Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 07.05.2010

V ZB 121/10

Normen:
GG Art. 2 Abs. 2 S. 2
AufenthG § 62 Abs. 2 S. 5
VwGO § 123

BGH, Beschluss vom 07.05.2010 - Aktenzeichen V ZB 121/10

DRsp Nr. 2010/8815

Rechtmäßigkeit der Dauer einer Haftanordnung im Falle eines behördlich verschuldeten Scheiterns einer zuvor durch die Ausländerbehörde angekündigten Abschiebung

Tenor

Dem Betroffenen wird für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 23. April 2010 Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt Wassermann beigeordnet.

Die Vollziehung der durch Beschluss des Amtsgerichts Idar-Oberstein vom 25. Februar 2010 angeordneten und mit Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 23. April 2010 aufrechterhaltenen Abschiebungshaft wird einstweilen ausgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 2 S. 2; AufenthG § 62 Abs. 2 S. 5; VwGO § 123 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein georgischer Staatsangehöriger, reiste mithilfe einer Schleuserorganisation im Jahr 2000 in das Bundesgebiet ein. Er gab vor, irakischer Staatsangehöriger zu sein und stellte unter Angabe falscher Personalien einen Antrag auf Asyl. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nachfolgend Bundesamt) lehnte den Asylantrag am 29. November 2000 als offensichtlich unbegründet ab und drohte die Abschiebung in den "Herkunftsstaat" an. In dem Bescheid weist das Bundesamt darauf hin, dass die Abschiebung auch in einen Staat erfolgen könne, in den der Betroffene einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Der Betroffene kam dem nicht freiwillig nach und war über einen längeren Zeitraum unbekannten Aufenthalts im Bundesgebiet.

Auf Antrag des Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht am 25. Februar 2010 die Haft zur Sicherung der Abschiebung gegen den Betroffenen bis zum 19. Mai 2010 angeordnet. Hiergegen hat sich der Betroffene mit der sofortigen Beschwerde gewandt. Eine für den 13. April 2010 geplante Abschiebung hat das Verwaltungsgericht vorläufig nach § 123 VwGO untersagt und zur Begründung ausgeführt, dass es an einer hinreichend bestimmten Abschiebungsandrohung fehle. Die in dem Bescheid des Bundesamts vom 29. November 2000 enthaltene Abschiebungsandrohung sei zu unbestimmt, weil ein konkreter Zielstaat nicht genannt werde und die Ausländerbehörde eine Abschiebungsandrohung unter Bestimmung eines konkreten Zielstaats bislang nicht erlassen habe. Daraufhin erließ der Beteiligte zu 2 am 13. April 2010 eine Abschiebungsandrohung und bestimmte Georgien zum Zielstaat. Die Abschiebung des Betroffenen ist nunmehr für den 18. Mai 2010 vorgesehen.

Die gegen die Haftanordnung gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er beantragt, die Aussetzung des Vollzugs der Haftentscheidung bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde anzuordnen.

II.

Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung u.a. damit begründet, dass der Beteiligte zu 2 zwischenzeitlich wirksam den Zielstaat der Abschiebung bestimmt habe. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liege nicht vor. Zwar sei es dem Beteiligten möglich gewesen, die erforderliche Abschiebungsandrohung so rechtzeitig nachzuholen, dass die für den 13. April 2010 geplante Abschiebung hätte durchgeführt werden können. Dass der Betroffene nunmehr erst am 18. Mai 2010 abgeschoben werden könne, sei mit dem Allgemeininteresse an einer tatsächlichen Abschiebung noch zu rechtfertigen, zudem bleibe die Verlängerung der Freiheitsentziehung noch in einem vertretbaren Rahmen, zumal der Betroffene jahrelang über seine Identität getäuscht und so die umfangreichen Nachforschungen verursacht habe.

III.

1.

Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (vgl. Senat, Beschl. v. 21. Januar 2010, V ZB 14/10 Rdn. 3 - [...]; Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, Rdn. 3 - [...]).

