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BVerfG - Entscheidung vom 10.09.2010

2 BvR 2242/09

Normen:
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 2
StPO § 359 Nr. 5
StPO § 458 Abs. 1

Fundstellen:
JuS 2011, 83

BVerfG, Beschluss vom 10.09.2010 - Aktenzeichen 2 BvR 2242/09

DRsp Nr. 2010/18479

Gewährleistung einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung und einer der Bedeutung der Freiheitsgarantie entsprechenden in tatsächlicher Hinsicht genügenden Grundlage durch ein den Entzug der persönlichen Freiheit betreffendes rechtsstaatliches Verfahren; Richten von strafgerichtlichen Urteilen gegen die tatsächlich in der Hauptverhandlung anwesende Person unabhängig von der Richtigkeit der in der Anklageschrift und im Urteil angegebenen Personalien; Zulässigkeit von Urteilsberichtigungen bei Vorliegen eines für alle Verfahrensbeteiligten offenkundigen Versehens

1. Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes enthält die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, der die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Verfahrensgegenstands ermöglichen muss. 2. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verleiht dem Einzelnen einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Dieses Grundrecht ist verletzt, wenn die Gerichte die prozessrechtlichen Möglichkeiten zur Sachverhaltsfeststellung so eng auslegen, dass ihnen eine sachliche Prüfung derjenigen Fragen, die ihnen vorgelegt worden sind, nicht möglich ist und das vom Gesetzgeber verfolgte Verfahrensziel deshalb nicht erreicht werden kann. 3. Aus dem Prozessgrundrecht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren ergeben sich Mindesterfordernisse für die Ausgestaltung des Strafverfahrens; diese hat eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht nur im prozessualen Hauptverfahren, sondern auch für die im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen zu gewährleisten. 4. Ein rechtsstaatliches Verfahren muss gewährleisten, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht. 5. Strafgerichtliche Urteile richten sich nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum gegen diejenige Person, gegen die Anklage erhoben wurde und die tatsächlich in der Hauptverhandlung anwesend war, unabhängig davon, ob die Personalien in der Anklageschrift und im Urteil richtig angegeben sind. Nimmt daher der richtige Angeklagte unter einem falschem Namen an der Hauptverhandlung teil und wird er unter diesem falschen Namen verurteilt, so ist das Urteil gegen ihn wirksam. Lässt sich die wahre Identität des Verurteilten im Nachhinein feststellen, können Rubrum, Tenor und Urteilsgründe entsprechend berichtigt werden. 6. Bei der Frage nach der Identität der verurteilten Person handelt es sich um eine Frage der "Auslegung eines Strafurteils". 7. Im Schrifttum wird davon ausgegangen, dass die Falschbezeichnung des Verurteilten nach Rechtskraft des Urteils mit einem Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr. 5 StPO geltend gemacht werden kann.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 1 ; GG Art. 2 Abs. 2 ; StPO § 359 Nr. 5 ; StPO § 458 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Ablehnung der Berichtigung eines Strafurteils; er macht geltend, trotz des auf seine Personalien lautenden Urteils nicht die Person zu sein, gegen die das Verfahren geführt wurde und die in der Hauptverhandlung anwesend war.

1.

a)

Das Amtsgericht Tiergarten hat mit Urteil vom 21. August 2003 gegen einen "Herrn T. K." wegen gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von neun Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die in dem Verfahren verwendeten und auch in dem schriftlichen Urteil angegebenen Personalien des Angeklagten sind die des Beschwerdeführers. Innerhalb der Wochenfrist nach § 314 Abs. 1 StPO wurden Rechtsmittel gegen das Urteil nicht eingelegt. Das schriftliche Urteil wurde dem Beschwerdeführer formlos ohne Rechtsmittelbelehrung übersandt; es ging ihm offenbar am 1. Oktober 2003 unter seiner Anschrift zu.

b)

