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BGH - Entscheidung vom 16.03.2009

II ZR 74/08

Normen:
BetrAVG § 1
BGB § 611

BGH, Urteil vom 16.03.2009 - Aktenzeichen II ZR 74/08

DRsp Nr. 2009/9001

Auslegung des Anstellungsvertrages eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft hinsichtlich der Zahlung von Ruhegehalt

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 27. Februar 2008 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Nürnberg - Fürth vom 23. Februar 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

BetrAVG § 1 ; BGB § 611 ;

Tatbestand:

Der 1943 geborene Kläger, der seit September 1982 als angestellter Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt war, wurde mit Wirkung zum 3. Juni 1986 für die Dauer von 5 Jahren zum Mitglied ihres Vorstands bestellt. § 6 des Anstellungs- und Pensionsvertrags der Parteien vom 10. Juli 1986 bestimmt hinsichtlich des Ruhegeldes:

Am 31. August/9. September 1988 vereinbarten die Parteien eine "Änderung zum Anstellungs- und Pensionsvertrag" (im Folgenden: Änderungsvertrag):

Der Kläger schied zum 31. Oktober 1988 aus dem Vorstand aus, sein Anstellungsvertrag wurde gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 425.000,00 DM brutto einvernehmlich beendet. Nr. 4 der Vereinbarung (im Folgenden: Abfindungsvereinbarung) lautet:

Mit seiner Klage hat der Kläger, der am 20. Dezember 2005 sein 62. Lebensjahr vollendet hat, Zahlung eines monatlichen Ruhegelds für die Zeit von Dezember 2005 bis Dezember 2006 (43.459,81 EUR) verlangt und die Feststellung begehrt, dass ihm die Beklagte auf Lebenszeit, beginnend ab Januar 2006, zur Zahlung eines monatlichen Ruhegelds in Höhe von 3.621,75 EUR verpflichtet ist.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die von dem erkennenden Senat zugelassene Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Zahlung eines Ruhegelds nach Vollendung des 62. Lebensjahres zu. Die Parteien hätten mit der Vereinbarung vom 31. August/9. September 1988 den Anstellungs- und Pensionsvertrag dahingehend abgeändert, dass die Pensionszusage gemäß § 6 Abs. 2 lit. c - wenn der Anstellungsvertrag vor Vollendung des 62. Lebensjahres ende, weil er vorzeitig beendet oder nicht verlängert werde - in vollem Umfang entfallen sei. Der Abänderungsvertrag sei eindeutig, klar und auch nicht in sich widersprüchlich und somit nicht auslegungsbedürftig. Er sei weder durch die von den Parteien beim Ausscheiden des Klägers getroffene Vereinbarung nachträglich abgeändert worden noch sei er nichtig.

II.

Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts stehen dem Kläger nach § 6 Abs. 2 lit. c des Anstellungs- und Pensionsvertrags die geltend gemachten Pensionsansprüche nach Vollendung seines 62. Lebensjahres zu.

Durch den Änderungsvertrag verzichtete der Kläger im Falle einer Beendigung des Anstellungsvertrags vor dem 2. Juni 1991 lediglich auf Pensionsansprüche vor Vollendung des 62. Lebensjahres; Pensionsansprüche nach diesem Zeitpunkt wurden durch den Änderungsvertrag nicht berührt. Durch § 6 Abs. 2 lit. d des Anstellungs- und Pensionsvertrags wurde der Kläger für den hier vorliegenden, in § 6 Abs. 2 lit. c geregelten Pensionsfall - § 6 Abs. 2 lit. b, für den dies nicht gilt, ist entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht einschlägig - gegenüber den Regelungen des BetrAVG in der Weise besser gestellt, dass seine Versorgungsansprüche schon mit ihrem Entstehen unverfallbar waren (vgl. Sen. Urt. v. 17. Dezember 2001 - II ZR 222/99, ZIP 2002, 364 f. m.w.Nachw.; Sen. Urt. v. 18. Juni 2007 - II ZR 89/06, WM 2007, 1662 , 1663 f.).

1.

