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BGH - Entscheidung vom 23.09.2010

IX ZB 282/09

Normen:
InsO § 14 Abs. 1
InsO § 15a
InsO § 19 Abs. 2 S. 2
InsO § 21 Abs. 2
InsO § 26 Abs. 1 S. 1
InsO § 39 Abs. 1 Nr. 5
InsO § 174 Abs. 3 S. 1

Fundstellen:
EWiR § 14 InsO 1/2010, 819
NZG 2011, 759
NZI 2011, 58
WM 2010, 2088
ZIP 2010, 2055

BGH, Beschluss vom 23.09.2010 - Aktenzeichen IX ZB 282/09

DRsp Nr. 2010/18003

Zulässigkeit eines Insolvenzantrags eines nachrangigen Gläubigers im Hinblick auf eine erwartete Befriedigung im eröffneten Verfahren

Der Insolvenzantrag eines nachrangigen Gläubigers ist auch dann zulässig, wenn dieser im eröffneten Verfahren keine Befriedigung erwarten kann.

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Gera vom 16. Dezember 2009 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Normenkette:

InsO § 14 Abs. 1 ; InsO § 15a; InsO § 19 Abs. 2 S. 2; InsO § 21 Abs. 2 ; InsO § 26 Abs. 1 S. 1; InsO § 39 Abs. 1 Nr. 5 ; InsO § 174 Abs. 3 S. 1;

Gründe

I.

Die Gläubigerin (Beteiligte zu 1) beteiligte sich an der Schuldnerin durch Vertrag vom 17. Februar/4. März 1998 als stille Gesellschafterin mit einer Einlage von 760.000 DM. Neben einer festen Vergütung von 3 % jährlich auf den Beteiligungsbetrag war eine Gewinnbeteiligung von jährlich 5 % vereinbart. Die Gläubigerin sollte nur im Falle einer Insolvenz am Verlust der Schuldnerin teilnehmen. Im Falle eines Insolvenzverfahrens war der Anspruch auf Rückzahlung der Einlage nach § 8 Abs. 2 des Vertrages nur nachrangig zu befriedigen. Die Gesellschaft endete zum 30. September 2007. Mit der Beendigung der stillen Gesellschaft wandelten sich der Rückzahlungsanspruch sowie weitere Zahlungsforderungen der Gläubigerin vertragsgemäß in ein Darlehen um.

Die Gläubigerin hat im Blick auf ihre nach Beendigung der Gesellschaft und Kündigung des Darlehens fällige Forderung in Höhe von 581.484,36 EUR einen Insolvenzantrag über das Vermögen der Schuldnerin gestellt. Die Schuldnerin ist dem Insolvenzantrag unter Berufung auf die Wertlosigkeit der nachrangigen Forderung der Gläubigerin und ein demnach fehlendes Rechtsschutzinteresse entgegengetreten.

Das Amtsgericht hat die vorläufige Verwaltung des Vermögens der Schuldnerin angeordnet und den Beteiligten zu 2 zum vorläufigen Verwalter bestellt; außerdem hat es Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 InsO angeordnet. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihr Begehren weiter.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO , §§ 7 , 6 Abs. 1 , § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ), bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

1.

Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der von der Gläubigerin gestellte Insolvenzantrag sei zulässig. Neben den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen sei auch ein rechtliches Interesse der Gläubigerin für den Insolvenzantrag gegeben. Nachrangige Gläubiger seien ohne weiteres zu einer Antragstellung befugt. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Gläubigerin ihr Antragsrecht für verfahrensfremde Zwecke einsetze.

2.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.

a)

Die Schuldnerin unterbreitet insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung die Rechtsfrage, ob ein nachrangiger Gläubiger zur Stellung eines Insolvenzantrages berechtigt ist, wenn er im Insolvenzverfahren nicht mit einer Befriedigung rechnen kann. Damit geht die Schuldnerin selbst davon aus, dass es sich bei der Forderung der Gläubigerin um eine nachrangige Forderung im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO handelt und zwischen der Gläubigerin und ihr keine weitergehende Rangrücktrittsvereinbarung getroffen wurde, die nach teils vertretener Ansicht (vgl. Uhlenbruck, InsO 13. Aufl. § 14 Rn. 51; FK-InsO/Schmerbach, 5. Aufl. § 14 Rn. 49 b; vgl. auch BT-Drucks. 8/1347 S. 40; aA MünchKomm-InsO/Schmahl, 2. Aufl. § 14 Rn. 48) das Antragsrecht entfallen ließe. Durch die in dem Gesellschaftsvertrag für den Eintritt der Insolvenz vorgesehene Nachrangigkeit der Forderung wurde mangels einer zeitlichen Erstreckung des Nachrangs auch auf den davor liegenden Krisenzeitraum nach der bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages im Jahre 1998 maßgeblichen Rechtslage ein qualifizierter Rangrücktritt (vgl. zu den Anforderungen BGHZ 146, 264 , 271; Haas DStR 2009, 326 , 328) nicht vereinbart. § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO , nach dessen durch das am 1. November 2008 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Mißbräuchen (MoMiG; BGBl. I, 2026) umgestalteten Inhalt abweichend von der früheren Rechtslage mit einer Rangrücktrittsvereinbarung im Sinne des § 39 Abs. 2 InsO versehene Forderungen bei der Überschuldung nicht zu berücksichtigen sind (HK-InsO/Kirchhof, 5. Aufl. § 19 Rn. 26; HmbKomm-InsO/ Schröder, 3. Aufl. § 19 Rn. 43), ist auf den hier zu beurteilenden, früher geschlossenen Vertrag nicht anwendbar (Uhlenbruck, aaO § 19 Rn. 117).

