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BGH - Entscheidung vom 08.06.2010

KVZ 46/09

Normen:
GG Art. 20 Abs. 4
GWB § 21 Abs. 1
GWB § 74 Abs. 2

Fundstellen:
GRUR-RR 2010, 407

BGH, Beschluss vom 08.06.2010 - Aktenzeichen KVZ 46/09

DRsp Nr. 2010/12314

Zulässigkeit des Aufrufs zum Boykott der von Milchviehhaltern belieferten Molkereien i.R.e. Milchpreisoffensive

Der Umstand, dass eine Vielzahl von Betrieben und Personen von einer angegriffenen Verfügung betroffen ist, begründet nicht die grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 74 Abs. 2 Nr. 1 GWB .

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. September 2009 wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens und der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 500.000 € festgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 20 Abs. 4 ; GWB § 21 Abs. 1 ; GWB § 74 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Der Beteiligte ist eine Interessenvertretung der deutschen Milchviehhalter mit rund 30.000 Mitgliedern, auf die derzeit gut 45% der bundesweiten Rohmilch-Liefermenge entfällt.

Nachdem der Lebensmitteleinzelhandel Anfang 2008 bei den Molkereien Preiszugeständnisse hatte durchsetzen können, sank auch der von diesen gezahlte Rohmilchpreis teilweise bis auf 30 Cent je Kilogramm Milch. Daraufhin forderte der Beteiligte unter anderem die Einführung eines die Vollkosten der Milcherzeuger deckenden bundesweiten Basismilchpreises für 2008 in Höhe von 43 Cent/kg. Nachdem Gespräche mit Vertretern von Molkereien ergebnislos geblieben waren, führte der Beteiligte Anfang April 2008 eine Mitgliederbefragung zu einem Milchlieferstopp durch. 88% der abgegebenen Stimmzettel waren mit "Ja" angekreuzt. In einem Mitgliederrundschreiben vom 26. Mai 2008 und einer inhaltsgleichen Presseerklärung teilte der Beteiligte unter den Überschriften "Hintergrundinformation zum Milchlieferstopp" und "Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) sieht keine Alternative zum Milchlieferstopp" mit, dass man sich gegen den Erzeugerpreisverfall nunmehr mit einer "Milchpreisoffensive 2008" zur Wehr setzen müsse. Die Aktion starte am 26. Mai 2008 mit einer Kundgebung vor einer Freisinger Molkerei, auf der weitere Maßnahmen bis hin zu einem Lieferstopp bekanntgegeben werden sollten. Eine weitere Veröffentlichung des Beteiligten vom 26. Mai 2008 unter der Überschrift "Milchviehhalter lassen ab morgen ihre Milch zu Hause" lautet auszugsweise:

"Die Aussage von BDM-Vorstandsvorsitzenden Romuald Schaber "Ich lasse ab morgen meine Milch zu Hause und ich gehe davon aus, dass es viele Milcherzeuger genauso machen werden" fand jubelnde Zustimmung unter den Kundgebungsteilnehmern. Es ist daher davon auszugehen, dass alle Milcherzeuger, die sich im April für einen unbefristeten Milchlieferstopp ausgesprochen haben, ab morgen ebenfalls ihre Milchlieferung einstellen werden."

Nach Schätzung des Beteiligten haben sich 90% seiner Mitglieder und viele Nichtmitglieder an dem Lieferstopp beteiligt, was schon in den ersten Tagen dazu geführt habe, dass bis zu 85% der gesamten Milchmenge nicht mehr an die Molkereien geliefert worden sei.

Am 5. Juni 2008 wurde der Lieferstopp beendet, nachdem einige große Lebensmitteleinzelhandelsketten ihre Preise für Trinkmilch und Butter angehoben hatten, um einen höheren Abnahmepreis für Rohmilch zu ermöglichen. Der Vorstandsvorsitzende des Beteiligten äußerte dazu auf einer Großkundgebung in Berlin:

"Ich fordere dazu auf, den Milchlieferstopp einzustellen und ab heute wieder Milch zu liefern."

Mit Verfügung vom 12. November 2008 hat das Bundeskartellamt festgestellt, dass der Beteiligte im Rahmen der Milchpreisoffensive 2008 unter Verstoß gegen § 21 Abs. 1 GWB zum Boykott der Molkereien aufgerufen habe, die von den Milchviehhaltern in Deutschland mit Rohmilch beliefert würden.

Die gegen diese Verfügung von dem Beteiligten eingelegte Beschwerde blieb ohne Erfolg. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Beteiligte mit der Nichtzulassungsbeschwerde, der das Bundeskartellamt entgegentritt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet, weil weder eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 74 Abs. 2 GWB ).

1.

Soweit sich die Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung stützen will, legt sie dessen Voraussetzungen nicht substantiiert dar. Insbesondere trägt sie keine Entscheidungen anderer Gerichte vor, von denen der angegriffene Beschluss abweicht.

2.

Der Beteiligte zeigt auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf.

a)

Der Umstand, dass eine Vielzahl von Betrieben und Personen von der angegriffenen Verfügung betroffen sind, reicht zur Begründung einer grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 74 Abs. 2 Nr. 1 GWB nicht aus. Ebenso wenig ergibt sich eine Grundsätzlichkeit schon aus der Notwendigkeit, bei der Lösung des Streitfalls verfassungsrechtliche Aspekte zu berücksichtigen.

b)

Soweit es der Beteiligte als Grundsatzproblem bezeichnet, ob die Milcherzeuger ein "Notwehrrecht" haben, wenn ihnen durch die geballte Nachfragemacht des Handels die Existenzgrundlage entzogen wird, formuliert er keine abstrakt klärungsbedürftige Rechtsfrage. Denn durch die Gegenüberstellung von Milcherzeugern und Nachfragemacht des Handels ist die Frage allein auf den Streitfall bezogen.

Aus demselben Grund fehlt es auch an einem Zulassungsgrund im Zusammenhang mit dem behaupteten Selbsthilferecht des Beteiligten. Soweit sich der Beteiligte auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen beruft, gilt nichts anderes.

c)

Mit Recht hat das Beschwerdegericht ferner angenommen, dass ein Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG zur Rechtfertigung des Verhaltens des Beteiligten schon auf den ersten Blick ausscheidet. Dementsprechend kann sich dazu auch keine grundsätzliche Rechtsfrage stellen.

3.

Mit der Rüge, das Beschwerdegericht habe den Vortrag des Bundeskartellamts unbeachtet gelassen, 70% der Molkereien seien genossenschaftlich organisiert, legt der Beteiligte keine zulassungsrelevante Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Er zeigt schon nicht auf, dass er sich diesen Vortrag zu eigen gemacht hat.

4.

Mit Schriftsatz vom 6. April 2010 konnte der Beteiligte keine weiteren Zulassungsgründe geltend machen. Die Begründungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 75 Abs. 3 , 66 Abs. 3 GWB ist am 16. November 2009 abgelaufen. Ein Nachschieben von Zulassungsgründen ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig (vgl. BGH, Beschl. v. 19.12.1995 - KVZ 23/95, WuW/E BGH 3035 f. - Nichtzulassungsbeschwerde; KVZ 41/05, [...], Tz. 6; Nothdurft in MünchKomm. GWB , § 75 Rdn. 8).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 GWB .

Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 09.09.2009 - Vorinstanzaktenzeichen VI-Kart 13/08 (V)
Fundstellen
GRUR-RR 2010, 407