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BGH - Entscheidung vom 05.07.2010

5 StR 156/10

Normen:
StPO § 349 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 05.07.2010 - Aktenzeichen 5 StR 156/10

DRsp Nr. 2010/13439

Anforderungen an eine gerichtliche Beweiswürdigung bei widersprüchlichen Angaben der Tatbeteiligten über den ihnen vorgeworfenen illegalen Rauschgifthandel

1. In einem Fall, in dem ein Angeklagter zwar nicht allein, aber doch überwiegend durch die Angaben anderer Tatbeteiligter überführt werden soll, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle entscheidungsrelevanten Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.2. Das gilt in besonderem Maße, wenn widersprüchliche Angaben von Tatbeteiligten zu würdigen sind, die in ein Geflecht illegalen Rauschgifthandels verwickelt sind und naheliegend eigene Vorteile durch vermeintlich geständige Angaben zu erlangen oder fremde Beschuldigungen abzuwehren suchen; unter solchen Vorzeichen ist es erforderlich, die Umstände der Entstehung und den näheren Inhalt der belastenden Angaben sowie deren Entwicklung darzustellen und zu bewerten.

1. Auf die Revision des Angeklagten C. wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Dezember 2009, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO ).

Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die Revisionen der Angeklagten D. und J. gegen das genannte Urteil werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten D. und C. wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren verurteilt. Die Angeklagte J. hat es wegen Beihilfe zu dieser Tat zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten D. und das auf das Strafmaß beschränkte Rechtsmittel der Angeklagten J. bleiben ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO ). Die Revision des Beschwerdeführers C. führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils (§ 349 Abs. 4 StPO ). Auf die von ihm erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.

1.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Die Angeklagten D. und C. kamen im Dezember 2008 dahin überein, in der zusammen mit der Angeklagten J. bewohnten Wohnung Metamfetaminhydrochlorid herzustellen, um dieses "zu sogenanntem 'Crystal' gestreckt gewinnbringend zu veräußern" (UA S. 7). Bis zu ihrer Festnahme im August 2009 verschafften sich D. und C. zu diesem Zweck bei Apotheken etwa wöchentlich 5.500 Tabletten eines apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtigen Antiallergikums. Die Angeklagte J. begleitete sie regelmäßig und half beim anschließenden Herauslösen der Tabletten aus den Packungen in der Wohnung. Am weiteren Herstellungsprozess des "Crystal" in der Küche der Wohnung, deren Tür D. und C. "sodann regelmäßig abschlossen", war sie nicht beteiligt (UA S. 8). D. und C. stellten wöchentlich mindestens 275 g Metamfetaminbase zum gewinnbringenden Weiterverkauf als "Crystal" her.

2.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet zum Umfang der Tatbeteiligung des Angeklagten C. durchgreifenden sachlichrechtlichen Bedenken.

a)

C. hat seine Beteiligung an der Herstellung von Rauschmitteln in einer in der Hauptverhandlung verlesenen schriftlichen Erklärung zugestanden, dies allerdings in wesentlich geringerem Umfang als festgestellt. Insgesamt habe er lediglich an der Herstellung von ungefähr 1.000 g Metamfetamin bzw. einer entsprechenden Menge Ephedrinbase mitgewirkt. Mit dem Verkauf von "Crystal" habe er nichts zu tun gehabt. Für seine Tätigkeit, die er "unter Anweisung und Anleitung" geleistet habe, sei er nur in geringem Umfang entlohnt worden.

b)

Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der darüber hinausgehenden Beteiligung C. s wesentlich auf die Angaben der Angeklagten J. sowie stützend auf ein Geständnis des Angeklagten D. , der die Anklagevorwürfe am dritten Tag der Hauptverhandlung pauschal eingeräumt hat. Die Angaben der Angeklagten J. bewertet es als "detailliert" und "glaubhaft" (UA S. 17). Insbesondere habe sie sich und vor allem ihren Lebensgefährten D. schwer belastet (UA S. 17). Zwar habe sie in den beiden ersten polizeilichen Vernehmungen "zunächst in erster Linie den Mitangeklagten C. " und erst im Rahmen ihrer dritten polizeilichen Vernehmung auch ihren Lebensgefährten D. erheblich belastet (UA S. 17). Der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben stehe dieses veränderte Aussageverhalten jedoch nicht entgegen. Sie habe in der Hauptverhandlung erklärt, dass sie zunächst ängstlich gewesen sei und ihren Lebensgefährten sowie sich selbst habe schützen wollen, sich dann jedoch entschieden habe, einen "Strich zu machen", alles richtig zu stellen und auch bezüglich ihres Lebensgefährten alles offen zu legen.

