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BGH - Entscheidung vom 05.03.2009

V ZR 166/08

Normen:
ZPO § 544 Abs. 7
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 05.03.2009 - Aktenzeichen V ZR 166/08

DRsp Nr. 2009/6623

Umfang des rechtlichen Gehörs im Zivilverfahren

Ein Verstoß gegen den Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) liegt vor, wenn das Gericht nicht seiner Pflicht nachgekommen ist, entscheidungserhebliche Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das muss angenommen werden, wenn das Gericht zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, trotz entsprechenden Parteivortrags in den Entscheidungsgründen nicht Stellung nimmt.

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 16. Juli 2008 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 33.144,38 EUR.

Normenkette:

ZPO § 544 Abs. 7 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I.

Der Kläger ist Verwalter in dem Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der T. GmbH (Schuldnerin), die dem Beklagten mit notariell beurkundetem Vertrag vom 3. Februar 1994 ein Grundstück in P. für 1,6 Mio. DM verkaufte. Die Übergabe erfolgte einen Tag später. Der Kaufpreis war fällig, sobald die Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsordnung dem Notar vorlag und unwiderruflich geworden sowie die Auflassungsvormerkung zugunsten des Käufers in das Grundbuch eingetragen worden war. Diese Eintragung erfolgte am 14. März 1994. Die Grundstückverkehrsgenehmigung wurde am 25. Februar 1997 erteilt und nach Ablauf eines Jahres unwiderruflich.

Nach § 3.2 des Kaufvertrags musste die Verkäuferin bis zum 30. Juni 1994 textiltechnische Anlagen einschließlich Be- und Entlüftungsanlagen entfernen und den Gebäudefußboden von Schmierstoffrückständen befreien. Streitig ist, in welchem Umfang die Schuldnerin diesen Verpflichtungen nachgekommen ist. Jedenfalls wurden die zum Transport von Teppichrollen bestimmte Aufzugsanlage, Fensterventilatoren sowie die zur Be- und Entlüftungsanlage gehörenden Rohre nicht ausgebaut.

§ 10 des Vertrags lautet:

"Sollte sich herausstellen, dass der vorliegende Vertrag endgültig nicht durchgeführt werden kann oder nach seiner Durchführung rückabzuwickeln ist, gilt zwischen den Parteien unter Berücksichtigung der dann gegebenen rechtlichen und wirtschaftlichen Situation eine angemessene, den Interessen beider Parteien Rechnung tragende Lösung. Über Einzelheiten verständigen sich die Parteien."

Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Bezahlung des Kaufpreises nebst Verzugszinsen. Das Landgericht hat der Klage Zug um Zug gegen Entfernung der für den Transport von Teppichrollen bestimmten Aufzugsanlage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten die Klage als zurzeit unbegründet abgewiesen. Die Revision gegen sein Urteil hat es nicht zugelassen.

II.

Das Berufungsgericht meint, der Beklagte könne dem Erfüllungsanspruch des Klägers einen Einwand aus § 10 des Kaufvertrags entgegenhalten. Die Auslegung dieser Vertragsbestimmung ergebe nämlich, dass auch der hier eingetretene Fall einer erst nahezu drei Jahre nach Vertragsschluss erfolgten Erteilung der Grundstücksverkehrsgenehmigung und der daraus resultierenden Verzögerung der von dem Beklagten geplanten Entwicklung der Immobilie zum Eingreifen des § 10 führe. Der Vertragswortlaut erfasse "unproblematisch" auch Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, welche die Vertragsdurchführung aus Sicht des Beklagten nicht mehr sinnvoll bzw. sogar wirtschaftlich unsinnig erscheinen ließen. Drastische Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen lösten die Pflicht zur Vereinbarung einer einverständlichen Lösung jedenfalls dann aus, wenn sie auf einer ganz unerwarteten Verzögerung der Vertragserfüllung beruhten. Die Klausel stelle sich somit als eine vertragliche Festschreibung des gesetzlichen Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage dar, wobei die möglichen Rechtsfolgen abweichend von dessen Regeln limitiert seien. Die zeitnahe Vertragsdurchführung sei gemeinsame Vorstellung der Parteien und damit subjektive Geschäftsgrundlage des Vertrages gewesen. Diese sei wegen der späten Erteilung der Grundstücksverkehrsgenehmigung weggefallen. Das sich damit verwirklichende Risiko sei nicht dem Verantwortungsbereich des Beklagten zugewiesen, sondern dem der Schuldnerin.

