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BVerfG - Entscheidung vom 04.02.2009

2 BvR 455/08

Normen:
BVerfGG § 93c Abs. 1
StPO § 119 Abs. 3
StPO § 119 Abs. 6
StVollzG § 84
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
BVerfGG § 93c Abs. 1
StPO § 119 Abs. 3
StPO § 119 Abs. 6
StVollzG § 84
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3

Fundstellen:
AnwBl 2009, 303
DVBl 2009, 463
NJ 2009, 215
StV 2009, 253

BVerfG, Beschluss vom 04.02.2009 - Aktenzeichen 2 BvR 455/08

DRsp Nr. 2009/4477

Verfassungsrechtliche Grenzen der Zulässigkeit körperlicher Durchsuchung bei der Aufnahme in einer Untersuchungshaftanstalt

Es verstößt gegen die Menschenwürde eines Untersuchungsgefangenen, wenn er bei Aufnahme in die Untersuchungshaft einer körperlichen Untersuchung mit Entkleidung und Inspizierung des Anus unterzogen wird, ohne dass im Einzelfall geprüft wird, ob Umstände vorliegen, die den Verdacht, der Betreffende könne zum Zwecke des Einschmuggelns in die Haftanstalt Drogen oder andere gefährliche Gegenstände in Körperöffnungen des Intimbereichs versteckt haben, völlig fernliegend erscheinen lassen.

Tenor:

Der Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 30. November 2007 - 2 VAs 3/06 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit das Oberlandesgericht darin eine körperliche Durchsuchung des Beschwerdeführers mit Entkleidung und Inspizierung des Anus bei Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt als rechtmäßig bestätigt hat. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Normenkette:

BVerfGG § 93c Abs. 1 ; StPO § 119 Abs. 3 ; StPO § 119 Abs. 6 ; StVollzG § 84 ; GG Art. 1 Abs. 1 ; GG Art. 2 Abs. 1 ; GG Art. 20 Abs. 3 ;

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Grenzen der Zulässigkeit körperlicher Durchsuchung bei Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt.

1.

Der Beschwerdeführer, von Beruf Steuerberater, wurde am 4. Februar 2005 morgens gegen 7.00 Uhr, als er seine Kinder zur Schule brachte, wegen Verdachts der Bestechlichkeit und der Untreue zum Nachteil des berufsständischen Versorgungswerkes für Rechtsanwälte festgenommen und in Untersuchungshaft verbracht. Am 10. Februar 2005 wurde er aus der Haft entlassen.

2.

Gegen die Art und Weise der Durchführung der Inhaftierung legte der Beschwerdeführer am 6. Februar 2006 Widerspruch ein. Neben zahlreichen Maßnahmen und Unterlassungen im Zusammenhang mit der Festnahme und dem Haftvollzug, die nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind, beanstandete er, dass er sich bei Aufnahme in die Untersuchungshaft habe entkleiden müssen. Erkennungsdienstliche Maßnahmen gemäß §§ 81a, 81b StPO seien nur zulässig, soweit sie für das Verfahren von Bedeutung seien - was hier nicht der Fall gewesen sei - und verstießen gegen die Menschenwürde.

Der Leiter der Untersuchungshaftanstalt wies den Widerspruch zurück; er sei wegen eingetretener Erledigung durch die erfolgte Haftentlassung unzulässig.

3.

a)

Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung zum Oberlandesgericht (§ 23 EGGVG ) begehrte der Beschwerdeführer die Feststellung, dass die Haftbedingungen, denen er während seiner Inhaftierung ausgesetzt gewesen sei, menschenwürdewidrig gewesen seien. Dies gelte insbesondere für die dem Beschwerdeführer bei Aufnahme in die Untersuchungshaft abverlangte vollständige Entkleidung, bei der er sich habe bücken müssen, um seinen Anus inspizieren zu lassen; dies habe er als zutiefst demütigend empfunden.

b)