Mit einem als "Rechtsmittel" bezeichneten, mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Schreiben vom 13. Oktober 2003 machte der Beschwerdeführer geltend, trotz übereinstimmender Personalien nicht die in der Hauptverhandlung erschienene und verurteilte Person zu sein und auch mit dem der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nichts zu tun zu haben. Bei der Gerichtshilfe gab der Beschwerdeführer an, schon vor geraumer Zeit seine Legitimationspapiere verloren zu haben, die wohl ein anderer gefunden und missbraucht habe. Das Landgericht Berlin legte das Rechtsmittel als Berufung, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist aus und verwarf beides mit Beschluss vom 23. Januar 2004 als unzulässig; nachdem dem Beschwerdeführer das schriftliche Urteil spätestens am 1. Oktober 2003 zugegangen sei, sei der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erst nach Ablauf der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO und mithin verspätet eingegangen.

Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer gleichzeitig "die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 359 Abs. 5 StPO " beantragte, gab das Kammergericht mit Beschluss vom 23. März 2004 ( 5 Ws 100/04, NStZ-RR 2004, S. 240 ff.) statt. Das Kammergericht führte aus: Wäre in dem Schreiben des Beschwerdeführers tatsächlich, wie vom Landgericht angenommen, eine Berufung zu sehen gewesen, hätte ihm die Wiedereinsetzung nicht versagt werden dürfen, da auf der Grundlage des Vorbringens davon auszugehen sei, dass ihm das Urteil ohne Rechtsmittelbelehrung zugegangen sei, was nach § 44 Satz 2 StPO zur Wiedereinsetzung führe. Tatsächlich sei das Rechtsmittel jedoch anderweitig auszulegen. Betroffen von einer strafrechtlichen Erkenntnis sei nur diejenige Person, gegen die Anklage erhoben worden sei und die tatsächlich vor Gericht gestanden habe, auch dann, wenn die angegebenen Personalien unrichtig gewesen seien. Zur Beseitigung des Anscheins, wegen einer Straftat verurteilt zu sein, sei die Berufung nicht zulässig; der entgegenstehenden Auffassung des Oberlandesgerichts Köln folge der Senat nicht. Könne nachträglich festgestellt werden, dass der Verurteilte mit dem Träger des im Urteil bezeichneten Namens nicht identisch sei, sei die Rubrumsberichtigung zulässig, weil sie in diesem Falle mit einer sachlichen Änderung des Urteils nicht verbunden sei und vielmehr nur Formalcharakter habe. Falls sich nach Rechtskraft des Urteils allen Verfahrensbeteiligten und jedem Dritten, der den gesamten Vorgang kenne, die Falschbezeichnung deutlich offenbare, sei das Gericht daher aus Gründen der Rechtssicherheit verpflichtet, eine Klarstellung herbeizuführen. Bei sachdienlicher Auslegung habe der Beschwerdeführer daher keine Berufung eingelegt. Sein Begehren sei nunmehr in erster Linie vom Amtsgericht als Antrag auf Berichtigung zu behandeln, zudem - da die Staatsanwaltschaft das Urteil bereits vollstrecke - als Einwendung gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung nach § 458 Abs. 1 StPO .

c)

In der Folge lehnte das Amtsgericht Tiergarten den Antrag des Beschwerdeführers vom 13. Oktober 2003 mit Beschluss vom 18. August 2004 ab, soweit darin nun ein Antrag auf Rubrumsberichtigung gesehen wurde. Der Antrag sei unbegründet, weil davon auszugehen sei, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um den Verurteilten handle, der nur versuche, mit einem Trick seiner Verurteilung zu entgehen. Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde vom 8. März 2005 machte der Beschwerdeführer nunmehr (erstmals) geltend, der wahre Täter und Verurteilte sei ein Herr T., dem der Beschwerdeführer seinen Ausweis zeitweise überlassen habe und der dem Beschwerdeführer, nachdem dieser die Ladung zur Hauptverhandlung erhalten hätte, versprochen habe, die Sache zu regeln. Das Landgericht Berlin verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom 12. April 2005 als unbegründet, da eine Berichtigung der Urteilsgründe durch Änderung des Namens des Verurteilten nur dann in Betracht komme, wenn es sich um einen offensichtlichen Fehler handle. Jedenfalls das sei hier nicht der Fall.

