Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 16.06.2010

IV ZR 229/09

Normen:
VVG (Fassung vom 30. Mai 1908 RGBl. S. 263) §§ 27, 28, 29
VVG i.d.F. 30. Mai 1908 § 27
VVG i.d.F. 30. Mai 1908 § 28
VVG i.d.F. 30. Mai 1908 § 29

Fundstellen:
DAR 2010, 519
VersR 2010, 1032
VersR 2010, 1446

BGH, Urteil vom 16.06.2010 - Aktenzeichen IV ZR 229/09

DRsp Nr. 2010/11957

Anzeigepflichtige objektive Gefahrerhöhung bei einem zum Zwecke einer Schutzgelderpressung gefassten und dem Versicherungsnehmer in Nötigungsabsicht mitgeteilten Beschädigungsentschlusses einer versicherten Sache durch einen unbekannten Täter hinsichtlich einer Versicherung gegen Einbruchsdiebstahl und/oder Vandalismusrisiko

Bei Versicherung des Einbruchsdiebstahls- und/oder Vandalismusrisikos kann der zum Zwecke einer Schutzgelderpressung gefasste und dem Versicherungsnehmer in Nötigungsabsicht mitgeteilte Entschluss eines unbekannten Täters, die versicherte Sache - unter Umständen auch mehrfach - zu beschädigen, eine anzeigepflichtige objektive Gefahrerhöhung darstellen.

Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 3. März 2009 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

VVG i.d.F. 30. Mai 1908 § 27 ; VVG i.d.F. 30. Mai 1908 § 28 ; VVG i.d.F. 30. Mai 1908 § 29 ;

Tatbestand

Der Kläger, früherer Inhaber einer Gaststätte, fordert Versicherungsleistungen aus der seit September 2005 bei der Beklagten gehaltenen Firmenversicherung, welcher die Allgemeinen Versicherungsbedingungen "ambitio Gastronomie" der Beklagten zugrunde liegen. Nach deren Teil B II. 1.1 § 1 Nr. 2 in Verbindung mit der Versicherungspolice erstreckt sich der Versicherungsschutz auch auf Sachen, die durch Einbruchdiebstahl, Vandalismus und Beraubung zerstört oder beschädigt werden.

Beginnend im Spätsommer und zunächst fortlaufend bis Ende Oktober 2006 erhielt der Kläger im Büro seiner Gaststätte mehrere anonyme Anrufe, in welchen eine männliche Stimme sinngemäß "Schutz und Versicherung" anbot, weil immer etwas passieren könne. Nachdem der Kläger darauf nicht eingegangen war, wurde der Anrufer ab Januar 2007 konkreter und forderte nunmehr für den angebotenen "Schutz" monatliche Zahlungen von 750 €. Zur Bekräftigung seiner Forderung gab er an, man wisse, dass der Kläger mehrere Lokale habe, er solle sich weder an die Polizei noch sonstige andere Personen wenden. Der Kläger unterrichtete danach lediglich seine Ehefrau von den Anrufen, unternahm ansonsten aber nichts. In den nachfolgenden Wochen erschienen vier männliche Gäste im Lokal und äußerten mehrfach den Wunsch, den "Chef" - gemeint war offensichtlich der Kläger - zu sprechen. Zu einem solchen Gespräch kam es jedoch nicht.

Am 9. März 2007 brachen Unbekannte in das Lokal ein und entwendeten Bargeld und technische Geräte. Zum überwiegenden Teil wurde dieser Schaden von der Beklagten reguliert. Auch bei der Schadenregulierung verschwieg der Kläger die vorangegangenen Erpressungsversuche.

Beginnend zwei Tage nach dem Einbruch und unter ausdrücklichem Hinweis auf diese Tat wiederholte der unbekannte Anrufer mehrfach seine Zahlungsaufforderung unter Hinweis darauf, dass man wisse, wo der Kläger wohne und dass er Familie habe. Am 21. April 2007 wurde am Auto des Klägers die Heckscheibe eingeschlagen und der Lack zerkratzt. In der darauf folgenden Woche äußerte der unbekannte Anrufer, der Kläger habe nun sehen können, was alles passiere.

In der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 2007 wurde die Gaststätte erneut von Einbrechern heimgesucht. Sie verwüsteten - vermutlich mit einer Axt - große Teile der Inneneinrichtung und versprühten eine große Menge schwarzer Lackfarbe. Entwendet wurden nach der Behauptung des Klägers ungefähr 2.700 € Bargeld und eine Musikanlage.

Nachdem der Kläger in seiner Schadenmeldung der Beklagten erstmals auch die Entwicklung der vorangegangenen Erpressungsversuche geschildert hatte, kündigte diese den Versicherungsvertrag mit Schreiben vom 29. Juni 2007 fristlos, weil ihr die eingetretene Gefahrerhöhung nicht rechtzeitig angezeigt worden sei. Vorsorglich wurde zugleich eine fristgemäße Kündigung wegen des eingetretenen Schadenfalles ausgesprochen. Mit Schreiben vom 12. Juli 2007 lehnte die Beklagte Versicherungsleistungen ab.

Der Kläger beziffert den eingetretenen Sach- und Betriebsunterbrechungsschaden auf 130.714,62 €. Er verlangt ferner 15.000 € als Verzugsschaden, weil sich Verbindlichkeiten gegenüber seiner Vermieterin infolge mangelnder Liquidität um diesen Betrag erhöht hätten, und schließlich die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.780,20 €.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision verfolgt das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hält die Beklagte nach § 28 Abs. 1 VVG a.F. für leistungsfrei. Der Versuch, den Kläger zu so genannten Schutzgeldzahlungen zu erpressen, und der damit einhergehende Vorsatz des unbekannten Erpressers, die versicherte Gaststätte zur Bekräftigung seiner Forderungen gegebenenfalls auch mehrfach zu schädigen, stellten eine nach § 27 Abs. 2 VVG a.F. anzeigepflichtige Gefahrerhöhung dar. Das ergebe bei Abwägung aller Umstände ein Vergleich der Gefahrenlage bei Abschluss des Vertrages mit derjenigen Gefahrenlage, die nach der Veränderung der für die versicherte Gefahr maßgeblichen Sachlage eingetreten sei.

Die Gefahrerhöhung sei auch nicht unerheblich im Sinne des § 29 VVG a.F. Gegenteiligen Auffassungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe (VersR 1998, 625 f.) und von Prölss (NVersZ 2000, 153, 156 ff.), wonach der Entschluss eines Dritten, die versicherte Sache zu schädigen, lediglich eine mitversicherte, nicht anzeigepflichtige Erhöhung der Gefahr i.S. des § 29 Satz 1 VVG a.F. darstelle, sei jedenfalls hier nicht zu folgen. Ein Schutzgelderpresser unterscheide sich wesentlich von einem durchschnittlichen Schädiger. Fasse Letzterer seinen Zerstörungsentschluss in aller Regel spontan und in unmittelbarem Zusammenhang mit einem konkreten Einbruchsgeschehen, verfolge der Schutzgelderpresser sein Ziel planmäßig, beharrlich und kaltblütig und setze die versicherte Sache dabei einer anhaltenden Bedrohung aus. Das übersteige deutlich die gewöhnlich bei Abschluss einer Vandalismusschadenversicherung von den Vertragsparteien zugrunde gelegte Gefahrensituation.

Hier hätten jedenfalls der erste Einbruch vom 9. März 2007, welcher - wie das Berufungsgericht näher ausführt - mit den vorangegangenen Erpressungsversuchen in Zusammenhang stehe und die Entschlossenheit der Erpresser bewiesen habe, und die danach fortgesetzten Drohanrufe manifestiert, dass sich die Gefahr für die versicherte Gaststätte anhaltend erhöht habe. Gerade wegen der Weigerung des Klägers, auf die Forderungen der Erpresser einzugehen, sei schließlich die Gefahr eines "abschließenden Vernichtungsschlages" gegen die Gaststätte in unmittelbare Nähe gerückt. Der Kläger habe deshalb die Gefahrerhöhung der Beklagten spätestens im März 2007 anlässlich der Fortsetzung der Drohanrufe nach dem ersten Einbruch anzeigen müssen. Der Versicherungsfall vom 3./4. Juni 2007 sei später als einen Monat nach diesem Zeitpunkt eingetreten.