Der Leiter der Untersuchungshaftanstalt nahm dahingehend Stellung, dass er gemäß § 119 Abs. 3 , 6 StPO in Verbindung mit Nr. 76 UVollzO in Verbindung mit § 84 Abs. 2 , 3 StVollzG analog allgemein anordnen könne, dass bei der Aufnahme eines Gefangenen in die Anstalt eine mit Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorgenommen werde. Die entsprechende beim Antragsteller vorgenommene Maßnahme sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Untersuchungshaftanstalt habe dadurch verstärkt der Betäubungsmittelproblematik im Justizvollzug Rechnung tragen und dem Einschmuggeln gefährlicher Gegenstände von außen entgegenwirken wollen. Um diesen Gefahren vorzubeugen und dem Sicherheitsbedürfnis der Anstalt gerecht zu werden, sei die Durchsuchung der Gefangenen durch Abtasten der Kleidung und die Kontrolle des Tascheninhalts nicht ausreichend. So habe es in der Vergangenheit immer wieder Versuche der Gefangenen gegeben, Drogen oder Geld - in Körperöffnungen versteckt - in die Anstalt zu schmuggeln. Vor dem Hintergrund der Gefahren, die sich für die Anstalt in diesem Zusammenhang ergeben, sei die Maßnahme verhältnismäßig. Dabei komme es nicht darauf an, welches Delikt einem Gefangenen zur Last gelegt werde, da das Einschmuggeln von Drogen, Geld oder gefährlichen Gegenständen nicht an ein bestimmtes Delikt gebunden sei.

c)

Der Beschwerdeführer erwiderte, ein Blick in den Haftbefehl hätte genügt, um zu erkennen, dass man es "weder mit einem Junkie noch einem mutmaßlichen Drogenhändler zu tun gehabt" habe. Die Anordnung der Entkleidung und prophylaktische Anusinspizierung aller neu eingelieferten Untersuchungsgefangenen stelle sich als völlig unverhältnismäßig dar. Schon eine Rechtsgrundlage für die beanstandete Vorgehensweise sei nicht ersichtlich. Jedenfalls seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 119 Abs. 3 und Abs. 6 StPO nicht erfüllt. Darüber hinaus könne von einer Schonung des Schamgefühls im Sinne der Nr. 16 Abs. 1 der Untersuchungshaftvollzugsordnung ( UVollzO ) im vorliegenden Fall keine Rede sein.

d)

Mit angegriffenem Beschluss vom 30. November 2007 wies das Oberlandesgericht den Antrag des Beschwerdeführers zurück.

Hinsichtlich der angegriffenen vollzuglichen Maßnahmen beziehungsweise Unterlassungen bleibe der Antrag trotz Erledigung der Maßnahmen durch die erfolgte Haftentlassung als Fortsetzungsfeststellungsantrag statthaft. Mit Ausnahme der Aufnahmedurchsuchung im entkleideten Zustand und Anusinspizierung fehle es dem Beschwerdeführer jedoch an dem für die Zulässigkeit des Antrages erforderlichen berechtigten Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit, da es sich bei den übrigen Maßnahmen nicht um einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff gehandelt habe.

Soweit zulässig, sei der Antrag unbegründet. Die Anordnung, sich zu entkleiden und im Anus untersuchen zu lassen, sei von § 119 Abs. 3 StPO getragen und damit rechtens gewesen.

§ 119 Abs. 3 StPO liefere zum einen die kompetenzrechtliche Grundlage des Eingriffs. § 119 Abs. 6 Satz 1 StPO enthalte eine Kompetenzzuweisung an den Haftrichter betreffend solche Maßnahmen, die im Verhältnis zu einem speziellen Untersuchungsgefangenen angeordnet werden. Für Maßnahmen mit generellem Regelungscharakter bestehe im Hinblick auf die Bewahrung der Anstaltsordnung dagegen nach § 119 Abs. 3 StPO eine Kompetenz der Vollzugsanstalt.

