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BGH - Entscheidung vom 02.12.2010

IX ZR 41/10

Normen:
ZPO § 256
InsO § 184 Abs. 2, § 302
InsO § 183 Abs. 2
InsO § 184 Abs. 2
InsO § 302
ZPO § 256 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
StGB § 266a

Fundstellen:
DB 2011, 293
MDR 2011, 130
WM 2011, 93
ZIP 2011, 39
ZIP-aktuell 2010, Nr. 358

BGH, Urteil vom 02.12.2010 - Aktenzeichen IX ZR 41/10

DRsp Nr. 2010/22581

Rechtlich geschütztes Interesse bei der Klage auf Feststellung des Rechtsgrundes einer unerlaubten Handlung bei einem auf den Rechtsgrund beschränkten Widerspruch des Schuldners

Der Klage eines Gläubigers, der über einen vollstreckbaren Schuldtitel verfügt, auf Feststellung des Rechtsgrundes der unerlaubten Handlung fehlt es nach dem auf den Rechtsgrund beschränkten Widerspruch des Schuldners nicht an einem rechtlich geschützten Interesse.

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11. Februar 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

InsO § 183 Abs. 2 ; InsO § 184 Abs. 2 ; InsO § 302 ; ZPO § 256 Abs. 1 ; BGB § 823 Abs. 2 ; StGB § 266a;

Tatbestand

Der Klägerin steht aufgrund eines rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Cottbus vom 11. Januar 2001 gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von 150.531,91 DM (76.965,74 €) nebst 4 % Zinsen seit dem 1. April 2000 zu. Den Urteilsgründen nach beruht der Anspruch auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266a StGB .

Am 26. September 2007 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet. Die Klägerin meldete den titulierten Anspruch an; der Verwalter stellte ihn mit dem Schuldgrund "Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung" zur Tabelle fest. Der Schuldner widersprach dem Rechtsgrund der Forderung.

Im vorliegenden Rechtsstreit beantragt die Klägerin festzustellen, dass der Widerspruch des Beklagten unbegründet sei. Die Vorinstanzen haben die Klage für unzulässig gehalten. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt (NZI 2010, 266 ): Der Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Der Beklagte habe seinen Widerspruch nicht binnen eines Monats ab dem Prüfungstermin im Klagewege verfolgt. Analog § 184 Abs. 2 InsO gelte der Widerspruch damit als nicht erhoben. Im Vorprozess sei zwar nicht mit Rechtskraftwirkung festgestellt worden, dass dem Anspruch der Klägerin eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Beklagten zugrunde liege. Auch wenn die materiellrechtliche Beurteilung des Schuldgrundes allein dem Prozessgericht obliege, seien das Vollstreckungs- und das Insolvenzgericht jedoch gehalten, den ihm vorgelegten Titel auf den maßgeblichen Schuldgrund hin zu überprüfen und gegebenenfalls auszulegen. Sei - wie im vorliegenden Fall - eine Auslegung möglich, könne man dem Gläubiger nicht zumuten, einen weiteren Rechtsstreit gegen den insolventen Schuldner zu betreiben. Dass der Widerspruch des Schuldners weiterhin in der Tabelle vermerkt sei und die zuständige Rechtspflegerin eine Berichtigung abgelehnt habe, begründe ebenfalls nicht die Zulässigkeit der Feststellungsklage. Die Klägerin brauche zur Klärung der Wirkungen des Widerspruchs zwar nicht den Abschluss des Insolvenzverfahrens abzuwarten. Infolge der Neufassung des § 184 InsO bedürfe es einer Klage jedoch nicht. Die Tabelle sei analog § 183 Abs. 2 InsO zu berichtigen. Gegen einen Beschluss, mit dem die Berichtigung abgelehnt werde, finde die sofortige Rechtspflegererinnerung statt. Die Klägerin habe es versäumt, einen förmlichen Beschluss der zuständigen Rechtspflegerin und eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Klage ist zulässig.

1.

Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde (§ 256 Abs. 1 ZPO ). Im vorliegenden Fall folgt das rechtliche Interesse der Klägerin aus § 302 Nr. 1 InsO . Der Schuldner hat Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt. Wird die Restschuldbefreiung erteilt, darf die Klägerin grundsätzlich weder aus dem Urteil vom 1. Januar 2001 noch aus dem Auszug aus der Tabelle (§ 201 Abs. 2 InsO ) die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben. Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung werden jedoch von der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht berührt, sofern der Gläubiger die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Abs. 2 InsO angemeldet hatte (§ 302 Nr. 1 InsO ).

