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BVerfG - Entscheidung vom 24.02.2009

1 BvR 188/09

Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
GG Art. 103 Abs. 1

Fundstellen:
NJW 2009, 1660
NVwZ 2009, 580

BVerfG, Beschluss vom 24.02.2009 - Aktenzeichen 1 BvR 188/09

DRsp Nr. 2009/4808

Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde betreffend die Ablehnung der mit einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich der Planfeststellung für den Ausbau des Flughafens Frankfurt/M. befassten Richter des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs

Es verstößt jedenfalls dann nicht gegen das Verfahrensgrundrecht auf effektiven Rechtsschutz, wenn ein Verwaltungsgericht sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Rahmen der Planfeststellung für den Ausbau des Flughafens Frankfurt/M. nicht auf eine Interessenabwägung beschränkt, sondern erst nach 11 Monaten aufgrund summarischer Überprüfung der Erfolgsaussichten der erhobenen Klagen entscheidet, sofern die Genehmigungsbehörde zugesagt hat, mit dem Vollzug der Genehmigung bis zur Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz zuzuwarten.

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Normenkette:

VwGO § 80 Abs. 5 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind Befangenheitsbeschlüsse, die in verwaltungsgerichtlichen Eil- und Klageverfahren ergangen sind, sowie ein in dem genannten Eilverfahren ergangener Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO .

1.

Durch Beschluss vom 18. Dezember 2007 stellte das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung den Ausbauplan für den Flughafen Frankfurt am Main fest. Danach ist vorgesehen, den Flughafen durch den Bau einer weiteren Landebahn zu erweitern. Sie soll nordwestlich des jetzigen Flughafengeländes errichtet werden, wofür ein Teil des Kelsterbacher Waldes in Anspruch genommen wird. Gegen diesen Beschluss erhoben die Beschwerdeführerinnen - drei im Umland des Flughafens gelegene Gemeinden - am 8. Februar 2008 Klage. Die Beschwerdeführerinnen zu 1) und 2) begehrten zudem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.

Im Rahmen dieser Verfahren lehnten die Beschwerdeführerinnen die Richter des zuständigen 11. Senats des Verwaltungsgerichtshofs wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Die Befangenheitsanträge wurden mit Beschlüssen vom 22. Dezember 2008 abgelehnt. Die hiergegen von den Beschwerdeführerinnen jeweils erhobene Anhörungsrüge blieb ohne Erfolg.

Mit Beschluss vom 15. Januar 2009 wurde auch der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt.

2.

Am 22. Januar 2009 haben die Beschwerdeführerinnen zu 1) und 2) gegen den im Eilverfahren ergangenen Beschluss vom 22. Dezember 2008 sowie die Beschwerdeführerinnen zu 1) bis 3) gegen den im Hauptsacheverfahren ergangenen Beschluss vom 22. Dezember 2008 Verfassungsbeschwerde erhoben. Am 16. Februar 2009 haben die Beschwerdeführerinnen zu 1) und 2) auch gegen den Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO vom 15. Januar 2009 Verfassungsbeschwerde erhoben. Die Beschwerdeführerinnen rügen die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 und des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG .

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.> ). Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Vorgaben sind geklärt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg in der Sache.

1.

Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht feststellbar.

a)

Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine Folgerung aus dem Rechtsschutzgedanken für das gerichtliche Verfahren. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen können, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 86, 133 <144> ).

Damit gibt Art. 103 Abs. 1 GG den Beteiligten ein Recht zur Äußerung über Tatsachen, Beweisergebnisse und die Rechtslage. In der Regel ist hierfür nur eine vorherige Anhörung sinnvoll. Eine Ausnahme gilt nur, wenn eine vorherige Anhörung den Zweck der Maßnahme vereitelte oder wenn die Entscheidung nach vorheriger Anhörung zu spät käme (vgl. BVerfGE 65, 227 <233 f.> ; 83, 24 <35 f. >). Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht darüber hinaus, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen sie, damit das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, die ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 86, 133 <145 f.> ; stRspr). Die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG beschränkt sich dabei nicht darauf, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern, sondern verbürgt dem Verfahrensbeteiligten auch das Recht, sich zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 86, 133 <144> ).

b)

Bei Anwendung dieser Vorgaben ist vorliegend keine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG zu erkennen.

Dies gilt insbesondere auch insoweit, als die hier angegriffenen Beschlüsse vom 22. Dezember 2008 erlassen wurden, ohne dass den Beschwerdeführerinnen zuvor die Möglichkeit gegeben worden war, zum Vorbringen der Bevollmächtigten des Landes Hessen und der Flughafengesellschaft sowie zu den eidesstattlichen Versicherungen der Mitarbeiter der Flughafengesellschaft Stellung zu nehmen. Zwar mag - wie der Verwaltungsgerichtshof meint - die vorherige Übermittlung der Stellungnahme des Gegners zu einem Ablehnungsersuchen nicht immer zwingend erforderlich sein, wenn es nur um die rechtliche Bewertung des Ablehnungsersuchens geht. Etwas anderes wird jedoch zu gelten haben, wenn ein Beteiligter zu dem der Ablehnung zugrundegelegten Sachverhalt Tatsachen vorträgt und Beweismittel vorlegt. Hier hätte der Verwaltungsgerichtshof vor seiner Entscheidung über das Ablehnungsgesuch den Beschwerdeführerinnen wohl noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen.

Denn dieser Gehörsverstoß ist jedenfalls im Anhörungsrügeverfahren dadurch geheilt worden, dass sich die Beschwerdeführerinnen in ihrer Anhörungsrüge zu dem genannten Vorbringen geäußert haben und der Verwaltungsgerichtshof in den Beschlüssen über die Anhörungsrügen vom 15. Januar 2009 festgestellt hat, dass es einem etwaigen Gehörsverstoß jedenfalls an der Entscheidungserheblichkeit fehle. Die Beschwerdeführerinnen hätten in ihrer Anhörungsrüge keine Anhaltspunkte oder Gründe vorgetragen, die entgegen den Erwägungen im Beschluss vom 22. Dezember 2008 zur Annahme einer "Absprache" zwischen der Flughafengesellschaft und dem Vorsitzenden Richter Dr. Z. führten. Es handele sich vielmehr um eine Vertiefung des bisherigen Vorbringens.

Nach Art. 103 Abs. 1 GG beruht eine Entscheidung nur dann auf einem Gehörsverstoß, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung zu einer für die Beteiligten günstigeren Lösung geführt hätte (vgl. BVerfGE 62, 392 <396> ; 89, 381 <392 f. >). Angesichts der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs in den Anhörungsrügebeschlüssen kann es als ausgeschlossen angesehen werden, dass bei einer vorherigen Anhörung der Beschwerdeführerinnen anders über die Befangenheitsgesuche entschieden worden wäre. Der Gehörsverstoß kann damit als im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens geheilt angesehen werden.

Zwar wurde die Frage, ob eine Heilung eines Gehörsverstoßes durch ergänzende Erwägungen in einer die Anhörungsrüge als unbegründet zurückweisenden Entscheidung überhaupt statthaft ist, vom Bundesverfassungsgericht in manchen Entscheidungen offen gelassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammerdes Ersten Senats vom 23. Februar 2007 - 1 BvR 2368/06 -, [...] Rn. 26; Beschluss der 3. Kammerdes Ersten Senats vom 26. November 2008 - 1 BvR 670/08 -, [...]). Teilweise wurde dagegen auch schon eine solche Heilung im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens für möglich gehalten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammerdes Ersten Senats vom 12. November 2008 - 1 BvR 2788/08 -, [...] Rn. 8).

