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BFH - Entscheidung vom 26.11.2010

V B 59/10

Normen:
§ 110 AO
§ 155 AO
§ 172 AO
§ 355 AO
Art 13 Teil B Buchst f EWGRL 388/77
Art 10 EG
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO
AO § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. d

BFH, Beschluss vom 26.11.2010 - Aktenzeichen V B 59/10

DRsp Nr. 2011/1600

Auslegungsbedürftigkeit des Unionsrechts bzgl. der Frage nach der Möglichkeit einer Geltendmachung von durch das Unionsrecht eingeräumten Rechten ausschließlich bei Möglichkeit der Kenntnisnahme von diesen

1. NV: Es ist geklärt, dass das Unionsrecht bei nachträglich erkannter fehlerhafter Umsetzung einer Richtlinie keine günstigere Behandlung des Steuerpflichtigen im Hinblick auf den Lauf und die Dauer der Einspruchsfrist (§§ 347 Abs. 1 Satz 1, 335 Abs. 1 Satz 1 AO ) verlangt. 2. NV: Es ist geklärt, dass nach den Vorgaben des Unionsrechts ein bestandkräftiger Steuerbescheid bei einer erst nachträglich erkannten fehlerhaften Richtlinienumsetzung nicht unter günstigeren Bedingungen als bei einer Verletzung innerstaatlichen Rechts änderbar sein muss. Das Korrektursystem der §§ 172 ff. AO regelt die Durchsetzung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche abschließend.

Normenkette:

AO § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. d;

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1.

Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) aufgeworfenen Rechtsfragen zur Auslegung des Unionsrechts sind bereits geklärt.

a)

Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt in Betracht, wenn Auslegungszweifel in Bezug auf das anzuwendende Unionsrecht vorhanden sind und im Revisionsverfahren voraussichtlich eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union einzuholen wäre (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. November 2007 IV B 169/06, BFH/NV 2008, 390 ).

b)

Die Kläger benennen in den Schriftsätzen zur Beschwerdebegründung vom 26. August 2010 und 27. September 2010 die folgenden --ihrer Ansicht nach auslegungsbedürftigen-- Rechtsfragen.

aa)

Sie halten das Unionsrecht hinsichtlich der Frage für auslegungsbedürftig, ob dem sog. Emmott-Urteil des EuGH vom 25. Juli 1991 C-208/90, Emmott (Slg. 1991, I-4269) der Rechtsgrundsatz zu entnehmen sei, dass jemand seine durch das Unionsrecht eingeräumten Rechte nur geltend machen könne, wenn er in der Lage sei, sich von diesen in ausreichender Weise Kenntnis zu verschaffen und ob dies erfordere, dass die Einspruchsfrist (§§ 347 Abs. 1 Satz 1, 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung -- AO --) bei einer fehlerhaften Umsetzung der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG durch den Gesetzgeber einer Anlaufhemmung unterliegen müsse, bis der Steuerpflichtige durch ein EuGH-Urteil Kenntnis vom Umsetzungsverstoß erlangen könne.

bb)

Gestützt auf Ausführungen im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. September 2008 2 BvR 1321/07 (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2009, 60) halten die Kläger es außerdem für unionsrechtlich klärungsbedürftig, ob es bei einer nachträglich erkannten fehlerhaften Richtlinienumsetzung --wie in der bisherigen Rechtsprechung des BFH angenommen (vgl. Entscheidungen vom 23. November 2006 V R 67/05, BFHE 216, 357 , BStBl II 2007, 436 ; vom 29. Mai 2008 V R 45/06, BFH/NV 2008, 1889 ; vom 15. Juni 2009 I B 230/08, BFH/NV 2009, 1779 )-- unter Anwendung der sog. "Kühne und Heitz-Rechtsprechung" des EuGH (Urteil vom 13. Januar 2004 C-453/00, Kühne & Heitz, Slg. 2004, I-837) mit dem Unionsrecht vereinbar sei, dass ein bestandskräftiger und der Festsetzungsverjährung unterliegender Steuerbescheid nur geändert werden könne, wenn das deutsche Verfahrensrecht hierfür eine Korrekturvorschrift enthalte und ob ein unionsrechtlicher Änderungsanspruch stets verlange, dass der Steuerpflichtige zuvor erfolglos den Rechtsweg gegen die bestandskräftig gewordene Steuerfestsetzung bis zum Ende beschritten habe.

cc)

Der EuGH müsse schließlich darüber befinden, ob die Regelung in § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO , der eine Änderung rechtswidriger bestandskräftiger Steuerbescheide nach § 130 AO ausschließe, den Vorgaben des unionsrechtlichen Effektivitätsprinzips zuwiderlaufe.

c)

Die aufgeworfenen Auslegungsfragen sind jedoch geklärt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf sein Urteil vom 16. September 2010 V R 57/09, BFHE 230, 504 ; (vgl. auch BFH-Entscheidungen vom 9. Juni 2010 X B 41/10, BFH/NV 2010, 1783 , und vom 8. Juli 2009 XI R 41/08, BFH/NV 2010, 1 ).

2.

Eine Zulassung der Revision zur Vermeidung einer drohenden "nachträglichen Divergenz" (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 31. Oktober 2002 IV B 126/01, BFH/NV 2003, 291 ; Senatsbeschluss vom 26. Juni 2009 V B 34/08, BFH/NV 2009, 2011 ) kommt nicht in Betracht. Der Senat hat die von den Klägern angeführten --bei Beschwerdeeinlegung noch anhängigen-- Verfahren mittlerweile entschieden. Damit stimmen die tragenden Rechtssätze des angefochtenen Urteils des Finanzgerichts überein.

Vorinstanz: FG Köln, vom 12.05.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 9 K 2741/09