Den ihm obliegenden Beweis, dass der neuerliche Einbruch nicht durch die Schutzgelderpresser verübt oder veranlasst worden, die Gefahrerhöhung mithin ohne Einfluss auf den Versicherungsfall geblieben sei (§ 28 Abs. 2 Satz 2 VVG a.F.), habe der Kläger nicht geführt.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

1.

Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, hier sei unabhängig vom Willen des Versicherungsnehmers eine (so genannte objektive) Gefahrerhöhung für die versicherte Gaststätte i.S. von § 27 Abs. 1 VVG a.F. eingetreten.

a)

Durch die Bestimmungen der §§ 23 ff. VVG a.F. soll das bei Abschluss des Versicherungsvertrages zugrunde gelegte Gleichgewicht zwischen Prämienaufkommen und Versicherungsleistung erhalten bleiben. Der Versicherer soll nicht gezwungen sein, am Versicherungsvertrag festzuhalten, obwohl sich die Risikolage so geändert hat, dass das Verhältnis zwischen Risiko und Prämie nicht mehr der Risikolage entspricht, die er bei Abschluss des Versicherungsvertrages voraussetzen durfte. Von einer Gefahrerhöhung kann demnach nur dann gesprochen werden, wenn nachträglich eine Gefahrenlage eingetreten ist, bei der der Versicherer den in Rede stehenden Versicherungsvertrag nicht oder jedenfalls nicht zu der vereinbarten Prämie abgeschlossen hätte. Folgerichtig kommt es in diesem Zusammenhang nicht auf einzelne Gefahrumstände an; stattdessen ist zu fragen, wie sich die Gefahrenlage insgesamt entwickelt hat. Dabei sind alle ersichtlichen gefahrerheblichen Tatsachen in Betracht zu ziehen. Soweit gefahrerhöhenden Umständen gefahrvermindernde entgegenstehen, sind sie gegeneinander abzuwägen (BGHZ 79, 156 , 158; Senatsurteil vom 5. Mai 2004 - IV ZR 183/03 - VersR 2004, 895 unter II 2 a aa). Die Annahme einer Gefahrerhöhung setzt weiter voraus, dass der neue Zustand erhöhter Gefahr mindestens von einer solchen Dauer sein muss, dass er die Grundlage eines neuen natürlichen Gefahrenverlaufs bilden kann und so den Eintritt des Versicherungsfalles zu fördern geeignet ist (Senatsurteil vom 27. Januar 1999 - IV ZR 315/97 - VersR 1999, 484 unter 2 a m.w.N.; HK-VVG/Karczewski, § 23 Rdn. 9, 13; Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 23 Rdn. 4).

b)

Legt man diese Maßstäbe zugrunde, so hat hier der erst nach Abschluss des Versicherungsvertrages mittels anonymer Anrufe kundgegebene, über mehrere Monate verfolgte Entschluss unbekannter Täter, den Kläger mittels Androhung (unter anderem) von Einbruchsdiebstählen und schwerwiegenden Sachbeschädigungen zu Schutzgeldzahlungen zu zwingen und diesem Verlangen auch durch wiederholte Anschläge auf die versicherte Gaststätte Nachdruck zu verleihen, die Gefahr des Eintritts von Einbruchs- und Vandalismusschäden dauerhaft erhöht (vgl. dazu Senatsurteil vom 27. Januar 1999 aaO).

