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BGH - Entscheidung vom 23.02.2010

X ZR 1/06

Normen:
ZPO § 286
EPÜ Art. 54

BGH, Urteil vom 23.02.2010 - Aktenzeichen X ZR 1/06

DRsp Nr. 2010/7732

Patentrechtliche Nichtigkeitsklage bzgl. eines Streitpatents betreffend die Entwicklungen an Spulaggregaten für synthetische Filamente; Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit im Zusammenhang mit einem Streitpatent betreffend Entwicklungen an Spulaggregaten für synthetische Filamente

Eine technische Lösung kann nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend bewertet werden, wenn der Fachmann für die (technisch zwangsläufige) Ausgestaltung dieser Lösung im Stand der Technik verschiedene Vorbilder findet, an die er anknüpfen kann.

Die Berufung gegen das am 8. September 2005 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

ZPO § 286 ; EPÜ Art. 54;

Tatbestand:

Die Beklagte war eingetragene Inhaberin des am 25. November 1985 angemeldeten, mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 524 657 (Streitpatents), das neun Patentansprüche umfasst, deren erster in der Verfahrenssprache lautet:

"A winder for thread, comprising a first chuck upon which packages of thread can be wound and a second chuck upon which packages of thread can be wound, means operable to transfer a thread from a package wound on the first chuck to the second chuck to start winding of a package thereon and screening means movable from a retracted position into an operating position between the completed package on the first chuck and the newley-forming package on the second chuck characterised by an auxiliary guide means for deflecting a thread during changeover of winding form the first to the second chuck, said guide means (44, 440) cooperating with the screening means (110) to screen a package (40) on the first chuck (24) from a winding operation on the second chuck (26)."

Dieser Anspruch ist in der Streitpatentschrift wie folgt in die deutsche Sprache übersetzt:

"Filament-Spulaggregat mit einem ersten Spulendorn, auf welchem Fadenpackungen aufgespult werden können, und mit einem zweiten Spulendorn, auf welchem Fadenpackungen aufgespult werden können, und mit Mitteln zum Übertragen eines Fadens von einer auf dem ersten Spulendorn aufgespulten Spulenpackung auf den zweiten Spulendorn zum Beginnen des Aufspulens einer Spulenpackung darauf, und mit Abschirm-Mitteln, die aus einer Ruhelage in eine Arbeitsstellung zwischen der fertig gestellten Spulenpackung auf dem ersten Spulendorn und der neu begonnenen Spulenpackung auf dem zweiten Spulendorn bewegbar sind, dadurch gekennzeichnet, dass Hilfs-Führungsmittel vorgesehen sind zum Auslenken eines Fadens während des Wechsels der Aufspulung vom ersten auf den zweiten Spulendorn, wobei die genannten Führungs-Mittel (44, 440) mit Abdeck-Mitteln (110) zusammenwirken, um eine Spulenpackung (40) auf dem ersten Spulendorn (24) von einem Aufspulvorgang auf dem zweiten Spulendorn (26) abzuschirmen."

Patentanspruch 5 lautet in der deutschen Übersetzung:

"Spulaggregat gemäß einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Abschirm-Mittel (110) und die Führungs-Mittel (44, 440) je eine Kante aufweisen, wobei diese Kanten nebeneinander liegen, wenn sich die Abschirm-Mittel (110) und die Führungs-Mittel (44, 440) in ihrer Abdeckposition befinden."

Wegen des Wortlauts der übrigen Ansprüche wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

Die Klägerin, die aus dem Streitpatent in Anspruch genommen wird, hat mit ihrer Nichtigkeitsklage geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht neu sei, jedenfalls aber gegenüber dem Stand der Technik nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe und Gleiches für die Unteransprüche gelte. Die Klägerin hat sich hierzu auf die europäischen Patentanmeldungen 73 930 und 161 385 (nachveröffentlicht), die US-amerikanischen Patentschriften 3 165 274, 3 409 238 und 4 327 872 sowie 4 613 090 (Anmeldungsdatum: 26. Februar 1985; Datum der Patentierung: 23. September 1986), auf die deutschen Offenlegungsschriften 25 44 365 und 22 12 505, auf die deutsche Patentschrift 24 49 912 sowie auf die japanischen Patentanmeldungen sho 60-15369 und 54-64148 berufen. Das Patentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß in vollem Umfang für nichtig erklärt. Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent dahin, dass Patentanspruch 1 die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 5 hinzugefügt werden.

Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. W. Hochschule N., Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik, M., ein schriftliches Gutachten erstellt, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I. 1. Ohne Einfluss auf das Berufungsverfahren ist der Ablauf der Schutzdauer des Streitpatents; der Klägerin ist nach ständiger Rechtsprechung ein weiter bestehendes Rechtsschutzbedürfnis für die Verfolgung ihres Begehrens zuzubilligen, weil sie aus dem Streitpatent in Anspruch genommen wird.

2. Das Streitpatent betrifft Entwicklungen an Spulaggregaten für synthetische Filamente. Der Beschreibung zufolge können beim Aufspulen solcher Filamente Probleme auftreten, wenn das Fadenende einer fertig gestellten Spulenpackung in der Phase des Herabbremsens des Spulendorns bis zum Stillstand infolge der Zentrifugalkraft radial nach außen nachgeschleppt wird und in den Arbeitsbereich hineinragt. Zur Bewältigung der daraus resultierenden, der Streitpatentschrift zufolge im Stand der Technik des Filamentspulens allgemein bekannten Probleme seien verschiedene Lösungen vorgeschlagen worden. Die US-amerikanischen Patente 3 165 274 und 3 409 238 beschrieben Abschirmungen, die zwischen eine fertiggestellte Spulenpackung und das Reibantriebselement eingeschoben werden könnten, um zu verhindern, dass ein Fadenende auf dem Antriebselement aufgewickelt wird. Die US-Patentschrift 4 327 872 zeige ein schwenkbares Fadenrückhalteelement. Die japanische Patentanmeldung sho 60-15369 offenbare ein Spulaggregat für synthetische Fäden, das zwei auf einem Revolver angebrachte Spulendorne und Abschirm-Mittel umfasse, die aus einer zurückgezogenen Ruhelage in eine Arbeitsstellung zwischen einer fertiggestellten Spulenpackung auf dem ersten und einer auf dem zweiten Spulendorn neu im Aufbau begriffenen Spulenpackung bewegt werden könnten.

3. Die Streitpatentschrift bezeichnet es als Ziel der vorliegenden Erfindung, eine Lösung der genannten Probleme vorzuschlagen, die der Verwendung auf einem Spulaggregat angepasst ist, das eine Mehrzahl von Spulendornen und Mittel zur Fadenübertragung von einem Spulendorn auf den anderen aufweist, und schlägt ein Filament-Spulaggregat vor (zusätzliche Merkmale gemäß dem Hilfsantrag der Beklagten kursiv gedruckt), mit

1. einem ersten und einem zweiten Spulendorn, auf welche Fadenpackungen aufgespult werden können,

2. mit Mitteln zum Übertragen eines Fadens von einer auf dem ersten Spulendorn aufgespulten Spulenpackung auf den zweiten Spulendorn zum Beginnen des Aufspulens einer Spulenpackung darauf, und

3. mit Abschirm-Mitteln,

die aus einer Ruhelage in eine Arbeitsstellung zwischen der fertiggestellten Spulenpackung auf dem ersten Spulendorn und der neuen Spulenpackung auf dem zweiten Spulendorn bewegbar sind,

4. mit vorgesehenen Hilfs-Führungsmitteln (44, 440) zum Auslenken eines Fadens während des Wechsels der Aufspulung vom ersten auf den zweiten Spulendorn, die

5. mit Abdeck-Mitteln (110) zusammenwirken, um eine Spulenpackung (40) auf dem ersten Spulendorn (24) von einem Aufspulvorgang auf den zweiten Spulendorn (26) abzuschirmen; wobei

6. die Abschirm-Mittel (110) und die Führungsmittel (44, 440) je eine Kante aufweisen,

7. und wobei diese Kanten nebeneinander liegen, wenn sich die Abschirm-Mittel (110) und die Führungsmittel (44, 440) in ihrer Abdeckposition befinden.

4. Die nachstehend abgebildete Figur 1 des Streitpatents zeigt schematisch die Draufsicht auf ein Spulaggregat mit zwei Spulendornen und Reibwalzenantrieb:

Die um ihre Längsachse (20) rotierende Reibantriebswalze (18) ragt starr aus dem Antriebskopf-Gehäuse (16) vor, während zwei Spulendorne (24, 26) drehbar auf Schwenkarmen (28, 30) gelagert sind. Auf sie sind Spulenhülsen (102) aufgesteckt, auf die der Faden mit Hilfe einer herkömmlichen Changiervorrichtung (22) gespult wird, und zwar indem der Faden (14) um die Reibantriebswalze geführt und unter Druckkontakt zwischen Antriebswalze und Spulenpackung so lange auf die Spulenhülse aufgespult wird, bis die vorgesehene Größe erreicht ist. Dabei wandern die Achsen der Spulendorne, auf die jeweils eine Spulenpackung aufgespult wird, entsprechend ihrem zunehmenden Umfang auf den Kurven (29 bzw. 31) in Richtung auf die jeweiligen Endpositionen (36, 250). Die patentierte Erfindung soll sich, der Streitpatentschrift zufolge, weder auf die beschriebene Antriebsart durch Reibwalzen beschränken - die Spulendorne können auch durch Einzelmotoren angetrieben werden -, noch auf die Lagerung der Spulendorne auf Schwenkachsen (stattdessen: Aufnahme der Spulendornpaare auf Revolver, Anspruch 3, vgl. auch Streitpatentschrift, Übersetzung S. 16 f.).

Die Mittel zum Abtrennen des Fadens und dessen Übertragung von einer auf dem ersten Spulendorn aufgespulten Packung auf den zweiten Spulendorn zum Beginn des Aufspulvorgangs auf diesem (Merkmal 2) werden in der Streitpatentschrift nicht erläutert, sondern dafür wird auf die europäische Patentanmeldung 73 930 verwiesen. Soweit die Figur mit der Bezugsziffer 14A ein vom oberen Spulendorn herabhängendes Fadenende zeigt, ist unstreitig, dass dieses in Anbetracht der gegen den Uhrzeigersinn gerichteten Laufrichtung des oberen Spulendorns mit falscher Ausrichtung eingezeichnet ist.

5. Figur 2 zeigt den Einsatz eines Hilfs-Führungsmittels (44) bei der Vorbereitung des Wechsels des Fadens von einer ausschwenkenden vollen Spulenpackung (40) zum Aufwinden auf dem einschwenkenden Spulendorn (26):

Das Hilfs-Führungsmittel, in der Streitpatentschrift auch als (Hilfs-)Führungselement, (Hilfs-)Auslenkelement (44) oder Fadenauslenk- bzw. -auslenkungsmittel bezeichnet, ist ein Bauteil, das zwischen einer zurückgezogenen Lage (mit durchgezogenen Linien in Figur 2 dargestellt) und einer Arbeitsstellung (strichpunktierte Linien in Figur 2) wechseln kann. Es lenkt in der Arbeitsstellung den Faden (18) zur Einleitung des Fadenwechsels von der fertiggestellten Spulenpackung (40) auf dem oberen Spulendorn (24) aus, damit der Faden vom einschwenkenden Spulendorn leichter abgefangen werden kann, so dass auf diese Weise der Beginn der Aufwicklung des Fadenendes auf die auf dem unteren Spulendorn (26) aufgebrachte Hülse sichergestellt ist. Diese Funktion ist in der europäischen Patentanmeldung 73 930 offenbart und beschrieben.

Dem Auslenkelement ist im Streitpatent eine zweite Funktion zugewiesen, und zwar die der Abschirmung. In dieser Funktion tritt es zu dem außerdem vorzusehenden Abschirmmittel (110) und ergänzt den von diesem verwirklichten Schutz vor einer Übertragung des von einer vollen Spulenpackung abstehenden Fadenendes auf die Reibantriebswalze oder die neue Spulenpackung. Die Streitpatentschrift bezeichnet die beiden Abschirmelemente als Haupt- und Hilfs-Abschirmmittel. Zu Letzterem ist das Fadenauslenkungsmittel der Streitpatentschrift zufolge "vorzugsweise" ausgebildet (Übersetzung S. 3); andere Hilfs-Abschirmmittel als die in der Doppelfunktion wirkenden Fadenauslenkungsmittel (44 i.V. mit 440) sind in der Streitpatentschrift allerdings nicht offenbart.

Das Auslenkelement besteht, worauf in der Beschreibung unter Bezugnahme auf die Figur 2 hingewiesen wird, aus einem Stück, wobei seine nach vorn vorstehende Partie als auswechselbare Leiste (440) ausgebildet sein kann, die sich im Wesentlichen über die gesamte Länge der auf einem Spulendorn aufzubringenden Spulenpackungen erstreckt.

