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BGH - Entscheidung vom 02.07.2009

3 StR 219/09

Normen:
StPO § 111i Abs. 2
StPO § 154 Abs. 1 Nr. 1
StPO § 154 Abs. 2
StPO § 244 Abs. 2
StGB § 2 Abs 3

Fundstellen:
StraFo 2009, 385

BGH, Beschluss vom 02.07.2009 - Aktenzeichen 3 StR 219/09

DRsp Nr. 2009/17954

Vernehmung eines Zeugen zur Erfüllung der Aufklärungspflicht i.S.d. § 244 Abs. 2 StPO ; Anordnung des Verfalls i.R.v. Straftaten vor Inkrafttreten des § 111i Abs. 2 StPO

1. Kern und Ausgangspunkt des Aufklärungsgebotes des § 244 Abs. 2 StPO ist es, die Wahrheit in Bezug auf die zu beurteilende Tat zu erforschen und deren Unrechtsgehalt festzustellen. 2. Die Aufklärungspflicht ist auch dann verletzt, wenn bei verständiger Würdigung der Sachlage durch das Tatgericht die Verwendung einer Aufklärungsmöglichkeit den Schuldvorwurf möglicherweise widerlegt, in Frage gestellt oder als begründet erwiesen hätte. 3. § 111 i Abs. 2 StPO ist durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006 (BGBl I 2350) geschaffen worden und am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Seiner Anwendung auf bereits zuvor beendete Taten steht § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB entgegen, wonach insoweit das mildere Recht gilt. 4. Die Feststellung nach § 111 i Abs. 2 StPO stellt eine materiell-rechtliche Grundentscheidung für eine aufschiebend bedingte Verfallsanordnung zugunsten des Staates dar.

Tenor:

1.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 18. November 2008 wird

a)

das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Nötigung zur Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 EUR verurteilt wurde; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;

b)

das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

- im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in drei Fällen verurteilt wurde;

- im Ausspruch über die Gesamtstrafe und

- soweit festgestellt ist, dass Ansprüche Verletzter einer Verfallsanordnung entgegenstehen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StPO § 111i Abs. 2 ; StPO § 154 Abs. 1 Nr. 1 ; StPO § 154 Abs. 2 ; StPO § 244 Abs. 2 ; StGB § 2 Abs 3 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit ausbeuterischer Zuhälterei und mit dirigistischer Zuhälterei, ausbeuterischer Zuhälterei in Tateinheit mit dirigistischer Zuhälterei, Betruges, Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, Nötigung, Bedrohung, Körperverletzung, unerlaubten Besitzes von Munition und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Außerdem hat es festgestellt, "dass Ansprüche Verletzter einer Verfallsanordnung entgegenstehen". Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.

1.

Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1 , Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Nötigung zum Nachteil der Nebenklägerin verurteilt worden ist, weil zweifelhaft ist, ob Tatmehrheit zwischen dieser Straftat und der Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung besteht. Die dafür verhängte Geldstrafe entfällt.

2.

Die Aufklärungsrüge führt zur Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in drei Fällen. Dies hat auch die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge.

a)

Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte bei drei Gelegenheiten zwischen Februar 2007 und Mitte Juni 2007 von einer namentlich nicht identifizierten Person italienischer Herkunft jeweils 30 Gramm Kokain mittlerer Qualität. Davon verkaufte er einen Teil nicht feststellbarer Größenordnung an zwei Abnehmer zum Preis von 50 bis 60 EUR pro Gramm.

Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt.

b)

Die Revision rügt zu Recht, das Landgericht hätte sich in Erfüllung seiner Aufklärungspflicht dazu gedrängt sehen müssen, den Zeugen R. , den die Nebenklägerin außerhalb der Hauptverhandlung als Verkäufer des Kokains bezeichnet hatte, zu vernehmen.

Die Rüge ist zulässig erhoben. Die Revision trägt vor, dass der Strafkammer während der Hauptverhandlung mitgeteilt wurde, R. sei aufgrund der Angaben der Nebenklägerin als mutmaßlicher Verkäufer des Rauschgifts identifiziert worden; er hätte bei der sich aufdrängenden Vernehmung ausgesagt, kein Kokain an den Angeklagten verkauft zu haben. Entgegen der Meinung des Generalbundesanwalts muss die Aufklärungsrüge keine Angaben dazu enthalten, weshalb es sich aufgedrängt habe, der Zeuge würde im genannten Sinne aussagen.