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der vom Berufungsgericht angesprochene Umstand, dass gerade auch die Weigerung des Klägers, dem Erpressungsverlangen nachzugeben, die Möglichkeit eines "abschließenden Vernichtungsschlages" in unmittelbare Nähe gerückt hat. Die Beklagte hat sich nicht darauf berufen, die eingetretene Gefahrerhöhung sei zugleich vom Kläger i.S. von § 23 Abs. 1 VVG a.F. (als so genannte subjektive Gefahrerhöhung) herbeigeführt worden. Deshalb kann offen bleiben, ob sie insoweit aus Gründen der Einheit der Rechtsordnung oder aus Treu und Glauben verpflichtet gewesen wäre, in diese Weigerung des Klägers nach § 23 Abs. 1 VVG a.F. einzuwilligen. Umgekehrt schließt der Umstand, dass der Kläger insoweit rechtmäßig gehandelt hat und ihm ein Nachgeben gegenüber den Erpressern aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zugemutet werden konnte, die Annahme einer objektiven Gefahrerhöhung nicht aus. Entscheidend ist insoweit nicht das Verhalten des Versicherungsnehmers, sondern allein der von außen an das Versicherungsverhältnis herangetragene Entschluss Dritter, die versicherte Sache zu beschädigen oder zu zerstören.

2.

Der Kläger musste die eingetretene Gefahrerhöhung gemäß § 27 Abs. 2 VVG a.F. der Beklagten anzeigen. Eine mitversicherte und damit i.S. von § 29 VVG a.F. unerhebliche Gefahrerhöhung liegt hier nicht vor.

a)

In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, ob der Entschluss eines Dritten, die versicherte Sache zu schädigen, dem Sachversicherer als Gefahrerhöhung angezeigt werden muss.

aa)

Das Oberlandesgericht Karlsruhe (VersR 1998, 625) hat in einer seine Entscheidung nicht tragenden Erwägung die Auffassung vertreten, es stelle keine versicherungsrechtlich relevante nachträgliche Gefahrerhöhung in der Sachversicherung dar, wenn ein Dritter dem Versicherungsnehmer im Rahmen einer Schutzgelderpressung eine vorsätzliche Schädigung der versicherten Sache androhe.

Übernehme der Versicherer das Risiko vorsätzlicher Schädigung durch Dritte, so erhöhe der Entschluss eines Dritten, diese vorsätzliche Schädigung herbeizuführen, das versicherte Risiko zwar objektiv. Das sei aber jeder vorsätzlichen Schädigung durch Dritte von vornherein immanent, weil notwendig jeder vorsätzlichen Schädigung vorausgehend. Der Tatentschluss des Dritten mache zwar den Eintritt des Versicherungsfalls wahrscheinlicher, bedeute aber keine Steigerung des von vornherein versicherten Risikos, sondern sei von Anfang an "mitversichert". Die bevorstehende Verwirklichung des versicherten Risikos könne somit keine versicherungsrechtlich relevante nachträgliche Gefahrerhöhung darstellen. Denn hielte man den Versicherungsnehmer in solchen Fällen einer sich realisierenden versicherten Gefahr für anzeigepflichtig und eröffnete dem Versicherer die Kündigungsmöglichkeit nach § 27 Abs. 1 VVG a.F. und Leistungsfreiheit nach § 28 VVG a.F., so liefe der Versicherungsschutz ins Leere.

bb)

Ähnlich hält auch Prölss (NVersZ 2000, 153, 157 ff.) die von Dritten ausgehende Bedrohung des Versicherungsnehmers mit schadenstiftenden Handlungen, etwa einer Brandstiftung, für eine mitversicherte Gefahrerhöhung.

cc)

Das Oberlandesgericht Koblenz hat gegenüber einer Versicherungsnehmerin geäußerte anonyme Drohungen mit Brand oder Gewalt gegen das versicherte Gebäude als objektive Gefahrerhöhung gewertet (r+s 1988, 303), jedoch die Frage der Anzeigepflicht offen gelassen, weil in dem von ihm entschiedenen Fall die gesteigerte Gefahrenlage nicht mehr fortgedauert hatte, als das versicherte Gebäude abgebrannt war.

dd)