Schon im Ansatz verfehlt ist die Annahme des Berufungsgerichts, der Inhalt des Änderungsvertrags zum Anstellungs- und Pensionsvertrag sei in dem Sinne eindeutig, dass für den Fall einer Beendigung des Anstellungsvertrags vor dem 62. Lebensjahr jegliche Ruhegeldansprüche entfallen sollten, weshalb für eine Vertragsauslegung kein Raum sei.

a)

Diese Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegt in vollem Umfang der Überprüfung durch den Senat. Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Auslegung einer Individualvereinbarung grundsätzlich Sache des Tatrichters; sie kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt ist und gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt sind (vgl. z.B. Sen. Urt. v. 11. März 1996 - II ZR 26/95, NJW-RR 1996, 932 ; BGHZ 150, 32 , 37 m.w.Nachw.; BGH, Urt. v. 10. Juni 2005 - V ZR 225/04, NZM 2005, 755 ). Ob eine Willenserklärung eindeutig ist, ist hingegen eine Rechtsfrage, die der revisionsrechtlichen Überprüfung in vollem Umfang zugänglich ist (Sen.Urt. v. 11. März 1996 aaO; BGH, Urt. v. 25. April 2002 - IX ZR 254/00, NJW 2002, 2867 ; v. 9. Januar 1981 - V ZR 18/80, WM 1981, 362, 363).

b)

Anders als das Berufungsgericht meint, lässt sich dem Wortlaut des Änderungsvertrags, nimmt man nicht nur einzelne Regelungen, sondern den ganzen Text in den Blick, keineswegs eindeutig entnehmen, dass der Kläger im Falle der Beendigung des Anstellungsvertrags vor Erreichen des 62. Lebensjahres auch auf Pensionsansprüche nach diesem Zeitpunkt verzichtet hat. Das Berufungsgericht stützt sich für seine Auffassung auf Nr. 1 des Änderungsvertrags, die bestimmt, dass § 6 Abs. 2 lit. c aufgehoben wird. Zwar mag der Inhalt dieser Vertragsbestimmung für sich genommen unmissverständlich sein. Das Berufungsgericht lässt jedoch rechtsfehlerhaft unberücksichtigt, dass sowohl der Inhalt der Präambel als auch der Regelung in Nr. 2 des Änderungsvertrags mit einem solchen Verständnis schlechthin nicht zu vereinbaren sind.

Wie sich aus dem zweiten Absatz der Präambel ergibt, ist Gegenstand des Änderungsvertrags ausschließlich der in § 6 Abs. 2 lit. c geregelte Pensionsfall, dass der Anstellungsvertrag vor Vollendung des 62. Lebensjahres endet, weil er vorzeitig beendet oder nicht verlängert wird. Sollten, wie das Berufungsgericht meint, in diesem Fall jegliche Pensionsansprüche, nämlich sowohl solche vor als auch nach Vollendung des 62. Lebensjahres, entfallen, kann nicht davon die Rede sein, dass der Kläger - wie es im dritten Absatz der Präambel heißt - lediglich "in erheblichem Maße" auf sie verzichtet hat.

Zudem sieht Nr. 2, 1. Abs. des Änderungsvertrags für den Fall, dass der Anstellungsvertrag über den 2. Juni 1991 hinaus nicht verlängert oder - wie Nr. 2, 2. Abs. bestimmt - vor diesem Zeitpunkt beendet wird, eine Entschädigung "für die weitgehende Aufgabe von Pensionsansprüchen vor Vollendung des 62. Lebensjahres"vor, während die dem Kläger nach § 6 Abs. 2 lit. c des Anstellungs- und Pensionsvertrags außerdem zustehenden Pensionsansprüche nach Vollendung des 62. Lebensjahres nicht einmal erwähnt werden. Auch dies steht der Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe im Änderungsvertrag für den Fall der vorzeitigen Beendigung des Anstellungsvertrags - noch dazu eindeutig - auf sämtliche Pensionsansprüche verzichtet, ersichtlich entgegen.

2.