6. Das Auslenkelement wirkt mit Abdeck-Mitteln zusammen, um eine Spulenpackung (40) auf dem ersten Spulendorn (24) von einem Aufspulvorgang auf den zweiten Spulendorn abzuschirmen (Merkmal 5). Patentanspruch 1 verwendet den Begriff "Abdeck-Mittel" als Synonym für "(Haupt-)Abschirm-Mittel". Das ergibt sich aus der übereinstimmenden Zuordnung des Bezugszeichens 110 und der Beschreibung sowie den Figuren.

Zu dem Zusammenwirken des Auslenkelements mit dem Abdeck-Mittel verhält sich Patentanspruch 1 nur insoweit, als er mit dem Auslenkelement und den Abschirm-Mitteln die Vorrichtungselemente benennt, mit denen die Abschirmwirkung erzielt werden soll. Diese Elemente müssen nur ganz allgemein die Eignung aufweisen, eine Spulenpackung (40) auf dem ersten Spulendorn (24) von einem Aufspulvorgang auf den zweiten Spulendorn abzuschirmen. Als Ausführungsbeispiel illustriert Figur 3 dieses Zusammenwirken.

Figur 3 zeigt als Kreisbogen den untersten Teil einer fertig gestellten oberen Spulenpackung (40) und den Beginn des Aufspulvorgangs auf der auf den unteren Spulendorn (26) aufgesteckten Spulenhülse (102 L), die sich dementsprechend in Kontakt mit der Reibantriebswalze (18) befindet. Die Platte (110) des Haupt-Abschirmmittels ist in diesem Ausführungsbeispiel gebogen und kann mit Hilfe einer Konstruktion aus weiteren Platten, Schienen, Gleitern und Rollen (116, 118, 120, 122, 126) von der Ruhestellung bei der Wand (114) in die Arbeitsstellung verfahren werden. Die Befestigung und der Bewegungsmechanismus für die Abschirmplatte sind der Streitpatentschrift zufolge jedoch nicht für die Erfindung wesentlich, sondern nur beispielhaft gezeigt. Entscheidend ist ganz allgemein, dass sie bewegbar ist. Auch ansonsten beinhaltet Patentanspruch 1 außer der zuvor abgehandelten Funktion keine weiteren Vorgaben. Die Abschirmplatte muss nicht gekrümmt ausgebildet sein, sondern kann, je nach Platzverhältnissen, auch längs einer Geraden hin- und herbewegbar sein; sie braucht nicht starr zu sein, sondern kann als flexibles, aufrollbares Blatt wie beispielsweise in der US-Patentschrift 3 165 274 ausgestaltet sein, entscheidend ist allein, dass das unter Einfluss von Zentrifugalkräften auf und ab wehende Fadenende der fertiggestellten Spulenpackung am Abschirm-Element wie an einem Schild abprallt.

In Figur 3 ist des Weiteren das Zusammenwirken des Haupt-Abschirmmittels mit dem in eine Arbeitsstellung ausgefahrenen Auslenkelement (44), das mit einer auswechselbaren Leiste (440) ausgebildet ist, schematisch dargestellt. Der Abstand l kann aufgrund von Versuchen gewählt werden und ist vorzugsweise so schmal wie möglich, ohne dass die Platte (110) und die Leiste (440) sich berühren; der Spalt kann aber auch faktisch zum Verschwinden gebracht werden, indem die Platte und die Leiste so übereinander angeordnet werden, dass sie sich überlappen (Übersetzung S. 10, 11).

II. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist neu (Art. 54 EPÜ).

1. Die deutsche Offenlegungsschrift 22 12 505, die deutsche Patent schrift 24 49 912 und die deutsche Offenlegungsschrift 25 44 365 betreffen allesamt die Aufwicklung von metallischen Drähten und damit gänzlich anders geartete Materialien als Garne. Die offenbarten Maschinen weisen im Übrigen entweder keine (Hilfs-)Führungs-Mittel zum Auslenken des Drahtes (eines Fadens) auf, die mit den Abschirm- oder Abdeck-Mitteln zusammenwirkten, um eine Abschirmfunktion zu erfüllen, oder vorhandene Führungs-Mittel sind nicht dazu vorgesehen, mit den Haupt- und Hilfs-Abdeckungen zusammenzuwirken, um eine Spulenpackung auf dem ersten Spulendorn von einem Aufspulvorgang auf dem zweiten Spulendorn abzuschirmen (Merkmal 5).