Auch die materiellen Voraussetzungen des § 119 Abs. 3 StPO hätten vorgelegen. Die Aufnahmedurchsuchung mit Entkleidung und Anusinspizierung sei durch die Ordnung in der Untersuchungshaftanstalt erfordert gewesen (Nr. 16 Abs. 1 , 76 UVollzO i.V.m. § 84 StVollzG ). Ziel der Maßnahme sei gewesen, zu verhindern, dass gefährliche Gegenstände, Betäubungsmittel und Geld von neu aufgenommenen Häftlingen versteckt am oder im Körper eingeschmuggelt werden. Die Berechtigung und das Gewicht dieser Ziele lägen in Bezug auf Betäubungsmittel und andere gefährliche Gegenstände auf der Hand. In Bezug auf nicht zur Habe des Gefangenen genommenes Geld bestehe generell die Gefahr, dass dieses als Macht- und Einflussmittel in und nach außerhalb der Anstalt missbraucht werde. Aus der Eigenart der dem Beschwerdeführer als verwirklicht angelasteten Straftatbestände folge nichts anderes. Die im Hinblick auf die Anstaltsordnung bestehende Gefahrenlage stelle sich in Bezug auf der Begehung von "Wirtschaftsvergehen" Verdächtige nicht grundsätzlich anders dar als bezüglich anderer Straftatverdächtiger. Die Unschuldsvermutung stehe dem nicht entgegen. Ziel der Maßnahme sei nicht eine repressive Sanktionierung gewesen, sondern die prophylaktisch erforderliche Abwehr von Gefahren für die Ordnung der Anstalt, die, weil allgemein gehandhabt, zugleich im wohlverstandenen eigenen Interesse des einzelnen Gefangenen vor etwaigem missbräuchlichen Verhalten Anderer gelegen habe.

Die Maßnahme der Entkleidung und Anusinspizierung habe auch das zur Erreichung des intendierten Zwecks mildeste Mittel dargestellt. Das bloße Abtasten oder Entkleiden ohne Inspizierung des Anus hätte den erforderlichen Aufschluss nicht erbracht und sei nicht hinlänglich effektiv. Die Maßnahme habe überdies nur kurz gedauert und sei in Abwesenheit anderer Gefangener erfolgt. Die Anwesenheit mehrerer Vollzugsbeamter sei schon aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG ) sich ergebende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei folglich gewahrt.

Die Menschenwürde des Beschwerdeführers sei nicht betroffen. Mit der Menschenwürde sei der soziale Wert- und Achtungsanspruch gemeint, der dem Menschen wegen seines Menschseins zukomme. Die Menschenwürde sei jedoch nicht bereits bei wenig würdigen Umständen im Alltagssinne verletzt. Vielmehr komme es darauf an, dass diese Umstände die Folge einer Behandlung als Objekt seien, die die Subjektqualität des Betroffenen prinzipiell in Frage stelle. Dem Beschwerdeführer seien seine Subjektansprüche aber nicht streitig gemacht worden. Der Eingriff habe sich auf die erforderlichen Maßnahmen zur Einleitung der Untersuchungshaft beschränkt. Ein darüber hinausgehendes entwürdigendes Verhalten etwa durch mangelnde Achtungserweisung seitens der Vollzugsbediensteten werde nicht vorgetragen und sei auch nicht ersichtlich.

Es sei darauf geachtet worden, dass die Aufnahmedurchsuchung in einem geschlossenen Raum und von Beamten des gleichen Geschlechts durchgeführt wurde. Als Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers sei die Maßnahme Ausdruck der Schranken des Art. 2 Abs. 2 GG , denn sie habe sich als gesetzlich begründet und verhältnismäßig dargestellt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen. Eine Schranke erfahre das allgemeine Persönlichkeitsrecht hingegen dort, wo Eingriffe verhältnismäßig und insbesondere zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich seien. Ohne die in Rede stehende Form der Aufnahmedurchsuchung habe die Ordnung innerhalb der Untersuchungshaftanstalt nicht gewährleistet werden können.