b)

Die Beteiligte zu 1 hat als Gläubigerin einer nur nachrangigen Forderung (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ) ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Befriedigungsaussichten ein Rechtsschutzinteresse (§ 14 InsO ) für einen Insolvenzantrag.

Zwar wird im Schrifttum aus der Regelung des § 174 Abs. 3 InsO teils hergeleitet, dass nachrangige Gläubiger (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ) zu einer Antragstellung nur berechtigt sind, wenn sie zumindest eine teilweise Befriedigung erwarten können (HK-InsO/Kirchhof, aaO § 14 Rn. 26; Jaeger/Gerhardt, InsO § 14 Rn. 13; Uhlenbruck, aaO; HmbKomm-InsO/Wehr, aaO § 14 Rn. 48; Hess, Insolvenzrecht § 14 Rn. 53; FK-InsO/Schmerbach, aaO § 14 Rn. 49a; Haas/Scholl ZInsO 2002, 645 , 649 f). Zutreffend ist jedoch die Gegenauffassung, die einem nachrangigen Gläubiger ein Rechtsschutzinteresse auch dann zuspricht, wenn er voraussichtlich nicht mit einer Quote rechnen kann (Münch-Komm-InsO/Schmahl, aaO; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 13 Rn. 32, § 14 Rn. 63; BK-InsO/Goetsch, InsO § 14 Rn. 13; Häsemeyer, Insolvenzrecht 4. Aufl. Rn. 17.13 Fn. 38; Lang, Das Rechtsschutzinteresse beim Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, 2003 S. 110 f).

aa)

Die Regelung des § 174 Abs. 3 InsO bezieht sich auf eröffnete Verfahren, die im Falle fehlender Befriedigungsaussichten nicht mit der Anmeldung und Prüfung nachrangiger Forderungen belastet werden sollen (BT-Drucks. 12/2443 S. 184). Damit trifft das Gesetz jedoch keine weitergehende Aussage dahin, dass ein Insolvenzantrag und die Verfahrenseröffnung auf eine nachrangige Forderung nicht gestützt werden können. Vielmehr ist § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu entnehmen, dass nachrangig zu befriedigende Gesellschafter zu den Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO ) gehören (Häsemeyer, aaO Rn. 17.13). Der Gesetzgeber will die nachrangigen Gläubiger von Anfang an in das Insolvenzverfahren einbeziehen und lediglich im weiteren Verfahren wegen ihrer geringen Befriedigungsaussichten eine Verzögerung vermeiden, indem eine Anmeldung solcher Forderungen nur auf besondere Aufforderung erfolgen soll (BT-Drucks, aaO S. 123). Mithin sind die nachrangigen Insolvenzgläubiger ebenso Insolvenzgläubiger wie die nicht nachrangigen (FK-InsO/Kießner, aaO § 174 Rn. 40). In ausdrücklicher Abkehr von dem Regierungsentwurf (BT-Drucks 16/6140 S. 56) hat der Gesetzgeber zudem § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO dahin gefasst, dass nachrangige Forderungen im Sinne von § 39 Abs. 1 InsO bei der Prüfung einer Überschuldung zu berücksichtigen sind. Dadurch soll eine unkontrollierte Zunahme masseloser Insolvenzen verhindert werden (BT-Drucks. 16/9737 S. 104 f). Nachrangige Forderungen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sind - wenn keine weitergehende Nachrangvereinbarung getroffen (§ 39 Abs. 2 InsO ) wurde (BGHZ 173, 286 , 292 Rn. 18) - abweichend zu der für den früheren Rechtszustand überwiegend vertretenen Auffassung (vgl. HmbKomm-InsO/Schröder, aaO § 17 Rn. 12 m.w.N.) nach jetziger Gesetzeslage bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO ) in die Liquiditätsprognose einzubeziehen, weil mit der Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts (§ 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG ) das präventive Auszahlungsverbot für Gesellschafterdarlehen entfallen ist (Uhlenbruck, aaO § 17 Rn. 10; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 17 Rn. 7; Scholz/Bitter, GmbHG 10. Aufl. Rn. 7 vor § 64 ; Baumbach/ Hueck/Haas, GmbHG 19. Aufl. § 64 Rn. 34; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG 6. Aufl. Rn. 23 vor § 64). Sind nachrangige Forderungen bei der Prüfung der Insolvenz sonstigen Forderungen gleichzustellen, entspricht es dem Gesetzeszweck, dass die Insolvenzeröffnung auch auf der Grundlage einer nachrangigen Forderung beantragt werden kann. Demgemäß ist § 174 Abs. 3 InsO , der erst nach Feststellung der Teilungsmasse eingreift, eine Beschneidung der Antragsbefugnis nachrangiger Insolvenzgläubiger nicht zu entnehmen.

