtshandlung rechtzeitig nachholen. Es habe grundsätzliche Bedeutung, ob überhaupt eine Belehrung diesbezüglich stattfinden solle. Dies gelte insbesondere gegenüber Ausländern, die aus einem ganz anderen "Rechtssystem" kommen würden.

Die erfolgte Klagerücknahme basiere auf der gescheiterten sprachlichen Kommunikation zwischen der Klägerin und dem FG. Es frage sich, ob das FG aufgrund der sprachlichen Defizite der Klägerin habe erkennen müssen, dass das Klageverfahren ohne Hinzuziehung eines Dolmetscherdienstes nicht möglich sei. Über die Folgen der Klagerücknahme sei die Klägerin im Übrigen nicht belehrt worden.

II.

Der Antrag auf Bewilligung von PKH und der Beiordnung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird abgelehnt.

1.

Nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

2.

Der Antrag ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde keine hinreichenden Erfolgsaussichten bietet.

a)

Soweit die Klägerin zu rügen beabsichtigt, dass die Rechtsbehelfsbelehrung der Einspruchsentscheidung der Familienkasse unvollständig sei, weil die Wiedereinsetzungsfrist nicht mitgeteilt worden sei, wird kein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO schlüssig geltend gemacht. Ein solcher liegt nur vor, wenn das FG gegen Vorschriften des Gerichtsverfassungsrechts verstoßen hat. Dagegen sind Fehler, die der Familienkasse im Kindergeldverfahren unterlaufen, keine Verfahrensmängel im Sinne des Revisionsrechts (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Januar 2010 IX B 109/09, BFH/NV 2010, 917 , zu vergleichbaren Fehlern des Finanzamtes im Besteuerungsverfahren). Auf solche Fehler kann die Zulassung der Revision nicht gestützt werden. Im Übrigen bestehen gegen die Rechtsbehelfsbelehrung keine Bedenken. Ein Hinweis auf eine mögliche Wiedereinsetzung in die Klagefrist wäre rein hypothetisch und würde eher zu einer Verwirrung der Beteiligten führen als zu einer Klärung des Verfahrensablaufs.

b)

Auch soweit die Klägerin einen Verfahrensmangel des angefochtenen Urteils darin erblicken möchte, dass das FG die in der mündlichen Verhandlung vom 4. März 2010 erklärte Klagerücknahme --trotz des von der Klägerin erklärten Widerrufs-- weiterhin als wirksam angesehen hat, reichen die hierzu vorgetragenen Tatsachen zur schlüssigen Darlegung eines Verfahrensmangels nicht aus bzw. liegen diese behaupteten Tatsachen nicht vor.

Eine Klagerücknahme ist als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und kann auch nicht --etwa in entsprechender Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Anfechtung von Willenserklärungen-- angefochten werden. Die FGO sieht aber gleichwohl in § 72 Abs. 2 Satz 3 ausdrücklich den Fall vor, dass in einem Steuerrechtsstreit nachträglich die Unwirksamkeit einer Klagerücknahme geltend gemacht wird. Das spricht dafür, dass der Gesetzgeber entsprechend der Rechtsprechung des BFH vor Inkrafttreten der FGO die Möglichkeit offen halten wollte, insbesondere in den Fällen, in denen ein rechtsunkundiger Steuerpflichtiger in unzulässiger Weise --etwa durch Drohung, Druck, Täuschung oder auch unbewusste Irreführung-- zur Abgabe einer Erklärung veranlasst worden ist, die Unwirksamkeit einer Klagerücknahme anzunehmen. Der BFH hat nach dem Inkrafttreten der FGO diese Rechtsprechung fortgesetzt und betont, dass es als Verstoß gegen die im Steuerrecht zu beachtenden Grundsätze des Vertrauensschutzes angesehen werden müsste, in derartigen Fällen einen Steuerpflichtigen an seiner Erklärung festzuhalten (BFH-Beschluss vom 12. August 2009 X S 47/08 (PKH), BFH/NV 2009, 1997 ).

Einen derartigen Ausnahmefall hat die Klägerin aber nicht schlüssig dargelegt. Allein die Behauptung der Klägerin, dass das FG aufgrund ihrer sprachlichen Defizite habe erkennen müssen, dass ein Dolmetscher hätte beigezogen werden müssen, reicht nicht aus. Vielmehr hätte sich die Klägerin eingehend mit den Gründen des Urteils vom 23. April 2010 auseinander setzen müssen und insbesondere auch ihre angeblich mangelnden Deutschkenntnisse belegen müssen, was aber nicht erfolgt ist.