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BGH - Entscheidung vom 16.03.2010

VI ZB 46/09

Normen:
ZPO § 233 (Ff), § 520 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 520 Abs. 2 S. 3

Fundstellen:
r+s 2011, 87

BGH, Beschluss vom 16.03.2010 - Aktenzeichen VI ZB 46/09

DRsp Nr. 2010/6654

Ausreichen der Berufung eines Prozessbevollmächtigten auf die nicht ausreichende Rücksprache mit dem Mandanten und die nicht erfolgte Beschaffung der notwendigen Unterlagen innerhalb der Berufungsbegründungsfrist für die Bewilligung der erstmals beantragten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist; Genügen von einem bloßen Hinweis auf berufliche Überlastung als Verlängerungsgrund für die Berufungsbegründungsfrsit; Berechtigung einer Partei zur Ausschöpfung einer Frist bis zum letzten Tag

Ein Prozessbevollmächtigter darf mit der Bewilligung einer erstmals beantragten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist rechnen, wenn er zur Begründung des Verlängerungsantrags darauf verweist, eine ausreichende Rücksprache mit dem Mandanten und die notwendige Beschaffung von Unterlagen hätten innerhalb der Berufungsbegründungsfrist nicht erfolgen können. In der Regel reicht die pauschale Berufung auf einen dieser Gründe in der Antragsschrift aus; eine weitere Substantiierung oder Glaubhaftmachung ist nicht erforderlich.

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 17. Juni 2009 aufgehoben.

Der Klägerin wird wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 27. März 2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.

Beschwerdewert: 14.190,24 €

Normenkette:

ZPO § 520 Abs. 2 S. 3;

Gründe

I.

Die Klägerin hat mit der beim Landgericht Verden erhobenen Klage die Beklagte auf Schadensersatz wegen des Todes eines Pferdes in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt. Am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist (2. Juni 2009, 16:09 Uhr) hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin per Telefax Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt, da "bisher nicht alle erforderlichen Unterlagen vorliegen und eine ausreichende Rücksprache mit der Mandantschaft nicht gehalten werden konnte". Der Senatsvorsitzende hat den Antrag mit Verfügung vom 3. Juni 2009 abgelehnt, weil kein erheblicher Grund im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO vorgetragen sei. Mit Schriftsatz vom 11. Juni 2009, eingegangen beim Berufungsgericht am selben Tag, hat die Klägerin die Berufung begründet und um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gebeten.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO ) und zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 , § 575 ZPO ). Sie ist auch begründet. Der angegriffene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG ) verbürgten Recht auf faire Verfahrensgestaltung. Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht verweigert. Die Klägerin war ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Denn dem Antrag ihres Prozessbevollmächtigten auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hätte stattgegeben werden müssen.

1.

Das Berufungsgericht hat die Ablehnung der Wiedereinsetzung wie folgt begründet: Im Streitfall habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht mit einer Fristverlängerung rechnen können, da er erhebliche Gründe für die Fristverlängerung nicht vorgetragen habe. Dass "eine ausreichende Rücksprache mit der Mandantschaft nicht gehalten werden konnte", reiche als Begründung nicht aus. Denn dabei bleibe gänzlich offen, weshalb eine für erforderlich gehaltene ausreichende Rücksprache bislang nicht habe erfolgen können. Der Gesetzgeber sei bei der Regelung in § 520 Abs. 2 ZPO davon ausgegangen, dass eine Berufungsbegründung regelmäßig in der Frist von zwei Monaten ab Zustellung des angefochtenen Urteils erfolgen könne. Es sei das erklärte Ziel des Gesetzgebers, zur Beschleunigung des Verfahrens eine Fristverlängerung nicht nur an das Vorliegen eines Antrags zu knüpfen. Vielmehr sollten - abgesehen vom Fall der Einwilligung des Gegners und des Fehlens einer Verzögerung - nur erhebliche Gründe zu einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist führen. Aus diesem Grunde genüge (für eine Fristverlängerung) nicht die bloße Angabe, dass eine ausreichende Rücksprache noch nicht habe erfolgen können. Ein erheblicher Grund für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist könne nur dann vorliegen, wenn sich dem Antrag entnehmen lasse, warum diese Rücksprache nicht in der vom Gesetzgeber grundsätzlich für ausreichend gehaltenen Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils habe erfolgen können.

Gleiches gelte, soweit der Fristverlängerungsantrag darauf gestützt sei, dass noch nicht alle erforderlichen Unterlagen vorlägen. Zwar sei anerkannt, dass Beschaffungsschwierigkeiten bei Beweisurkunden oder Gutachten ebenso erhebliche Gründe für eine Fristverlängerung darstellen könnten wie die Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens. Aber auch hier liege nur dann ein erheblicher Grund vor, wenn dargetan sei, aus welchen Gründen die Urkunden nicht innerhalb der gesetzlichen Berufungsbegründungsfrist hätten beschafft werden können bzw. das Gutachten nicht habe eingeholt werden können. Derartiges lasse sich dem Antrag der Klägerin aber nicht entnehmen.

2.

