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BGH - Entscheidung vom 18.08.2009

1 StR 155/09

Normen:
StPO § 261

Fundstellen:
NStZ 2010, 51

BGH, Urteil vom 18.08.2009 - Aktenzeichen 1 StR 155/09

DRsp Nr. 2009/21367

Erfolgsaussichten der Revision von Staatsanwaltschaft und Nebenklägerin gegen einen Teilfreispruch bzgl. einer behaupteten Vergewaltigung; Anforderungen an die strafprozessuale Beweisführung und Beweiswürdigung

Tenor:

1.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 17. November 2008 werden verworfen.

2.

Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten dadurch und durch die Revision der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.

Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte.

Von Rechts wegen

Normenkette:

StPO § 261 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in fünf Fällen sowie wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten und zwei Wochen verurteilt und von dem Vorwurf der Vergewaltigung der Nebenklägerin aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Teilfreispruch richten sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die die Beweiswürdigung der Strafkammer beanstandet, und die auf eine Verfahrensrüge gestützte Revision der Nebenklägerin. Beide - vom Generalbundesanwalt vertretenen - Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

1.

Nach den Feststellungen des Landgerichts begaben sich nach dem Aufenthalt in einer Gaststätte der Angeklagte, sein Bekannter M. sowie die stark alkoholisierte 14-jährige Nebenklägerin und deren Schwester zum Schlafen in das von den beiden Männern bewohnte Zimmer. Der Angeklagte und die Nebenklägerin einerseits sowie M. und die Schwester der Nebenklägerin andererseits legten sich bekleidet in jeweils eines der beiden dort befindlichen Betten und schliefen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein. M. und die Schwester der Nebenklägerin führten zuvor einvernehmlich den Geschlechtsverkehr durch.

Den Angaben der Nebenklägerin, der Angeklagte habe seinerseits mit ihr unter Anwendung von Gewalt den Geschlechtsverkehr vollzogen, ist das Landgericht nicht gefolgt. Es hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass überhaupt sexuelle Handlungen zwischen dem - bestreitenden - Angeklagten und der Nebenklägerin stattfanden. Den Angaben der Nebenklägerin fehlten zu den näheren Umständen der behaupteten Tat die Konstanz, die Aussagegenese ergebe Rechtfertigungstendenzen. Die Nebenklägerin habe sich an jenem Abend erstmals in einer hochgradigen Trunkenheit befunden, die illusionäre Gedächtnisstörungen möglich erscheinen ließe. Nach den Angaben der Nebenklägerin zu erwartende Spermaspuren oder DNA-Spuren an den Scheiden- und Penisabstrichen seien nicht gefunden worden.

2.

Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.

a)

Revision der Nebenklägerin

Die Rüge, die Strafkammer habe rechtsfehlerhaft den Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens abgelehnt, ist nicht begründet. Die Strafkammer hat den Antrag mit der hier noch tragfähigen Begründung, selbst über die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung der Zuverlässigkeit der Angaben der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 15 Jahre alten Zeugin zu verfügen, abgelehnt.

Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist Aufgabe des Tatgerichts. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter über diejenige Sachkunde bei der Anwendung aussagepsychologischer Glaubwürdigkeitskriterien verfügen, die für die Beurteilung von Aussagen auch bei schwieriger Beweislage erforderlich ist, und dass sie diese Sachkunde den beteiligten Laienrichtern vermitteln können. Dies gilt bei jugendlichen Zeugen erst recht, wenn die Berufsrichter - wie hier - zugleich Mitglieder der Jugendschutzkammer sind und über spezielle Sachkunde in der Bewertung der Glaubwürdigkeit von jugendlichen Zeugen verfügen (vgl. UA S. 54).

