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BGH - Entscheidung vom 19.02.2009

V ZB 168/08

Normen:
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 130
ZPO § 236 Abs. 2
ZPO § 520 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 19.02.2009 - Aktenzeichen V ZB 168/08

DRsp Nr. 2009/6481

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch Einreichung eines nicht unterzeichneten Schriftsatzes

1. Die Ablehnung eines Wiedereinsetzungsgesuchs, das auf den wesentlichen Kern der nach § 236 Abs. 2 S. 1 ZPO zur Wiedereinsetzung vorgetragenen Tatsachen nicht eingeht, sondern einen hiervon abweichenden Sachverhalt feststellt, verletzt das Grundrecht auf rechtliches Gehör und das Verbot willkürlicher Tatsachenfeststellung. 2. Ist die Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 ZPO deshalb nicht gewahrt worden, weil innerhalb der Frist nur ein nicht unterschriebener und damit zur Einhaltung der Frist nicht geeigneter Schriftsatz bei Gericht eingegangen ist, so ist grundsätzlich von einem dem Berufungskläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Anwaltsverschulden auszugehen. 3. Etwas anderes gilt aber dann, wenn im Rahmen der Büroorganisation durch eine allgemeine Arbeitsanweisung Vorsorge dafür getroffen worden ist, dass vor dem Versenden von Schriftsätzen eine Kontrolle der Unterschrift durch eine zuverlässige Bürokraft erfolgt.

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 25. September 2008 aufgehoben.

Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 360.859,94 EUR.

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ; ZPO § 130 ; ZPO § 236 Abs. 2 ; ZPO § 520 Abs. 2 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I.

Die Kläger haben auf Grund einer mit arglistiger Täuschung begründeten Anfechtung eines Grundstückskaufvertrages gegen die Beklagte (Verkäuferin) Klage auf Zahlung in Höhe des Kaufpreises und der auf Grund des Vertrages erbrachten Leistungen Zug um Zug gegen Rückübertragung des Grundstücks erhoben, die das Landgericht abgewiesen hat.

Gegen dieses Urteil haben die Kläger bei dem Oberlandesgericht Berufung eingelegt. Die Frist für deren Begründung ist am 13. Juni 2008 abgelaufen. Bei dem Oberlandesgericht sind am 12. Juni 2008 per Telefax und am 16. Juni 2008 auf dem Postweg nicht unterschriebene Berufungsbegründungen eingegangen. Auf den richterlichen Hinweis vom 18. Juni 2008, ihnen zugestellt am 25. Juni 2008, haben die Kläger mit dem am 27. Juni 2008 bei dem Berufungsgericht eingegangen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und mit dem Gesuch eine unterschriebene Berufungsbegründung eingereicht.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs haben sie vorgetragen, dass die Berufungsbegründung in einer Unterschriftenmappe zusammen mit sechs oder sieben anderen Mappen Rechtsanwalt L. am 12. Juni 2008 zur Durchsicht und Unterzeichnung vorgelegt worden sei. Nachdem er diese geprüft, aber noch nicht unterschrieben gehabt habe, habe er das Büro zur Wahrnehmung eines Termins verlassen müssen. Während seiner Abwesenheit habe die Angestellte B. ohne Absprache mit ihm die nicht in das Ausgangsfach gelegten Unterschriftsmappen abgeholt und die darin enthaltenden Schriftsätze versendet, ohne die in der Ablaufbeschreibung der Kanzlei für die Bearbeitung der Postausgänge vorgesehene Unterschriftenkontrolle vorgenommen zu haben. Nach Rückkehr in das Büro gegen 17.00 Uhr habe Rechtsanwalt L. mit der Angestellten B. , die ihm die ordnungsgemäße Versendung bestätigt habe, nach Vorlage der Faxbestätigung der Austragung der Frist in dem Kalender des abwesenden, diese Sache bearbeitenden Rechtsanwalts K. zugestimmt, die darauf gestrichen worden sei.

Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 25. September 2008 das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Das Berufungsgericht meint, die Wiedereinsetzung könne nicht gewährt werden, weil die Kläger nicht ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert gewesen seien. Sie müssten sich das Verschulden von Rechtsanwalt L. zurechnen lassen, der nach der vorgelegten internen Organisation der Fristenverwaltung in der Kanzlei für die Kontrolle der Erledigung zuständig gewesen sei. Die Frist für die Berufungsbegründung sei nach Rückkehr in das Büro nach Absprache mit ihm gestrichen worden, obwohl der Rechtsanwalt gewusst habe, dass er die Berufungsbegründung noch nicht unterschrieben gehabt habe.

III.

1.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

Das Berufungsgericht hat gegen Verfahrensgrundrechte verstoßen. Die Feststellung in dem angefochtenen Beschluss, Rechtsanwalt L. habe gewusst, dass er die Berufungsbegründung nicht unterzeichnet habe, als er der Streichung der Frist durch die Angestellte B. in dem Fristenkalender zugestimmt habe, hat keine Grundlage in dem durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemachten Vortrag, was die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt. In dem angefochtenen Beschluss ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, auf welchen Umständen die Feststellung des Beschwerdegerichts eines (der Lebenserfahrung widersprechenden, weil auf eine Selbstschädigung hinauslaufenden) Verhaltens des Rechtsanwalts beruht, in positiver Kenntnis der noch nicht erfolgten Unterschriftsleistung die Streichung der für einen bestimmenden Schriftsatz notierten Frist in dem Kalender zu veranlassen.

Die Ablehnung eines Wiedereinsetzungsgesuchs, dass auf den wesentlichen Kern der nach § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO zur Wiedereinsetzung vorgetragenen Tatsachen nicht eingeht, sondern einen hiervon abweichenden Sachverhalt feststellt, verletzt sowohl das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) als auch das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG ) folgende Verbot willkürlicher Tatsachenfeststellung (vgl. BVerfG NJW 1994, 2279 f. ).

2.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Den Klägern ist die formund fristgerecht beantragte Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, da diese weder von ihnen selbst noch von ihrem Prozessbevollmächtigten, dessen Verschulden sie sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssten, verschuldet ist.

a)

Zwar ist dann, wenn - wie hier - die Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 ZPO deshalb nicht gewahrt worden ist, weil innerhalb der Frist nur ein nicht unterschriebener, zur Einhaltung der Frist nicht geeigneter Schriftsatz (BGHZ 37, 156, 157) bei dem Gericht eingegangen ist, grundsätzlich von einem dem Berufungskläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Anwaltsverschulden auszugehen (vgl. BGH, Beschl. v. 27. März 1980, VII ZB 1/80, VersR 1980, 765 ; v. 26. Juni 1980, VII ZB 11/80, VersR 1980, 942; v. 16. Dezember 1982, VII ZB 31/82, VersR 1983, 271). Denn es ist die Pflicht des Rechtsanwalts, für einen mangelfreien Zustand der aus seiner Kanzlei ausgehenden Schriftsätze zu sorgen, wozu die gem. § 130 Nr. 6 ZPO zu leistende Unterschrift gehört (Zöller/Greger, ZPO , 27. Aufl., § 233 Rdn. 23). Auch das Vergessen einer zur Fristwahrung erforderlichen Handlung ist grundsätzlich schuldhaft (BGH, Beschl. v. 27. März 1980, VII ZB 1/80, aaO; v. 26. Juni 1980, VII ZB 11/80, aaO).