Die Klägerin hat ihre Forderung als Forderung aus unerlaubter Handlung zur Tabelle angemeldet. Die Forderung gilt als festgestellt, nachdem im schriftlichen Verfahren (§ 177 InsO ) ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem der Insolvenzgläubiger erhoben worden ist (§ 178 Abs. 1 InsO ). Der auf den Anspruchsgrund beschränkte Widerspruch des Schuldners stand der Feststellung nicht entgegen (§ 178 Abs. 1 Satz 2 InsO ) und wirkt sich auf das Insolvenzverfahren nicht aus. Er hindert für sich genommen auch nicht die Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung aus der Tabelle (§ 201 Abs. 2 InsO ). Der Schuldner kann jedoch, falls die Klägerin aus der vollstreckbaren Ausfertigung aus der Tabelle (§ 201 Abs. 2 InsO ) oder aus dem Urteil vom 1. Januar 2001 die Zwangsvollstreckung gegen ihn betreiben sollte, sich im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO ) hiergegen zur Wehr setzen (vgl. BGH, Beschl. v. 25. September 2008 - IX ZB 205/06, WM 2008, 2219 , 2220 f Rn. 8 ff). Sein Widerspruch hat ihm nicht nur die rechtliche Möglichkeit hierzu verschafft, sondern begründet zugleich das Risiko, dass es früher oder später zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung kommen wird (vgl. BGH, Beschl. v. 18. Mai 2006 - IX ZR 187/04, WM 2006, 1347 , 1348 Rn. 10, zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 184 Abs. 2 InsO am 1. Juli 2007). Zurückgenommen hat er den Widerspruch auch nach entsprechender Aufforderung durch die Klägerin nicht.

2.

Der Klägerin steht kein gegenüber der Feststellungsklage einfacherer Weg zur Verfügung, um die Wirkungen des Widerspruchs des Beklagten zu beseitigen. Insbesondere kann sie nicht auf einen Antrag auf Berichtigung der Tabelle gemäß oder entsprechend analog § 183 Abs. 2 InsO verwiesen werden. Die Tabelle ist nicht im Sinne von § 183 Abs. 2 InsO unrichtig.

a)

Die Regelung des § 183 Abs. 2 InsO erlangt Bedeutung, wenn ein Gläubiger auf den Widerspruch des Verwalters oder eines anderen Gläubigers hin Klage auf Feststellung seiner Forderung erhoben hat und eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, durch die eine Forderung festgestellt oder ein Widerspruch für begründet erklärt worden ist (§ 183 Abs. 1 InsO ). Es obliegt dann der obsiegenden Partei, beim Insolvenzgericht unter Vorlage des rechtskräftigen Urteils die Berichtigung der Tabelle zu beantragen (§ 183 Abs. 2 InsO ).

b)

Die Vorschrift des § 183 Abs. 2 InsO dürfte entsprechend anzuwenden sein, wenn der Schuldner eine bereits titulierte Forderung, die zur Tabelle angemeldet worden ist, bestritten hat, dann aber nicht innerhalb der Monatsfrist des § 184 Abs. 2 InsO Klage erhoben und dem Insolvenzgericht die Verfolgung des Anspruchs nachgewiesen hat. Auch in einem solchen Fall wird die Tabelle unrichtig; denn nach fruchtlosem Ablauf der Frist gilt ein Widerspruch als nicht erhoben (§ 184 Abs. 2 Satz 2 InsO ). Da der Schuldner dem Gericht die Verfolgung des Anspruchs nachzuweisen hat (§ 184 Abs. 2 Satz 4 InsO ), kann das Insolvenzgericht die Wirkungslosigkeit des Widerspruchs feststellen, ohne schwierige Fragen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts beurteilen zu müssen. Zu prüfen ist lediglich, ob die Forderung tituliert ist, ob der Schuldner sie im Prüfungstermin bestritten hat und ob der Schuldner danach binnen eines Monats Klage gegen den Gläubiger erhoben hat.

c)

Hat der Schuldner nicht die Forderung, sondern nur den Anspruchsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung bestritten und ist die Forderung tituliert, nicht aber der Anspruchsgrund rechtskräftig festgestellt, kommt eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des § 184 Abs. 2 und des § 183 Abs. 2 InsO nicht in Betracht.

