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BGH - Entscheidung vom 10.03.2009

1 BGs 29/09

Normen:
GG Art. 44 Abs. 1
PUAG § 9 Abs. 4
PUAG § 17 Abs. 2
PUAG § 17 Abs. 4

Fundstellen:
NStZ-RR 2009, 355

BGH, Beschluss vom 10.03.2009 - Aktenzeichen 1 BGs 29/09

DRsp Nr. 2009/5880

Voraussetzungen der Ablehnung eines Beweisantrages durch einen Untersuchungsausschuss

Ein Beweisantrag, der nicht von mindestens einem Viertel der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses gestellt wurde, bedarf zwar der Ablehnung durch die Mehrheit des Ausschusses. Jedoch besteht dabei keine Bindung an die in § 17 Abs. 2 PUAG genannten Ablehnungsgründe.

Normenkette:

GG Art. 44 Abs. 1 ; PUAG § 9 Abs. 4 ; PUAG § 17 Abs. 2 ; PUAG § 17 Abs. 4 ;

Gründe:

I.

Die Begehren der Antragsteller richten sich gegen die Ablehnung eines im 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gestellten Antrags auf Vernehmung einer Journalistin als Zeugin.

1.

Der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages wurde am 7. April 2006 eingesetzt, um unter anderem zu klären, "wer wann [bezüglich der im Bericht vom 26. Mai 2006 des Sachverständigen Dr. S. untersuchten Sachverhalte] innerhalb des Bundeskanzleramtes und der Leitungsebene des Bundesnachrichtendienstes ... Kenntnis davon hatte, dass der Bundesnachrichtendienst Journalisten überwacht und ausgeforscht hat bzw. überwachen und ausforschen ließ" (V.1.a der BT-Drs. 16/3191 und 16/3028), und ferner zu klären, "wie sichergestellt ist bzw. wird, dass künftig eine Wiederholung von rechtswidrigen Überwachungen von Journalisten ... durch den Bundesnachrichtendienst ausgeschlossen ist" ( a.a.O VI. 3.).

Mit Schreiben vom 21. Januar 2009 beantragte der Abgeordnete S. als Mitglied der FDP-Fraktion des Untersuchungsausschusses zu beschließen:

"Es wird Beweis erhoben ... insbesondere zu Punkt V. und VI. des Untersuchungsauftrages, durch Vernehmung von Frau K. als Zeugin.

Begründung: Die ....-Journalistin K. soll, wie im Frühjahr 2008 bekannt wurde, bereits 2006 sechs Monate lang vom BND ausgespäht worden sein. Ihr Mailverkehr mit dem afghanischen Handelsministerium soll mitgelesen und abgespeichert worden sein. Die Vernehmung der Zeugin kann zur Erfüllung des Untersuchungsauftrages beitragen, da sie beispielsweise darüber Aufschluss geben kann, wie es um die interne Kontrolle des BND bestellt ist."

Zu dem als Drucksache (A-Drs.) 635 erfassten Antrag unterbreitete das Sekretariat des 1. Untersuchungsausschusses am 29. Januar 2009 einen "Beschlussvorschlag", der die Ablehnung als unzulässig vorsah, weil die Vernehmung der Zeugin vom Untersuchungsauftrag nicht gedeckt sei. In der 114. Sitzung des Untersuchungsausschusses vom 29. Januar 2009 lehnte die Mehrheit "mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition" den Antrag ab (in Abwesenheit der Antragsteller zu 2 und 3, bei Anwesenheit eines Abgeordneten der FDP; vgl. die Anwesenheitsliste und S. 7 des Protokolls der 114. Ausschusssitzung). Begründet wurde die Ablehnung mit der Unzulässigkeit des Beweisantrags, die sich (insbesondere) daraus ergebe, dass die Vernehmung der Zeugin nicht vom Untersuchungsauftrag gedeckt sei.

2.

