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BGH - Entscheidung vom 24.02.2010

2 StR 577/09

BGH, Urteil vom 24.02.2010 - Aktenzeichen 2 StR 577/09

DRsp Nr. 2010/5907

Weder eine erhebliche Alkoholisierung noch gar ein Handeln in affektiver Erregung und aufgrund spontanen Entschlusses sprechen von vorneherein gegen das Vorliegen von Tötungsvorsatz zum Handlungszeitpunkt; vielmehr sind diese Umstände nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet, die Hemmschwelle auch für besonders gravierende Gewalthandlungen herabzusetzen.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt - Jugendkammer - vom 25. Mai 2009 im Fall 8 der Urteilsgründe sowie im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung in vier Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, des Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung sowie der Bedrohung schuldig gesprochen und ihn deshalb unter Einbeziehung von drei früheren Verurteilungen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die auf die Verurteilung im Fall II. 8 der Urteilsgründe und den Strafausspruch beschränkte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

1.

Nach den Feststellungen des Landgerichts zu diesem Fall kam es in den frühen Morgenstunden des 26. Juli 2008, gegen 2.45 Uhr zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten, dem Mitangeklagten L. und dem geschädigten Nebenkläger E.. Dieser hatte vom Fenster aus beobachtet, wie die beiden Angeklagten, die im Laufe des Abends im Bereich der Nordweststadt Frankfurt in alkoholisiertem Zustand bereits mehrfach Schlägereien mit anderen Jugendlichen gesucht hatten, gemeinsam einen weiteren Jugendlichen angriffen und schlugen. Da er - irrtümlich - annahm, der Angegriffene befinde sich in Lebensgefahr, wollte er ihm zu Hilfe kommen und begab sich vor das Haus. Dort wurde er von dem Angeklagten sogleich aggressiv bedrängt. Da inzwischen die Polizei benachrichtigt worden war und der Nebenkläger einer tätlichen Auseinandersetzung ausweichen wollte, wandte er sich zum Gehen. Der Angeklagte setzte ihm jedoch nach und bedrängte ihn körperlich; hierauf schubste der Nebenkläger ihn zurück. Der Angeklagte schlug ihn nun mit der Faust ins Gesicht. Als der Nebenkläger Anstalten machte, sich zu wehren, schlug auch der Mitangeklagte L. auf ihn ein; beide Angeklagte schlugen aus wechselnden Positionen auf Kopf und Oberkörper des Nebenklägers und schrieen unter anderem: "Ich stech Dich ab". Der Mitangeklagte L. war mit einem Malerspachtel bewaffnet, setzte diesen aber nicht ein; der Angeklagte trug ein Messer bei sich; L. rechnete nicht damit, dass er dieses einsetzen würde.

Als der Angeklagte aufgrund der Gegenwehr des Nebenklägers befürchtete zu unterliegen, holte er aufgrund eines spontanen Entschlusses sein Messer hervor, klappte es unbemerkt auf, zog den Nebenkläger am Hemd zu sich hin und stach sofort zu. Er stach hierbei ungezielt von unten nach oben in die rechte Flanke des Nebenklägers. Der Stich drang etwa 10 cm tief ein, verletzte die Leber und verfehlte eine große Hohlvene nur um etwa 2 cm. Bei geringfügig anderem Stichverlauf hätte konkrete Todesgefahr bestanden. Der Nebenkläger, der den Stich bemerkt hatte, wandte sich zur Flucht. Der Angeklagte verfolgte ihn, konnte ihn aber nicht mehr erreichen. Die Verletzungen des Nebenklägers sind folgenlos ausgeheilt.

Das Landgericht hat nicht feststellen können, dass der Angeklagte den Stich mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführt habe. Es hat gesehen, dass die sehr gefährliche Tathandlung zwar ein Indiz für einen solchen Vorsatz war, und hat die Einlassung des Angeklagten, er habe nur das Bein des Nebenklägers treffen wollen, als widerlegt angesehen. Andererseits hat es angenommen, der Stich sei ungezielt gewesen (UA S. 44); überdies habe der Angeklagte bis zur Flucht des Nebenklägers nur einmal gestochen, obgleich ihm weitere Stiche (entgegen der Einlassung des Angeklagten selbst) möglich gewesen wären (UA S. 47). Auch seine erhebliche, zur Einschränkung der Steuerungsfähigkeit führende Alkoholisierung spreche gegen einen Tötungsvorsatz; weiterhin der Charakter der Tat als spontane Einzelhandlung in affektiver Erregung (UA S. 49).

2.

Gegen diese Beweiswürdigung und die Verurteilung in diesem Fall nur wegen gefährlicher Körperverletzung wendet sich die Revision mit Recht. Die tatrichterliche Würdigung der Beweislage zum subjektiven Vorstellungsbild des Täters ist in Fällen wie dem vorliegenden nur rechtsfehlerfrei, wenn sie auf einer umfassenden Erörterung der festgestellten Beweisanzeichen beruht; Voraussetzung hierfür ist wiederum, dass die Beweisbedeutung einzelner Umstände zutreffend erkannt und deren Gewicht fehlerfrei beurteilt wird. Hieran fehlt es vorliegend, wie auch der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat.

Die vom Landgericht angeführten Beweisanzeichen gegen einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten sind schon für sich nicht geeignet, das Beweisergebnis zu tragen. Weder eine erhebliche Alkoholisierung noch gar ein Handeln in affektiver Erregung und aufgrund spontanen Entschlusses sprechen gegen das Vorliegen von Tötungsvorsatz zum Handlungszeitpunkt; vielmehr sind diese Umstände nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet, die Hemmschwelle auch für besonders gravierende Gewalthandlungen herabzusetzen. Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem aufgrund schwerster Berauschung oder tiefgreifender Bewusstseinsstörung schon die Erkenntnisfähigkeit des Täters beeinträchtigt ist, sind vorliegend ersichtlich nicht gegeben.

Es liegt nahe, dass das Landgericht zu einer anderen Bewertung auch der sonstigen Tatumstände gelangt wäre, wenn es die Bedeutung der von ihm als gewichtig angesehenen Indizien zutreffend eingeordnet und beurteilt hätte. Die Gesamtwürdigung des Tatrichters, für die grundsätzlich ein der Überprüfung nur eingeschränkt zugänglicher Spielraum besteht, beruht hier auf unzutreffenden Grundlagen und ist daher insgesamt rechtsfehlerhaft. Das Urteil war daher insoweit aufzuheben.

Ein Rücktritt vom - möglicherweise - versuchten Tötungsdelikt kommt hier aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen nach den bisherigen Feststellungen nicht in Betracht, da es auch bei Annahme eines unbeendeten Versuchs an einem freiwilligen Aufgeben der weiteren Tatausführung fehlen würde. Voraussetzung für eine Beurteilung wären im Übrigen nähere Feststellungen zum Rücktritts-Horizont des Angeklagten, die das Landgericht - aus seiner Sicht konsequent - nicht getroffen hat.

Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls auch die Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke zu prüfen haben.

Vorinstanz: