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BAG - Entscheidung vom 24.09.2009

8 AZR 444/08

Normen:
BGB § 241 Abs. 2
BGB § 280 Abs. 1 S. 1
BGB § 241 Abs. 2
BGB § 280 Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
AP BGB § 241 Nr. 5
ArbRB 2010, 110
AuA 2009, 671
DB 2010, 395
NJW 2010, 1098
NZA 2010, 337

BAG, Urteil vom 24.09.2009 - Aktenzeichen 8 AZR 444/08

DRsp Nr. 2010/2080

Pflicht zur Wahrung der Interessen der Arbeitnehmer als Ausprägung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahme- und Fürsorgepflicht [Arbeitnehmeransprüche gegen Versicherungsträger]; Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers; Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers

Orientierungssätze: 1. Die Pflicht jedes Vertragspartners, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB ), kann grundsätzlich zu der Verpflichtung des Arbeitgebers führen, bei der Wahrung oder Entstehung von Ansprüchen seiner Arbeitnehmer mitzuwirken. 2. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um die Entstehung von Ansprüchen handelt, die gegenüber Dritten erworben werden. Dafür kommen zB Versicherungsträger in Betracht. 3. Die Verletzung einer solchen Pflicht zur Interessenwahrung ("Fürsorgepflicht") kann Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmer auslösen (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB ). 4. Die Pflicht des Arbeitgebers, bei der Wahrung der Interessen seiner Arbeitnehmer mitzuwirken, kann sich im Einzelnen auch aus Gesetz ergeben. Voraussetzung für eine Pflicht des Arbeitgebers, zu handeln oder Handlungen zu unterlassen, ist aber in jedem Fall, dass das Gesetz überhaupt Anwendung findet, dh. maßgebend ist für die zu wahrende Interessenlage des Arbeitnehmers.

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. November 2007 - 22 Sa 1127/07 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Normenkette:

BGB § 241 Abs. 2 ; BGB § 280 Abs. 1 S. 1;

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Schadensersatz im Zusammenhang mit der Rentenhöhe des Klägers.

Der Kläger war seit dem 10. November 1964 bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt, ua. in der Brikettfabrik des früheren VEB Kombinates E. In der DDR arbeitete der Kläger in einem Produktionsbereich, in dem die Tätigkeit unter gesundheitsgefährdenden Einwirkungen ausgeübt wurde, dh. die maximal zulässigen Konzentrationen toxischer Stoffe in der Luft oder nichttoxischer Stäube wurden überschritten. Solche Tätigkeiten waren durch die Anordnung Nr. 1 über den Katalog der bergmännischen Tätigkeiten vom 29. Mai 1972 durch den Leiter der Obersten Bergbehörde beim Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik (Gesetzblatt der DDR vom 30. Juni 1972, Sonderdruck Nr. 739) einer bergmännischen Tätigkeit gemäß § 21 Abs. 1 Buchst. i der Ersten Durchführungsbestimmung vom 15. März 1968 zur Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialversicherung gleichgestellt (vgl. § 2 der Anordnung Nr. 1 aaO.). Der Kläger war zu Zeiten der DDR ein solcher gleichgestellter Mitarbeiter.

Durch Beschluss des Ministerrats der DDR vom 8. Februar 1990 (Aktenzeichen: 13/6/90) wurde aufgrund der hohen Umwelt- und Arbeitsplatzbelastung an den nur noch in der DDR existierenden Standorten dieser sog. Karbochemie deren Stilllegung verfügt. Dabei sollte die Produktion in der Schwelerei E noch 1990 reduziert werden, 1991 sollten alle karbochemischen Betriebe stillgelegt und eine Ersatzproduktion mit importierten Rohstoffen aus dem "NSW-Gebiet" aufgebaut werden. Infolge dieses Beschlusses schieden im März 1990 die ersten Arbeitnehmer aus dem Beschäftigungsbetrieb des Klägers in E aus.

Der Kläger war vom 1. September 1990 bis 31. Dezember 1990 als Leitstandführer, vom 1. Januar 1991 bis 31. März 1993 als Steuermaschinist, von April 1993 bis 31. Dezember 1996 als Maschinist kombinierte Leitstände im OI-Bereich Kraftwerk E eingesetzt. Danach arbeitete der Kläger als Hauswart, Hausverwaltungssachbearbeiter und zuletzt als Betriebsaufsicht. Sein Arbeitsverhältnis endete am 30. September 2000; ab dem 1. Oktober 2000 war er arbeitslos. Nach Vollendung seines 60. Lebensjahres bezieht der Kläger seit dem 1. Mai 2003 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit mit einem Rentenabschlag in Höhe von 18 %. Die Differenz zur Vollrente machte ab 1. März 2007 592,65 Euro monatlich aus.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte müsse ihm die Differenz zur Vollrente als Schaden ersetzen, da sie ihre Fürsorgepflichten ihm gegenüber verletzt habe. Sie habe keine Anträge auf Gewährung von Beihilfen nach Art. 56 § 2 Buchst. b des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 in der Fassung der Änderung vom 26. Januar 1960 (BGBl. II S. 1573 - EGKS-V) gestellt und ihn nicht in eine sog. "Ursprungsliste" eingetragen. Dadurch habe er rückwirkend die Anwartschaft auf eine Bergmannsrente verloren, die ihm in der DDR wegen der Gleichstellung mit Bergleuten zugestanden hätte.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 27.684,57 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab dem 1. März 2007 monatlich fortlaufend Schadensersatz iHv. 592,65 Euro bis zu seinem Ableben zu zahlen.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und dazu die Auffassung vertreten, Beihilfen nach dem EGKS-V habe sie schon deswegen nicht beantragen können, da die Stilllegung der Braunkohleveredelung in E aus Umweltgründen beschlossen worden sei und der Bereich der Karbochemie nicht unter den Anwendungsbereich des EGKS-V falle.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat seine Berufung zu Recht zurückgewiesen, weil die Klage unbegründet ist.

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Angesichts einer fehlenden Pflichtverletzung könne der Kläger keinen Schadensersatzanspruch geltend machen. Kein Handeln oder Unterlassen der Beklagten habe zu den Rentenabschlägen des Klägers geführt. Es sei schon nicht klar, was der Kläger mit einer "Bergmannsvollrente" meine. Nach den Übergangsregelungen hätte die Rente des Klägers bis zum 31. Dezember 1996 beginnen müssen, um überhaupt in den Bereich einer bergmännischen Versorgung zu gelangen. Die Beantragung und Genehmigung von Beihilfen nach dem EGKS-V habe mit der Gewährung von Renten nach bergmännischer Tätigkeit nichts zu tun. Auf § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB VI berufe sich der Kläger ausdrücklich nicht.

B. Das Berufungsurteil hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

I. In dem Renten-Überleitungsgesetz vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1606 - RÜG -) wird durch Art. 2 das Übergangsrecht für Renten nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets geregelt. Nach dessen § 5 Abs. 2 haben Versicherte bis zu fünf Jahren vor Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf sog. Bergmannsaltersrente, wenn sie mindestens sechs Jahre bergmännisch tätig waren und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Dabei bestimmt Art. 2 § 23 Abs. 1 Nr. 2 RÜG, dass zu den bergmännischen Tätigkeiten auch Tätigkeiten zählen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Aufschluss, Gewinnung, Aufbereitung und Verarbeitung der in Bergbaubetrieben gewonnenen Rohstoffe stehen und in der Anordnung Nr. 1 über den Katalog der bergmännischen Tätigkeiten vom 29. Mai 1972, geändert durch die Ergänzungen vom 12. Juni 1975, genannt sind. Es kann jedoch dahinstehen, ob der Kläger die Voraussetzungen für eine Bergmannsaltersrente nach dem RÜG im Einzelnen erfüllt hat. Denn nach Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 3 RÜG hatten Anspruch auf Rente nach dem RÜG nur Personen, deren Rente in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996 begann. Selbst die vorgezogene Altersrente des Klägers begann erst am 1. Mai 2003, also lange nach der Stichtagsregelung, die zum 31. Dezember 1996 ausgelaufen und im Übrigen verfassungskonform ist (BVerfG 9. Oktober 2006 - 1 BvR 1483/06 -). Der Kläger fällt nicht unter den Anwendungsbereich des RÜG, weshalb die Beklagte auch keine Pflicht verletzt haben kann, ihm bei der Wahrung von Ansprüchen nach dem RÜG zu helfen.

II. Die Beklagte hat auch keine Pflichten verletzt, die Interessen des Klägers bei der Erlangung einer Altersrente nach Arbeitslosigkeit mit geringeren Rentenabschlägen zu wahren.

1. Die Pflicht jedes Vertragspartners, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB ), kann grundsätzlich zu der Verpflichtung des Arbeitgebers führen, bei der Wahrung oder Entstehung von Ansprüchen seiner Arbeitnehmer mitzuwirken, die diese gegenüber Dritten erwerben können. Dabei kommen insbesondere öffentlichrechtliche, aber auch private Versicherungsträger in Betracht. Die Verletzung einer solchen Pflicht zur Interessenwahrung, arbeitsrechtlich gemeinhin als Verletzung der "Fürsorgepflicht" bezeichnet, kann Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmer auslösen (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB ).

2. Dem Kläger ist eine vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 237 SGB VI bewilligt worden. Da der Kläger am 12. April 1943, also nach dem 31. Dezember 1936 geboren ist, wurde die Altersgrenze von 60 Jahren für ihn angehoben. Der Rentenbezug ab Mai 2003 stellt eine vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente dar, was nach § 237 Abs. 3 Satz 2 SGB VI möglich, jedoch mit Rentenabschlägen verbunden ist. Da nach § 237 Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit Anlage 19 SGB VI für seinen Geburtsjahrgang die Altersgrenze für den Rentenbezug wegen Arbeitslosigkeit um 60 Monate auf das Lebensalter 65 angehoben wurde und für jeden Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme 0,3 Prozent Rentenabschlag hinzunehmen sind, führt dies zu einer Gesamtminderung der Rente iHv. 18 Prozent.

3. Nach § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB VI wird die Altersgrenze von 60 Jahren bei Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit für Versicherte, die bis zum 14. Februar 1944 geboren sind und die aufgrund einer Maßnahme nach Art. 56 § 2 Buchst. b EGKS-V, die vor dem 14. Februar 1996 genehmigt worden ist, aus einem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden sind, wesentlich geringer angehoben. Im Falle des im April 1943 geborenen Klägers hätte die Anhebung nur sieben Monate betragen, der Gesamtrentenabschlag also nur 2,1 Prozent. Die Beklagte konnte aber schon deswegen keine Pflicht zur Wahrung der Interessen des Klägers in diesem Zusammenhang verletzen, weil das Ausscheiden des Klägers nicht aufgrund einer Maßnahme nach dem EGKS-V erfolgte.

a) Es ist zugunsten des Klägers zu unterstellen, dass er Ende September 2000 noch aus einem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden ist, weil dies letzten Endes auf den Beschluss des DDR-Ministerrats vom 8. Februar 1990 zur Stilllegung des Bereichs Karbochemie am Standort E zurückzuführen ist. Diese Maßnahme unterliegt jedoch nicht dem Anwendungsbereich des EGKS-V.

aa) Voraussetzung für die Anwendung von Art. 56 EGKS-V, Hilfe bei Entlassungen, ist nach § 2 dieses Artikels, dass in den Absatzbedingungen der Kohle- oder Stahlindustrie grundlegende Änderungen eingetreten sind, die nicht unmittelbar auf die Errichtung des gemeinsamen Marktes zurückzuführen sind, die aber einzelne Unternehmen zwingen, ihre Tätigkeit endgültig einzustellen, einzuschränken oder zu ändern. Der Ministerratsbeschluss erging nicht wegen veränderter Absatzbedingungen - es musste im Gegenteil nunmehr der Aufbau einer Ersatzproduktion mit importierten Rohstoffen ins Auge gefasst werden -, sondern weil die Produktion mit den völlig veralteten Anlagen der Karbochemie weder aus Arbeitsschutz- noch aus Umweltgründen länger verantwortet werden sollte.

