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BVerwG - Entscheidung vom 08.01.2010

9 B 3.09

Normen:
VwGO § 133 Abs. 3

BVerwG, Beschluss vom 08.01.2010 - Aktenzeichen 9 B 3.09

DRsp Nr. 2010/1686

Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist aufgrund der versehentlichen Bezeichnung des falschen Gerichts durch eine Kanzleiangestellte

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 2. September 2008 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 852,82 EUR festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 133 Abs. 3 ;

Gründe

Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen. Sie ist nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils, das der Kläger angreift, begründet worden (§ 133 Abs. 3 Satz 1 und 2 VwGO ). Die Beschwerdebegründung ist am letzten Tag der Begründungsfrist entgegen § 133 Abs. 3 Satz 2 VwGO und der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils nicht bei dem Oberverwaltungsgericht, sondern per Telefax beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht worden. Erst am Folgetag - also nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist und damit verspätet - wurde die Beschwerdebegründung an das Oberverwaltungsgericht übermittelt.

Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren (§ 60 Abs. 1 VwGO ).

Der Kläger trägt hierzu vor: Sein Prozessbevollmächtigter habe den Entwurf der Beschwerdebegründung am Nachmittag des letzten Tages der Begründungsfrist zu Ende diktiert. Eine Kanzleimitarbeiterin habe bei der maschinenschriftlichen Anfertigung des Schriftsatzes versehentlich die aufgrund eines vorangegangenen Revisionsverfahrens des Klägers (BVerwG 9 C 5.06) im Rechner gespeicherte Anschrift und Telefaxnummer des Bundesverwaltungsgerichts eingefügt. Sein Prozessbevollmächtigter habe dieses Versehen nach der Unterzeichnung des Schriftsatzes bemerkt und angeordnet, dass der Schriftsatz an das Oberverwaltungsgericht zu richten und "das Deckblatt" (die Seite 1) entsprechend ausgetauscht werden müsse. Die angewiesene Kanzleiangestellte habe die Seite auch abgeändert, ausgedruckt und in die Akte "auf den Schriftsatz" bzw. "zu dem Schriftsatz" gelegt. Anschließend habe sie die Kanzlei verlassen. Es sei dann Aufgabe einer anderen Mitarbeiterin gewesen, den Schriftsatz per Telefax zu übermitteln und die Frist zu kontrollieren. Das fehlerhafte "Deckblatt" sei aber nicht ausgewechselt gewesen. Diese zweite Mitarbeiterin habe die verschiedenen Anschriften nicht bemerkt, "so dass das ursprüngliche Exemplar ... versehentlich an das Bundesverwaltungsgericht gefaxt" worden sei. Anschließend habe sie dem Prozessbevollmächtigten bestätigt, dass der Übermittlungsvorgang technisch ordnungsgemäß verlaufen sei. Erst am Folgetag sei festgestellt worden, dass die fehlerhafte Seite nicht ausgewechselt und der Schriftsatz mit dem fehlerhaften "Deckblatt" gefaxt worden war und die korrigierte Seite noch "hierneben in der Akte" lag.

Bei diesem Sachverhalt kann der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keinen Erfolg haben, weil der Kläger nicht ohne Verschulden gehindert war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten. Ein Verschulden i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO liegt vor, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war. Dabei ist ihm ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigen zuzurechnen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO ).

Die Richtigkeit des vorstehend wiedergegebenen Geschehens unterstellt, trifft den Prozessbevollmächtigten des Klägers ein eigenes Verschulden, unabhängig von Versäumnissen seiner Kanzleiangestellten, weil er selbst durch schuldhaftes Verhalten eine wesentliche Ursache dafür gesetzt hat, dass die Frist zur Beschwerdebegründung nicht eingehalten wurde. Denn er hat es zugelassen, dass das von ihm als fehlerhaft erkannte "Deckblatt", die Seite 1 des Beschwerdebegründungsschriftsatzes, mit der unzutreffenden Adressierung an das Bundesverwaltungsgericht im Geschäftsgang seiner Kanzlei verblieb, ohne hinreichende Vorsorge dagegen zu treffen, dass dieses Schriftstück aufgrund der fehlerhaften Adressierung an das unzutreffende Gericht übermittelt wurde. Zu solcher Vorsorge bestand für den Prozessbevollmächtigten des Klägers hier besonderer Anlass, weil er den Schriftsatz bereits unterschrieben hatte, er auf eine weitere eigene Kontrolle der zutreffenden Adressierung desselben verzichten wollte und die Korrektur und Übermittlung des Schriftsatzes im arbeitsteiligen, aber - wie der Streitfall zeigt - fehleranfälligen Wechsel verschiedener Kanzleimitarbeiterinnen erledigt werden sollten. Das eigene Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers bestand hier darin, dass er, nachdem er die unzutreffende Adressierung des Schriftsatzes erkannt hatte, die fehlerhafte Seite nicht sofort aus dem Geschäftsbetrieb seiner Kanzlei entfernte oder "ungültig" machte, z.B. indem er durch Zerreißen dieser Seite oder Durchstreichen der Adressierung kenntlich machte, dass diese Version nicht an das auf Seite 1 fälschlicherweise als Adressaten ausgewiesene Gericht übermittelt werden sollte, und dadurch zugleich sicherstellte, dass dies auch nicht infolge eines Versehens geschehen konnte (vgl. Beschluss vom 28. Februar 2008 - BVerwG 9 VR 2.08 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 262 Rn. 6 f. = DÖV 2008, 517 ; VGH Kassel, Beschluss vom 9. Januar 2004 - 9 UZ 3444/03 - NVwZ-RR 2004, 386 f.). Nachdem die unzutreffende Adressierung von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers erkannt worden war, bestand kein Grund, die fehlerhafte Seite 1 in der Entwurfsfassung (d.h. mit unkorrigierter Adressierung) aufzubewahren. Sie gehörte umgehend aus dem Kanzleibetrieb entfernt oder jedenfalls als nicht zur Versendung bestimmt kenntlich gemacht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 3 , § 47 Abs. 1 und 3 GKG .

Vorinstanz: OVG Sachsen-Anhalt, vom 02.09.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 4 L 572/04