Auch die Einstellung der Vollstreckung nach § 458 Abs. 1 StPO lehnte das Amtsgericht Tiergarten mit Beschluss vom 2. Februar 2006 "aus den weiterhin zutreffenden Gründen aus den Beschlüssen des Amtsgerichts Tiergarten vom 18.8.2004 und des Landgerichts Berlin [...] vom 12.4.2005" als unbegründet ab. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers blieb erfolglos.

d)

Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2007 beantragte der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer erneut, das Rubrum des Urteils vom 21. August 2003 dahin zu berichtigen, dass der Verurteilte Herr T. sei; gleichzeitig beantragte er "gemäß § 458 Abs. 3 StPO , die Unterbrechung der Vollstreckung anzuordnen". Die Bevollmächtigte des Beschwerdeführers trug vor, Herr T. sei bei ihr gewesen und habe die Tat zugegeben. Dies versicherte eine Mitarbeiterin der Bevollmächtigten schriftlich an Eides Statt. Unter dem 9. Oktober 2007 teilte Herr T. dem Amtsgericht über einen Rechtsanwalt mit, er sei die im Hauptverhandlungstermin erschienene und verurteilte Person und habe - wie auch schon im Ermittlungsverfahren - die Personalien des Beschwerdeführers angegeben.

Nachdem der zuletzt genannte Schriftsatz dem zuständigen Richter zunächst offenbar nicht vorgelegt worden war, lehnte das Amtsgericht Tiergarten die Anträge des Beschwerdeführers mit dem angegriffenen Beschluss vom 10. Juni 2009 mit der Begründung ab, dass der Antrag auf Berichtigung des Urteilsrubrums unzulässig sei, nachdem ein gleichlautender Antrag bereits rechtskräftig abgelehnt worden sei und der erneute Antrag sich auch nicht auf neue Tatsachen stütze. Hilfsweise verwies das Amtsgericht auf die ablehnenden Gründe der bisherigen Beschlüsse. Weil eine Berichtigung des Urteilsrubrums auszuscheiden habe, sei zudem kein Raum für eine Unterbrechung der Strafvollstreckung nach Maßgabe von § 458 Abs. 3 StPO .

Mit Schreiben vom 19. Juni 2009 legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Urteilsberichtigung ein. Er machte insbesondere geltend, dass neue Tatsachen vorlägen, und beanstandete zudem, dass die Entscheidung auf der Grundlage lediglich des Vollstreckungshefts ergangen sei, nachdem die Verfahrensakte nicht aufgefunden werden konnte. Das Landgericht Berlin legte das Rechtsmittel als Beschwerde aus und verwarf diese mit dem angegriffenen Beschluss vom 20. August 2009. Zwar spreche die Tatsache, dass Herr T. nunmehr die Begehung der Tat eingeräumt habe, für das Vorliegen neuer Tatsachen. Dies müsse indes nicht entschieden werden. Der Antrag habe jedenfalls in der Sache keine Aussicht auf Erfolg, da eine für alle Verfahrensbeteiligten offensichtliche Unrichtigkeit des Urteils nicht vorliege; vielmehr sei es ohne weitere umfängliche Ermittlungen nicht aufklärbar, ob der Beschwerdeführer oder Herr T. an der Hauptverhandlung teilgenommen habe und verurteilt worden sei.

e)

Die Staatsanwaltschaft Berlin betreibt nach wie vor die Vollstreckung des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. August 2003 gegen den Beschwerdeführer. Nachdem zwischenzeitlich die Aussetzung der Vollstreckung der in dem Urteil verhängten Strafe zur Bewährung widerrufen worden ist, ist der Beschwerdeführer aktuell zum Strafantritt in der Justizvollzugsanstalt Offenburg geladen worden.

