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BFH - Entscheidung vom 03.09.2010

IV B 93/09

Normen:
§ 76 Abs 1 FGO
§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO
§ 155 FGO
§ 295 ZPO
FGO § 76 Abs. 2
FGO § 96 Abs. 2
FGO § 155
ZPO § 295
GG Art. 103 Abs. 1

BFH, Beschluss vom 03.09.2010 - Aktenzeichen IV B 93/09

DRsp Nr. 2010/19328

Verzicht auf die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Übergehen eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Zeugen durch Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; Umfang der gerichtlichen Hinweispflicht auf naheliegende tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte bei einem fachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten

1. NV: Die pauschale Bezugnahme eines Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auf sein schriftliches Vorbringen reicht als Rüge, ein Beweisantrag sei übergangen worden, nicht aus. 2. NV: Aufgrund des finanzgerichtlichen Grundsatzes, den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen, müssen die Beteiligten grundsätzlich damit rechnen, dass das FG nach der mündlichen Verhandlung abschließend entscheidet und keine Beweiserhebung anordnet.

Normenkette:

FGO § 76 Abs. 2 ; FGO § 96 Abs. 2 ; FGO § 155 ; ZPO § 295 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) führen nicht zur Zulassung der Revision.

1.

Die Klägerin kann nicht mehr geltend machen, das Finanzgericht (FG) habe entgegen ihrem schriftsätzlichen Antrag unterlassen, einen sachverständigen Zeugen zu vernehmen, und dadurch seine Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO verletzt.

a)

Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung ). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört auch das Übergehen eines Beweisantrags. Bei verzichtbaren Verfahrensmängeln geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich. Der Verfahrensmangel muss in der (nächsten) mündlichen Verhandlung gerügt werden, in der der Rügeberechtigte erschienen ist; verhandelt er zur Sache, ohne den Verfahrensmangel zu rügen, obwohl er den Mangel kannte oder kennen musste, verliert er das Rügerecht (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. September 2008 IV B 4/08, BFH/NV 2009, 35 , m.w.N.).

b)

Die fachkundig vertretene Klägerin hat im Streitfall keine Rüge erhoben. Die pauschale Bezugnahme der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 27. Mai 2009 auf ihr schriftliches Vorbringen reicht hierfür nicht aus.

c)

Die Klägerin hat in dieser mündlichen Verhandlung auch damit rechnen müssen, dass das FG ihrem Beweisantrag nicht entsprechen werde. Das FG hat zum Termin der mündlichen Verhandlung den von der Klägerin angebotenen sachverständigen Zeugen nicht geladen. Aufgrund des finanzgerichtlichen Grundsatzes, den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 79 Abs. 1 Satz 1 FGO ), musste die Klägerin damit rechnen, dass das FG nach der mündlichen Verhandlung abschließend entscheidet und keine Beweiserhebung anordnet (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Oktober 1991 VII B 98/91, BFH/NV 1992, 603 ; vom 7. Dezember 1999 IV B 45/99, BFH/NV 2000, 735 ). Die Klägerin hat weder vorgetragen noch ist ersichtlich, dass das FG einen Beweisbeschluss angekündigt habe.

2.

Eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes , § 96 Abs. 2 FGO ) durch eine Überraschungsentscheidung oder eine Verletzung der Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO ) liegen nicht vor.

a)

Eine Überraschungsentscheidung ist anzunehmen, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht indes nicht, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern oder sie ihnen im Voraus anzudeuten. Auf naheliegende tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte braucht das Gericht zumindest dann nicht hinzuweisen (§ 76 Abs. 2 FGO ), wenn die Beteiligten --wie im Streitfall-- fachkundig vertreten sind. Abgesehen davon muss ein Beteiligter bei unklarer Sach- und/oder Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (BFH-Beschluss vom 7. Mai 2009 IX B 13/09, BFH/NV 2009, 1266 , m.w.N.).

b)

Nach diesen Grundsätzen hat das FG --anders als die Klägerin meint-- die Kalkulation für die Amortisation des Schiffs nicht erörtern müssen. Da die Klägerin hierzu selbst vorgetragen hat, war ihr auch bewusst, dass es auf die Kalkulation ankommt. Ferner war die Berechnung zwischen den Beteiligten umstritten.

Vorinstanz: FG Hamburg, vom 27.05.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 2 K 93/08