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BGH - Entscheidung vom 03.03.2010

XII ZB 219/09

Normen:
ZPO § 139
ZPO § 234 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 03.03.2010 - Aktenzeichen XII ZB 219/09

DRsp Nr. 2010/5400

Zulässigkeit der Erläuterung und Vervollständigung von ergänzungsbedürftigen Angaben nach Fristablauf

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 8. Zivilsenats - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg vom 10. August 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Wert: bis 2.500 €

Normenkette:

ZPO § 139 ; ZPO § 234 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Abänderung einer Urkunde auf Zahlung von Kindesunterhalt. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat der Klage durch ein dem Beklagten am 6. März 2009 zugestelltes Urteil teilweise stattgegeben. Der Beklagte hat hiergegen am 6. April 2009 Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Berufungsbegründungsfrist bis 8. Juni 2009 verlängert. Der Beklagte hat die Berufung mit einem am 9. Juni 2009 eingegangenen Schriftsatz begründet (per Fax; Absendung oder Eingang ab 00.00 Uhr oder 00.01 Uhr; Übersendungsdauer 3 Minuten 20 Sekunden).

Auf einen telefonischen Hinweis des Oberlandesgerichts vom 9. Juni 2009 hat der Beklagte beantragt, ihm Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Nach einer dem Antrag beigefügten "persönlichen Erklärung" der Kanzleikraft seiner Verfahrensbevollmächtigten habe die Kanzleikraft im Lauf des 8. Juni 2009 wiederholt versucht, die Berufungsbegründung per Fax an das Oberlandesgericht zu senden, was jedoch gescheitert sei. Sie habe bei Dienstschluss die Kanzlei verlassen; die ablaufende Frist sei ihr aufgrund der an diesem Tage herrschenden Hektik schlechthin entfallen. Nach ihrer - dem Wiedereinsetzungsgesuch ebenfalls beigefügten - "anwaltlichen Versicherung" hat die Verfahrensbevollmächtigte des Beklagten am 8. Juni 2009 gegen 23.30 Uhr ihre Kanzlei noch einmal betreten, um einen Anruf auf dem Anrufbeantworter abzuhören. Dabei habe sie durch Zufall gesehen, dass die Berufungsbegründung noch im Eingangsschacht des Telefaxgerätes gelegen habe, ohne dass ein Faxprotokoll über eine Absendung vorfindlich gewesen sei. Sie habe daraufhin selber versucht, die Berufungsbegründung dem Oberlandesgericht noch vor Fristablauf zu übermitteln. Durch die verlangsamte Übertragung sei ihr dies dann allerdings nur mit einer Überschreitung der Frist um eine Sekunde gelungen.

Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

a)

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die vom Beklagten vorgelegte persönliche Erklärung der Kanzleikraft seiner Verfahrensbevollmächtigten ohne Relevanz. Entscheidend sei hier das eigene Verhalten der Verfahrensbevollmächtigten. Da die Übersendung der Berufungsbegründung ausweislich des späteren Fax-Protokolls nur 3 Minuten und 20 Sekunden gedauert habe, hätte die Verfahrensbevollmächtigte, als sie um ca. 23.30 Uhr nochmals ihre Kanzleiräume aufgesucht habe, in den ihr bis zum Fristablauf verbleibenden 30 Minuten den Schriftsatz mit der Berufungsbegründung ohne weiteres noch rechtzeitig übermitteln können. Der Beklagte habe nicht nachvollziehbar dargelegt, welche konkreten Übersendungsversuche seine Verfahrensbevollmächtigte, die ersichtlich im Umgang mit dem Faxgerät vertraut gewesen sei, unternommen habe und aus welchem Grund eine rechtzeitige Übersendung gescheitert sei.

b)

Es ist zweifelhaft, ob die vorstehend wiedergegebenen Umstände für sich genommen ausreichen, um ein dem Beklagten zuzurechnendes (§ 85 Abs. 2 ZPO ) Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten an der Fristversäumung auszuschließen. Das Oberlandesgericht weist im Ergebnis zu Recht darauf hin, dass die als Grund für die Fristversäumung angeführte "verlangsamte Übertragung" allein noch nicht hinreichend nachvollziehbar verdeutliche, warum der Verfahrensbevollmächtigten in der ihr bis zum Fristablauf verbleibenden Zeit eine Übersendung nicht möglich gewesen sei.