2.

Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde beanstandet der Beschwerdeführer die jüngsten Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten und des Landgerichts Berlin, soweit damit die Berichtigung des Urteils erneut abgelehnt wurde. Er rügt die Verletzung von Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 , Art. 101 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG . Amtsgericht wie Landgericht hätten ihre Verpflichtung zur Sachaufklärung nicht erfüllt, indem sie ohne mündliche Verhandlung und ohne die Ermittlungsakte entschieden hätten. Die Gerichte hätten aufklären müssen, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers und des Herrn T. zutreffend gewesen sei. Das Amtsgericht habe zudem Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es schon das Vorliegen neuer Tatsachen in Abrede gestellt und den erneuten Berichtigungsantrag für unzulässig gehalten habe.

3.

Die Senatsverwaltung für Justiz Berlin hat von der ihr eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat ein Doppel der - unvollständigen - Ersatzakten und ein Doppel des Vollstreckungshefts übersandt und mitgeteilt, dass die Sachakten außer Kontrolle geraten seien und nicht aufgefunden werden könnten.

Der Generalbundesanwalt hat zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen; er hält sie für weder zulässig noch begründet. Der Beschwerdeführer hat auf die Stellungnahme des Generalbundesanwalts mit Schreiben vom 5. Juli 2010 repliziert.

II.

Die Verfassungsbescherde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>; 96, 245 <248 ff.>).

Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 20. August 2009 wendet, ist sie jedenfalls unbegründet, da die Ablehnung der beantragten Urteilsberichtigung den Beschwerdeführer nicht in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt, insbesondere nicht in dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 , Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.

1.

a)

Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes enthält die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, der die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Verfahrensgegenstands ermöglichen muss (vgl. BVerfGE 54, 277 <291>). Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verleiht dem Einzelnen einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Dieses Grundrecht ist verletzt, wenn die Gerichte die prozessrechtlichen Möglichkeiten zur Sachverhaltsfeststellung so eng auslegen, dass ihnen eine sachliche Prüfung derjenigen Fragen, die ihnen vorgelegt worden sind, nicht möglich ist und das vom Gesetzgeber verfolgte Verfahrensziel deshalb nicht erreicht werden kann (vgl. BVerfGE 101, 275 <294 f.> unter Hinweis auf BVerfGE 53, 115 <127 f.>; 78, 88 <98 f.>).

b)

Aus dem Prozessgrundrecht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren ergeben sich Mindesterfordernisse für die Ausgestaltung des Strafverfahrens; diese hat eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht nur im prozessualen Hauptverfahren, sondern auch für die im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen zu gewährleisten (vgl. hierzu und zu dem Folgenden BVerfGE 86, 288 <317>). Dieser rechtsstaatliche Auftrag bezieht sich nicht nur auf die Aufklärung des äußeren Tatgeschehens, sondern erfasst wegen des Schuldprinzips alle Merkmale, die für die Beurteilung der strafrechtlichen Schuld und für die Strafzumessung von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 80, 367 <378>). Ein rechtsstaatliches Verfahren muss gewährleisten, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (BVerfGE 70, 297 <308>). Allerdings bedarf das Recht auf ein rechtsstaatliches faires Verfahren der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Erst wenn sich unzweideutig ergibt, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind, können aus dem Prinzip selbst konkrete Folgerungen für die Verfahrensgestaltung gezogen werden; diese haben sich tunlichst im Rahmen der vom Gesetzgeber gewählten Grundstruktur des Verfahrens zu halten (vgl. BVerfGE 57, 250 <276>; 70, 297 <309>).

2.

Nach diesen Maßstäben ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss eine Urteilsberichtigung ohne weitere Sachaufklärung abgelehnt hat.

