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BGH - Entscheidung vom 03.03.2009

VI ZB 6/07

Normen:
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 418 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 03.03.2009 - Aktenzeichen VI ZB 6/07

DRsp Nr. 2009/6556

Beweiskraft des Eingangsstempels bei Gericht; Anforderungen an den Gegenbeweis

1. Der Eingangsstempel des Gerichts auf einem Schriftsatz begründet gem. § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis dafür, dass der Schriftsatz erst an diesem Tag eingegangen ist. Der hiergegen gem. § 418 Abs. 2 ZPO eröffnete Gegenbeweis ist nicht geführt, wenn sich im Rahmen der durch Freibeweis angestellten Ermittlungen keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass es bei der Leerung des Gerichtsbriefkastens und der Verwendung der speziell gekennzeichneten und bestimmten Personen zugeordneten Stempel zu Fehlern gekommen ist und die Möglichkeit offen bleibt, dass die mit der Überbringung des Schriftsatzes beauftragte Rechtsanwalts- und Notariatsangestellte den Einwurf des Schriftsatzes vergessen hat. 2. In diesem Fall ist jedenfalls dann von einem der Prozesspartei als Verschulden des Prozessbevollmächtigten zuzurechnenden Organisationsmangel auszugehen, wenn keine allgemeine Anweisung besteht, dass fristwahrende Schriftsätze unmittelbar und ohne weitere Umwege zum Gerichtsbriefkasten zu bringen sind.

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. Dezember 2006 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 20.085,11 EUR

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ; ZPO § 418 Abs. 1 ;

Gründe:

I.

Das klageabweisende Urteil des Landgerichts vom 21. Juli 2006 wurde dem Kläger am 26. Juli 2006 zugestellt. Mit einem am 22. August 2006 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger fristgemäß Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 26. September 2006 hat er beantragt, die an diesem Tag ablaufende Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Der auf diesem Schriftsatz befindliche Eingangsstempel der gemeinsamen Briefannahmestelle der Justizbehörden in Darmstadt trägt das Datum vom 27. September 2006. Nachdem das Berufungsgericht daraufhin den Kläger auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist aufmerksam gemacht hat, hat dieser mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2006 unter Vorlage einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung seiner Rechtsanwalts- und Notariatsgehilfin B. vorgetragen, diese habe den Schriftsatz vom 26. September 2006 noch am Abend dieses Tages - und zwar gegen 18.00 Uhr - in den zentralen Fristenkasten des Gerichts eingeworfen. Gleichzeitig hat der Kläger vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufung begründet.

Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 12. Dezember 2006 die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Eingangsstempel beweise gemäß § 418 Abs. 1 ZPO , dass der Fristverlängerungsantrag erst am 27. September 2006 - also verspätet - bei Gericht eingegangen sei. Den nach § 418 Abs. 2 ZPO eröffneten Gegenbeweis habe der Kläger nicht erbracht. Die Angaben der Rechtsanwalts- und Notariatsgehilfin B., wonach sie den Schriftsatz noch am Abend des 26. September 2006 zwischen 18.00 Uhr und 18.30 Uhr in den zentralen Fristenkasten des Justizgebäudes eingeworfen habe, seien nicht ausreichend, dem Gericht die volle Überzeugung von der Unrichtigkeit des auf dem Eingangsstempel wiedergegebenen Eingangsdatums zu verschaffen. Der Inhalt der eidesstattlichen Versicherung und die zu Protokoll erklärten Angaben der Anwalts- und Notariatsgehilfin könnten zwar Zweifel an der Richtigkeit des gerichtlichen Eingangsstempels gerechtfertigt erscheinen lassen. Dies allein reiche jedoch nicht aus, um den Beweiswert des Eingangsstempels zu entkräften. So seien erhebliche Zweifel verblieben, ob die geschilderten Abläufe zutreffend seien. Auf der anderen Seite liege eine fehlerhafte Nutzung des Eingangsstempels unter Berücksichtigung der Auskunft des Geschäftsleiters des Amtsgerichts ausgesprochen fern. Der vom Kläger hilfsweise gestellte Wiedereinsetzungsantrag sei zurückzuweisen, da der Kläger keine Gründe vorgebracht habe, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnten. Es fehlten insbesondere Darlegungen dazu, welche allgemeinen Anweisungen der Prozessbevollmächtigte des Klägers erteilt habe, um in seiner Kanzlei die ordnungsgemäße und fristgerechte Beförderung von Fristenpost zu gewährleisten und welche Maßnahmen er ergriffen habe, um die Einhaltung der allgemeinen Anweisungen zu überwachen bzw. zu kontrollieren.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 19. Dezember 2006 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 2. Januar 2007 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist rechtzeitig begründet.