Jedoch steht - worauf die Rechtsbeschwerde zu Recht hinweist - anwaltliches Verschulden durch das Vergessen einer Unterschriftsleistung einer Wiedereinsetzung dann nicht entgegen, wenn im Rahmen einer Büroorganisation durch eine allgemeine Arbeitsanweisung (wie die Kontrolle der Unterzeichnung der ausgehenden Schriftsätze vor ihrer Absendung) Vorsorge dafür getroffen worden ist, dass bei normalem Verlauf der Dinge die Frist - trotz des Versehens des Rechtsanwalts - mit Sicherheit gewahrt worden wäre (BGH, Beschl. v. 12. Dezember 1984, IVb ZB 103/84, NJW 1985, 1226; v. 6. Dezember 1995, VIII ZR 12/95, NJW 1996, 998 , 999; v. 15. Februar 2006, XII ZB 215/05, NJW 2006, 1205 , 1206; v. 1. Juni 2006, III ZB 134/05, NJW 2006, 2414 - std. Rspr.). Die Anwendung und Auslegung der prozessrechtlichen Vorschriften für die Wiedereinsetzung muss sich daran orientieren, dass ein im Prozessrecht eröffneter Zugang zu einer weiteren Instanz den Betroffenen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden darf. Die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, dürfen daher nicht überspannt werden (BVerfG NJW 2004, 2583 , 2584) .

Gemessen daran, steht das Vergessen der Unterschriftsleistung durch Rechtsanwalt L. der beantragten Wiedereinsetzung nicht entgegen. Gegen solche Fehler war hier durch die von den Rechtsanwälten der Kläger vorgelegte Arbeitsanweisung für die Postausgangsbearbeitung Vorsorge getroffen, die eine Kontrolle der Unterschrift durch das Sekretariat vor dem Versenden der Schriftsätze anordnet. Das genügt den Anforderungen zur Vermeidung eines nicht gänzlich auszuschließenden Anwaltsversehens bei der Unterschriftsleistung; denn die Kontrolle der Unterschriftsleistung vor Absendung darf einer zuverlässigen Bürokraft übertragen werden (BGH, Beschl. v. 12. Dezember 1984, IVb ZB 103/84, aaO; v. 6. Dezember 1995, VIII ZR 12/95, aaO).

b)

Die beantragte Wiedereinsetzung ist auch nicht deshalb als verschuldet anzusehen, weil die Streichung der Frist im Kalender mit Zustimmung des Rechtsanwalts nach Vorlage des Faxberichts und der Bestätigung ordnungsgemäßer Versendung durch die Angestellte B. erfolgte.

aa)

Zwar ist - wie in der vorgelegten Ablaufbeschreibung der Kanzlei für die Fristenverwaltung auch vorgesehen - am Abend eines jeden Arbeitstages eine Ausgangskontrolle vorzunehmen, die eine nochmalige selbständige Prüfung der Erledigung sicherstellt (BGH, Beschl. v. 10. Mai 2006, XII ZB 267/04, NJW 2006, 2412 , 2413; v. 13. Sept. 2007, III ZB 26/07, MDR 2008, 53 , 54). Diese Kontrolle soll gewährleisten, dass die Frist erst dann gestrichen wird, nachdem festgestellt worden ist, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (BGH, Beschl. v. 14. März 1996, III ZB 13/96, VersR 1996, 1298 ; v. 6. November 2001, XI ZB 11/01, BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 17).

bb)

Die Zustimmung des Rechtsanwalts zur Löschung der Frist im Rahmen der Ausgangskontrolle war hier für die Fristversäumung jedoch nicht ursächlich; denn eine Ausgangskontrolle kann nach der Versendung des fristwahrenden Schriftsatzes die zuvor versäumte Unterschriftenkontrolle nicht mehr nachholen. Etwas anderes gilt selbstverständlich dann, wenn der Rechtsanwalt bei der Zustimmung zur Streichung der Frist weiß, dass er den bereits versendeten Schriftsatz noch nicht unterschrieben hatte, wofür es hier jedoch - wie bereits (oben unter 1) ausgeführt - an jedem Anhaltspunkt fehlt.

Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 25.09.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 52/08
Vorinstanz: LG Duisburg, vom 05.03.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 3 O 271/07