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BVerwG - Entscheidung vom 18.05.2009

5 B 2.09

Normen:
AusglLeistG § 6
VwGO § 74 Abs. 1
VwGO § 74 Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 18.05.2009 - Aktenzeichen 5 B 2.09

DRsp Nr. 2009/14027

Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit für die Gewährung einer Ausgleichsleistung für ein Rittergut; Zulässigkeit einer inzidenten Überprüfung der Frage der örtlichen Zuständigkeit bei der Prüfung der Ingangsetzung der Klagefrist durch eine richtige Rechtmittelbelehrung

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 22. Oktober 2008 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Dresden zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt.

Normenkette:

AusglLeistG § 6; VwGO § 74 Abs. 1 ; VwGO § 74 Abs. 2 ;

Gründe:

Die Beschwerde ist im Hinblick auf die angebrachte Verfahrensrüge begründet, das Verwaltungsgericht hätte die Klage nicht mangels Verfristung als unzulässig abweisen dürfen. Wegen eines Fehlers in der Rechtsmittelbelehrung ist die einmonatige Klagefrist des § 74 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 VwGO nicht in Lauf gesetzt worden. Es galt vielmehr die Frist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO . Zur Beschleunigung des Verfahrens macht der beschließende Senat von seinem Ermessen Gebrauch, die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1.

Dem angefochtenen Urteil haftet ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO an. Das Verwaltungsgericht ist verfahrensfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Kläger die einmonatige Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 2 VwGO versäumt habe. Entgegen der Beurteilung des Verwaltungsgerichts war der Bescheid, durch den hier in Bezug auch auf den Kläger die Gewährung einer Ausgleichsleistung für ein Rittergut in G., das im Zuge der Bodenreform im Jahre 1945 enteignet worden war, abgelehnt worden ist, deswegen nicht mit einer richtigen Rechtsmittelbelehrung versehen, weil für die Klage örtlich zuständiges Gericht das Verwaltungsgericht Dresden angegeben worden war (1.1). Dieser Fehler ist auch im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen (1.2).

1.1

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen, weil die vom Kläger mit seiner ca. zwei Monate nach der wirksamen Bekanntgabe des Bescheides an dessen Bevollmächtigten erhobene Klage nicht verfristet war, so dass es auf die Nichtgewährung von Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht ankommt. Die für die entgegenstehende Entscheidung tragende Bewertung, der Bescheid sei mit einer richtigen Rechtsbehelfsbelehrung versehen gewesen, verletzt Bundesrecht ( § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ).

Nach § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel (hier: die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 VwGO ) nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs - von hier nicht erheblichen Ausnahmen abgesehen - innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig ( § 58 Abs. 2 VwGO ).

Der Kläger hat hier die Klage fristgerecht erhoben, weil die Rechtsmittelbelehrung unrichtig erteilt worden ist. Eine Rechtsmittelbelehrung, die über die Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage belehrt, ist nur dann "richtig" i.S.d. § 58 Abs. 1 VwGO , wenn das sachlich und örtlich zuständige Gericht benannt wird. Eine Rechtsmittelbelehrung, in der ein örtlich unzuständiges Gericht angegeben wird, setzt die Klagefrist des § 74 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 VwGO nicht in Lauf (vgl. Urteil vom 20. Juni 1958 - BVerwG 7 CB 207.57 - VerwRspr. 11, 237; s.a. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. September 1999 - A 2 S 470/98 -).

Das in der Rechtsmittelbelehrung hier allein bezeichnete Verwaltungsgericht Dresden war örtlich nicht zuständig. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die in § 6 AusglLeistG vorausgesetzten Zusammenhänge zwischen Rückgabe- und Ausgleichsleistungsverfahren nicht gelöst oder unterbrochen werden dürfen, wenn das behördliche Ausgleichsleistungsverfahren in ein gerichtliches einmündet. § 6 AusglLeistG und § 35 VermG sprechen eindeutig dafür, dasjenige Verwaltungsgericht als zuständig für Ausgleichsleistungsansprüche anzusehen, welches auch über die Rückgabe entschieden hat oder hätte entscheiden müssen ( Beschluss vom 9. September 2003 - BVerwG 3 AV 1.03 -). Dem Kläger ist zwar nicht darin zu folgen, dass er lediglich einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen für Grundstücke, nicht für ein Unternehmen begehrt habe, so dass schon aus diesem Grunde die örtliche Zuständigkeit nach § 52 Nr. 1 VwGO zu beurteilen sei (so - für auf § 6 Abs. 6a VermG gestützte Restitutionsklagen - Beschluss vom 12. Oktober 1994 - BVerwG 7 AV 13.94 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 36). Land- und forstwirtschaftliche Betriebe sind vielmehr - jedenfalls dann, wenn eine bestimmte Größe, Dauerhaftigkeit des Betriebs, Arbeitsorganisation, Ausrichtung auf Zwecke des Erwerbs oder der Gewährleistung einer hinreichenden beruflichen Existenzgrundlage hinzutreten - in den Begriff des "Unternehmens" gemäß § 6 VermG einbezogen ( Beschluss vom 4. Februar 1998 - BVerwG 8 B 11.98 -; s.a. VG Dresden, Urteil vom 9. Mai 2008 - 5 K 2571/04 -). Es ist auch geklärt, dass sich das auf die Rückübertragung von Rechten an einem Unternehmen i.S.d. § 6 VermG gerichtete Klagebegehren nicht auf "unbewegliches Vermögen oder ein Recht oder Rechtsverhältnis" i.S.d. § 52 Nr. 1 VwGO bezieht ( Beschluss vom 2. April 1993 - BVerwG 7 ER 400.93 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 22). Indes kann ein Rückgabeanspruch - und ein hierauf bezogener Ausgleichsleistungsanspruch - im Hinblick auf ein landwirtschaftliches Gut in Bezug auf die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach § 52 VwGO wegen der besonderen Beziehung zu Grundstücken nicht einem Anspruch auf Rückgabe von Rechten an einem Unternehmen gleichgesetzt werden ( Beschluss vom 9. September 2003 - BVerwG 3 AV 1.03 -; a.A. VG Schwerin, Beschluss vom 26. August 1994 - 3 A 878/93 -). Hier richtet sich die Zuständigkeit nach § 52 Nr. 1 VwGO . Nach der Lage des vormaligen, in der Nähe von W. im Bereich des seinerzeitigen Regierungsbezirks Leipzig belegenen Rittergutes war mithin nicht das Verwaltungsgericht Dresden, sondern das Verwaltungsgericht Leipzig zur Entscheidung berufen (s. § 2 Abs. 2 Nr. 3 Sächsisches Justizgesetz in der bis zum 31. Juli 2008 gültigen Fassung).

