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BSG - Entscheidung vom 02.03.2010

B 5 R 104/07 R

Normen:
SGB IX § 45 Abs. 8
SGB IX § 46
SGB IX § 47 Abs. 1 S. 2
SGB VI § 20 Nr. 1
SGG § 77
SGG § 87

BSG, Urteil vom 02.03.2010 - Aktenzeichen B 5 R 104/07 R

DRsp Nr. 2010/8428

Teilhabe am Arbeitsleben; Berechnung des Übergangsgeldes; Berücksichtigung arbeitsfreier Samstage

Für die Auslegung eines Verwaltungsaktes kommt es grundsätzlich auf den Empfängerhorizont an, dh. darauf, wie Adressaten und Drittbetroffene den Verwaltungsakt nach Treu und Glauben verstehen mussten bzw. durften. Dabei ist vom Wortlaut des verfügenden Teils unter Zuhilfenahme der Begründung auszugehen und anzunehmen, dass kein Verwaltungsakt seine wesentlichen Aussagen als "überraschende Klauseln" in seiner Begründung verbirgt (hier: zur Berechnung und zum Anspruch von Übergangsgeld für arbeitsfreie Samstage bei einer Weiterbildung zum Industriemeister im Rahmen einer Teilhabe am Arbeitsleben). [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Juli 2007 aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger auch für jeden Samstag der Inanspruchnahme von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Übergangsgeld zu gewähren. Die hierauf gerichtete Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger für das Klage- und Berufungsverfahren 1/6 seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Für das Revisionsverfahren haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGB IX § 45 Abs. 8 ; SGB IX § 46 ; SGB IX § 47 Abs. 1 S. 2; SGB VI § 20 Nr. 1 ; SGG § 77 ; SGG § 87 ;

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Übergangsgeld auch für arbeitsfreie Samstage während einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Der 1964 geborene Kläger war nach Ausbildung zum Elektroinstallateur bis 1997 in diesem Beruf tätig und danach als Betriebselektriker sowie Haustechniker und ab 2003 wieder als Betriebselektriker beschäftigt. Er ist Vater zweier 1984 und 1996 geborener Kinder.

Wegen Beschwerden am rechten Knie beantragte der Kläger am 6.10.2003 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Weiterbildung zum Industriemeister in Teilzeit. Mit Bescheid vom 11.2.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger die Weiterbildung zum Industriemeister-Elektrotechnik in Teilzeit für eine voraussichtliche Dauer von 17 Monaten. Die Weiterbildung wurde vom 5.2.2004 bis 28.7.2005 - unterbrochen durch Ferienzeiten - jeweils am Donnerstag, Freitag und Samstag und vom 17.9.2005 bis Oktober 2005 - mit Ausnahme der Prüfungstage - nur noch samstags durchgeführt. Der Kläger war von Montag bis Mittwoch bei seinem bisherigen Arbeitgeber versicherungspflichtig beschäftigt und nahm für die Schulungstage am Donnerstag und Freitag jeweils unbezahlten Urlaub. Die Weiterbildung schloss er erfolgreich ab.