2. Die US-amerikanischen Patentschriften 3 165 274, 3 409 238 und 4 327 872 sowie die japanischen Offenlegungsschriften sho 54-64148 und 60-15369 betreffen verschiedene Gestaltungen von Garnaufwickelmaschinen, die alle über verschiedene Abschirm-Mittel (Merkmal 3) verfügen, bei denen jedoch durchweg keine Auslenkmittel (Merkmal 4) vorgesehen sind.

Soweit der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten in Bezug auf die US-amerikanische Patentschrift 3 165 274 von einem Fadenauslenkungssystem gesprochen hat, das über Rollen funktioniere, handelt es sich dabei nicht um ein Auslenkelement i.S. des Streitpatents; denn darunter versteht der Fachmann, wie der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend ergänzt hat, ein zusätzliches Element. Ein solches weist die genannte amerikanische Patentschrift nicht auf; vielmehr erfolgt die Fadenauslenkung dort allein infolge des durch das Verschwenken des Revolvers ausgelösten Fadenlaufs.

3. Die europäische Patentanmeldung 73 930 zeigt keine Abschirm-Mittel (Merkmal 3), die als Abdeck-Mittel (110) mit Führungs-Mitteln zusammenwirken (Merkmal 5).

III. Nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen einschließlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme (§ 286 ZPO ) kann der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend bewertet werden.

1. a) Wie sich aus der Beschreibung des Streitpatents ergibt, war dem Fachmann bekannt, dass beim Filamentspulen tunlichst Abschirmungen vorzusehen sind, um zu verhindern, dass sich von fertiggestellten Spulenpackungen infolge der Zentrifugalkraft radial nach außen nachgeschleppte Fadenenden auf der Reibantriebswalze oder der neuen Spulenpackung verfangen und dort aufgespult werden bzw., dass von der fertigen Spulenpackung herrührende Flusen oder Fadenstücke fehlerhaft mitaufgespult werden. Für die herkömmlichen Spulmaschinensätze mit auf Revolvern aufgesetzten Spulendornen waren im Stand der Technik verschiedene Lösungen bekannt. Dem Streitpatent ging es ersichtlich darum, eine Lösung nicht nur für solche Systeme vorzuschlagen, sondern ganz allgemein für Spulaggregate mit mehreren Spulendornen (vgl. Beschreibung Übersetzung S. 2 Mitte), also auch für auf Schwenkarmen gelagerte Aufspulvorrichtungen, wie sie Gegenstand der europäischen Patentanmeldung 73 930 sind. Aus dieser Anmeldung sind Auslenkelemente, wie sie das Streitpatent zur Fadenauslenkung (Merkmal 4) und als (Hilfs-)Abschirmmittel vorsieht (Merkmal 5), bekannt. Für den Fachmann war offenkundig, dass auch solche Aggregate mit einer wirksamen Abschirmung ausgestattet werden mussten, weil bei ihnen die Gefahr der Aufwicklung von Fadenenden, die von einer vollen Spulenpackung nachgeschleppt werden, gleichermaßen bestand. Die Schrift (Übersetzung S. 20 f.) erörtert im Zusammenhang mit den aus der Geometrie der Maschine resultierenden Zwängen und möglichen Störungsquellen zwar, dass, wenn keine Vorkehrung für die rasche Entfernung eines vollen Spulenkörpers getroffen würde, dieser weiter entfernt vom Reibantriebselement angeordnet sein müsse, um Störwirkungen zwischen dem fertiggestellten und dem neuen Spulkörper zu vermeiden. Der Fachmann wird eine wirtschaftlichtechnisch annehmbare Abschirmung aber nicht darin sehen, einfach nur die Endpositionen der Spulendorne so weit voneinander entfernt anzuordnen, dass allein durch die Distanz die Gefahr der unerwünschten Fadenaufwicklung gebannt wird. Denn die Anwender drängen normalerweise darauf, die größtmöglichen Spulkörperdurchmesser innerhalb der kleinstmöglichen Gesamtabmessungen zu erhalten (Übersetzung S. 20). Um die Dimensionierung der Aggregate in für die Abnehmer weiterhin attraktiven Grenzen zu halten, wird der Fachmann deshalb eine wie ein Schild wirkende Abschirmung vorziehen, die zwischen eine volle Spule und die Reibantriebswalze und den Spulendorn mit der noch leeren Packung geführt werden kann, weil der für eine wirksame Abschirmung erforderliche Abstand zwischen den genannten Teilen auf diese Weise verkleinert werden kann. Für die Ausgestaltung solcher Abschirmungen findet der Fachmann im Stand der Technik verschiedene Vorbilder, an die er anknüpfen kann. Dass diese durchweg für revolvergelagerte Spulendorne konzipiert sind, steht dem nicht entgegen, weil daraus keine prinzipiellen Abweichungen hinsichtlich der Funktion der Abschirmung und deren Ausgestaltung resultieren. Der Fachmann erkennt insbesondere, dass die Abschirmung bei beiden Konstruktionsprinzipien zumindest zeitweilig aus einer Arbeitsposition in eine Ruhestellung bewegbar sein muss, um den Fadenwechsel nicht zu stören.

