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BVerwG - Entscheidung vom 30.04.2009

2 C 32.08

Normen:
GG Art. 33 Abs. 5
BhV § 12 Abs. 1
BhV § 12 Abs. 2

BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - Aktenzeichen 2 C 32.08

DRsp Nr. 2009/16446

Beamtenrecht: Gewährung von Beihilfe zu Aufwendungen für ambulante ärztliche Behandlungen und Arzneimittel; Versagung der Beihilfe für das Arzneimittel "Optovit fortissimum 500" wegen der Nichtverschreibungspflichtigkeit des Medikaments; Kürzung der Beihilfe um die sogenannte Praxisgebühr

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 26. Februar 2008 wird teilweise geändert.

Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Normenkette:

GG Art. 33 Abs. 5 ; BhV § 12 Abs. 1; BhV § 12 Abs. 2;

Gründe:

I

Der Kläger ist Versorgungsempfänger der Beklagten. Am 15. Februar und 13. März 2007 beantragte er Beihilfe zu Aufwendungen für ambulante ärztliche Behandlungen und Arzneimittel. Mit Bescheid vom 16. März 2007 versagte die Beklagte die Beihilfe für das Arzneimittel "Optovit fortissimum 500" mit der Begründung, es sei nicht verschreibungspflichtig. Mit Bescheiden vom 5. und 16. März 2007 gewährte sie die beantragte Beihilfe, zog allerdings für jedes Quartal die sogenannte Praxisgebühr von insgesamt 20 EUR ab. Die Widersprüche des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 10. April 2007 zurück.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine weitere Beihilfe in Höhe der abgezogenen Praxisgebühr zu bewilligen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Soweit es der Klage stattgegeben hat, hat es zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die damaligen Beihilfevorschriften des Beklagten seien zu Beginn des Jahres 2007 wegen fehlender gesetzlicher Grundlage nicht mehr anzuwenden gewesen. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht die Beihilfevorschriften für eine Übergangszeit noch für anwendbar erklärt, doch sei diese Übergangszeit spätestens mit Ablauf des 30. September 2006 beendet gewesen. Die Beihilfevorschriften seien zudem auch deshalb nichtig, weil die Beihilfeleistungen insbesondere bei Arzneimitteln in dem Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom 20. Juli 2004 (GMBl S. 974) durch die Änderung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 und des § 17 Abs. 3 Satz 2 der Beihilfevorschriften des Bundes mit Wirkung vom 1. August 2004 erheblich eingeschränkt worden seien. Diese Einschränkungen seien wegen fehlender gesetzlicher Grundlage nichtig.

Mit der Revision macht die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 26. Februar 2008 teilweise zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ), soweit es noch nicht rechtskräftig geworden ist. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO ). Die Klage ist daher in vollem Umfang abzuweisen. Die Beklagte war berechtigt, die Beihilfe des Klägers um die sogenannte Praxisgebühr gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 der Beihilfevorschriften der Beklagten zu kürzen.

1.

Zwar hat die Beklagte auf der Grundlage des § 80 BBG i.d.F. des Art. 1 DNeuG vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160) mit Wirkung vom 14. Februar 2009 eine für die Beamten des Bundes geltende Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) erlassen (BGBl. I S. 326), doch ist für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfen verlangt werden (Urteil vom 15. Dezember 2005 - BVerwG 2 C 35.04 - BVerwGE 125, 21 = Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 17 m.w.N.). Danach finden vorliegend die Vorschriften Anwendung, die während des ersten Quartals des Jahres 2007 Gültigkeit besaßen. Das ist auf der Grundlage des § 79 BBG a.F. die Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 der Beihilfevorschriften des Bundes (BhV) i.d.F. vom 1. November 2001 (GMBl S. 919), zuletzt geändert durch Art. 1 der 28. Änderungsvorschrift - ÄndVwV - vom 30. Januar 2004 (GMBl S. 379). Nach dieser Bestimmung mindert sich die Beihilfe um einen Betrag von 10 EUR je Kalendervierteljahr je Beihilfeberechtigten und je berücksichtigungsfähigen Angehörigen für jede - bezogen auf das Kalendervierteljahr - erste Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher, zahnärztlicher oder psychotherapeutischer Leistungen, sofern - wie hier - kein Fall von § 12 Abs. 1 Satz 3 BhV gegeben ist (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BhV).

2.

§ 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BhV verstößt als Kürzungsregelung gegen den Vorbehalt des Gesetzes und ist deshalb nichtig. Er ist aber übergangsweise noch anzuwenden (vgl. zuletzt Urteil vom 26. Juni 2008 - BVerwG 2 C 2.07 - BVerwGE 131, 234 <Rn. 9> = Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 17), weil er im Übrigen mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Nicht haltbar ist die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, die pauschale Kürzungsregelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BhV verstoße gegen die Alimentations- und Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Wie der Senat mehrfach entschieden hat, verlangen die hergebrachten Grundsätze im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG weder, dass Aufwendungen der Beamten in Krankheitsfällen durch ergänzende Beihilfen vollständig gedeckt werden, noch, dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind (vgl. zuletzt Urteil vom 26. Juni 2008 a.a.O. Rn. 13 ff. m.w.N.). Ein darauf gerichtetes Vertrauen genießt keinen verfassungsrechtlichen Schutz.

a)

Der Alimentationsgrundsatz verpflichtet den Dienstherrn, Beamten und ihren Familien Mittel für einen Lebensunterhalt zur Verfügung zu stellen, der nach dem Dienstrang, der mit dem Amt verbundenen Verantwortung und der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit angemessen ist. Die Beamten müssen über ein Nettoeinkommen verfügen, das ihre rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit gewährleistet und über die Befriedigung der Grundbedürfnisse hinaus einen dem Amt angemessenen Lebenszuschnitt ermöglicht (BVerfG, Urteile vom 27. September 2005 - 2 BvR 1387/02 - BVerfGE 114, 258 <287 f.> und vom 6. März 2007 - 2 BvR 556/04 - BVerfGE 117, 330 <351>; stRspr). Die Pflicht zur Gewährung eines amtsangemessenen Lebensunterhalts erstreckt sich auch auf besondere Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit, die mit der Regelalimentation finanziell nicht zu bewältigen sind.