Auch Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht betroffen gewesen. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes durch Gleichbehandlung des Beschwerdeführers etwa mit der Begehung eines Betäubungsmittel- oder Gewaltdeliktes Verdächtigen scheide bereits deshalb aus, weil es an einer Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem fehle. Die abstrakt zu bewertende Gefahr des Einschleusens von Betäubungsmitteln, gefährlichen Gegenständen oder Geld sei bei einem der Begehung eines Wirtschaftsdeliktes Verdächtigen nicht weniger groß als bei Tatverdächtigen anderer Deliktsgruppen.

4.

Eine Gegenvorstellung des Beschwerdeführers wies das Oberlandesgericht mit - nicht angegriffenem - Beschluss vom 30. Januar 2008 zurück.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die körperliche Aufnahmedurchsuchung in der Untersuchungshaftanstalt der Freien und Hansestadt Hamburg vom 4. Februar 2005, gegen den Widerspruchsbescheid der Untersuchungshaftanstalt vom 23. Februar 2006 und gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 30. November 2007. Er rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1 , Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG . Die beanstandete Maßnahme - Entkleidung und Inspektion des Anus - sei nicht als individuelle Maßnahme richterlich genehmigt worden. Eine allgemeine Anwendung des § 84 Abs. 3 StVollzG , wonach der Amtsleiter allgemein anordnen kann, dass (Straf)Gefangene unter anderem bei der Aufnahme zu durchsuchen sind, sei trotz der Verweisung in § 76 UVollzO nicht gerechtfertigt. Die Maßnahme stelle sich im konkreten Fall als unverhältnismäßig dar.

1.

Der Präses der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg hat zur Verfassungsbeschwerde wie folgt Stellung genommen:

Die körperliche Durchsuchung von Gefangenen bei Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt sei so ausgestaltet, dass die Grundrechte der Gefangenen nicht verletzt würden; insbesondere trage das Verfahren ihrer Menschenwürde Rechnung und orientiere sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Einzelheiten der konkreten körperlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 4. Februar 2005 ließen sich nicht mehr rekonstruieren, weil der Beschwerdeführer die Umstände seiner Durchsuchung erst nach mehr als einem Jahr gerügt habe; es sei deshalb davon auszugehen, dass die Umstände seiner Durchsuchung der durch allgemeine Anordnung der Anstaltsleitung vorgeschriebenen generellen Praxis entsprochen und ihn nicht in seinen Grundrechten verletzt hätten: Alle neu aufgenommenen Untersuchungsgefangenen würden einer mit Entkleidung verbundenen körperlichen Durchsuchung unterzogen, weil nur so das Einschmuggeln verbotener Gegenstände wirksam verhindert werden könne. Dabei seien mindestens zwei Bedienstete zugegen. Zunächst müssten die Arme kurz hochgehalten, die Finger gespreizt sowie die Innen- und Außenflächen der Hände gezeigt werden. Anschließend müssten sich die Gefangenen umdrehen und den Bediensteten die Fußsohlen zeigen. Eine Kontrolle von Körperhöhlen - und somit auch des Anus - erfolge dagegen nicht regelmäßig. Vielmehr erstrecke sich die Durchsuchung hierauf nur in Einzelfällen bei Vorliegen eines konkreten Verdachts, dass die Körperhöhlen als Versteck für unzulässige Gegenstände verwendet werden. In diesen Fällen werde eine solche Durchsuchung von einer Ärztin oder einem Arzt vorgenommen.

2.

Der Beschwerdeführer hat erwidert, soweit der Präses der Justizbehörde nunmehr die Umstände der körperlichen Untersuchung des Beschwerdeführers in Abrede stelle, komme dieser Vortrag verspätet. Im Verfahren vor dem Oberlandesgericht seien die beanstandeten Umstände unstreitig gewesen.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist.

1.