c)

Diese Ausführungen greifen zu kurz und ermöglichen - auch eingedenk der eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. BGHSt 47, 383 , 385) - nicht die gebotene revisionsgerichtliche Überprüfung. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass sich das Tatgericht der hier vorliegenden besonders problematischen Beweislage nicht hinreichend bewusst gewesen ist.

aa)

In einem Fall, in dem ein Angeklagter - wie hier - zwar nicht allein, aber doch überwiegend durch die Angaben anderer Tatbeteiligter überführt werden soll, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle entscheidungsrelevanten Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 19; BGH NStZ-RR 1996, 300 ). Das gilt in besonderem Maße, wenn widersprüchliche Angaben von Tatbeteiligten zu würdigen sind, die in ein Geflecht illegalen Rauschgifthandels verwickelt sind und naheliegend eigene Vorteile durch vermeintlich geständige Angaben zu erlangen oder fremde Beschuldigungen abzuwehren suchen; unter solchen Vorzeichen ist es erforderlich, die Umstände der Entstehung und den näheren Inhalt der belastenden Angaben sowie deren Entwicklung darzustellen und zu bewerten (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 19; BGH, Beschluss vom 4. August 2004 - 5 StR 267/04; Brause, NStZ 2007, 505, 510).

bb)

Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht in vollem Umfang gerecht. Die Einlassung und die Entwicklung des Aussageverhaltens der Angeklagten J. gerade betreffend den Tatbeitrag des C. werden nicht im Zusammenhang, sondern bruchstückhaft und detailarm wiedergegeben. Im Rahmen der Beweiswürdigung wäre darüber hinaus maßgebend zu berücksichtigen gewesen, dass die Angeklagte eigenen Angaben zufolge den C. bei den beiden ersten Vernehmungen zunächst insoweit falsch belastet hat, als sie ihm "die Hauptverantwortung für die Herstellung des Metamfetamin" zugesprochen hat, weil sie nicht nur ihren Lebensgefährten, sondern auch "sich selbst" hat "schützen wollen" (UA S. 17).

Es liegt auf der Hand, dass das Motiv der Angeklagten, den Tatbeitrag des C. überzubetonen, hingegen den eigenen Beitrag in einem sehr milden Licht erscheinen zu lassen, unverändert Gültigkeit hatte. Dies gilt ungeachtet der späteren Belastung auch ihres Lebensgefährten, die überdies durch erhoffte weitere Vorteile bei der Strafzumessung aufgrund einer umfassenderen Offenbarung des Tatgeschehens bedingt sein kann. Da sich dem angefochtenen Urteil außerhalb der Einlassung der Angeklagten J. liegende Beweismittel spezifisch zu dem von ihr bekundeten Umfang der Tatbeteiligung C. s nicht entnehmen lassen, hätte sich das Landgericht mit diesen bestimmenden Umständen im Einzelnen auseinandersetzen müssen.

3.

Der Senat hat das Urteil deshalb mit den den Angeklagten C. betreffenden Feststellungen aufgehoben. Die Verurteilung des Angeklagten D. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wird hierdurch nicht berührt. C. hat die Herstellung der Betäubungsmittel nach seiner Einlassung von Anfang an unterstützt. Selbst wenn das neu entscheidende Tatgericht - was eher fernliegt - diesen Angeklagten lediglich als Gehilfen aburteilen sollte, wäre hierdurch das Gegebensein einer Bande im Rechtssinn nicht in Frage gestellt (vgl. BGHR StGB § 244 Abs. 1 Nr. 2 Bande 7; BGH NStZ 2007, 33 ; 2008, 570 , 571).

Vorinstanz: LG Berlin, vom 16.12.2009