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BVerwG - Entscheidung vom 19.08.2009

7 B 16.09

Normen:
VwGO § 108 Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 19.08.2009 - Aktenzeichen 7 B 16.09

DRsp Nr. 2009/21442

Begründetheit einer Rüge der Aktenwidrigkeit i.R.e. immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb zweier Windenergieanlagen

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Januar 2009 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 90 000 EUR festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 108 Abs. 1 ;

Gründe:

I

Der Kläger begehrt eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb zweier Windenergieanlagen. Zusammen mit baugleichen Windenergieanlagen aus Parallelverfahren werden insgesamt Genehmigungen für fünf Windenergieanlagen begehrt. Der Vorhabenstandort liegt in einem ca. 500 km² großen Europäischen Vogelschutzgebiet, das nach dem Zweck der Unterschutzstellung u.a. als Brutgebiet insbesondere für Wiesen- und Rohrweihe sowie Wachtelkönig und als Rast- und Durchzugsgebiet insbesondere für Goldregen- und Mornellregenpfeifer, Kornweihe und Rotmilan erhalten und entwickelt werden soll.

Den Antrag auf Erteilung der Genehmigung lehnte die Beklagte ab. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Es könne nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden, dass sich das Vorhaben nachteilig auf den Erhaltungszustand von Wachtelkönig und Rotmilan auswirke. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) liegt nicht vor. Die Rüge des Klägers, das Oberverwaltungsgericht habe mehrfach gegen den Überzeugungsgrundsatz aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen, ist nicht begründet.

Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts kann nur mit der (näher zu begründenden) Behauptung angegriffen werden, sie beruhe auf der Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen oder auf einem aktenwidrig angenommenen Sachverhalt oder sie sei offensichtlich sachwidrig und damit objektiv willkürlich. Als fehlerhaft kann die Beweiswürdigung außerdem dann gerügt werden, wenn das Gericht wesentliche Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen (Beschluss vom 7. Juli 2008 - BVerwG 3 B 110.07 - [...]). Eine in diesem Sinne fehlerhafte Beweiswürdigung legt die Beschwerde nicht dar.

Die Rüge, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruhe auf aktenwidrigen Feststellungen, liegt neben der Sache. Diese Rüge erfordert die schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss dieser Widerspruch offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf; der Widerspruch muss also zweifelsfrei sein. Diese Voraussetzungen sind erforderlich, da eine Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung als solche nicht als Verfahrensmangel rügefähig ist (Beschluss vom 4. Oktober 2005 - BVerwG 6 B 40.05 - [...] Rn. 23).

Diesen Anforderungen genügt die vom Kläger erhobene Rüge der Aktenwidrigkeit nicht. Die Beschwerde zeigt keinerlei offensichtliche Widersprüche zwischen den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts und dem unstreitigen Akteninhalt auf, sondern erschöpft sich im Wesentlichen darin, die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts als fehlerhaft anzugreifen.

Soweit der Kläger die tragende Annahme des Oberwaltungsgerichts, "alle Sachverständigen und Gutachter seien auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse weitgehend dahin einig, dass Wachtelkönigrufer ein Meideverhalten gegenüber Windenergieanlagen zeigen" als "gleich in mehrfacher Hinsicht falsch" rügt, wird damit keine aktenwidrige Feststellung dargelegt. Ein offenkundiger Widerspruch läge insoweit nur dann vor, wenn nach dem unstreitigen Akteninhalt zweifelsfrei davon auszugehen wäre, dass Wachtelkönigrufer kein Meideverhalten gegenüber Windenergieanlagen zeigen. Das behauptet aber selbst der Kläger nicht. Abgesehen davon kennzeichnet der vom Oberverwaltungsgericht verwendete Begriff "weitgehend" die Auffassung zum Meideverhalten von Wachtelkönigrufern gerade nicht als einhellig, sondern lediglich als überwiegend und lässt so erkennen, dass es daneben auch abweichende Auffassungen gibt.

Auch die zum Thema "Habitatverlust und Reaktionsfähigkeit des Wachtelkönigs" erhobenen Rügen eines unzulässigen Analogieschlusses und einer unvollständigen Würdigung der in den Akten befindlichen Informationen greifen nicht durch. Das Oberverwaltungsgericht hat insoweit weder gegen Denkgesetze verstoßen, noch Umstände übergangen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen.

Ein Tatsachengericht verstößt nicht schon dann gegen die Denkgesetze, wenn es nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtige oder fernliegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen. Es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (stRspr; Urteil vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 147.86 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 37 S. 1 <4>). Davon kann hier keine Rede sein. Die Beschwerde legt nicht dar, dass das Oberverwaltungsgericht schlechthin unmögliche Schlussfolgerungen gezogen hat. Der Kläger übersieht schon, dass das Oberverwaltungsgericht die Besorgnis des vollständigen Habitatausfalls nicht mit der Störung auch weiblicher Tiere oder des Familienverbandes, sondern mit dem Meideverhalten der männlichen Wachtelkönigrufer begründet hat. Zu einer Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Gutachters R. zu den "Zeitfenstern für männliche Wachtelkönigrufer" hatte das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang schon deshalb keinen Anlass, weil diese Ausführungen sich auf das Thema "Windgeschwindigkeit und Rufaktivität" bezogen. Dazu fehlt es aber nach den übereinstimmenden Angaben des Sachverständigen Dr. J. und des Gutachters Dr. L. in der mündlichen Verhandlung an wissenschaftlich genauen Feststellungen bzw. Untersuchungen.