Die Verfassungsbeschwerde ist ihrer Begründung gemäß dahin auszulegen, dass sie sich gegen die angegriffenen Entscheidungen allein insoweit wendet, als sie die bei Aufnahme in die Untersuchungshaft erfolgte, mit einer Entkleidung und Inspizierung des Anus verbundene körperliche Durchsuchung betreffen. So verstanden, ist sie zulässig und in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 BVerfGG ). Die Auslegung und Anwendung des § 119 Abs. 3 StPO durch das Oberlandesgericht verletzt den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG . Sie verkennt die Bedeutung dieses Grundrechts für die Beurteilung der beanstandeten Maßnahme.

a)

Durchsuchungen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar (BVerfGK 2, 102 <105>). Dies gilt in besonderem Maß für Durchsuchungen, die mit einer Inspizierung von normalerweise bedeckten Körperöffnungen verbunden sind.

In Grundrechte darf nur auf gesetzlicher Grundlage eingegriffen werden. Dieser allgemeine rechtsstaatliche Grundsatz gilt auch für den Vollzug der Untersuchungshaft. § 119 Abs. 3 StPO bildet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine zureichende gesetzliche Grundlage für Einschränkungen grundrechtlicher Freiheiten des Untersuchungsgefangenen (vgl. BVerfGE 34, 369 <379>; 34, 384 <395>; 35, 307 <309> ; 35, 311 <316> ; 57, 170 <177>). Dies gilt jedoch nur im Hinblick darauf, dass es sich um eine strikt auf die Abwehr von Gefahren für die Haftzwecke oder die Ordnung der Anstalt beschränkte Ermächtigung handelt, deren Anwendung in besonderem Maße dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 34, 369 <380>; 35, 5 <9> ; 35, 307 <309> ). Für darüber hinausgehende Eingriffe nach Maßgabe vollzugspolitischer Zweckmäßigkeiten und nicht gefahrenabwehrrechtlich begründeter Abwägungen bietet § 119 Abs. 3 StPO keine ausreichende Grundlage (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammerdes Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 - 2 BvR 1229/07 - www.bverfg.de).

Die Auslegung der Vorschrift hat zudem dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (vgl. BVerfGE 15, 288 <295> ; 34, 369 <379> ; 42, 95 <100> ). Voraussetzung für die Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen auf der Grundlage des § 119 Abs. 3 StPO ist eine reale Gefährdung der in dieser Bestimmung bezeichneten öffentlichen Interessen (vgl. BVerfGE 15, 288 <295> ; 34, 384 <398>; 35, 5 <9 f. >; 35, 307 <309>). Für das Vorliegen einer solchen Gefahr müssen konkrete Anhaltspunkte bestehen (vgl. BVerfGE 35, 5 <10> ; 42, 234 <236> ; 57, 170 <177>). Die bloße Möglichkeit, dass ein Untersuchungsgefangener seine Freiheiten missbraucht, reicht nicht aus (vgl. BVerfGE 35, 5 <10> ; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammerdes Zweiten Senats vom 25. Juli 1994 - 2 BvR 806/94 -, NJW 1995, S. 1478 <1480> , vom 20. Juni 1996 - 2 BvR 634/96 -, NStZ-RR 1997, S. 7 f., undvom 10. Januar 2008 - 2 BvR 1229/07 - www.bverfg.de).

Dabei kommt es grundsätzlich auf den konkreten Einzelfall an (vgl. BVerfGE 15, 288 <297> ; 35, 5 <11> ); alle Umstände des Einzelfalls sind abzuwägen (vgl. BVerfGE 35, 5 <11> ). Dies schließt generelle Anordnungen - auch solche, die im Prinzip für alle Untersuchungsgefangenen gelten - nicht aus. Eine über Einzelmaßnahmen im konkreten Fall hinausgehende generelle Beschränkung ist aber nur dann zulässig, wenn eine reale Gefährdung der in § 119 Abs. 3 StPO bezeichneten öffentlichen Interessen nicht jeweils durch einzelne Maßnahmen hinreichend abgewehrt werden kann (vgl. BVerfGE 34, 369 <380>; 34, 384 <399 f.>). In solchen Fällen ist zudem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung zu tragen, dass im Einzelfall Ausnahmen zugelassen werden, soweit dies ohne konkrete Gefährdung der in § 119 Abs. 3 StPO genannten Interessen möglich ist (vgl. BVerfGE 15, 288 <294 f.> ; 34, 384 <398, 400>; 42, 95 <102> ; BVerfG, Beschluss der 2. Kammerdes Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 - 2 BvR 1229/07 - www.bverfg.de).