Zwar hat der Beschwerdeführer mit der schriftlichen Erklärung des anwaltlich vertretenen Herrn T. substantiierte Anhaltspunkte für eine mögliche Unrichtigkeit der in dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. August 2003 genannten Personalien aufgezeigt. Die dargelegten verfassungsrechtlichen Grundsätze gebieten jedoch nicht, dass die vom Beschwerdeführer erstrebte Aufklärung gerade im - gesetzlich nicht geregelten - Verfahren über die Urteilsberichtigung stattzufinden hätte (dazu unter a); dem Beschwerdeführer stehen andere, hinreichend effektive prozessuale Mittel zur Verfügung (b).

a)

Strafgerichtliche Urteile richten sich nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum gegen diejenige Person, gegen die Anklage erhoben wurde und die tatsächlich in der Hauptverhandlung anwesend war, unabhängig davon, ob die Personalien in der Anklageschrift und im Urteil richtig angegeben sind. Nimmt daher der richtige Angeklagte unter einem falschem Namen an der Hauptverhandlung teil und wird er unter diesem falschen Namen verurteilt, so ist das Urteil gegen ihn wirksam (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 1995 - 2 StR 385/95 -, NStZ-RR 1996, S. 9 ; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Februar 1994 - 1 Ws 87/94 -, NStZ 1994, S. 355 ; OLG Köln, Beschluss vom 16. März 1983 - 2 Ws 176/83 -, MDR 1983, S. 865; Schoreit, in: Karlsruher Kommentar zur StPO , 6. Aufl. 2008, § 155 Rn. 7). Lässt sich die wahre Identität des Verurteilten im Nachhinein feststellen, können Rubrum, Tenor und Urteilsgründe entsprechend berichtigt werden.

Allerdings kennt die Strafprozessordnung - anders als beispielsweise die Zivilprozessordnung319 ) - keine Bestimmungen über die Berichtigung des schriftlichen Urteils. Dennoch sind Urteilsberichtigungen nach herrschender Auffassung immer dann zulässig, wenn ein Versehen vorliegt, dass für alle Verfahrensbeteiligten offenkundig ist. Danach dürfen nicht nur reine Schreibfehler oder sonstige äußere Unstimmigkeiten berichtigt werden, die sich aus der Urteilsurkunde selbst ohne Weiteres ergeben, sondern auch andere unzweifelhafte Irrtümer, wenn für die Prozessbeteiligten aus anderen Verfahrensvorgängen, beispielsweise der mündlichen Urteilsbegründung, die Divergenz zwischen erkennbar Gewolltem und mündlich oder schriftlich Formuliertem offenkundig war. Jedoch muss der Verdacht, dass sich hinter der Berichtigung in Wahrheit die sachliche Änderung eines inhaltlich anders beschlossenen Urteils verbirgt, in jedem Fall ausgeschlossen sein (vgl. eingehend BGH, Urteil vom 14. November 1990 - 3 StR 310/90 -, NJW 1991, S. 1900 <1901>; ferner Pfeiffer, StPO , 5. Aufl. 2005, § 267 Rn. 27; Engelhardt, in: Karlsruher Kommentar zur StPO , 6. Aufl. 2008, § 267 Rn. 46, jeweils m.w.N.).

