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BVerwG - Entscheidung vom 08.12.2010

9 B 48.10

Normen:
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3

BVerwG, Beschluss vom 08.12.2010 - Aktenzeichen 9 B 48.10

DRsp Nr. 2011/800

Feststellung des Sachverhalts bei einem Streit um den Zeitpunkt der Einrichtung von Entwässerungsmöglichkeiten an einem Grundstück

Die Verfahrensrüge der "aktenwidrigen" Sachverhaltsfeststellung kann nur dann Erfolg haben, wenn zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt ein offensichtlicher Widerspruch gegeben ist, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf. Der Vorwurf einer falschen Rechtsanwendung kann insoweit nicht genügen.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6 572,34 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 108 Abs. 1 S. 1; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

Die Beschwerde macht einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ) geltend. Das Oberverwaltungsgericht habe aktenwidrig angenommen, dass dem Grundstück des Klägers erstmals 2007 eine ordnungsgemäße und der Planung des Einrichtungsträgers entsprechende Entwässerungsmöglichkeit vermittelt worden sei. Bei Berücksichtigung der sich aus den Akten ergebenden Tatsachen hätte sich ihm aufdrängen müssen, dass 2007 lediglich ein Austausch der Leitungen im Rahmen des Ausbaus vorgenommen worden sei.

Diese Rüge greift nicht durch. Die Verfahrensrüge, das Gericht habe den Sachverhalt "aktenwidrig" festgestellt, betrifft den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und das Gebot der sachgerechten Ausschöpfung des vorhandenen Prozessstoffes (vgl. § 86 Abs. 1 , § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ). Sie bedingt die schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss dieser Widerspruch offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf; der Widerspruch muss also "zweifelsfrei" sein (vgl. Beschluss vom 19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 - Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Rüge der Beschwerde zielt in der Sache auf die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Gemeinde G. habe im Jahr 1962 über keine Entwässerungsplanung verfügt, die die damals in der G-straße verlegte Kanalleitung als Bestandteil der örtlichen Entwässerungseinrichtung eingeschlossen hätte. Die ca. 400 m lange Kanalleitung sei ausschließlich zur Entwässerung des Schulgrundstücks verlegt worden und habe darüber hinaus nur der Aufnahme des Überlaufs aus der dort errichteten Sammelgrube gedient; später seien Baugenehmigungen im Bereich der G-straße teilweise mit der Erlaubnis verbunden gewesen, die jeweiligen Überläufe von Sammelgruben an die provisorische Kanalleitung anzuschließen.

Diese Annahmen sind nicht aktenwidrig. Ihre Behauptung, aus den Bestandsplänen der Beklagten ergebe sich, dass die Kanalleitung des Neubaugebietes "Kritsch" an die vorhandene Sammelleitung angeschlossen worden sei, begründet die Beschwerde nicht. Aus dem von der Beklagten vorgelegten, nicht datierten Plan "Bestand Kanal (alt)" lässt sich eine solche Schlussfolgerung ohne nähere Erläuterung der dort vorhandenen Eintragungen nicht ziehen. Der Plan "Bestand Kanal (neu)" aus dem Jahr 2006 weist in den aus nördlicher Richtung in die G-straße einmündenden Straßen "vorhandene" Mischwasserkanäle und in der G-straße einen "geplanten" Mischwasserkanal aus und spricht damit mehr für als gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die ursprünglich in der G-straße verlegte Kanalleitung habe nur provisorischen Charakter gehabt.

Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Kanalleitung sei nur provisorisch gewesen, ist auch nicht mit Blick auf die Aufforderung der Beklagten vom 23. April 1991, das anfallende Schmutz- und Niederschlagswasser der öffentlichen Kanalisation zuzuführen und alle privaten Hauskläranlagen, Sammelgruben und Sickergruben stillzulegen, aktenwidrig. Das Oberverwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, die Gemeinde habe mit der Erklärung im Jahr 1991 nicht die Absicht verbunden, die Kanalleitung in der G-straße als vollwertige und den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Entwässerungsbeseitigung genügende Kanalleitung in die von ihr geführte Entwässerungseinrichtung zu übernehmen. Gegen eine solche Absicht spreche die im Jahre 1996 geführte öffentliche Auseinandersetzung über die Notwendigkeit der Verlegung einer neuen Kanalleitung in der G-straße. Sie dokumentiere, dass der Einrichtungsträger nach wie vor von einem provisorischen Charakter der vorhandenen Kanalleitung und der Notwendigkeit, den Zustand zu ändern, ausgegangen sei. Darauf, ob diese Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts rechtlich mehr oder weniger überzeugen, kommt es im Rahmen der von der Beschwerde erhobenen Rüge der Aktenwidrigkeit ebenso wenig an wie darauf, ob sie in Übereinstimmung mit der bisherigen "einschlägigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz" stehen.