b) Aufgrund der geometrisch-konstruktiven Gegebenheiten bei einem mit einem Auslenkelement ausgestatteten Spulmaschinensatz wird der Fachmann die Aufhängung für ein Abschirmelement, technisch zwangsläufig, an der dem Auslenkelement gegenüberliegenden Seite vorsehen. Die theoretisch vorstellbare Einführung einer Abschirmung von der vorderen Seite würde eine Konstruktion erfordern, die einen deutlich höheren konstruktiven Aufwand erforderte, als die Lösung mit einer seitlichen Aufhängung. Wie sich aus der Erörterung mit dem Sachverständigen ergeben hat, misst der Fachmann der Gewährleistung eines kontinuierlichen, ungestörten Produktionsablaufs höchste Priorität bei, weshalb er bestrebt ist, die Abschirmung so vollkommen wie möglich auszuführen. Darum wird er die vom Streitpatent vorgesehene Abschirmplatte so nahe an das Auslenkelement heranführen, wie dies möglich ist, ohne dass beide Teile sich in der Arbeitsstellung des Auslenkelements berühren und durch den Kontakt beschädigt werden könnten. Damit gelangt der Fachmann zu einer Vorrichtung, wie das Streitpatent sie unter Schutz stellt, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.

c) Das gilt ungeachtet des von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung hervorgehobenen Umstands, dass dem Auslenkelement gemäß Patentanspruch 1 eine zusätzliche Funktion zugewiesen ist, die weder in der europäischen Patentanmeldung 73 930 noch sonst im in das Verfahren eingeführten Stand der Technik offenbart ist. Die Auffindung dieser zusätzlichen Funktion rechtfertigt im Rahmen des Vorrichtungsanspruchs, als der Patentanspruch 1 formuliert ist, nicht die Gewährung von Patentschutz. Patentrechtlich maßgeblich ist insoweit, dass Patentanspruch 1 (lediglich) eine Vorrichtung unter Schutz stellt, die mit dem Auslenkmittel ein im Stand der Technik vorhandenes, mechanisches Vorrichtungselement einsetzt. Dass dem Fachmann abverlangt war zu erkennen, dass dem Auslenkelement (auch) die Eignung als (Hilfs-)Abschirmelement innewohnt und es deshalb eine Doppelfunktion übernehmen kann, ändert nichts daran, dass es sich um ein bekanntes Vorrichtungselement handelt. Die technisch-intellektuelle Leistung, die in der Auffindung der Einsatzmöglichkeit des Auslenkelements in einer weiteren Funktion stecken mag, findet keine Entsprechung in den Merkmalen des Vorrichtungsanspruchs und kann in diesem Rahmen deshalb auch nicht als erfinderische Leistung honoriert werden.

d) Dass mit dem (Haupt-)Abschirm-Mittel ein Element vorgesehen ist, das mit dem Auslenkmittel zusammenwirkt, um die Abschirmung insgesamt zu gewährleisten, stellt für sich ebenfalls keine den Schutz der Vorrichtung rechtfertigende erfinderische Leistung dar, weil sich dem Fachmann, wie ausgeführt, auch bei einem mit einem Fadenauslenkelement versehenen Spulaggregat die Erforderlichkeit einer (weiteren) Abschirmung aufdrängt.