Der Vorwurf der Aktenwidrigkeit ist auch hinsichtlich der Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zum Habitatverlust durch bereits vorhandene Windparks nicht berechtigt. Die Beschwerde zeigt auch insoweit keinerlei offensichtliche Widersprüche zwischen den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts und dem unstreitigen Akteninhalt auf, sondern setzt der Tatsachen- und Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts lediglich eine eigene entgegen.

In diesem Zusammenhang führt auch das Vorbringen des Klägers, die Aussage des Gutachters Dr. L. in der mündlichen Verhandlung sei im Rahmen der Beweiswürdigung gänzlich unerwähnt geblieben, nicht auf einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz durch Übergehen wesentlicher und handgreiflich entscheidungserheblicher Umstände. Der Gutachter hatte dargelegt, nach seiner Auffassung würde allenfalls 0,7% bis 1,2% der lokalen Wachtelkönigpopulation betroffen sein. Ungeachtet der Frage, ob eine Betroffenheit von 0,7 bis 1,2% der Population als unerheblich zu qualifizieren wäre, liegt den Berechnungen von Dr. L. die Annahme zugrunde, dass als Betroffenheit ein Abstand von < als 300 m zu den geplanten Windenergieanlagen gilt (vgl. Tabelle S. 4 der naturschutzfachlichen Stellungnahme von Dezember 2008). Die Annahme, dass Funktionsverluste des Habitats durch laufende Windenergieanlagen jedenfalls bei Abständen ab 300 m generell ausscheiden, ist aber wissenschaftlich nicht belegt, geschweige denn einhellige Auffassung.

Auch die weitere Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die vom Vorhaben nicht betroffene Fläche am Südhang südlich der Kuppenlage mit einer Fläche von 180 ha für eine Nutzung durch den Wachtelkönig nicht ausreichend groß sei, beruht nicht auf einem Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang nicht nur auf den Orientierungswert des FuE-Endberichts - Schlussstand 2007 - abgestellt, wonach der Raumbedarf für Wachtelkönigrufergruppen während der Brutzeit mehr als 200 ha beträgt, sondern auch das Gutachten M. zitiert, nach dessen Feststellungen der Wachtelkönig bei der Bildung von Rufergruppen offene, zusammenhängende Feldfluren von 500 ha und mehr bevorzugt und der Mindestflächenbedarf bei 100 bis 200 ha liegt. Dass das Oberverwaltungsgericht gleichwohl 180 ha Fläche als unzureichend qualifiziert hat, stellt aber keine denklogisch unmögliche Schlussfolgerung dar. Während der FuE-Endbericht - wie vom Oberverwaltungsgericht betont - auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft beruht, stammt das Gutachten von M. bereits aus dem Jahre 2001. Zudem ist nach beiden gutachterlichen Stellungnahmen übereinstimmend davon auszugehen, dass der optimale Lebensraum für den Wachtelkönig jedenfalls eine Fläche von mehr als 200 ha erfordert.

Schließlich ist auch hinsichtlich der Abweisung des hilfsweise gestellten Klageantrags ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nicht dargetan. Die Beschwerde beschränkt sich auch insoweit darauf, die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts als unschlüssig anzugreifen, legt aber nicht dar, warum die Schlussfolgerungen des Oberverwaltungsgerichts denklogisch schlechthin unmöglich, willkürlich oder nach dem o.g. Maßstab in sonstiger Weise verfahrensfehlerhaft sind.

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang rügt, das Oberverwaltungsgericht hätte angesichts der Größe des Vogelschutzgebiets von 500 km² der Möglichkeit einer innergebietlichen Kompensation theoretischer Beeinträchtigungen nachgehen müssen, und damit möglicherweise einen Aufklärungsmangel rügen will, genügt auch diese Rüge den Darlegungsanforderungen nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit der Frage, ob der Wachtelkönig auf andere Flächen ohne Qualitäts- und Quantitätseinbußen ausweichen kann, beschäftigt und diese verneint (UA S. 32 - 34). Die Beschwerde legt nicht dar, welche konkreten Ermittlungen sich dem Oberverwaltungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt ausgehend auch ohne entsprechenden Beweisantrag hätten aufdrängen müssen.

Darauf, ob dem Oberverwaltungsgericht im Rahmen seiner Tatsachen- und Beweiswürdigung zu den nachteiligen Auswirkungen des Vorhabens auf den Rotmilan ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, kommt es danach nicht mehr an. Selbst wenn dem so wäre, würde eine Zulassung der Revision daran scheitern, dass das Oberverwaltungsgericht sein Urteil jeweils selbständig tragend auf die Bewertung seiner Erkenntnisse zu Wachtelkönig und Rotmilan gestützt hat (UA S. 26), der Kläger aber hinsichtlich der Würdigung der Erkenntnisse zum Wachtelkönig einen Zulassungsgrund nicht dargetan hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO .

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 07.01.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 8 A 1490/07