Den durch § 119 Abs. 3 StPO eröffneten Möglichkeiten des Eingriffs in Grundrechte des Untersuchungsgefangenen sind nach alledem auch bei voller Ausschöpfung der Generalklausel vergleichsweise enge Grenzen gesetzt (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammerdes Zweiten Senats vom 25. Juli 1994 - 2 BvR 806/94 -, NJW 1995, S. 1478 <1480> , vom 19. Juli 1995 - 2 BvR 1439/95 -, NStZ 1995, S. 566 <567> , undvom 10. Januar 2008 - 2 BvR 1229/07 - www.bverfg.de).

b)

Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht gerecht.

Zu Recht ist das Gericht allerdings davon ausgegangen, dass das Einbringen von Drogen und anderen verbotenen Gegenständen in Justizvollzugsanstalten eine schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der jeweiligen Anstalt darstellt, die grundsätzlich geeignet ist, grundrechtseingreifende Maßnahmen - auch solche von erheblichem Gewicht - zur Abwehr dieser Gefahr auf der Grundlage des § 119 Abs. 3 StPO zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammerdes Zweiten Senats vom 6. November 2007 - 2 BvR 1136/07 -, NStZ 2008, S. 292 <293>).

Es hat jedoch weder dem besonderen Gewicht der im vorliegenden Fall berührten grundrechtlichen Belange noch den besonderen Einschränkungen ausreichend Rechnung getragen, die sich für die Zulässigkeit eingreifender Maßnahmen im Vollzug der Untersuchungshaft aus dem generalklauselartigen Charakter der Eingriffsermächtigung des § 119 Abs. 3 StPO sowie aus den Besonderheiten der Untersuchungshaft ergeben (vgl. BVerfGE 15, 288 <295> ; 35, 5 <10 f. >; 42, 95 <101 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammerdes Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 - 2 BvR 1229/07 - www.bverfg.de, m.w.N.).

Eingriffe, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten berühren, lassen sich im Haftvollzug nicht prinzipiell vermeiden. Sie sind aber von besonderem Gewicht. Der Gefangene hat insoweit Anspruch auf besondere Rücksichtnahme (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammerdes Zweiten Senats vom 13. November 2007 - 2 BvR 939/07 -, EuGRZ 2008, S. 83 <84>). Der bloße Umstand, dass Verwaltungsabläufe sich ohne eingriffsvermeidende Rücksichtnahmen einfacher gestalten, ist hier noch weniger als in anderen, weniger sensiblen Bereichen geeignet, den Verzicht auf solche Rücksichtnahmen zu rechtfertigen. Dies gilt in verschärftem Maße für Eingriffe in der Untersuchungshaft. Hier verschafft schon der Umstand, dass Untersuchungshaft nicht auf der Grundlage rechtskräftiger Verurteilung, sondern auf der Grundlage bloßen Verdachts verhängt wird (vgl. BVerfGE 15, 288 <295> ; 34, 369 <379> ; BVerfG, Beschluss der 2. Kammerdes Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 - 2 BvR 1229/07 - www.bverfg.de), den Belangen des Gefangenen, die in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit grundrechtseingreifender Maßnahmen einzustellen sind, besonderes Gewicht. Schon von daher verbietet sich eine schematische Übertragung von für den Strafvollzug geltenden Maßgaben. Der Verweis auf Nr. 76 UVollzO (zur fehlenden rechtlichen Außenwirkung vgl. BVerfGE 15, 288 <294> ; 34, 369 <379> ) in Verbindung mit § 84 StVollzG ist deshalb nicht geeignet, eine ausnahmslose Anordnung von Durchsuchungen mit Inspektion von üblicherweise bedeckten Körperöffnungen bei Aufnahme in die Untersuchungshaft zu rechtfertigen.