2.

Er ist auch begründet.

Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte einstweilige Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, wird danach regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (Senat, Beschl. v. 21. Januar 2010, V ZB 14/10, Rdn. 5 - [...]; Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, Rdn. 5 - [...]; ferner Senat, Beschl. v. 31. Oktober 2007, V ZB 114/07, WuM 2008, 95 , 96). Die Rechtsbeschwerde bietet jedenfalls insoweit Aussicht auf Erfolg, als sie sich gegen die Aufrechterhaltung der Sicherungshaft richtet.

a)

Die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass die Fortdauer der Haft noch dem im Rahmen der Prüfung des Haftgrundes zu beachtenden verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken.

Nach der gesetzlichen Wertung, wie sie in § 62 Abs. 2 Satz 5 AufenthG zum Ausdruck kommt (vgl. Entwurf v. 23. April 2007 eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU, BT-Drucks. 16/5065, S. 188), verliert die Haftanordnung ihre Wirksamkeit mit der konkreten Abschiebungsmaßnahme (vgl. OLG Frankfurt FGPrax 2009, 188 , 189; OLG München OLGR 2006, 674). Dies gilt auch im Falle eines von dem Ausländer nicht zu vertretenden Scheiterns der Abschiebung (vgl. OLG Frankfurt, aaO; Hailbronner, AusIR, Stand: 68. Aktualisierung April 2010, § 62 AufenthG Rdn. 67). Schlägt diese ausschließlich wegen eines Fehlers der Ausländerbehörde fehl, ist die weitere Inhaftierung des Ausländers auf der Grundlage der ursprünglichen Haftanordnung nicht zu rechtfertigen (vgl. OLG Hamm OLGR 2009, 639 f.).

Davon dürfte hier auszugehen sein. Das Verwaltungsgericht hat die für den 13. April 2010 geplante Abschiebung einstweilen untersagt und dies mit dem Fehlen einer wirksamen Abschiebungsandrohung begründet. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist der Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen und daher als Tatsache zu berücksichtigen und nicht auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen (vgl. BGH, Urt. v. 15. Juni 2007, I ZR 125/04, NVwZ-RR 1008, 154, 155). Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hätte die Freiheitsentziehung mit der am 13. April 2010 durchzuführenden Abschiebung enden können, wenn der Beteiligte zu 2 rechtzeitig dem Betroffenen die Abschiebung nach Georgien angedroht hätte. Dies wäre dem Beteiligten zu 2 nach sorgfältiger Prüfung der Voraussetzungen der Abschiebung auch möglich gewesen. Keinesfalls ist die Untersagung der Abschiebung durch das Verwaltungsgericht dem Betroffenen anzulasten.

Der neue Sachvortrag des Beteiligten zu 2, dass er dem Betroffenen bereits am 25. Februar 2010 mündlich mitgeteilt habe, nach Georgien abgeschoben zu werden, kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden (vgl. Keidel/Meyer-Holtz, FamFG, 16. Aufl., § 74 Rdn. 35 m.w.N.).

b)

Die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung durfte das Beschwerdegericht schließlich nicht mit dem Allgemeininteresse an einer wirksamen Abschiebung oder damit rechtfertigen, dass die Verlängerung sich in einem "vertretbaren Rahmen" halte. Dem Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ) kommt - je länger eine Haft andauert - ein immer größeres Gewicht gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung ausländerrechtlicher Vorschriften zu (BVerfG, NVwZ 1996, Beilage 3, S. 17 f.). Zudem muss die Behörde, schon wenn vorhersehbar ist, dass die Abschiebung erforderlich wird, alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, damit der Vollzug der Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden kann (vgl. Senat, BGHZ 133, 235 , 239; Beschl. v. 25. März 2010, V ZA 9/10, Rdn. 22 - [...]).

Vorinstanz: AG Idar-Oberstein, vom 25.02.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 9 XIV 9/10
Vorinstanz: LG Bad Kreuznach, vom 23.04.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 1 T 74/10