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BGH - Entscheidung vom 20.07.2010

4 StR 304/10

Normen:
StGB a.F. § 182 Abs. 2 Nr. 1

BGH, Beschluss vom 20.07.2010 - Aktenzeichen 4 StR 304/10

DRsp Nr. 2010/14854

Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung

Für die im Fall einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen erforderliche Feststellungen, dass der Geschädigten die Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung gefehlt hat, reicht allein die Mitteilung eines offenbar altersgemäßen sexuellen Reifeprozess des Opfers (hier: einer 14-Jährigen) nicht aus.

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 3. März 2010 mit den Feststellungen aufgehoben

a) im Schuldspruch in den Fällen II 10 und 11 der Urteilsgründe,

b) im gesamten Strafausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB a.F. § 182 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen (Fälle II 1 - 5 und 9), wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen (Fälle II 6 - 8), wegen Vergewaltigung (Fall II 10) und wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen (Fall II 11) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

1.

Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist unbegründet. Das Landgericht hat den Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens rechtsfehlerfrei wegen Offenkundigkeit der Beweistatsachen abgelehnt. Die Strafkammer war daher auch nicht unter Aufklärungsgesichtspunkten gehalten, den beantragten Beweis zu erheben.

2.

Mit der Sachrüge hat die Revision in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

a)

Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 30. Juni 2010 im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, belegen die Feststellungen des Landgerichts nicht, dass der Angeklagte im Fall II 10 die Geschädigte mit Gewalt zur Duldung des Geschlechtsverkehrs genötigt hat. Danach zerrte der Angeklagte die zur Tatzeit 14jährige Geschädigte vom Stuhl ins nahe Bett, zog ihr Hose und Slip nach unten und schob ihre Oberbekleidung hoch. Dann legte er sich auf sie, wogegen sie sich körperlich nicht zu wehren wusste.

Ob das Zerren und das Drauflegen zur Überwindung erwarteten Widerstands erfolgten, ist nicht ausdrücklich festgestellt. Dies versteht sich hier auch nicht von selbst, weil sich die Geschädigte gegen andere - vor den abgeurteilten Taten vorgenommene - sexuelle Handlungen nicht gewehrt hat. Danach musste der Angeklagte Widerstand nicht erwarten. Dass der Angeklagte den Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Geschädigten vollzogen hat, reicht für sich allein noch nicht aus.

b)

Auch die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen nach § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. im Fall II 11 der Urteilsgründe hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Den Feststellungen lässt sich nicht hinreichend entnehmen, dass der Geschädigten die Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung gefehlt hat. Allein der im Urteil hierfür angeführte, offenbar altersgemäße sexuelle Reifeprozess reicht hierfür nicht aus. Im Übrigen spricht der Gesamtzusammenhang der einzelnen Taten eher dagegen, dass die sexuellen Handlungen des Angeklagten einverständlich geschehen sind, wie es § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. voraussetzt (vgl. BGH Beschluss vom 18. April 2007 - 2 StR 589/06 - Rn. 2).

c)

Schließlich ist auch der Strafausspruch in den Fällen II 1 - 9 der Urteilsgründe aufzuheben. Das Landgericht hat bei der Bemessung der Einzelstrafen fehlerhaft strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte vorbestraft gewesen sei. Die Taten wurden bis September 2004 begangen, also vor der ersten Vorverurteilung durch das Amtsgericht Bochum vom 30. Juni 2005. Der neue Tatrichter wird mit Blick auf § 55 StGB auch Gelegenheit haben festzustellen, ob die Vorverurteilungen erledigt sind.

Vorinstanz: LG Essen, vom 03.03.2010