II.

1.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach im Ergebnis zutreffend entschieden hat.

2.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger hat die Berufungsbegründungsfrist versäumt.

Das Berufungsgericht ist - wie auch die Rechtsbeschwerde einräumt -mit Recht davon ausgegangen, dass der Eingangsstempel auf dem Fristverlängerungsantrag nach § 418 Abs. 1 ZPO grundsätzlich vollen Beweis dafür begründet, dass der Schriftsatz erst am 27. September 2006 und damit verspätet beim Berufungsgericht eingegangen ist. Dass es nach den Umständen des Streitfalles den nach § 418 Abs. 2 ZPO eröffneten Beweis der Unrichtigkeit der in der öffentlichen Urkunde bezeugten Tatsache als nicht geführt angesehen hat, ist nicht zu beanstanden. Allein die Aussage der Angestellten B., die mit der Briefbeförderung beauftragt war, reicht hierfür nicht aus. Da sich nach den vom Berufungsgericht im Rahmen des Freibeweises angestellten Ermittlungen keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass es bei der Leerung des Nachtbriefkastens durch den hierfür am 27. September 2006 allein zuständigen Justizhauptwachtmeister und der Verwendung der speziell gekennzeichneten und bestimmten Personen zugeordneten Stempel zu Fehlern gekommen sein könnte, bleibt die Möglichkeit offen, dass die Rechtsanwalts- und Notariatsangestellte B. den Einwurf des Schriftsatzes vergessen hat, nachdem sie ihn nach ihren Angaben nicht unmittelbar zum Gerichtsbriefkasten gebracht, sondern zuvor ihr minderjähriges Kind bei ihren Eltern abgeholt hatte.

3.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde besteht auch kein Grund für eine Wiedereinsetzung des Klägers in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, denn das Versäumnis beruht auf einem Organisationsmangel seines Prozessbevollmächtigten, das er sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Das Berufungsgericht hat mit Recht Darlegungen dazu vermisst, welche allgemeinen Anweisungen der Prozessbevollmächtigte des Klägers erteilt hat, um in seiner Kanzlei die ordnungsgemäße und fristgerechte Beförderung von Fristenpost zu gewährleisten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - VersR 2002, 380 , 381 ; Beschluss vom 13. Dezember 2001 - VII ZB 19/01 - BGH-Report 2002, 246, 247 und Senatsbeschluss vom 23. Mai 2006 - VI ZB 77/05 - VersR 2006, 1563 , 1564) erfordert die Pflicht eines Rechtsanwalts zur Fristenkontrolle nicht nur, dass der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht worden ist, sondern auch, dass die Briefbeförderung so organisiert ist, dass fristwahrende Schriftsätze vom Postausgangsfach als "letzte Station" auf dem Weg zu Adressaten unmittelbar und ohne weitere Umwege zum Briefkasten gebracht werden. Dass im Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine derartige allgemeine Anweisung bestanden hat, die von seiner Angestellten B. im Einzelfall lediglich nicht befolgt worden ist, macht die Rechtsbeschwerde selbst nicht geltend.

4.

Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht das rechtliche Gehör des Klägers verletzt hat, weil es den Verwerfungsbeschluss bereits am 12. Dezember 2006 erlassen hat, obwohl es dem Kläger noch eine Stellungnahmefrist bis zum 20. Dezember 2006 eingeräumt hatte. Denn das Berufungsgericht hat sich im Rahmen einer Gehörsrüge mit dem Vorbringen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 20. Dezember 2006 in seinem Beschluss vom 17. Januar 2007 befasst, jedoch keinen Anlass für eine Abänderung seiner Entscheidung gesehen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt es in diesem Zusammenhang nicht auf irgendwelche theoretischen und rein spekulativen Überlegungen an, auf welche Weise ein rechtzeitig in den Fristenkasten des Gerichts eingeworfener Brief einen falschen Eingangsstempel bekommen kann, sondern auf konkrete Anhaltspunkte für entsprechende Abläufe und Fehlerquellen zum maßgebenden Zeitpunkt. Hierfür ist jedoch nach dem Ergebnis der vom Berufungsgericht im Rahmen des Freibeweises angestellten Ermittlungen nichts ersichtlich.

5.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO .

Vorinstanz: OLG Frankfurt am Main, vom 12.12.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 13 U 206/06
Vorinstanz: LG Darmstadt, vom 21.07.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 2 O 231/06