bb)

Ferner hängt das Rechtsschutzinteresse für einen Insolvenzantrag generell nicht davon ab, ob der Gläubiger in dem Verfahren eine Befriedigung erlangen kann. Auch im Falle völliger Masseunzulänglichkeit wird das Rechtsschutzinteresse für einen Eröffnungsantrag nicht berührt (OLG Frankfurt KTS 1971, 285 ; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 14 Rn. 25, 35; Jaeger/Gerhardt, aaO § 14 Rn. 14; MünchKomm-InsO/Schmahl, aaO § 14 Rn. 46; Uhlenbruck, aaO § 14 Rn. 41; ebenso wohl FK-InsO/Schmerbach, aaO § 14 Rn. 40; aA nur AG St. Ingbert KTS 1983, 648 ). Aus § 26 InsO ergibt sich, dass auch Verfahren ohne Verteilungsperspektive zu eröffnen sind, wenn nur die Verfahrenskosten gedeckt sind (Jaeger/Gerhardt, aaO). Überdies unterbleibt eine Abweisung der Verfahrenseröffnung mangels einer kostendeckenden Masse (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO ), wenn ein Gläubiger einen zur Deckung der voraussichtlichen Verfahrenskosten genügenden Betrag vorschießt (§ 26 Abs. 1 Satz 2 InsO ). Sind nicht nachrangige Insolvenzgläubiger trotz fehlender Befriedigungsaussichten zur Antragstellung berechtigt, kann für nachrangige Insolvenzgläubiger nichts anderes gelten.

cc)

Überdies würde eine Beschränkung der Antragsbefugnis nachrangiger Gläubiger auf Fälle ernsthafter Befriedigungsaussichten den allgemeinen Zwecken eines Insolvenzverfahrens zuwiderlaufen.

Bei diesen Gläubigern handelt es sich regelmäßig um Gesellschafter von Gesellschaften, die keine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter haben (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ). Für derartige Gesellschaften statuiert § 15a InsO eine Insolvenzantragspflicht der Organe, welche die rechtzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens bezweckt, um Altgläubiger vor einer weiteren Verringerung der Haftungsmasse und Neugläubiger vor einem Vertragsschluss mit notleidenden Gesellschaften zu schützen (BT-Drucks. 16/6140 S. 55). Missachten die Organe ihre Antragspflicht, kann das Verfahren nur auf Antrag eines Gläubigers - gleich ob es sich um einen Gesellschafter in seiner Funktion als Darlehensgeber oder einen außenstehenden Dritten handelt - eröffnet werden. Ist sowohl eine Forderung als auch ein Insolvenzgrund gegeben, wäre es - auch im Licht der Ersatzzuständigkeit des Gesellschafters nach § 15a Abs. 3 InsO - höchst ungereimt, von einer Verfahrenseröffnung allein wegen der fehlenden Befriedigungsaussichten des Gesellschafters als nachrangiger Gläubiger abzusehen. Vielmehr ist es im Interesse gerade der nicht nachrangigen Gläubiger geboten, auf den Antrag eines nachrangigen Gläubigers das Insolvenzverfahren zu eröffnen.

c)

Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerde, der Schuldnerin werde verwehrt, substantiierte Einwendungen gegen die dem Antrag zugrundeliegende Forderung geltend zu machen. Die Beteiligte zu 1 ist - wie ein weiterer Eröffnungsantrag belegt - nicht die einzige Gläubigerin der Schuldnerin. Bei dieser Sachlage konnte sich die Beteiligte zu 1 mit einer Glaubhaftmachung ihrer Forderung (§ 14 Abs. 1 InsO ) begnügen.

Vorinstanz: LG Gera, vom 16.12.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 5 T 490/09
Vorinstanz: AG Gera, vom 12.08.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 8 IN 277/09
Fundstellen
EWiR § 14 InsO 1/2010, 819
NZG 2011, 759
NZI 2011, 58
WM 2010, 2088
ZIP 2010, 2055