Diese Ausführungen sind mit den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof an die Begründung eines erstmaligen Antrags auf Fristverlängerung stellen, nicht vereinbar.

a)

Nach der Rechtsprechung des Senats sind bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine besonders hohen Anforderungen an die erforderliche Darlegung der erheblichen Gründe für die Notwendigkeit der Fristverlängerung zu stellen. Der Anwalt kann danach grundsätzlich erwarten, dass dem Antrag entsprochen wird, wenn einer der im Gesetz genannten Gründe vorgebracht wird (Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 1992 - VI ZB 25/92 - VersR 1993, 771 f.; vom 18. September 2001 - VI ZB 26/01 - VersR 2001, 1579 ; vom 13. Dezember 2005 - VI ZB 52/05 - VersR 2006, 568 ). Dies entspricht auch der Rechtsprechung der anderen Senate des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 1999 - II ZB 25/98 - NJW 1999, 3051 f.; vom 11. Juli 1985 - III ZB 13/85 - VersR 1985, 972 f.; vom 18. Juli 2007 - IV ZR 132/06 - VersR 2007, 1583 f.; vom 23. Oktober 2003 - V ZB 44/03 - NJW-RR 2004, 785 ; vom 24. Oktober 1996 - VII ZB 25/96 -VersR 1997, 258 f.; vom 9. Juli 2009 - VII ZB 111/08 - NJW 2009, 3100 f.; vom 11. November 1998 - VIII ZB 24/98 - VersR 1999, 1559 f.; vom 1. August 2001 - VIII ZB 24/01 - VersR 2002, 1576 f.; vom 11. Februar 1998 - XII ZB 184/97 -NJW-RR 1998, 787 f.; vom 15. August 2007 - XII ZB 82/07 - NJW-RR 2008, 76 ff.). Auf diese höchstrichterliche Rechtsprechung darf der Anwalt vertrauen; die unteren Instanzen dürfen aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht zum Nachteil der betroffenen Parteien strengere Maßstäbe anlegen (vgl. BVerfG, NJW 1998, 3703 f.; NJW 2001, 812 ff.; NJW 2007, 3342 f.).

b)

Das Berufungsgericht weicht in entscheidungserheblicher Weise von dieser Rechtsprechung ab. Seine Auffassung, ein erheblicher Grund sei nur dargelegt, wenn der Anwalt über den allgemein bezeichneten Grund hinaus, warum eine Fristverlängerung benötigt werde, dazu Einzelheiten vortrage, findet in den zitierten Entscheidungen keine Stütze.

Zum als "erheblich" anzusehenden Verlängerungsgrund der beruflichen Überlastung ist anerkannt, dass eine ins Einzelne gehende Darlegung dieser Überlastungsgründe beim ersten Verlängerungsantrag nicht verlangt wird (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Oktober 1992 - VI ZB 25/92 - aaO; BGH, vom 11. Juli 1985 - III ZB 13/85 - aaO; NJW-RR 1989, S. 1280; BVerfG, NJW 1998, 3703 f.). Der bloße Hinweis auf eine solche Arbeitsüberlastung reicht zur Feststellung eines erheblichen Grundes aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Oktober 1992 - VI ZB 25/92 - aaO; m.w.N.; vgl. auch BVerfGE 79, 372 , 377; BVerfG, NJW 2001, 812 , 813; NJW-RR 2002, 1007 , 1008; NJW 2007, 3342 ). Ein Prozessbevollmächtigter darf auch mit großer Wahrscheinlichkeit dann mit der Bewilligung einer erstmals beantragten Fristverlängerung rechnen, wenn die noch erforderliche Rücksprache oder Informationsbeschaffung bei der Partei nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erfolgen konnte, wobei auch hier eine weitere Substantiierung oder Glaubhaftmachung in der Regel nicht erforderlich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 1994 - VII ZB 5/94 - NJW 1994, 2957 , 2958; vom 11. November 1998 - VIII ZB 24/98 - aaO; vom 19. Januar 2000 - XII ZB 22/99 -NJW-RR 2000, 799 f.; vom 1. August 2001 - VIII ZB 24/01 - VersR 2002, 1576 , 1577; BVerfG, NJW 1998, 3703 f.). Für die notwendige Beschaffung von Unterlagen gilt nichts anderes. In all diesen Fällen reicht in der Regel die pauschale Berufung auf einen erheblichen Grund aus, ohne dass der Rechtsanwalt dies je nach den Anforderungen, die einzelne Gerichte stellen, mehr oder weniger präzisieren müsste.

Entgegen den Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss gereicht es einer Partei auch nicht zum Verschulden, wenn ihr Prozessbevollmächtigter den Antrag auf Fristverlängerung erst am letzten Tag der Frist stellt und sich nicht fernmündlich nach der Entscheidung über den Verlängerungsantrag erkundigt. Eine Partei ist grundsätzlich berechtigt, eine Frist bis zum letzten Tag auszuschöpfen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 1998 - VIII ZB 24/98 -aaO; BVerfGE 69, 381 , 385; BVerfG, NJW 2001, 812 , 813 f.). Wenn mit einer Verlängerung der Frist gerechnet werden kann, besteht keine Notwendigkeit für eine Rückfrage bei Gericht vor Ablauf der Frist (vgl. BGH, aaO; BVerfG, NJW 1998, 3703 f.; NJW 2001, 812 , 814). Auf die Hypothesen des Berufungsgerichts, was dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin wann hätte bekannt sein müssen und wie er darauf hätte reagieren können, kommt es darum nicht an.

3.

Danach hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf eine positive Bescheidung seines Fristverlängerungsantrags vertrauen dürfen. Die Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist deshalb ohne ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten versäumt.

Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind und der Wiedereinsetzungsantrag form- und fristgerecht gestellt worden ist, hat der Senat die beantragte Wiedereinsetzung bewilligt.

Vorinstanz: OLG Celle, vom 17.06.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 2 U 58/09
Vorinstanz: LG Verden, vom 27.03.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 1 O 31/08
Fundstellen
r+s 2011, 87