Die Frage kann indes dahinstehen. Zwar müssen innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO mit dem Wiedereinsetzungsgesuch alle Umstände, die für die Frage der Fristversäumung und des Verschuldens von Bedeutung sind, vollständig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auch des Senats, können allerdings Angaben, die - wie hier der genaue Zeitpunkt des Auffindens der Berufungsbegründung im Einzugsschacht des Faxgerätes und der Hinweis auf die "verlangsamte Übertragung" - unklar und ergänzungsbedürftig sind, insbesondere solche, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, auch nach Fristablauf noch erläutert und vervollständigt werden (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 10. Mai 2006 - XII ZB 42/05 - zitiert nach [...], dort Rdn. 10, vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06 - FamRZ 2007, 1458 , 1459, vom 16. August 2000 - XII ZB 136/00 - FuR 2001, 285 und vom 20. Mai 1992 - XII ZB 43/92 - BGHR ZPO § 234 Abs. 1 Begründung 6). Das ist hier - nach Erlass der angefochtenen Entscheidung - mit der Gegenvorstellung des Beklagten geschehen. Darin hat der Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass seine Verfahrensbevollmächtigte den Schriftsatz mit der Berufungsbegründung nicht sofort beim Betreten der Kanzleiräume, sondern erst während des Abhörens einer Nachricht auf dem Anrufbeantworter, das aufgrund von Unklarheiten ein wiederholtes Zurückspulen erforderlich gemacht und deshalb einige Zeit in Anspruch genommen habe, bemerkt habe. Die Verfahrensbevollmächtigte habe daraufhin zunächst geprüft, ob ein positives Faxprotokoll vorliege und sodann - mithin erst kurz vor Mitternacht - versucht, den Schriftsatz selbst zu übersenden. Angesichts der nunmehr vorgerückten Zeit sei sie "dermaßen nervös" geworden, dass sie bei ihrem ersten Übersendungsversuch wahrscheinlich die notwendige Freischaltung durch Vorwahl einer "0" vergessen habe. Sodann habe sie bei mehrmaligem Anwählen festgestellt, dass eine Übertragung nicht zeitnah eingeleitet worden sei. Schließlich habe sie - jedenfalls noch vor Mitternacht - einen weiteren erfolgreichen Übersendungsversuch gestartet, der zur - allerdings nicht mehr rechtzeitigen - Übersendung des Schriftsatzes an das Oberlandesgericht geführt habe. Bei Zugrundelegung dieses vom Beklagten geschilderten Geschehensablaufs ist nicht ersichtlich, dass seiner Verfahrensbevollmächtigten hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ein ihm zuzurechnendes Verschulden angelastet werden könnte. Die Zurückweisung seines Antrags auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründung kann deshalb mit der vom Oberlandesgericht gegebenen Begründung keinen Bestand haben.

c)

Der Senat vermag über die vom Beklagten beantragte Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist nicht selbst abschließend zu entscheiden. Vielmehr ist es Sache des Berufungsgerichts, die weiteren vom Beklagten zur Begründung seines Wiedereinsetzungsbegehrens vorgetragenen Umstände, wie sie sich namentlich aus der "persönlichen Stellungnahme" der Kanzleiangestellten der Verfahrensbevollmächtigten ergeben, einer tatrichterlichen Würdigung zu unterziehen. Der das Wiedereinsetzungsgesuch des Beklagten zurückweisende und seine Berufung verwerfende Beschluss war deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

Vorinstanz: OLG Naumburg, vom 10.08.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 8 UF 57/09
Vorinstanz: AG Haldensleben, vom 04.03.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 8 F 95/08