Für die Dauer der Teilhabeleistung ab 5.2.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 29.4.2004 Übergangsgeld in Höhe von kalendertäglich 51,81 Euro. Ferner heißt es in dem Bescheid: "Anspruch auf Übergangsgeld besteht nur an den vertraglich geregelten Arbeitstagen, an denen unbezahlter Urlaub beantragt wurde. An den Samstagen besteht somit kein Übergangsgeldanspruch, da es sich nicht um einen arbeitsvertraglich geregelten Arbeitstag handelt." Die Höhe des Übergangsgeldes berechnete die Beklagte nach §§ 46 und 47 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB IX ). Dabei legte sie für Januar 2004 ein Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 1.844,77 Euro zugrunde, das durch 154 (Zahl der bezahlten Stunden) geteilt, mit 36 (Anzahl der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden) vervielfacht, durch 7 geteilt und zu dem der Hinzurechnungsbetrag für einmalig gezahltes Arbeitsentgelt in Höhe von 7,47 Euro addiert wurde. Von diesem Betrag setzte die Beklagte 75 % als kalendertägliches Übergangsgeld an. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 17.8.2004) hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Augsburg ( SG ) erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen. Hierzu hat er ausgeführt, dass "lediglich die Höhe des zu bewilligenden Übergangsgeldes" streitig sei. Das Übergangsgeld müsse sich auf 71,76 Euro und nicht lediglich 51,81 Euro belaufen. Die Summe von 71,76 Euro entspreche 75 % des zuletzt erzielten Nettoeinkommens, auf die er einen Rechtsanspruch habe. § 47 SGB IX sei im Falle der Weiterbildung in Teilzeit nicht anwendbar. Bei der Berechnung des beanspruchten Betrages hat der Kläger "2 reguläre Arbeitstage", an denen er "die Schule besucht hat" zugrunde gelegt. Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 17.11.2005 als unbegründet abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt und in der mündlichen Verhandlung vom 25.7.2007 die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Übergangsgeld in Höhe von 71,76 Euro täglich begehrt. Mit Urteil vom selben Tag hat das LSG unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen den Gerichtsbescheid vom 17.11.2005 geändert und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 29.4.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.8.2004 verurteilt, dem Kläger für jeden Kalendertag der Inanspruchnahme von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Übergangsgeld in Höhe von 55,21 Euro zu gewähren. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausgeführt: Der Kläger habe nach dem Wortlaut des § 20 Nr 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB VI ) während der Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Anspruch auf Übergangsgeld dem Grunde nach, auch wenn die Maßnahme an - nach dem Arbeitsvertrag arbeitsfreien - Samstagen stattfinde. Als akzessorische Leistung hänge die Anspruchsdauer des Übergangsgeldes von der Maßnahmedauer ab. § 20 SGB VI unterscheide nicht zwischen Vollzeit- und Teilzeitrehabilitanden oder zwischen Kalender- und Arbeitstagen. Zudem sei nach dem Grundsatz der Einheit des SGB IX bei der Beurteilung der Gewährung von Übergangsgeld dem Grunde und der Höhe nach der gleiche Anknüpfungspunkt anzuwenden. Nach § 45 Abs 8 Halbsatz 1 SGB IX werde Übergangsgeld für Kalendertage gezahlt; § 47 Abs 1 Satz 2 SGB IX teile das ermittelte Regelentgelt durch 7 und lege somit der Berechnung ein für jeden Kalendertag ermitteltes Regelentgelt zugrunde. Werde aber die Höhe des Übergangsgeldes für jeden einzelnen Kalendertag berechnet, stehe dem Versicherten ein Anspruch auf Übergangsgeld dem Grunde nach auch für jeden Kalendertag der Inanspruchnahme von Leistungen, und damit auch für Samstage zu, falls an diesen eine Teilhabeleistung durchgeführt werde. Das kalendertägliche Übergangsgeld sei mit 55,21 Euro und nicht nur 51,81 Euro anzusetzen, weil die im Berufungsverfahren vorgelegte Arbeitgeberbescheinigung höhere Entgelte für Januar 2004 ausgewiesen habe (2.849,87 Euro brutto, 1.980,49 Euro netto) als die im Verwaltungsverfahren genannten und bei der Berechnung der Beklagten berücksichtigten Entgelte (2.538,44 Euro brutto, 1.844,77 Euro netto). Die Berechnung von Übergangsgeld erfordere auch bei Teilzeitrehabilitanden nach dem eindeutigen Wortlaut des § 47 Abs 1 Satz 2 SGB IX eine Teilung durch die Zahl 7 und nicht durch 5.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen die Verpflichtung, Übergangsgeld auch für Samstage zu zahlen. Teilzeitrehabilitanden hätten Anspruch auf Übergangsgeld nur für die Arbeitstage, an denen die Maßnahme stattfinde. Die Gesetzesauslegung des LSG verletze § 20 SGB VI . Das Übergangsgeld sei eine Entgeltersatzleistung und solle dem Rehabilitanden nur zugute kommen, soweit er wegen der Teilnahme an der Rehabilitationsmaßnahme kein Arbeitseinkommen erzielen könne. Er dürfe nicht mehr Nettolohn erhalten als er ohne Rehabilitationsmaßnahme zur Verfügung gehabt hätte. Auf den Grundsatz der Akzessorietät und den Wortlaut des § 20 SGB VI könne ein durchgehender Anspruch auf Übergangsgeld für Teilzeitrehabilitanden nicht gestützt werden; anderenfalls bestünde auch für Arbeitstage ein Anspruch auf Übergangsgeld. Außerdem würde der Kläger gegenüber Teilzeitrehabilitanden mit festem Monatslohn bessergestellt, bei denen das Monatsnettogehalt anteilig auf ein Übergangsgeld für arbeitsfreie Samstage angerechnet werde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Juli 2007 aufzuheben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger auch für jeden Samstag der Inanspruchnahme von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Übergangsgeld zu gewähren, und die hierauf gerichtete Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, das LSG habe ihm zu Recht einen Anspruch auf Übergangsgeld auch für Samstage zuerkannt.

II

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.