Die Antragsteller sind ist der Ansicht, der vom Abgeordneten S. gestellte Antrag stelle einen zulässigen Beweisantrag dar, der von der Ausschussmehrheit nicht abgelehnt werden durfte. Zwar umfasse der Untersuchungsauftrag des Sachverständigen Dr. S. lediglich den Zeitraum bis zum 26. Mai 2006, auch habe das Bundeskanzleramt mit Erlass vom 15. Mai 2006 klargestellt, dass künftig keine operativen Maßnahmen mehr gegen Journalisten als Zielpersonen durchgeführt werden. Gleichwohl sei aber der Mailverkehr der Zeugin K. von Juni bis November 2006 mitgelesen und gespeichert worden und dies, obwohl der damalige Präsident des BND erklärt habe, dass "derzeit [Journalisten] in keinem Falle observiert oder sonst ausgeforscht" würden. Der Antrag ziele darauf festzustellen, ob es sich hierbei um eine Wiederholung bzw. Fortsetzung der gemäß dem Untersuchungsauftrag Ziffer V. aufzuklärenden Geschehnisse gehandelt habe, sowie gemäß Ziffer VI.3. des Untersuchungsauftrags zu klären, welche Maßnahmen "zur Vermeidung einer Wiederholungsgefahr" notwendig seien. Der Beweisantrag sei auch im Übrigen zulässig, insbesondere bestehe ein hinreichender Inlandsbezug; ferner sei die Zeugin ein geeignetes Beweismittel, zumal Ziffer VI.3. des Untersuchungsauftrags auf das künftige Verhalten den BND abstelle. Die Ausschussmitglieder der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die LINKE hätten zudem die Absicht gehabt, dem Antrag beizutreten; hierzu habe aber keine Möglichkeit bestanden, "da der Antrag bereits von vornherein von der Mehrheit als unzulässig abgewiesen worden war".

Die Antragsteller beantragen festzustellen:

1. Der Antrag der FDP-Fraktion im 1. Untersuchungsausschuss auf Ausschuss-Drucksache 635 ist nicht unzulässig und hätte in der 114. Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages am 29.01.2009 durch die Ausschussmehrheit nicht als unzulässig abgewiesen werden dürfen, und

2. der Ausschuss ist verpflichtet, die beantragte Zeugin zu laden.

Der Antragsgegner ist der Ansicht, das vorliegende Antragsverfahren sei bereits unzulässig, da die Antragsteller nicht postulationsfähig seien, zudem fehle es an der Zuständigkeit des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof, da dieser nicht - wie von den Antragstellern begehrt - zu einer Entscheidung über die Grenzen des Untersuchungsauftrags bzw. dessen Ausdehnung berufen sei. Eine Verletzung der Minderheitenrechte im Ausschuss sei nicht ersichtlich, da der Beweisantrag lediglich von einem Mitglied des Ausschusses gestellt und damit das notwendige Quorum von einem Viertel der Ausschussmitglieder nicht erreicht worden sei. Ferner ist der Antragsgegner - unter anderem - der Ansicht, dass der Beweisantrag jedenfalls unbegründet sei, da er weder zeitlich noch sachlich vom Untersuchungsauftrag gedeckt sei; auch könne die beantragte Zeugenvernehmung "keinerlei Aufklärung im Sinne des Untersuchungsauftrags" bieten, weshalb das Beweismittel ungeeignet sei.

Der Antragsgegner beantragt,

die Anträge als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

3.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird insbesondere auf die Antragsschrift vom 30. Januar 2009 und die Erwiderung des Vertreters des Antragsgegners vom 20. Februar 2009 Bezug genommen.

II.

Die Anträge haben keinen Erfolg.

1.

Nach § 17 Abs. 2 des Untersuchungsausschussgesetzes ( PUAG ) ist auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses ein Beweis zu erheben, wenn dies von (mindestens) einem Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses beantragt wurde und weder die Beweiserhebung unzulässig noch das Beweismittel unerreichbar ist. Lehnt der Untersuchungsausschuss die Beweiserhebung ab, kann (mindestens) ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses den Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof anrufen, der dann hierüber entscheidet (§ 17 Abs. 4 PUAG ). Beschlüsse des Untersuchungsausschusses werden mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst (§ 9 Abs. 4 Satz 1 PUAG ).

Auf dieser Grundlage steht das Beweisantragsrecht zwar jedem Mitglied des Untersuchungsausschusses zu (vgl. auch BT-Drs. 14/2363 S. 13; Glauben/Brocker, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern, 2005, § 16 Rdn. 2). Ein qualifiziertes Antragsrecht hat indes lediglich die Minderheit von (mindestens) einem Viertel der Ausschussmitglieder. Nur bei deren Beweisanträgen muss die Mehrheit des Ausschusses zustimmen, sofern nicht einer der im Gesetz aufgeführten Ablehnungsgründe vorliegt (BT-Drs. 14/2363 S. 13 f.; 14/5790 S. 17).

