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BGH - Entscheidung vom 19.03.2009

IX ZB 152/08

Normen:
ZPO § 256 Abs. 2
ZPO § 261 Abs. 2
ZPO § 296a
ZPO § 297
ZPO § 511 Abs. 2

Fundstellen:
AGS 2009, 295
BGHReport 2009, 743
FamRB 2009, 277
FamRZ 2009, 972
MDR 2009, 824
MittdtschPatAnw 2009, 246
NJW-RR 2009, 853

BGH, Beschluss vom 19.03.2009 - Aktenzeichen IX ZB 152/08

DRsp Nr. 2009/8214

Bedeutung einer nach Schluss der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Klageerweiterung bei der Bestimmung des Beschwerdegegenstands

Bei der Bestimmung des Beschwerdegegenstands bleibt eine nach Schluss der mündlichen Verhandlung geltend gemachte Klageerweiterung grundsätzlich außer Ansatz.

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 13. Juni 2008 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.

Der Streitwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 655,35 EUR (569,63 EUR + 85,72 EUR) festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 256 Abs. 2 ; ZPO § 261 Abs. 2 ; ZPO § 296a; ZPO § 297 ; ZPO § 511 Abs. 2 ;

Gründe:

I.

Die Kläger nehmen die Beklagte auf Zahlung von Rechtsanwaltshonorar in Anspruch. Sie haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht nach teilweiser Klagerücknahme beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 414,59 EUR nebst Zinsen sowie weiterer 18,76 EUR zu verurteilen, und im Übrigen den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Die Erledigungserklärung ist einseitig geblieben. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung haben die Kläger einen Schriftsatz eingereicht, durch den sie im Wege der Klageerhöhung eine Verurteilung der Beklagten auf Zahlung von weiteren 85,72 EUR beantragt haben. Diesen Schriftsatz hat das Amtsgericht der Beklagten formlos mit dem Hinweis ü-bermittelt, dass ein Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht gegeben sei.

Das Amtsgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an die Kläger 321,29 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.

II.

Das Landgericht hat ausgeführt, die Berufungssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sei nicht erreicht. Die Beschwer der Kläger belaufe sich bei günstigster Berechnung unter Einbeziehung der Kosten für den erledigten Teil auf höchstens 569,63 EUR. Bei der Bemessung der Beschwer bleibe die nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgenommene Klageerhöhung um 85,72 EUR außer Betracht, weil sie in dem angefochtenen Urteil nicht berücksichtigt worden sei und daher keine Beschwer zu Lasten der Kläger begründe.

III.

Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO ) und auch im Übrigen zulässige (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ) Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Beschwerdegegenstand von über 600 EUR (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ) nicht erreicht ist.

1.

Fehlt es - wie im Streitfall - an einer Zulassung durch das Erstgericht (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ), ist eine Berufung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 EUR übersteigt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes unterscheidet sich begrifflich sowohl von dem erstinstanzlichen Streitwert als auch der Beschwer: Der Streitwert bestimmt die Grenzen der Beschwer, die im Falle einer Teilstattgabe den Streitwert unterschreiten, ihn aber selbst bei einer uneingeschränkten Verurteilung oder Klageabweisung nicht überschreiten kann. In Übereinstimmung mit dem Verhältnis von Streitwert zu Beschwer begrenzt der Wert der Beschwer seinerseits den Wert des mit einem Rechtsmittel zu verfolgenden Beschwerdegegenstandes, der - wenn der Rechtsmittelführer die ihm nachteilige Entscheidung teils hinnimmt - geringer, aber selbst bei einem unbeschränkten Rechtsmittel keinesfalls höher als die Beschwer sein kann (Jauernig NJW 2001, 3027 f ). Mit dem Wert des Beschwerdegegenstandes (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ) ist darum der Wert der Beschwer gemeint, den der Rechtsmittelführer mit dem Ziel ihrer Beseitigung zur Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht stellt (RGZ 160, 204, 213; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 3. Aufl. § 511 Rn. 46; Musielak/Ball, ZPO 6. Aufl. § 511 Rn. 18). Aus diesen Erwägungen muss der Rechtsmittelführer mit der Berufung die Beseitigung einer Beschwer von mehr als 600 EUR verfolgen.