Die Rüge ist auch begründet. Kern und Ausgangspunkt des Aufklärungsgebotes des § 244 Abs. 2 StPO ist es, die Wahrheit in Bezug auf die zu beurteilende Tat zu erforschen und deren Unrechtsgehalt festzustellen. Die Aufklärungspflicht ist auch dann verletzt, wenn bei verständiger Würdigung der Sachlage durch das Tatgericht die Verwendung einer Aufklärungsmöglichkeit den Schuldvorwurf möglicherweise widerlegt, in Frage gestellt oder als begründet erwiesen hätte (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 2 Umfang 1). Dies ist hier der Fall. Angesichts des Umstandes, dass die Betäubungsmitteldelikte im Wesentlichen allein aufgrund der Aussage der Nebenklägerin festgestellt wurden, hätte sich die Vernehmung des mutmaßlichen Verkäufers des Rauschgifts aufgedrängt. Der Senat kann nicht mit Sicherheit ausschließen, dass der Zeuge den Angeklagten entlastende Angaben gemacht hätte und deshalb eine Verurteilung des Angeklagten wegen der Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz bei einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise unterblieben wäre.

c)

Die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in drei Fällen wäre auch aufgrund der Sachrüge aufzuheben gewesen. Den Feststellungen kann nicht zweifelsfrei entnommen werden, dass der Angeklagte eine nicht geringe Menge von mindestens fünf Gramm Kokainhydrochlorid in Besitz hatte und durch den teilweisen Weiterverkauf einen Vorteil erzielen wollte. In den Urteilsgründen werden lediglich der Ankauf von jeweils 30 Gramm Kokain mittlerer Qualität und der Verkaufspreis i. H. v. 50 bis 60 EUR pro Gramm mitgeteilt. Nach der Aussage der Nebenklägerin war der Kokainhandel keine Einnahmequelle des Angeklagten.

3.

Die Feststellung der Strafkammer, "dass Ansprüche Verletzter einer Verfallsanordnung entgegenstehen", hält der rechtlichen Prüfung nicht stand.

a)

§ 111 i Abs. 2 StPO nF, der allein als Rechtsgrundlage für die Feststellung in Betracht kommt, ist durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006 (BGBl I 2350) geschaffen worden und am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Seiner Anwendung auf bereits zuvor beendete Taten steht § 2 Abs. 5 i. V. m. Abs. 3 StGB entgegen, wonach insoweit das mildere Recht gilt (BGH NStZ 2008, 579 ; StV 2008, 226 ; wistra 2009, 241 ). Danach kommt hier ein Ausspruch nach § 111 i Abs. 2 StPO nF hinsichtlich der Tat "ausbeuterische Zuhälterei in Tateinheit mit dirigistischer Zuhälterei" nicht in Betracht. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen wurde diese Tat in den letzten fünf Wochen des Jahres 2006 begangen und war damit vor dem 1. Januar 2007 beendet. Die Feststellung nach § 111 i Abs. 2 StPO nF stellt eine materiellrechtliche Grundentscheidung für eine aufschiebend bedingte Verfallsanordnung zu Gunsten des Staates dar (vgl. BGH NStZ 2008, 579 ; StV 2008, 226 ). Da die bis 31. Dezember 2006 geltende Gesetzesfassung einen Auffangrechtserwerb des Staates (§ 111 i Abs. 5 StPO nF) nicht kannte, ist der Angeklagte durch die Feststellung beschwert.

b)

Soweit der Angeklagte nach den Feststellungen ab 1. Januar 2007 von der Nebenklägerin und dem Zeugen C. hohe Geldbeträge durch strafbare Handlungen erlangte, hat das Landgericht diese entgegen § 111 i Abs. 2 Satz 2 und 3 StPO nF im Urteil nicht beziffert.

4.

Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere weist die Beweiswürdigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Selbst wenn sich das Landgericht nach der Vernehmung des Zeugen R. nicht vom Vorliegen der Betäubungsmitteldelikte hätte überzeugen können, schließt der Senat aus, dass es den Angeklagten dann wegen Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin auch in den Fällen freigesprochen hätte, in denen er trotz des Fehlens eines Geständnisses verurteilt wurde. Denn es lagen insoweit neben der Aussage der Nebenklägerin jeweils Beweisumstände von erheblichem Gewicht vor, welche deren Angaben in wesentlichen Punkten bestätigten.

Vorinstanz: LG Hannover, vom 18.11.2008
Fundstellen
StraFo 2009, 385