Bereits hieraus ergibt sich, dass es in Fällen, in denen der Beweisantrag nicht von (mindestens) einem Viertel der Ausschussmitglieder gestellt wurde, zwar der Ablehnung durch die Mehrheit des Ausschusses bedarf (BT-Drs. 14/2363 S. 14), dass dabei jedoch keine Bindung an die in § 17 Abs. 2 PUAG genannten Ablehnungsgründe besteht. Vielmehr darf ein solcher Antrag aus jedem (nicht willkürlichen) Grund abgelehnt werden, also beispielsweise auch wegen - aus Sicht der Ausschussmehrheit - fehlenden Aufklärungsbedürfnisses (anderer Ansicht ersichtlich Glauben/Brocker a.a.O. § 16 Rdn. 10); dagegen findet § 244 Abs. 3 bis 5 StPO in diesen Fällen - trotz Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG - keine (entsprechende) Anwendung. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut von § 17 Abs. 2 PUAG , wonach Beweise (nur) unter den dort genannten Voraussetzungen zu erheben "sind", sondern auch aus dem Sinn und Zweck der (insbesondere) in § 17 PUAG getroffenen Regelungen. Das qualifizierte Beweisantragsrecht entwickelt nämlich das qualifizierte Antragsrecht für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fort (BT-Drs. 14/2363 S. 13; vgl. ferner BVerfGE 105, 197, 225 ; BVerfG, einstweilige Anordnung vom 15. Juni 2005 - 2 BvQ 18/05 [Rdn. 31]), dient mithin dem Schutz der Rechte und den Aufklärungsinteressen dieser qualifizierten Minderheit (Klein in Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Art. 44 Rdn. 197, 200; Achterberg/Schulte in v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz , Art. 44 Rdn. 165 f., 172; Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz , 2003, S. 223 ff.). Lediglich wenn sich eine solche Minderheit schon bei der Stellung eines Beweisantrags zusammenfindet, ist die Möglichkeit zur Ablehnung solcher Anträge durch die Ausschussmehrheit in § 17 Abs. 2 PUAG eingeschränkt. Wie bei der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG ) besteht mithin auch bezüglich der Ablehnung von Beweisanträgen der besondere "Schutz" des § 17 Abs. 2 , 4 PUAG nur dann, wenn der Antrag von einer qualifizierten Minderheit gestellt wurde und der Schutz von einer solchen begehrt wird (vgl. BVerfGE 105, 197, 221 ff. ; Platter, Das parlamentarische Untersuchungsverfahren vor dem Verfassungsgericht, Berlin, 2004, S. 78, 82).

2.

Auf dieser Grundlage erfolgte die Ablehnung des Beweisantrags A-Drs. 635 durch die Ausschussmehrheit ohne Gesetzesverstoß; deshalb haben die Haupt- oder Hilfsanträgen keinen Erfolg. Der Beweisantrag wurde - wie die Antragsteller selbst vortragen und das Sitzungsprotokoll bestätigt - weder von (mindestens) einem Viertel der Ausschussmitglieder gestellt noch (etwa durch einen "Beitritt" vor der Entscheidung) von einer solchen qualifizierten Minderheit unterstützt. Soweit die Antragsteller sich im Schreiben vom 5. März 2009 darauf berufen, es habe keine Möglichkeit bestanden, dem Antrag beizutreten, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, wodurch ihnen - abgesehen von ihrer Abwesenheit - die Mitwirkung an der Beschlussfassung verwehrt wurde. Dass der Antrag nicht - wie von ihnen vorgetragen - "bereits von vornherein von der Mehrheit als unzulässig abgewiesen worden war", ergibt sich aus dem Protokoll der 114. Ausschusssitzung.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Ein Gebührentatbestand bezüglich der Gerichtskosten ist weder im Untersuchungsausschussgesetz noch in oder für die hier sinngemäß anzuwendende Strafprozessordnung (Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG ) gegeben; zudem würden solche Gebühren nicht erhoben (§ 2 GKG ). Auch für die Überbürdung der Kosten und Auslagen des Antragsgegners mangelt es an einer Rechtsgrundlage (vgl. zudem § 35 PUAG ).

[...]

Fundstellen
NStZ-RR 2009, 355