Das LSG hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld auch für jeden Samstag der Inanspruchnahme der Teilhabeleistung bejaht. Die hierauf gerichtete Klage ist wegen Bestandskraft des Bescheides vom 29.4.2004 unzulässig.

Mit Bescheid vom 29.4.2004 hat die Beklagte dem Kläger Übergangsgeld nur für die Arbeitstage, nicht hingegen für Samstage gewährt. Zwar lautet Satz 3 des Bescheides vom 29.4.2004 "Das Übergangsgeld beträgt ... kalendertäglich 51,81 Euro". Eine Auslegung des Bescheides ergibt jedoch, dass der Begriff kalendertäglich keine Samstage erfasst. Für die Auslegung eines Verwaltungsaktes kommt es grundsätzlich auf den Empfängerhorizont an, dh darauf, wie Adressaten und Drittbetroffene den Verwaltungsakt nach Treu und Glauben verstehen mussten bzw durften (Kopp/Ramsauer, VwVfG , 10. Aufl 2008, § 35 RdNr 19). Dabei ist vom Wortlaut des verfügenden Teils unter Zuhilfenahme der Begründung auszugehen und anzunehmen, dass kein Verwaltungsakt seine wesentlichen Aussagen als "überraschende Klauseln" in seiner Begründung verbirgt (Stelkens in ders/Bonk/Sachs, VwVfG , 7. Aufl 2008, § 35 RdNr 76).

An welchen Kalendertagen dem Kläger Übergangsgeld gewährt worden ist, ergibt sich zweifelsfrei aus den Sätzen 6 und 7 des Bescheides. Nach Satz 6 besteht Anspruch auf Übergangsgeld nur an den vertraglich geregelten Arbeitstagen, an denen unbezahlter Urlaub beantragt wurde. Satz 7 führt hierzu erläuternd aus, dass an Samstagen somit kein Übergangsgeldanspruch bestehe, da es sich nicht um einen arbeitsvertraglich geregelten Arbeitstag handele. Beide Sätze stehen auf Seite 1 und damit in räumlicher Nähe zu Satz 3 des Bescheides, sodass für den Kläger als Adressaten deutlich erkennbar war, dass der Begriff "kalendertäglich" nur Arbeitstage und nicht auch Samstage meint. Der Kläger hat den Bescheid vom 29.4.2004 auch in diesem Sinne verstanden. Im Widerspruchsschreiben vom 12.5.2004 ist er selbst davon ausgegangen, dass Übergangsgeld in Höhe von "51,81 Euro pro Arbeitstag" gewährt werde.

Mit Widerspruch und Klage hat sich der Kläger nur gegen die Berechnung des Übergangsgeldes und nicht auch gegen eine Versagung dieser Leistung für Samstage gewandt. In der Klagebegründung vom 7.12.2004 hat er ausdrücklich geltend gemacht, dass "lediglich die Höhe des zu bewilligenden Übergangsgeldes" streitig sei, und dementsprechend seiner Berechnung des Übergangsgeldes zwei reguläre Arbeitstage, an denen er die Schule besucht habe - mithin Donnerstag und Freitag -, zugrunde gelegt. Erst in der mündlichen Verhandlung vom 25.7.2007 vor dem LSG hat der Kläger Übergangsgeld "in Höhe von 71,76 Euro täglich" begehrt. Zu diesem Zeitpunkt war die Anfechtungsfrist des § 87 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) bereits abgelaufen und der Bescheid vom 29.4.2004 hinsichtlich der Versagung eines Leistungsanspruchs für Samstage in Bestandskraft erwachsen (§ 77 SGG ).

Da der Kläger erstmalig vor dem LSG mit der Klage die Gewährung von Übergangsgeld auch für Samstage begehrt hat, hat das Berufungsgericht diesbezüglich auf Klage entschieden, sodass neben der Aufhebung des Berufungsurteils insoweit die Klage abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG . Der Kläger hat in der ersten und zweiten Instanz höheres Übergangsgeld in Höhe von 19,95 Euro pro Arbeitstag begehrt und nur 3,40 Euro Übergangsgeld mehr erhalten. Dies entspricht einem prozessualen Teilerfolg von 1/6, sodass die Kostenentscheidung dementsprechend zu korrigieren war. Das Verbot der reformatio in peius steht dem nicht entgegen. Im Revisionsverfahren ist der Kläger vollständig unterlegen, sodass für die dritte Instanz keinerlei Kostenerstattung gerechtfertigt ist.

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 25.07.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 16 R 889/05
Vorinstanz: SG Augsburg, vom 17.11.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 5 R 543/04