Entgegen der Auffassung der Beschwerde belegt die Angabe in der Baubeschreibung für ein Bauvorhaben des Vaters des Klägers vom 20. September 1966 nicht, dass die Kanalleitung dafür gedacht war, das von den angrenzenden Grundstücken stammende Schmutz- und Niederschlagswasser aufzunehmen. Die Baubeschreibung enthält nur eine Angabe zur Ableitung der Regenabwässer; diese sollten in die "vorh. Kanalisation geleitet" werden.

Die weitere Rüge, die Vorinstanz habe entgegen dem eindeutigen Akteninhalt und damit willkürlich angenommen, das Abwasserbeseitigungskonzept der Beklagten aus dem Jahr 1991 sei nicht entscheidungserheblich gewesen, trifft ebenfalls nicht zu. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass die Frage, ob ein ordnungsgemäßes Entwässerungskonzept umgesetzt worden sei, in erster Linie nach der tatsächlichen Entwässerungssituation und nicht den im Entwässerungskonzept hierzu - gewissermaßen bloß auf dem Papier - getroffenen Festlegungen zu beantworten sei. Die Beschwerde ist hingegen der Auffassung, dem Abwasserbeseitigungskonzept komme nicht nur eine widerlegliche Indizwirkung zu, sondern im Hinblick auf die eindeutigen gesetzlichen Bestimmungen ergebe sich eine Verpflichtung der Beklagten, dieses Abwasserbeseitigungskonzept zur Genehmigung vorzulegen, sodass die dortigen Feststellungen den Planungswillen und den Planungsstand verbindlich festlegten. Dass die Begründung der Vorinstanz vor dem Hintergrund der Aktenlage nicht mehr vertretbar ist, ist damit nicht dargetan. Die Kritik der Beschwerde erschöpft sich vielmehr darin, dem Oberverwaltungsgericht unter dem Mantel der Aktenwidrigkeit eine falsche Rechtsanwendung vorzuwerfen.

Einen offensichtlichen Widerspruch zwischen der Annahme des Oberverwaltungsgerichts, erst 2007 sei eine vollwertige Mischwasserleitung vorhanden gewesen, und dem Akteninhalt sieht die Beschwerde ferner darin, dass im Abwasserbeseitigungskonzept für die Jahre 1999 - 2004 die Fertigstellung des kompletten Abwasserbeseitigungssystems im Gemeindegebiet der Beklagten bestätigt worden sei. Dies trifft nicht zu. In der von der Beschwerde zitierten Passage aus dem 1999 erstellten Abwasserbeseitigungskonzept ist davon die Rede, dass der "größte Teil" bzw. "alle wesentlichen Entwässerungsmaßnahmen" des bisherigen Abwasserkonzepts abgeschlossen seien. Dass die Herstellung einer vollwertigen Leitung in der G-straße der Ortsgemeinde G. eine wesentliche Entwässerungsmaßnahme im Gemeindegebiet der Beklagten war und deswegen die Formulierung im Abwasserbeseitigungskonzept 1999 - 2004 nur so verstanden werden kann, dass auch diese Maßnahme bereits vor 1999 abgeschlossen gewesen ist, wird von der Beschwerde nicht dargelegt. Hierfür ist auch sonst nichts ersichtlich.

Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dem Vater des Klägers sei der lediglich provisorische Charakter der ursprünglichen Kanalleitung in der G-straße offensichtlich bewusst gewesen, wie sich daran zeige, dass er entsprechenden Vorauszahlungsbescheiden nachgekommen sei, ist ebenfalls nicht aktenwidrig. Das Oberverwaltungsgericht hat insoweit - anders als die Beschwerde meint - keine Tatsachenfeststellung getroffen, sondern aus der unstreitigen Tatsache der Vorauszahlungen durch den Vater des Klägers darauf geschlossen, dass diesem der provisorische Charakter der ursprünglichen Kanalleitung bekannt gewesen sein müsse. Dies ist eine jedenfalls vertretbare Schlussfolgerung. Gleiches gilt, soweit das Oberverwaltungsgericht der Auffassung ist, die Vorauszahlungsbescheide hätten sich zumindest auch auf die erstmalige Herstellung von Kanalhauptleitungen in der Ortsgemeinde G. bezogen, da ansonsten die Heranziehung dortiger Anlieger zu solchen Vorauszahlungen nicht in Betracht gekommen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 3 GKG .

Vorinstanz: OVG Rheinland-Pfalz, vom 24.02.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 6 A 10975/09