Auf diesen unzureichenden Verweis gestützt, hat das Oberlandesgericht es versäumt, die Notwendigkeit einer allgemeinen Anordnung dieser Maßnahme anhand der hierfür geltenden strengen Anforderungen (vgl. BVerfGE 34, 369 <380>; 34, 384 <389 ff.>; 42, 95 <102>) zu prüfen und dabei die bestehenden Unterschiede zwischen der Situation des Straf- und der des Untersuchungshaftantritts zu berücksichtigen.

Bei Personen, die in Untersuchungshaft verbracht werden, können Umstände vorliegen, die den Verdacht, der oder die Betreffende könne zum Zweck des Einschmuggelns in die Haftanstalt Drogen oder andere gefährliche Gegenstände in Körperöffnungen des Intimbereichs versteckt haben, als derart fernliegend erscheinen lassen, dass hierauf gerichtete Untersuchungen, die mit einer Inspektion von Körperöffnungen verbunden sind, sich als nicht mehr verhältnismäßig erweisen. Anders als bei Verurteilten, die, wenn sie sich nicht bereits in Haft befinden, zum Haftantritt geladen werden (§ 27 StrVollstrO), kann die Festnahme eines nicht Verurteilten zur Verbringung in Untersuchungshaft so überraschend erfolgen, dass ihm für entsprechende unbeobachtete Vorkehrungen, selbst wenn er sie beabsichtigte, keine Gelegenheit bleibt. Fehlt es auch sonst an jedem Anhaltspunkt dafür, dass der Betroffene sich in der bezeichneten Weise zum Schmuggel von Drogen oder anderen gefährlichen Gegenständen präpariert haben könnte, so wird bereits die für Maßnahmen auf der Grundlage der Generalklausel des § 119 Abs. 3 StPO erforderliche Schwelle einer - nur durch Inspektion der Körperhöhlen ausräumbaren - "realen" Gefährdung (vgl. BVerfGE 15, 288 <295> ; 34, 384 <398>; 35, 5 <9 f. >; 35, 307 <309>) nicht erreicht. Auch wenn nach den Erfahrungen der Vollzugspraxis mit dem Versuch, Drogen oder andere verbotene Gegenstände in die Haftanstalten einzuschmuggeln, in weitem Umfang auch über den Kreis derer hinaus gerechnet werden muss, die drogenabhängig oder wegen einschlägiger Straftaten oder entsprechenden Verdachts inhaftiert sind, ist im Übrigen ein Eingriff, der auf die Abwehr dieser Gefahr zielt, jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn konkrete Umstände des Einzelfalles ein solches Vorkommnis aus dem Bereich der Wahrscheinlichkeit rücken (vgl. BVerfGE 15, 288 <295> ).

Indem das Oberlandesgericht die hierzu vom Beschwerdeführer vorgetragenen Umstände des konkreten Falles nicht nach Maßgabe dieser Grundsätze gewürdigt hat, sondern davon ausgegangen ist, die fragliche Maßnahme sei bei Antritt der Untersuchungshaft generell und unabhängig von den Umständen des Einzelfalles zulässig, hat es dem Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ) nicht hinreichend Rechnung getragen.

Darüber hinaus hat das Gericht auch Möglichkeiten der milderen Ausgestaltung des Eingriffs wie die nach Auskunft der Justizbehörde üblicherweise praktizierte, das Schamgefühl weniger intensiv berührende Durchführung einer etwaigen Inspektion von Körperhöhlen durch einen Arzt oder eine Ärztin nicht erwogen.

2.

Dem Beschwerdeführer sind gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 30.11.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 2 VAs 3/06
Fundstellen
AnwBl 2009, 303
DVBl 2009, 463
NJ 2009, 215
StV 2009, 253