Dem ist in Fällen wie dem vorliegenden zu folgen. Denn der Rechtsbehelf der Anhörungsrüge bezweckt die Heilung von Verletzungen des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 ff., 416> ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammerdes Ersten Senats vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, [...] Rn. 10). Eine Heilung von Gehörsverstößen in der gleichen oder einer weiteren Instanz hat die Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor der Einführung der Anhörungsrüge schon als grundsätzlich möglich angesehen, wenn das betreffende Gericht in der Lage ist, das Vorbringen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 5, 22 <24> ; 62, 392 <397> ; 73, 322 <326 f. >; 107, 395 <411 f.>). Diese Voraussetzung ist im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens jedenfalls dann als erfüllt anzusehen, wenn das Gericht einem Gehörsverstoß durch bloße Rechtsausführungen im Anhörungsrügebeschluss zum Vorbringen des Betroffenen in der Anhörungsrüge abhelfen kann. Hier wäre es reine Förmelei, von Verfassungs wegen die Fortführung des Verfahrens nach § 152a Abs. 5 Satz 1 VwGO zu verlangen, obwohl sich das Gericht schon unter Berücksichtigung des übergangenen Vortrags eine abschließende Meinung gebildet hat und klar ist, dass eine für den Beteiligten günstigere Lösung ausgeschlossen ist, also die Entscheidung nicht auf der Gehörsverletzung beruht. Etwas anderes gilt freilich in Fällen, in denen das Gericht den Gehörsverstoß durch bloß ergänzende Erwägungen zum Vorbringen in der Anhörungsrüge nicht zu heilen vermag, wie etwa bei der Übergehung eines erheblichen Beweisantrags (vgl. BVerfGE 50, 32 <35> ; 60, 247 <249> ).

Der hier für zulässig befundenen Heilungsmöglichkeit steht eine Änderung der Zusammensetzung des betroffenen Spruchkörpers durch eine zwischenzeitlich eingetretene Änderung des Geschäftsverteilungsplanes oder eine Veränderung der Zusammensetzung aufgrund der Mitwirkungsgrundsätze des § 21g GVG nicht entgegen. Dies ergibt sich zumindest aus der Rechtsprechung und Literatur zu § 321a ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 - III ZR 443/04 -, NJW-RR 2006, S. 63; Vollkommer, in: Zöller, ZPO , 27. Aufl. 2009, § 321a Rn. 15a). Diese einfachrechtlichen Vorgaben sind sachlich vertretbar, weil sonst bei einem Richterwechsel - etwa verursacht durch den Eintritt eines Spruchkörpermitglieds in den Ruhestand - über eine Anhörungsrüge gar nicht mehr entschieden werden könnte. Dass über die Heilung eines Gehörsverstoßes nicht zwingend dieselben Richter entscheiden müssen, die bei der Ausgangsentscheidung mitgewirkt haben, hat im Ergebnis auch das Bundesverfassungsgericht schon bestätigt, weil es eine Heilung in derselben oder in einer anderen Instanz für möglich gehalten hat (vgl. BVerfGE 5, 22 <24> ; 62, 392 <397> ; 73, 322 <326 f. >; 107, 395 <411 f.>).

Etwas anderes wird auch nicht von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gefordert. Die Garantie des gesetzlichen Richters verpflichtet den Gesetzgeber und die Gerichte bei der Aufstellung von Geschäftsverteilungsplänen, eine klare und abstrakt-generelle Zuständigkeitsordnung zu schaffen, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung zuständig ist. Dadurch soll jede sachwidrige Einflussnahme auf die rechtsprechende Tätigkeit von innen und von außen verhindert werden (vgl. BVerfGE 95, 322 <327 f.> ). Eine durch einen Geschäftsverteilungsplan herbeigeführte abstrakt-generelle Änderung der Besetzung des Spruchkörpers hebt diese Bindungen nicht auf.

2.

Eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG , die aus der Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör bei der Entscheidung über die Befangenheitsanträge abgeleitet wird, ist damit auch nicht feststellbar.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstellen
NJW 2009, 1660
NVwZ 2009, 580