Diese Voraussetzungen können zwar nach heute wohl einhelliger Ansicht (anders noch BayObLG, Beschluss vom 8. Mai 1929 - BeschwReg. I Nr. 118/29 -, JW 1929, S. 2750) auch dann erfüllt sein, wenn sich die wahre Identität des Verurteilten im Nachhinein zweifelsfrei ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 1995 - 2 StR 385/95 -, NStZ-RR 1996, S. 9 ), gegebenenfalls auch nach einer im Freibeweisverfahren vorgenommenen Aufklärung. Sind die Voraussetzungen erfüllt, dürfte eine Pflicht zur Berichtigung bestehen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Februar 1994 - 1 Ws 87/94 -, NStZ 1994, S. 355 ). Dennoch sind der Berichtigung relativ enge Grenzen gezogen. Zu Recht betont die Rechtsprechung, dass der Verdacht, hinter der Berichtigung verberge sich in Wahrheit die sachliche Änderung eines inhaltlich anders beschlossenen Urteils, in jedem Fall ausgeschlossen sein muss. Diese Einschränkung trägt dem mit verfassungsrechtlichem Gewicht ausgestatteten Grundsatz der Rechtssicherheit (vgl. BVerfGE 2, 380 <403 ff.>; 22, 322 <329>; 47, 146 <161>) Rechnung und verhindert zugleich eine Umgehung der gerade auch den Interessen des Beschuldigten dienenden strengen strafprozessualen Vorschriften über die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung oder im Wiederaufnahmeverfahren. Danach wird eine Urteilsberichtigung im Hinblick auf die Personalien des Verurteilten nur in sehr eindeutigen Fällen in Betracht kommen, zumal in Fällen wie dem vorliegenden auch den Interessen der weiteren Person Rechnung zu tragen ist, auf deren Personalien das Urteil nach Berichtigung lauten würde.

Nachvollziehbar ist das Landgericht im vorliegenden Fall zu dem Schluss gekommen, dass eine Urteilsberichtigung deshalb nicht mehr in Frage kam, weil sich unabhängig von dem Ergebnis einer möglichen weiteren Sachaufklärung jedenfalls der Verdacht, hinter der Berichtigung verberge sich die sachliche Änderung eines inhaltlich anders beschlossenen Urteils, bei unbefangener Betrachtung nicht mehr ausschließen ließe. Allein die Tatsache, dass - wie auch der Beschwerdeführer sieht - in nicht unerheblichem Maße weitere Aufklärung, etwa durch Vernehmung des Herrn T. oder eine Gegenüberstellung mit den seinerzeitigen Verfahrensbeteiligten, erforderlich gewesen wäre, zeigt schon, dass im Ergebnis von einer "offenkundigen", zweifellosen Unrichtigkeit kaum mehr hätte gesprochen werden können.

b)

Die Strafprozessordnung stellt dem Beschwerdeführer andere, geeignete Instrumente zur Verfolgung seines prozessualen Ziels zur Verfügung. Der Beschwerdeführer kann sie nach wie vor nutzen.

aa)

Der Beschwerdeführer kann - wie bereits das Kammergericht in seinem Beschluss vom 23. März 2004 ausgeführt hat - nach § 458 Abs. 1 StPO Einwendungen gegen die Vollstreckung des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. August 2003 erheben. Denn bei der Frage nach der Identität der verurteilten Person handelt es sich um eine Frage der "Auslegung eines Strafurteils" (vgl. auch Appl, in: Karlsruher Kommentar zur StPO , § 458 Rn. 12; Meyer-Goßner, StPO , 52. Aufl. 2009, § 458 Rn. 10; Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, StPO , Bd. 6, 25. Aufl. 2001, § 458 Rn. 9). Für den Fall, dass substantiierte Einwände erhoben werden, ist diesen von dem nach §§ 462 , 462a StPO zuständigen Gericht nachzugehen. Im Verfahren nach § 458 Abs. 1 StPO hätte der Beschwerdeführer nicht erst bei Vorliegen einer offensichtlichen Unrichtigkeit Erfolg; hier würde es genügen, wenn nach allgemeinen Grundsätzen zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden könnte, dass der Beschwerdeführer nicht der richtige Verurteilte ist. Auf den im Verfahren nach § 458 Abs. 1 StPO geltenden, für den Beschwerdeführer günstigeren Prüfungsmaßstab hat auch das Landgericht Berlin bereits mit seinem Beschluss vom 12. April 2005 hingewiesen. In einem solchen Verfahren könnte eine weitere Aufklärung des Sachverhalts mithin nicht aus den in den angefochtenen Entscheidungen genannten Gründen abgelehnt werden.