III.

Mit seiner Beschwerde will der Kläger die Zulassung der Revision gegen das Berufungsurteil erreichen, damit er seinen Klageantrag weiter verfolgen kann.

IV.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Es nämlich Vortrag des Klägers zum Teil nicht zur Kenntnis genommen und zum Teil bei der Entscheidung nicht erwogen; dies bedeutet einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG (siehe nur BVerfG NJW-RR 2002, 68 , 69 m.w.N.).

1.

Unbegründet ist allerdings die Rüge, das Berufungsgericht habe die von dem Kläger erhobene Einrede der Verjährung übergangen. Der Kläger hat nicht dargelegt, wann er im Laufe des Berufungsverfahrens die Verjährungseinrede erhoben hat.

2.

Das Berufungsgericht hat seine Auslegung der Regelung in § 10 des Kaufvertrags maßgeblich auf deren Sinn und Zweck gestützt, wonach auch drastische Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wenn sie auf einer ganz unerwarteten Verzögerung der Vertragserfüllung beruhten, die Pflicht zur Vereinbarung einer einverständlichen Lösung auslösen könnten. Obwohl das Berufungsurteil keine Feststellungen enthält, in welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang sich die wirtschaftlichen Verhältnisse zum Nachteil des Beklagten erheblich geändert haben und dass dies auf die späte Erteilung der Grundstücksverkehrsgenehmigung zurückzuführen ist, muss davon ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung eine solche Änderung zugrunde gelegt hat. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass es von dem Wegfall der Geschäftsgrundlage ausgegangen ist. Dabei hat das Berufungsgericht jedoch den Vortrag des Klägers übergangen, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen Vertragsschluss und Erteilung der Grundstücksverkehrsgenehmigung nicht zum Nachteil des Beklagten verändert hätten (Schriftsatz vom 29. Oktober 2002, GA II, 242). Auch hat es sich nicht mit dem Vortrag des Klägers auseinandergesetzt, der Beklagte hätte selbst bei einer sofortigen Erteilung der Genehmigung keinen Gewinn aus der Verwertung des Objekts erzielt (Schriftsatz vom 1. März 2004, GA II, 319 ff.). Diese Fehler sind entscheidungserheblich; es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung und Abwägung des Vortrags zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass es keine drastischen Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Nachteil des Beklagten gegeben hat.

3.

Das Berufungsgericht hat auch den Vortrag des Klägers übergangen, der Beklagte habe im Jahr 1998 - nachdem die Grundstücksverkehrsgenehmigung unwiderruflich geworden sei - seine Pflicht zur Bezahlung des Kaufpreises anerkannt (Schriftsatz vom 29. Oktober 2002, GA II, 242). Dieser Fehler ist ebenfalls entscheidungserheblich; es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vortrags dem Beklagten den Einwand aus § 10 des Kaufvertrags nicht zugestanden hätte.

4.

Weiter hat das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers nicht berücksichtigt, dass seinerzeit die Bearbeitungsdauer für die Erteilung der Grundstücksverkehrsgenehmigung mindestens zwei Jahre betragen habe und dies dem Beklagten bekannt gewesen sei (Schriftsatz vom 23. Dezember 2003, GA II, 282). Auch dieser Fehler ist entscheidungserheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung dieses Vortrags nicht angenommen hätte, die zeitnahe Vertragsdurchführung sei gemeinsame Vorstellung der Parteien gewesen.

V.

Weitere Gründe für die Zulassung der Revision gibt es nicht. Die von dem Kläger in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Fragen, welche zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache führen sollen, können nur für den jeweiligen Einzelfall beantwortet werden. Denn sie betreffen die Auslegung individueller Vertragsklauseln, wie sie das Berufungsgericht hier vorgenommen hat. Dass seine Auslegung von § 10 rechtlich angreifbar ist, wie der Kläger zutreffend aufzeigt, und zu einem eher fern liegenden Ergebnis geführt hat, stellt keinen Grund für die Zulassung der Revision dar.

Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 16.07.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 10 U 30/02
Vorinstanz: LG Hamburg, vom 24.02.2002 - Vorinstanzaktenzeichen 318 O 134/01