§ 184 Abs. 2 InsO ist eingeführt worden, weil es unbillig erschien, dass ein Gläubiger, der bereits einen Titel gegen den Schuldner erstritten hat, nach dessen Widerspruch nochmals prozessieren muss (BT-Drucks. 16/3227, S. 21). Der Gläubiger soll also denselben Rechtsstreit nicht ein zweites Mal führen müssen; ihm obliegt nur die erstmalige Titulierung der Forderung oder des Anspruchsgrundes (§ 184 Abs. 1 InsO ). Ist der Anspruchsgrund im Vorprozess nicht rechtskräftig festgestellt worden, stellt sich die Frage einer "nochmaligen" Prüfung und Feststellung des Anspruchsgrundes jedoch nicht. Dies ist offensichtlich, wenn es um Ansprüche geht, die entweder Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraussetzen oder auch auf andere Grundlagen gestützt werden können. Zum Beispiel kann ein Schadensersatzanspruch wegen eines Personenschadens auf eine vom Schädiger begangene vorsätzliche Körperverletzung (§ 823 Abs. 2 BGB , § 223 StGB ), aber auch auf fahrlässige Körperverletzung (§ 823 Abs. 2 BGB , § 229 StGB ) oder sogar auf Gefährdungshaftung (etwa § 833 BGB ) gestützt werden. Der Gläubiger kann also obsiegen und einen Titel gegen den Schuldner erwirken, ohne ein vorsätzliches Handeln des Schuldners dargelegt und bewiesen zu haben. Dann ist eine entsprechende Anwendung des § 184 Abs. 2 InsO nicht gerechtfertigt.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann es aber auch nicht darauf ankommen, welche Feststellungen das Gericht des Vorprozesses getroffen und welche Subsumtionsschlüsse es gezogen hat. Es ist nicht Aufgabe des Insolvenzgerichts, nach einem Widerspruch des Schuldners die Entscheidungsgründe eines bei der Anmeldung der Forderung vorgelegten Titels inhaltlich zu überprüfen. Die Prüfung kann schwierig sein, weil es sich um einen Umstand handelt oder jedenfalls handeln kann, auf den es im Vorprozess nicht ankam und auf den deshalb keine besondere Sorgfalt verwandt worden ist. Die Urteilsgründe können lückenhaft sein oder umgekehrt überschießende Feststellungen enthalten. Erst recht ist es nicht Aufgabe des Insolvenzgerichts zu prüfen, ob der im Vorprozess ausgeurteilte Anspruch unter Berücksichtigung des ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalts nach materiellem Recht zwingend eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung voraussetzt oder ob auch andere Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen. Wegen dieser nahezu unvermeidlichen Zweifel über die Reichweite eines richterlichen Leistungsbefehls hat der Senat es abgelehnt, die Rechtskraft eines Leistungsurteils auf die Feststellung zu erstrecken, das der Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt, wenn dieser nach materiellem Recht ein Vorsatzdelikt voraussetzt (BGH, Urt. v. 5. November 2009 - IX ZR 239/07, BGHZ 183, 77 , Rn. 16 f). Besteht keine Bindungswirkung, ist auch nicht zu rechtfertigen, dem Schuldner die Feststellungslast dafür aufzubürden, dass der vom Gläubiger bei der Anmeldung der Forderung angegebene Anspruchsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht besteht.

Allerdings wird dem Gläubiger, der bereits einen Zahlungstitel erwirkt hat, ein zweiter Rechtsstreit zugemutet, dessen Kosten er vom zahlungsunfähigen Schuldner (jedenfalls zunächst) regelmäßig nicht erstattet erhält. Es liegt jedoch an ihm, dies zu vermeiden, indem er von vornherein zweckentsprechende Maßnahmen ergreift, etwa nach einer Titulierung im Mahnverfahren eine titelergänzende Feststellungsklage oder im Übrigen im Wege der objektiven Klagehäufig neben dem Zahlungs- auch einen Feststellungsantrag anhängig macht (vgl. BGH, Urt. v. 5. November 2009, aaO Rn. 18).

d)

Das Urteil vom 11. Januar 2001, das die Klägerin gegen den Beklagten erwirkt hat, enthält nur einen Zahlungsausspruch, keinen Feststellungsausspruch hinsichtlich des Rechtsgrundes der unerlaubten Handlung. Mit der unanfechtbaren Verurteilung des Geschäftsführer einer GmbH zum Schadensersatz für nicht abgeführte Arbeitnehmeranteile von Sozialversicherungsbeiträgen steht gegenüber der Klägerin nicht rechtskräftig fest, dass der zuerkannte Anspruch auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht (BGH, Urt. v. 5. November 2009, aaO Rn. 14 ff). Die Vorschrift des § 184 Abs. 2 InsO ist damit weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Es ist nicht Sache des Beklagten, seinen Widerspruch im Klagewege weiter zu verfolgen. Vielmehr muss die Klägerin den Rechtsgrund ihres Anspruchs (erstmals) rechtskräftig feststellen lassen. Eine Berichtigung der Tabelle (§ 183 Abs. 2 InsO analog) kommt solange nicht in Betracht, wie eine solche Feststellung nicht erfolgt ist.

III.

Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ); die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Das Berufungsgericht wird nunmehr die Begründetheit der Klage zu prüfen haben.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 2. Dezember 2010

Vorinstanz: LG Cottbus, vom 30.07.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 6 O 57/09
Vorinstanz: OLG Brandenburg, vom 11.02.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 164/09
Fundstellen
DB 2011, 293
MDR 2011, 130
WM 2011, 93
ZIP 2011, 39
ZIP-aktuell 2010, Nr. 358