Auch der Senat hat bisher lediglich ausgesprochen, dass die Drohung des Ehemannes einer Versicherungsnehmerin, das versicherte Gebäude in die Luft zu sprengen, eine Gefahrerhöhung darstellen könne, wenn die Bedrohungslage über eine längere Dauer aufrechterhalten werde (Senatsurteil vom 27. Januar 1999 - IV ZR 315/97 - VersR 1999, 484 unter 2 a). Da es im entschiedenen Fall an dieser Dauerhaftigkeit gefehlt hatte, konnte die Frage der Anzeigepflichtigkeit einer solchen Gefahrerhöhung offen bleiben.

b)

Für den vorliegenden Fall stimmt der Senat dem Berufungsgericht darin zu, dass der Kläger die eingetretene objektive Gefahrerhöhung dem Versicherer jedenfalls hätte anzeigen müssen, nachdem sein Lokal nach vorangegangenen Drohungen erstmals am 9. März 2007 von Einbrechern heimgesucht worden war und der anonyme Anrufer zwei Tage später unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diesen ersten Vorfall seine Drohungen fortgesetzt hatte. Denn zum einen hatte der Kläger spätestens zu diesem Zeitpunkt sichere Kenntnis davon, dass eine ernsthafte Bedrohung für die versicherte Sache vorlag, zum anderen richtete sich diese Drohung auf eine wiederholte, sich von Mal zu Mal steigernde Schädigung des Lokals und stellte jedenfalls deshalb eine erhebliche, nicht mehr "mitversicherte" Gefahrerhöhung i.S. von § 29 VVG a.F. dar.

aa)

Die so genannte Schutzgelderpressung ist dadurch gekennzeichnet, dass ihr Täter vorrangig das Ziel verfolgt, sein Opfer zu einer Vermögensverfügung zu nötigen. Die Beschädigung oder Zerstörung der versicherten Sache stellt mithin nicht das eigentliche Ziel des Tatplans dar, sondern soll zunächst lediglich als empfindliches Übel angedroht werden, um den damit Erpressten zur Zahlung von "Schutzgeld" zu bewegen. Mit der Umsetzung der Drohung verleiht der Erpresser zwar einerseits seiner Forderung Nachdruck, gefährdet zugleich aber seinen Tatplan, indem er den Betrieb des Erpressungsopfers schädigt, mit welchem eigentlich die erpressten Zahlungen erwirtschaftet werden sollen. Wird ein Versicherungsnehmer Opfer eines solchen Erpressungsversuches, so kann er deshalb oftmals nicht sicher abschätzen, wie ernst die Drohung mit der Schädigung der versicherten Sache gemeint ist. Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Schutzgelderpresser regelmäßig bereit sind, ihre Drohung im Falle der Nichtzahlung des Erpressungsopfers wahr zu machen, besteht nicht.

Für den Kläger bestand diese Unsicherheit allerdings jedenfalls zu dem Zeitpunkt nicht mehr, zu dem erstmalig in sein Lokal eingebrochen worden war und der anonyme Anrufer zwei Tage später seine Forderungen wiederholte und die begleitenden Drohungen unter Hinweis auf diesen ersten Einbruch fortsetzte. Von da an hatte der Kläger die Gewissheit, dass die Drohungen nicht nur ernst gemeint, sondern auch auf Dauer angelegt waren. Der Kläger hatte somit sichere Kenntnis, dass sich die Gefahr für die versicherte Sache nachhaltig erhöht hatte.

bb)

