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BGH - Entscheidung vom 20.01.2009

XI ZB 6/08

Normen:
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 238 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 1
ZPO § 574 Abs. 1
ZPO § 575 Abs. 1
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 238 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 1
ZPO § 574 Abs. 1
ZPO § 575 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 20.01.2009 - Aktenzeichen XI ZB 6/08

DRsp Nr. 2009/4035

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist; Anforderungen an die Büroorganisation eines Rechtsanwalts im Hinblick auf die Befolgung von Einzelanweisungen

In einer Anwaltskanzlei müssen organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass eine mündliche Einzelanweisung, die einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist betrifft, in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt.

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Kläger gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 10. März 2008 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert beträgt 168.787,48 EUR.

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ; ZPO § 238 Abs. 2 ; ZPO § 522 Abs. 1 ; ZPO § 574 Abs. 1 ; ZPO § 575 Abs. 1 ;

Gründe:

I.

Die Kläger machen gegenüber der Beklagten Ansprüche im Zusammenhang mit einem Darlehen geltend, mit dem sie den Erwerb einer Eigentumswohnung finanziert haben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Gegen das ihnen am 6. Dezember 2007 zugestellte landgerichtliche Urteil haben die Kläger am 4. Januar 2008 Berufung eingelegt. Mit beim Oberlandesgericht am 7. Februar 2008 eingegangenem Schriftsatz haben sie die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt. Nach entsprechendem Hinweis darauf, dass diese Frist bereits am 6. Februar 2008 abgelaufen sei, haben sie am 20. Februar 2008 hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und mit Schriftsatz vom selben Tag die Berufung begründet.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags haben die Kläger vorgetragen, die verfristete Einreichung des Verlängerungsantrags beruhe auf einem Versehen der seinerzeit im letzten Ausbildungsjahr bei ihrem Prozessbevollmächtigten beschäftigten und als außerordentlich zuverlässig bekannten Auszubildenden F. . Ihr Prozessbevollmächtigter habe, als im Rahmen einer routinemäßigen Überprüfung festgestellt worden sei, dass in dieser Sache von einer anderen Kanzleikraft eine fehlerhafte Berufungsbegründungsfrist notiert gewesen sei, Frau F. die Einzelweisung erteilt, die Fristnotierung sofort zu berichtigen. Gleichwohl sei eine solche Berichtigung versehentlich unterblieben und die Akte irrtümlich wieder in den Schrank gelegt worden. Ausweislich ihrer zur Glaubhaftmachung beigefügten eidesstattlichen Versicherung hatte Frau F. von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger die Weisung erhalten, die Eintragung im Fristenbuch und im elektronischen Fristenkalender zu ändern; sie habe die Akte dann zur Seite gelegt und sei möglicherweise an diesem Tag durch mehrere Telefonanrufe, die kurz hintereinander eingegangen seien, abgelenkt gewesen. Die Akte sei dann irgendwie wieder in den Schrank gehängt worden, so dass sie sie vergessen habe.

Das Berufungsgericht hat die Berufung unter gleichzeitiger Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags als unzulässig verworfen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kläger seien nicht ohne Verschulden ihres vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten daran gehindert gewesen, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Dem Wiedereinsetzungsgesuch sei nicht zu entnehmen, dass die vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten den von der Rechtsprechung aufgestellten Sorgfaltspflichten in Fristensachen gerecht geworden seien. Unabhängig hiervon scheitere das Wiedereinsetzungsgesuch daran, dass die nachgeholte Berufungsbegründung ihrerseits nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen an die versäumte Prozesshandlung genüge.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO ), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO , die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. Senat, BGHZ 161, 86 , 87 m.w.Nachw.), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Kläger ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ) nicht erforderlich. Es liegt weder eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor noch verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfGE 77, 275 , 284 ; BVerfG NJW 2003, 281 ).

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Rechtsfehler mit der Begründung verweigert, ein den Klägern nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten sei nicht ausgeschlossen, weil es an Vortrag fehle, dass und welche organisatorischen Maßnahmen im Büro der Klägervertreter ergriffen worden seien, um zu verhindern, dass eine mündliche Einzelweisung - wie hier die Weisung, die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist zu korrigieren - in Vergessenheit gerate.