Allerdings genießt das gegenwärtige "Mischsystem" von Alimentation und ergänzender, anlassbezogener Beihilfe keinen verfassungsrechtlichen Bestandsschutz. Der einfache Gesetzgeber unterliegt hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Beihilfe daher keinen Bindungen durch das Alimentationsprinzip. Stellen Absenkungen des Beihilfestandards im Zusammenwirken mit anderen Besoldungseinschnitten die Amtsangemessenheit der Alimentation in Frage, so ist verfassungsrechtlich nicht die Anpassung der Beihilfen, sondern eine entsprechende Korrektur der Besoldungsgesetze geboten, die das Alimentationsprinzip konkretisieren. Die Kürzungsregelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BhV wäre daher auch dann nicht unwirksam oder unanwendbar, wenn die Alimentation unter das verfassungsrechtlich gebotene Niveau sinken sollte. In diesem Fall muss der Gesetzgeber entscheiden, auf welche Weise er sicherstellt, dass das jährliche Nettoeinkommen der Beamten dem Alimentationsprinzip entspricht. Er kann sowohl die Dienstbezüge erhöhen als auch Besoldungseinschnitte rückgängig machen (Urteil vom 20. März 2008 - BVerwG 2 C 49.07 - BVerwGE 131, 20 <Rn. 21 ff.> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 94 m.w.N.). Demzufolge stellen sich die vom Berufungsgericht aufgeworfenen Fragen zu den Auswirkungen der streitigen Kürzungsregelung im Gesamtgefüge von Eigenvorsorge, Beihilfe und verfügbarer Alimentation nicht.

b)

§ 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BhV verstößt auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Fürsorgeprinzip. Dieser hergebrachte Grundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG fordert, dass der Dienstherr den amtsangemessenen Lebensunterhalt der Beamten und ihrer Familien auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit sicherstellt. Er muss dafür Sorge tragen, dass Beamte in diesen Lebenslagen nicht mit erheblichen finanziellen Aufwendungen belastet bleiben, die sie nicht mehr in zumutbarer Weise aus ihrer Alimentation bestreiten können (stRspr, vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 - 2 BvR 1053/98 - BVerfGE 106, 225 <233>; Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR 1715/03 - DVBl 2007, 1493 <1494>; BVerwG, Urteile vom 20. März 2008 a.a.O. Rn. 20 und vom 26. Juni 2008 a.a.O. Rn. 16 ff. jeweils m.w.N.). Dies ist ebenfalls auf der Grundlage des gegenwärtig praktizierten "Mischsystems" zu beurteilen.

Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht verlangt allerdings weder, dass Aufwendungen der Beamten in Krankheitsfällen durch Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung und ergänzende Beihilfen vollständig gedeckt werden, noch, dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 26. Juni 2008 a.a.O. Rn. 13 f. m.w.N.). Der Dienstherr ist durch die Fürsorgepflicht in seinem von Art. 33 Abs. 5 GG erfassten Kernbereich daher grundsätzlich nicht gehindert, im Rahmen der nach medizinischer Einschätzung behandlungsbedürftigen Leiden Unterschiede zu machen und die Erstattung von Behandlungskosten aus triftigen Gründen zu beschränken oder auszuschließen. Er muss zwar eine medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung im Krankheitsfall gewährleisten. Das bedeutet jedoch nicht, dass er die Aufwendungen eines medizinisch notwendigen Arzneimittels in jedem Fall in voller Höhe erstatten muss. Die pauschale Kürzung der Beihilfe nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BhV kann unter der Geltung des gegenwärtig praktizierten "Mischsystems" zwar dazu führen, dass in Einzelfällen die finanziellen Möglichkeiten des Beamten überfordert werden. Solche Folgen können etwa bei chronischen Erkrankungen oder bei kinderreichen Beamtenfamilien auftreten. Für derartige Fallgestaltungen muss der Dienstherr normative Vorkehrungen treffen, damit dem Beamten nicht erhebliche Aufwendungen verbleiben, die im Hinblick auf die Höhe der Alimentation nicht mehr zumutbar sind. Das ist jedoch mit der Härtefallregelung des § 12 Abs. 2 BhV geschehen.

Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 BhV sind Beträge nach Abs. 1, mithin auch der hier streitige Eigenbehalt nach Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1, innerhalb eines Kalenderjahres auf Antrag nicht mehr abzuziehen, soweit sie für den Beihilfeberechtigten und seine berücksichtigungsfähigen Angehörigen zusammen mit anderen Beihilfekürzungen und -einschränkungen die Belastungsgrenze überschreiten. Diese Grenze beträgt grundsätzlich 2% der bereinigten Dienst- oder Versorgungsbezüge (§ 12 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a i.V.m. § 9 Abs. 7 Satz 5 BhV) und im Falle chronischer Erkrankungen 1%. Diese Belastungsgrenzen sind zumutbar (Urteil vom 26. Juni 2008 a.a.O. Rn. 22).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO .

Hinweise:

Hinweise des Senats:

Parallelsache zum Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 2 C 127.07

Verkündet am 30. April 2009

Vorinstanz: VG Göttingen, vom 26.02.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 3 A 277/07