2.

Für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsmittels eines Klägers ist grundsätzlich von der "formellen Beschwer" auszugehen. Danach ist der Kläger insoweit beschwert, als das angefochtene Urteil von seinen Anträgen abweicht (BGHZ 50, 261, 263 ; BGH, Urt. v. 9. Oktober 1990 - VI ZR 89/90, NJW 1991, 703 , 704). Im Blick auf den Teilerfolg der Klage beträgt die Beschwer der Kläger bezogen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nach den rechtlich zutreffenden und von den Klägern unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts höchstens 569,63 EUR. Angesichts dieser Beschwer kann der Beschwerdegegenstand von 600 EUR nicht erreicht sein.

3.

Die Rechtsbeschwerde meint, wegen der uneingeschränkten Weiterverfolgung des erstinstanzlich abgewiesenen Klagebegehrens erhöhe sich die Beschwer der Kläger um den nach Schluss der mündlichen Verhandlung geltend gemachten weiteren Zahlungsanspruch über 85,72 EUR auf 655,35 EUR. Dem kann nicht beigetreten werden.

a)

Gemäß § 296a ZPO können nach Schluss der mündlichen Verhandlung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden. Da die Vorschrift lediglich Angriffsmittel, aber nicht den Angriff und damit die Klage selbst betrifft, werden zwar neue Sachanträge von ihrem Regelungsbereich nicht erfasst (vgl. nur Musielak/Huber aaO § 296a Rn. 3). Wie sich jedoch aus § 256 Abs. 2 , § 261 Abs. 2 , § 297 ZPO ergibt, ist die Erhebung einer neuen Klageforderung oder einer Klageerweiterung durch einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz unzulässig, weil Sachanträge spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen (BGH, Urt. v. 2. Juni 1966 - VII ZR 41/64, WM 1966, 863, 864; Beschl. v. 9. Juli 1997 - IV ZB 11/97, NJW-RR 1997, 1486 ; Musielak/Huber, aaO; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 22. Aufl. § 296a Rn. 26; Zöller/Greger, ZPO 27. Aufl. § 296a Rn. 2a; HK-ZPO/Saenger, 2. Aufl. § 296a Rn. 3; Frank O. Fischer NJW 1994, 1315, 1316; vgl. zur Unzulässigkeit einer nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Widerklage: BGH, Beschl. v. 12. Mai 1992 - XI ZR 251/91, NJW-RR 1992, 1085 ; Urt. v. 19. April 2000 - XII ZR 334/97, NJW 2000, 2512 , 2513).

b)

Mangels einer Antragstellung in mündlicher Verhandlung darf über eine nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Klageerweiterung nicht entschieden werden (BGH, Beschl. v. 9. Juli 1997, aaO; OLG München ZIP 1981, 321, 322; Stein/Jonas/Leipold, aaO). In Einklang damit hat das Amtsgericht von einer Entscheidung über die Klageerweiterung abgesehen. Da die Klageerweiterung mithin nicht Gegenstand der Ausgangsentscheidung wurde, ist ihr Wert bei der Bestimmung des Beschwerdegegenstandes außer Betracht zu lassen (BGH, Beschl. v. 9. Juli 1997, aaO).

Vorinstanz: LG Bonn, vom 13.06.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 8 S 247/07
Vorinstanz: AG Siegburg, vom 21.11.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 118 C 474/06
Fundstellen
AGS 2009, 295
BGHReport 2009, 743
FamRB 2009, 277
FamRZ 2009, 972
MDR 2009, 824
MittdtschPatAnw 2009, 246
NJW-RR 2009, 853