Ebenso von Rechtsfehlern beeinflusst ist die Auffassung des Berufungsgerichts, bei der Feststellung des Inhalts des Änderungsvertrags könne der später geschlossene Abfindungsvertrag nicht berücksichtigt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes können zeitlich nach dem Vertragsschluss liegende Umstände zwar den objektiven Vertragsinhalt nicht mehr beeinflussen. Sie sind jedoch für die Ermittlung des tatsächlichen Willens und das tatsächliche Verständnis der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten von Bedeutung (vgl. nur BGH, Urt. v. 16. Oktober 1997 - IX ZR 164/96, NJW-RR 1998, 259 ; Urt. v. 26. November 1997 - XII ZR 308/95, NJW-RR 1998, 801 , 803; Urt. v. 24. Juni 1988 - V ZR 49/87, NJW 1988, 2878 , 2879).

Nr. 4 des Abfindungsvertrags spricht zweifelsfrei dafür, dass nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien die Pensionsansprüche des Klägers nach Vollendung des 62. Lebensjahres durch den Änderungsvertrag nicht berührt werden sollten. Dort ist bestimmt, dass die später fällig werdenden Pensionsverpflichtungen der Beklagten durch die beim Ausscheiden des Klägers geleisteten Zahlungen nicht abgegolten werden. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, mit den Pensionszahlungen im Sinne dieser Bestimmung seien nicht die Ruhegeldzahlungen nach dem Anstellungs- und Pensionsvertrag, sondern eine dem Kläger angeblich aufgrund betrieblicher Übung zustehende, betragsmäßig geringfügige Betriebsrente gemeint, ist dies im Zusammenhang mit dem Regelungsgegenstand des Abfindungsvertrags gänzlich fern liegend. Darauf, ob dem Kläger - was das Berufungsgericht nicht festgestellt hat - eine Betriebsrente zusteht, kommt es deshalb nicht an.

3.

Von Rechtsfehlern beeinflusst ist schließlich die Würdigung der Aussage des Zeugen H. . Das Berufungsgericht stützt seine Überzeugung, der Kläger habe in dem Änderungsvertrag für den Fall der Beendigung des Anstellungsvertrags vor dem 2. Juni 1991 auf sämtliche Pensionsansprüche verzichtet, auf die Aussage dieses Zeugen, ohne sie vollständig zu würdigen. Denn es lässt gänzlich unberücksichtigt, dass der Zeuge auch bekundet hat, die Vorstandsmitglieder hätten nach der Vorstellung des Aufsichtsrates auf das "Zwischenruhegeld" ("wenn also der Vertrag zwischen dem damaligen Zeitpunkt und dem 62. Lebensjahr enden sollte") verzichten sollen; über Ruhegeldansprüche nach dem 62. Lebensjahr sei nach seiner Erinnerung nicht verhandelt worden. Dies steht nicht nur mit der Aussage des Zeugen G. , sondern auch mit dem Vortrag des Klägers in Einklang, wonach Gegenstand des Abfindungsvertrags lediglich Pensionsansprüche zwischen seinem Ausscheiden und der Vollendung des 62. Lebensjahres gewesen seien und er in dem Änderungsvertrag lediglich auf diese Ansprüche verzichtet habe. Darauf, wie der Zeuge H. subjektiv den Änderungsvertrag verstanden hat, kommt es demgegenüber entgegen der verfehlten Annahme des Berufungsgerichts nicht an.

4.

Da aus den aufgezeigten Gründen dem Änderungsvertrag ein - auch Pensionsansprüche nach Vollendung des 62. Lebensjahres umfassender - Verzicht des Klägers nicht entnommen werden kann, bedarf die Frage, ob eine solche Vereinbarung gegen § 3 BetrAVG a.F. verstoßen würde und deshalb nichtig wäre, keiner Entscheidung.

III.

Das Berufungsurteil unterliegt der Aufhebung. Da weitere tatrichterliche Feststellungen nicht in Betracht kommen und damit der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten das stattgebende landgerichtliche Urteil wiederherzustellen (§ 563 Abs. 3 ZPO ).

Vorinstanz: OLG Nürnberg, vom 27.02.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 629/07
Vorinstanz: LG Nürnberg, vom 23.02.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 2 HKO 3208/06