1.2

Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Beurteilung, ob die Klagefrist durch eine richtige Rechtsmittelbelehrung in Lauf gesetzt ist, inzident die Frage der Zuständigkeit zu überprüfen. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten steht dem § 17a Abs. 5 GVG nicht entgegen. Danach prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig und ob es in entsprechender Anwendung örtlich zuständig nach § 83 Satz 2 VwGO ist. § 17a Abs. 5 GVG hindert grundsätzlich eine Prüfung der Rechtswegzuständigkeit sowie bei entsprechender Anwendung eine Prüfung der örtlichen Zuständigkeit nur, wenn diese als (eigenständige) Zulässigkeitsvoraussetzungen den unmittelbaren Gegenstand einer (erneuten) Prüfung durch das Rechtsmittelgericht bilden. Eine - hier mangels entsprechender Rüge nicht vorliegende - Ausnahme wird dabei für den Fall angenommen, dass einer der Beteiligten die von einem Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung ausdrücklich oder stillschweigend bejahte Zuständigkeit gerügt hatte und ihm durch die Verfahrensweise des Verwaltungsgerichts die Möglichkeit einer gesonderten Vorwegklärung genommen wurde ( Urteil vom 17. November 2005 - BVerwG 3 C 55.04 - BVerwGE 124, 321 -326). Denn der Zweck der Regelung des § 17a Abs. 5 GVG besteht darin, die Frage der Rechtswegzuständigkeit bzw. der örtlichen Zuständigkeit zu einem möglichst frühen Zeitpunkt des Verfahrens in der ersten Instanz abschließend zu klären und das weitere Verfahren nicht mehr mit dem Risiko eines später erkannten Mangels des gewählten Rechtswegs bzw. des (örtlich) angerufenen Gerichts zu belasten ( Beschluss vom 22. November 1997 - BVerwG 2 B 104.97 - BayVBl 1998, 603). Vorliegend bildet die Frage, welches Gericht örtlich zuständig ist, aber lediglich eine Vorfrage der Verfahrensprüfung, ob die Klagefrist gewahrt ist. Der Zweck des § 17a Abs. 5 GVG rechtfertigt nicht, auch die objektiv rechtswidrige Versagung einer Sachentscheidung wegen rechtsfehlerhafter Annahme des Ablaufs der Klagefrist (hier: § 74 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 VwGO ) hinzunehmen. Die - vom Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Verfahren gemäß § 17a Abs. 5 GVG zu beachtende - Befugnis des Verwaltungsgerichts Dresden, über das Begehren des Klägers trotz örtlicher Unzuständigkeit zu entscheiden, wird durch eine eigenständige Inzidentprüfung, welches Gericht in einer i.S.d. § 58 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VwGO "richtigen" Rechtsmittelbelehrung als örtlich zuständig zu bezeichnen gewesen wäre, auch sonst nicht berührt (so implizit auch Urteil vom 31. Oktober 2001 - BVerwG 2 C 37.00 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 38).

Aus denselben Erwägungen folgen auch aus § 6 Abs. 2 AusglLeistG in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Satz 1, § 37 Abs. 1 VermG keine Beschränkungen der Inzidentprüfungsbefugnis.

1.3

Es lässt sich nicht feststellen, dass das Urteil im Ergebnis nicht auf dem hiernach vorliegenden Verfahrensfehler beruht, weil es sich aus anderen Gründen als richtig darstellt ( § 144 Abs. 4 VwGO ), und aus diesem Grunde von einer Zurückverweisung abzusehen wäre.

2.

Auf die weiterhin erhobenen Zulassungsrügen kommt es nicht an. Der Senat weist indes darauf hin, dass sie voraussichtlich erfolglos geblieben wären. Insoweit wird von einer weiteren Begründung abgesehen ( § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ).

3.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: VG Dresden, vom 22.10.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 4 K 1788/06