Das Berufungsgericht hat damit - worauf die Rechtsbeschwerdeerwiderung zutreffend hinweist - auf der Grundlage der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entschieden. Danach müssen in einer Anwaltskanzlei organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass eine mündliche Einzelweisung, die einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist betrifft, in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung - wie hier geschehen - unterbleibt (BGH, Beschlüsse vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03, NJW 2004, 688 f. , vom 22. Juni 2004 - VI ZB 10/04, FamRZ 2004, 1711 und vom 4. April 2007 - III ZB 85/06, NJW-RR 2007, 1430 , 1431, jeweils m.w.Nachw.).

Dass im Büro der vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger organisatorische Maßnahmen getroffen worden wären, um zu vermeiden, dass mündlich erteilte Weisungen in Vergessenheit geraten, wird mit dem Wiedereinsetzungsantrag nicht vorgetragen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde durfte das Berufungsgericht damit von einem Verschulden der vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger ausgehen. Werden solche Maßnahmen gegen das Vergessen einer lediglich mündlich erteilten Anweisung nämlich nicht mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung vorgetragen und glaubhaft gemacht, ist ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten nicht ausgeschlossen und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen (BGH, Beschluss vom 4. November 2003 aaO).

Soweit die Rechtsbeschwerde beanstandet, es erschließe sich aus der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht, welche organisatorischen Maßnahmen insoweit in Betracht kämen, übersieht sie den Hinweis des Berufungsgerichts darauf, dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger, bevor er die Handakte der Auszubildenden überlassen habe, etwa einen Wiedervorlagetermin hätte verfügen können, um auf diese Weise zu kontrollieren, ob eine Berichtigung der Frist erfolgt ist (hierzu auch BGH, Beschluss vom 4. November 2003 aaO).

Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde auch auf den Beschluss des XII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 2. April 2008 ( XII ZB 189/07, NJW 2008, 2589 f.). Dort ist eine nachträgliche Kontrolle, ob eine mündliche Weisung ausgeführt worden war, ausnahmsweise als entbehrlich angesehen worden, da eine präzise und klare Anweisung des Anwalts zur sofortigen Eintragung der Begründungsfrist vorlag, die vor dem Hintergrund einer allgemeinen Büroanweisung, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen Aufträgen zu erledigen, erteilt worden war (aaO Tz. 14 f.).

Ein solcher Fall ist hier jedoch in dem Wiedereinsetzungsgesuch nicht schlüssig dargetan und glaubhaft gemacht. Es fehlt bereits an einer entsprechenden allgemeinen Büroanweisung, deren Existenz auch von der Rechtsbeschwerde nicht behauptet wird. Für die Annahme einer unmissverständlichen und klaren Anweisung, den Auftrag vor allen anderen Aufgaben auszuführen, genügt das glaubhaft gemachte Vorbringen der Kläger überdies nicht. Mit dem im Wiedereinsetzungsgesuch enthaltenen Vortrag, der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger habe die Weisung erteilt, die Fristnotierung sofort zu berichtigen, ist nicht ausreichend dargetan und glaubhaft gemacht, dass die Mitarbeiterin hiermit präzise und unmissverständlich angewiesen worden war, den Auftrag vor allen anderen Aufgaben auszuführen. Insbesondere belegt ihre zur Glaubhaftmachung vorgelegte eidesstattliche Versicherung nicht, dass ihr überhaupt präzise und klar eine Weisung erteilt worden ist, sofort tätig zu werden. Dort ist nur ausgeführt, dass sie die Weisung erhalten habe, die Eintragung im Fristenbuch und im elektronischen Fristenkalender zu ändern, und die Akte dann zur Seite gelegt habe. Dass ihr dort aufgetragen worden wäre, alles andere zurückzustellen und als erstes die Korrektur vorzunehmen, wird durch die eidesstattliche Versicherung nicht belegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO .

Vorinstanz: OLG Dresden, vom 10.03.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 8 U 26/08
Vorinstanz: LG Leipzig, vom 29.11.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 4352/06