Der Revision ist zwar einzuräumen, dass die erhebliche Alkoholisierung der Nebenklägerin zum Zeitpunkt der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat sowie psychische Auffälligkeiten der Nebenklägerin die Beweiswürdigung als durchaus problematisch erscheinen ließen. Die Strafkammer hat sich dieser Problematik jedoch gestellt, wobei sie sich dort, wo es erforderlich erschien, ergänzend auf sachverständigen Rat gestützt hat. Zu den mit der Trunkenheit der Nebenklägerin einhergehenden Symptomen und sich daraus ergebenden Folgen hat sie den Sachverständigen Dr. L. , Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, sowie zur Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin die diese behandelnde Ärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie angehört. Unter diesen Umständen gingen die Anforderungen an die Beweiswürdigung noch nicht über das Maß hinaus, das vom Tatrichter regelmäßig verlangt wird. Diesen Anforderungen ist die Strafkammer auch - wie ihre ausführlichen Erwägungen zu den hier gegebenen Besonderheiten der Glaubwürdigkeitsprüfung belegen - noch gerecht geworden.

b)

Revision der Staatsanwaltschaft

Die Freisprechung des Angeklagten hält auch sachlichrechtlicher Nachprüfung stand.

Die Würdigung der Beweise hat das Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO ). Das Revisionsgericht hat sie regelmäßig hinzunehmen. Es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen oder sie nur deshalb zu beanstanden, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher gelegen hätte. Kann der Tatrichter vorhandene Zweifel nicht überwinden, so kann das Revisionsgericht eine solche Entscheidung nur im Hinblick auf Rechtsfehler überprüfen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH NJW 2008, 1543 ).

Einen derartigen durchgreifenden Rechtsfehler weist das angefochtene Urteil nicht auf. Das Landgericht hat eine eingehende Prüfung der den Angeklagten belastenden und entlastenden Indizien vorgenommen und diese ausdrücklich - wenn auch knapp - in ihrer Gesamtheit gewürdigt (UA S. 38, 53). Dass es sich im Ergebnis nicht von der Zuverlässigkeit der belastenden Angaben der Nebenklägerin zu überzeugen und Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht zu überwinden vermocht hat, ist deshalb aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Die Verdachtsmomente gegen den Angeklagten gründeten sich maßgeblich auf die Aussage der Nebenklägerin. Das Landgericht hat deshalb zu Recht diese Aussage und ihre Entwicklung im Laufe des Verfahrens zentral in den Blick genommen und festgestellt, dass sie zu Einzelheiten des inkriminierten Geschehens gewechselt hat, und zwar in der Weise, dass die Nebenklägerin zunehmend einem Erwartungsdruck nachgegeben zu haben schien. Es hat zu berücksichtigen gehabt, dass sich die Nebenklägerin in dem behaupteten Tatzeitraum zum ersten Mal in einem derart starken Rauschzustand befand, dass sie nicht mehr in der Lage war, die Treppen zu dem Zimmer des Angeklagten hochzugehen, und selbst von Erinnerungslücken berichtete. Es hat zutreffend auf das Fehlen verschiedener objektiver Spuren für das Stattfinden sexueller Handlungen verwiesen, ferner darauf, dass der als glaubwürdig eingestufte Mitbewohner M. in dem benachbarten Bett von dem behaupteten Geschehen nichts bemerkt hat.

Diesen Umständen hat das Landgericht Beweisanzeichen gegenübergestellt, die für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechen könnten. Hierbei sind weder revisionsrechtlich relevante Lücken oder Widersprüche erkennbar noch hat das Landgericht dem Angeklagten nachteilig erscheinende Indizien in ihrem Beweiswert rechtsfehlerhaft falsch bewertet. So hat die Strafkammer in Rechnung gestellt, dass es durchaus Anzeichen dafür gibt, dass die Nebenklägerin zum Kerngeschehen nicht bewusst unwahr ausgesagt hat. Sie hat auch gesehen, dass die ungewöhnliche Lage des bei der Untersuchung der Nebenklägerin aufgefundenen Tampons die Richtigkeit der Darstellung der Nebenklägerin bestätigen könnte, aber nachvollziehbar dargelegt, dass es dafür ohne weiteres andere Erklärungen geben kann als ein Eindringen des Angeklagten in die Scheide.

Wenn die Kammer auf dieser Grundlage die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten nicht gewinnen konnte, spricht dies nicht für übertriebene Anforderungen an die zu einer Verurteilung erforderliche Gewissheit. Vielmehr ist auch insoweit den Anforderungen an die revisionsrechtliche Nachprüfbarkeit der Beweiswürdigung genügt.

3.

Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenklägerin erfolglos geblieben sind, hat die Nebenklägerin außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die beiden Revisionen verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 128 m.w.N.).

Vorinstanz: LG Regensburg, vom 17.11.2008
Fundstellen
NStZ 2010, 51