Die veränderte Gefahrenlage war auch nicht mitversichert i.S. von § 29 Satz 2 VVG a.F. Selbst wenn man dem Oberlandesgericht Karlsruhe (aaO) und Prölss (aaO) im Ansatz darin zustimmt, dass das Versprechen, Versicherungsschutz auch gegen die vorsätzliche Beschädigung der versicherten Sache durch Dritte zu gewähren, grundsätzlich deren Tatentschluss als notwendiges Zwischenstadium der Gefahrverwirklichung einschließt, bestanden hier Besonderheiten. Der Tatentschluss war weitergehend darauf gerichtet, die Schädigung binnen relativ kurzer Zeit nicht nur mehrfach zu wiederholen, sondern zugleich von Mal zu Mal auch auszuweiten, um damit zunächst den Druck auf den Versicherungsnehmer zu erhöhen, ihn aber im Falle beharrlicher Verweigerung von Schutzgeldzahlungen am Ende auch wirtschaftlich zu ruinieren, um so zumindest noch eine abschreckende Wirkung auf andere potentielle Erpressungsopfer zu erzielen. In dieser Wiederholungsabsicht bei gleichzeitiger Tendenz zur Eskalation liegt eine Veränderung der Gefahrenlage, die selbst dann nicht mehr als bei Vertragsschluss von den Parteien mit einkalkuliert angesehen werden kann, wenn man in Rechnung stellt, dass hier ein Lokal versichert worden ist und Schutzgelderpressungen zum Nachteil von Gastronomiebetrieben nicht derart selten sind, dass sie den Vertragsparteien nicht auch als möglicher Grund einer Schädigung der versicherten Sache vor Augen gestanden haben könnten. Die vorsätzlich wiederholte Zerstörung oder Beschädigung zum Zwecke der Durchsetzung einer rechtswidrigen Geldforderung kann auch dann nicht mehr als notwendige oder besonders häufige Zwischenstufe der Verwirklichung der ursprünglich versicherten Gefahr aufgefasst werden. Denn auch der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird ohne Weiteres erkennen, dass dem Vertragsschluss und der Prämienkalkulation des Versicherers in der Regel die Vorstellung zugrunde liegt, es könne während der Vertragslaufzeit einmal zum Eintritt des Versicherungsfalles und damit zur Inanspruchnahme der Versicherungsleistung kommen. Auf dieser Erwartung basiert die Festlegung der Versicherungsprämie. Das ergibt im Übrigen schon der Blick auf die in den Versicherungsbedingungen vorgesehene Möglichkeit des Versicherers, den Vertrag nach einem Schadenfall zu kündigen (hier § 21 Nr. 2 des Allgemeinen Teils der AVB ambitio Gastronomie 07/2005).

cc)

Allein diese Kündigungsmöglichkeit reicht allerdings für sich genommen nicht aus, um eine Anzeige der eingetretenen Gefahrerhöhung entbehrlich zu machen. Denn erst mit der Anzeige, dass der Kläger und das versicherte Lokal von einer Schutzgelderpressung betroffen waren, hätte die Beklagte nach dem ersten Einbruchsschaden die für ihre Kündigungsentscheidung bedeutsamen Umstände erfahren.

3.

Für eine anders lautende - von der Revision geforderte - wertende Betrachtung, der zufolge der Versicherer die Gefahrerhöhung aus kriminalpolitischen Gründen hinzunehmen hätte, geben die §§ 23 ff. VVG a.F. keinen Raum. Sie ist auch nicht aus Treu und Glauben geboten. Ob eine ungewollte Gefahrerhöhung i.S. von § 27 Abs. 1 VVG a.F. vorliegt, bestimmt sich allein anhand objektiver, d.h. außerhalb des subjektiven Bereichs der Vertragsparteien angesiedelter Umstände. Entsprechendes gilt für die Frage der Erheblichkeit der Gefahrerhöhung und ihrer Anzeigepflicht. Dass die Erhöhung der Gefahr hier die Folge kriminellen Verhaltens Dritter war und dem Versicherungsnehmer als Tatopfer wenig Handlungsspielraum verblieb, der Gefahrerhöhung Erfolg versprechend zu begegnen, muss sich der Versicherer, der seinerseits keine Verantwortung für die veränderte Sachlage trägt, nicht entgegenhalten lassen.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 16. Juni 2010

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 20.10.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 415 O 48/08
Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 03.03.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 9 U 219/08
Fundstellen
DAR 2010, 519
VersR 2010, 1032
VersR 2010, 1446