Der Beschwerdeführer kann einen solchen Antrag auch jetzt noch stellen. Insbesondere steht dem eine rechtskräftige Ablehnung nicht entgegen. Im Hinblick auf die ablehnenden Beschlüsse des Amts- und Landgerichts vom 2. Februar und 31. März 2006 kann der Beschwerdeführer sich auf neue Beweismittel, nämlich die Erklärung des Herrn T., stützen. Mit den angefochtenen Beschlüssen wiederum haben Amts- und Landgericht einen Antrag nach § 458 Abs. 1 StPO nicht abgelehnt, da sie das Begehren des Beschwerdeführers nicht in diesem Sinne verstanden haben - auch wenn ein solches Verständnis oder zumindest die Erteilung eines sachdienlichen Hinweises angesichts der bisherigen Verfahrensgeschichte nicht fern gelegen hätten, zumal nach §§ 462 , 462a StPO Amtsgericht und Landgericht auch für die Bescheidung eines Antrags nach § 458 Abs. 1 StPO zuständig gewesen wären, nachdem der Beschwerdeführer sich nicht in Haft befand.

bb)

Ferner könnte der Beschwerdeführer, wie der Generalbundesanwalt ausgeführt hat, das Wiederaufnahmeverfahren (§ 359 Nr. 5 StPO ) betreiben. Einen auf die schriftliche Erklärung des Herrn T. als neues Beweismittel gestützten Wiederaufnahmeantrag hat der Beschwerdeführer bislang nicht gestellt. Im Schrifttum wird davon ausgegangen, dass die Falschbezeichnung des Verurteilten nach Rechtskraft des Urteils mit einem Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr. 5 StPO geltend gemacht werden kann (vgl. Perels, NStZ 1985, S. 538 ff., sowie Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO , Bd. 5, 25. Aufl. 2003, § 359 Rn. 62).

Der Zulässigkeit und den Erfolgsaussichten eines solchen Antrags stünde auch der Beschluss des Kammergerichts vom 23. März 2004 nicht von vornherein entgegen. Insofern kann dahinstehen, ob es sachgerecht war, entgegen der wohl überwiegenden Meinung (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16. März 1983 - 2 Ws 176/83 -, MDR 1983, S. 865; Paul, in: Karlsruher Kommentar zur StPO , 6. Aufl. 2008, Vor § 296 Rn. 5a; Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO , Bd. 5, 25. Aufl. 2003, § 312 Rn. 3; Hanack, in: Löwe-Rosenberg, StPO , Bd. 5, 25. Aufl. 2003, § 296 Rn. 2; offen BGH, Beschluss vom 9. August 1995 - 2 StR 385/95 -, NStZ-RR 1996, S. 9 ) eine Beschwer des nach eigenem Vortrag nur zum Schein verurteilten Beschwerdeführers zu verneinen, obwohl eine Urteilsberichtigung nicht stattgefunden hatte. Denn jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt dürfte sich nicht mehr bestreiten lassen, dass der Beschwerdeführer durch das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. August 2003 beschwert ist. Dies gilt jedenfalls, solange die

- derzeit sehr konkrete - Gefahr einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem betreffenden Urteil gegen den Beschwerdeführer nicht auf andere Weise beseitigt ist.

cc)

Ob unter den aufgezeigten prozessualen Wegen ein Rangverhältnis besteht - etwa dergestalt, dass zunächst der Weg nach § 458 Abs. 1 StPO zu beschreiten und ein Wiederaufnahmeverfahren zunächst zurückzustellen wäre - ist verfassungsrechtlich nicht vorgezeichnet und muss gegebenenfalls auf Antrag des Beschwerdeführers von den Fachgerichten entschieden werden.

3.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 20.08.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 534 Qs 123/09
Vorinstanz: AG Berlin-Tiergarten, vom 10.06.2009 - Vorinstanzaktenzeichen J 11/124
Fundstellen
JuS 2011, 83