e) Zur Schutzfähigkeit gereicht es dem Gegenstand von Patentanspruch 1 ferner nicht, dass für die Funktion der Auslenkung das vordere Ende des geknickten Elements (44) im Vordergrund steht, über das der Faden ausgelenkt wird, während die Abschirmfunktion von der Oberseite des Elements in seiner gesamten Länge ausgeübt wird. Dieser Umstand ist kein besonderes Merkmal des Vorrichtungsanspruchs und deshalb für die Frage der Schutzfähigkeit der Vorrichtung nicht heranzuziehen. Ebenso wenig fällt es unter dem Gesichtspunkt der erfinderischen Tätigkeit ins Gewicht, dass das Auslenkelement (44) nach Patentanspruch 1 mit einer Leiste (440) versehen ist, die in der europäischen Patentanmeldung 73 930 noch nicht vorgesehen ist.

f) Nichts anderes gilt schließlich für den Umstand, dass das Auslenkelement für diese Funktion gemäß der Beschreibung der europäischen Patentanmeldung 73 930 so geschaltet wird, dass es nach Abschluss des Fadenwechselvorgangs in eine zurückgezogene Stellung bewegt wird, in welcher es nicht irgendeinen der normalen Vorgänge der Maschine stört - worunter nach den überzeugenden Angaben des Sachverständigen namentlich der Aufspulvorgang zu verstehen ist (vgl. Beschreibung, Übersetzung S. 33, 62 ff.). Dass diese Schaltung abgewandelt werden muss, wenn das Auslenkelement Abschirmfunktionen jedenfalls bis zum Stillstand der vollen Spulenpackung übernehmen soll, ist evident, aber ebenfalls nicht Gegenstand des Vorrichtungsanspruchs.

2. Der Senat hält im Übrigen dafür, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 dem Fachmann auch unabhängig von dem vorstehend unter IV 1 Ausgeführten durch den Stand der Technik nahegelegt war, sobald er die Aufgabe, eine wirkungsvolle Abschirmung bereitzustellen, allgemein auf Spulmaschinenaggregate mit mehreren Spulendornen bezog und nicht nur auf solche mit Revolverwechselvorrichtungen. Denn unter dieser Voraussetzung hatte er auch die in der europäischen Patentanmeldung 73 930 offenbarte Lösung mit auf Schwenkarmen gelagerten Spulendornen und mit einer Fadenauslenkung ausgestatteten Maschinensätzen im Blick. Wie ausgeführt, war für den Fachmann von der Maschinengeometrie her ebenso vorgegeben, eine seitlich montierte Abschirmung vorzusehen, wie, diese - im Interesse eines annähernd lückenlosen Schutzes - so nahe wie möglich an die Arbeitsstellung des Auslenkelements heranzuführen. Die konstruktionszeichnerische Skizzierung der in Betracht kommenden, das vorhandene Auslenkelement in seiner maximalen Auslenkposition berücksichtigenden Lösungsmöglichkeiten führte dem Fachmann unweigerlich vor Augen, dass sich das - zeichnerisch in Arbeitsstellung fixierte - Auslenkelement als Verlängerung der durch die Abschirmplatte verwirklichten Abschirmung anbot. Dass es für die Auslenkfunktion nur auf die schmale Stirnseite dieses Elements ankam und dass es in der Funktion als Auslenkelement nur während eines vergleichsweise kleinen Zeitfensters in dieser Stellung verblieb, um anschließend in die Ruhestellung verschwenkt zu werden, ändert nichts daran, dass es von der gesamten Gerätegeometrie her vom Fachmann als eine ideale Verlängerung und Ergänzung des Hauptabschirmmittels erkannt wird. Unter diesen gegebenen Voraussetzungen stellt die dafür erforderliche fachmännische Loslösung von der reinen Auslenkfunktion und der auf sie abgestimmten Steuerschaltung keine das Vermögen des Durchschnittfachmanns übersteigende Leistung dar.

3. Die Aufnahme der Merkmale des erteilten Unteranspruchs 5 in den Hauptanspruch dient, wie in der mündlichen Verhandlung klargestellt worden ist, der prägnanteren Herausstellung der Vorteile der Erfindung; eine die Gewährung des Patentschutzes rechtfertigende eigenständige erfinderische Maßnahme ist darin ebenso wenig zu erkennen, wie in den Gegenständen der Unteransprüche.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V. mit § 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Vorinstanz: BPatG, vom 08.09.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 2 Ni 12/04 (EU)