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BSG - Entscheidung vom 05.05.2010

B 5 R 26/10 B

Normen:
SGG § 103
SGG § 106 Abs. 1
SGG § 112 Abs. 2 S. 1
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2
SGG § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluss vom 05.05.2010 - Aktenzeichen B 5 R 26/10 B

DRsp Nr. 2010/12433

Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Bezeichnung eines Verfahrensmangels, Beweiswürdigung durch das LSG

Über den Umweg des § 106 Abs. 1 SGG und des § 112 Abs. 2 S. 1 SGG kann ein schriftsätzlich angekündigter Antrag, der in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholt und deshalb mangels Protokollierung nicht gestellt worden ist, keinesfalls zur Revisionszulassung führen, weil sonst die Vorgaben des § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 SGG iVm § 103 SGG umgangen werden könnten. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 2009 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt A. H., Z., beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 103 ; SGG § 106 Abs. 1 ; SGG § 112 Abs. 2 S. 1; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2; SGG § 160a Abs. 2 S. 3;

Gründe:

Mit Urteil vom 27.11.2009 hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt und beantragt, ihr Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt A. H., Z., zu bewilligen. In der Beschwerdebegründung werden Verfahrensmängel geltend gemacht.

Die Anträge auf PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts sind abzulehnen, weil die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] iVm § 114 Satz 1, § 121 Abs 1 Zivilprozessordnung [ZPO]). Die Beschwerdebegründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

Die Revision ist nur zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG ), wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (aaO Nr 1),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auf Verfahrensmängel gestützt, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

1. Soweit die Klägerin die "Beweiswürdigung" des LSG angreift, übersieht sie, dass hierauf eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann (§§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm 128 Abs 1 Satz 1 SGG ). Entsprechendes gilt für ihr Vorbringen, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

2. Darüber hinaus rügt sie die Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von Art 103 Abs 1 Grundgesetz ( GG ), §§ 62 , 128 Abs 2 SGG . Ein solcher Verstoß liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 9. Aufl 2008, § 62 RdNr 8a, 8b mwN). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Ferner ist Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; vgl auch BSGE 68, 205 , 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin trägt vor, das LSG habe ihre Äußerungen ohne "nähere Begründung bzw. Betrachtung außer acht gelassen" und sich nicht ernsthaft mit ihren Argumenten auseinandergesetzt. Macht der Beschwerdeführer geltend, das Berufungsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es seine Ausführungen unberücksichtigt gelassen habe, muss er konkret dartun, welches wesentliche Vorbringen das LSG bei seiner Entscheidung übergangen haben soll. Hieran fehlt es bereits. Im Übrigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zumal es nach Art 103 Abs 1 GG nicht verpflichtet ist, auf jeden Gesichtspunkt einzugehen, der im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden ist (vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 16; BVerfGE 96, 205 , 217). Deshalb muss die Beschwerdebegründung besondere Umstände des Einzelfalls aufzeigen, aus denen geschlossen werden kann, das LSG habe ein bestimmtes Beteiligtenvorbringen weder zur Kenntnis genommen noch bei seiner Entscheidung erwogen (vgl BVerfGE 28, 378 , 384 f; 47, 182, 187 f; 54, 86, 92; BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN). Derartige besondere Einzelfallumstände schildert die Klägerin nicht. Da das Gericht keine Fragen erörtern muss, die nach seiner materiellen Rechtsauffassung unerheblich sind (BVerfGE 70, 288 , 293 f; BVerfG, Beschluss vom 6.8.2002 - 2 BvR 2357/00 - NVwZ-RR 2002, 802, 803; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 681), hätte die Klägerin ferner substantiiert darlegen müssen, dass ihre Kritik an den Gutachten der Sachverständigen Dr. B. und Dr. K. entscheidungserheblich gewesen ist und das Urteil möglicherweise anders ausgefallen wäre, wenn das Berufungsgericht die Einwände der Klägerin berücksichtigt hätte.

3. Schließlich hat die Klägerin auch nicht ausreichend dargelegt, das LSG habe Hinweispflichten aus § 106 Abs 1 , § 112 Abs 2 Satz 1 SGG verletzt, als es den schriftsätzlich formulierten Antrag unkorrigiert gelassen habe, Dr. S. und Dr. W. "als Gutachterinnen zur Arbeitsunfähigkeit zu hören". Denn die Tatsachengerichte sind nicht verpflichtet, auf die Stellung von Beweisanträgen hinzuwirken (BSG SozR 1500 § 160 Nr 13; BSG, NZS 1997, 592 ) oder im Rahmen von Beweisanträgen sonstige Formulierungshilfen zu geben (Berchtold in ders/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 7 RdNr 132 aaO). Hält das Tatsachengericht eine Beweisaufnahme für notwendig, so hat es keinen entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen, sondern den Beweis von Amts wegen auch ohne Antrag zu erheben. Lehnt es die Beweiserhebung dagegen ab, so muss es nicht kompensatorisch auf einen Beweisantrag hinwirken und damit helfen, eine Nichtzulassungsbeschwerde vorzubereiten (BSG SozR 1500 § 160 Nr 13; Becker, SGb 2007, 328, 331; Berchtold, aaO, § 7 RdNr 132; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap IX RdNr 132). Erst recht kann über den Umweg des § 106 Abs 1 SGG und des § 112 Abs 2 Satz 1 SGG ein schriftsätzlich angekündigter (und auch noch korrekturbedürftiger) Antrag, der in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholt und deshalb - mangels Protokollierung - nicht gestellt worden ist, keinesfalls zur Revisionszulassung führen, weil sonst die Vorgaben des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG iVm § 103 SGG umgangen werden könnten.

4. Soweit die Klägerin schließlich ihre Vermittlungschancen "auf dem Arbeitsmarkt" thematisiert, fehlt bereits die Bezeichnung einer bundesrechtlichen Verfahrensnorm, die das LSG verletzt haben könnte.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 SGG ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Hessen, vom 27.11.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 5 R 22/09
Vorinstanz: SG Kassel, vom 28.11.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 2 R 206/06