bb) Im Februar 1990 galt der EGKS-V für die DDR noch nicht. Für den noch nicht aufgrund freier Wahlen zusammengesetzten Ministerrat war nicht einmal absehbar, dass er für das Gebiet der DDR Geltung erlangen könnte. Folgerichtig beschäftigt sich der Beschluss nebst Anlagen auch nicht mit der Frage, wie Beihilfen der Europäischen Union zur Stilllegung erlangt werden könnten, sondern wie Ersatzrohstoffe gegen Valuta aus dem "nicht sozialistischen Wirtschaftsgebiet" zu importieren sind. Erst die aus den freien Wahlen vom März 1990 hervorgegangene letzte Regierung der DDR leitete dann Verhandlungen ein, die zunächst zu der Wirtschafts- und Währungsunion Deutschlands ab dem 1. Juli 1990 und am 3. Oktober 1990 zur Einheit Deutschlands führten. Entsprechend galt der EGKS-V in der DDR erst ab dem 1. Juli 1990 und im Beitrittsgebiet dann weiter ab dem 3. Oktober 1990.

b) Auch nach dem 1. Juli 1990, also unter der nunmehrigen Geltung des EGKS-V, hat die Beklagte nicht die Pflicht verletzt, das Interesse des Klägers am Erhalt günstigerer Rentenbedingungen zu wahren.

aa) Beihilfen direkt nach Art. 56 § 2 Buchst. b Satz 1 EGKS-V konnte die Beklagte als Arbeitgeberin schon deswegen nicht beantragen, weil solche Anträge nur von den am Vertrag beteiligten Regierungen gestellt werden können und die Hohe Behörde der Montanunion grundsätzlich die Bewilligung einer nichtrückzahlungspflichtigen Beihilfe von der Zahlung eines mindestens gleich hohen Betrags durch den betreffenden Staat abhängig macht.

bb) Für Arbeitnehmer der dem EGKS-V unterliegenden Bereiche des Braunkohlenbergbaus können Beihilfen nach Maßgabe der an die Richtlinien für den Steinkohlenbergbau angelehnten Richtlinien der Bundesregierung (vgl. BAnz. Nr. 107 vom 11. Juni 1992 S. 46/47) gewährt werden, wenn sie von Maßnahmen iSd. Art. 56 § 2 Buchst. b des EGKS-V betroffen sind. Nach § 16 dieser sog. "MUV-RL" vom 25. Mai 1992 sind solche Beihilfen durch das Unternehmen zu beantragen. Nach § 19 MUV-RL Braunkohlebergbau gelten die Richtlinien auch rückwirkend für Stilllegungsmaßnahmen, aber nur für solche, mit denen ab dem 1. Juli 1990 begonnen wurde. Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 der MUV-RL Braunkohlebergbau bedeutet "Beginn der Stillegungsmaßnahme" den letzten Tag des Arbeitsverhältnisses, bezogen auf den ersten von der Stilllegungsmaßnahme betroffenen entlassenen Arbeitnehmer. Für versetzte Arbeitnehmer gilt dies sinngemäß. Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen, an die der Senat gebunden ist, wurden die ersten Entlassungen im Rahmen der Produktionseinschränkung und Stilllegung in E bereits im März 1990 vorgenommen. Damit begann die Stilllegungsmaßnahme dort bereits vor dem 1. Juli 1990, sodass Beihilfen nach der MUV-RL Braunkohlebergbau für E und damit für den Kläger nicht beantragt werden konnten.

Demgemäß kommt es auch nicht auf die Durchführungsanweisungen zu den MUV-RL Braunkohlebergbau an. Da die Voraussetzungen für die Gewährung einer Leistung nach den MUV-RL nicht vorlagen, hatte die Beklagte die von der Stilllegung betroffenen Arbeitnehmer auch nicht in einem Vordruck "Ursprungsliste" einzutragen (vgl. Punkt 17.111 der Durchführungsanweisungen zu den MUV-Richtlinien, RdErl. 4/74.4.1).

cc) Die Beklagte hat ihre arbeitsvertraglichen Nebenpflichten auch entgegen der Auffassung des Klägers nicht dadurch verletzt, dass sie ihn nicht "ungeachtet" des Vorliegens der Voraussetzungen nach Punkt 17.111 Durchführungsanweisungen MUV-RL in einer Ursprungsliste verzeichnet hat. Durch die Erstellung einer solchen Liste wären weder der Anwendungsbereich der MUV-Richtlinien noch die Geltung des EGKS-V erweitert worden. Die rentenrechtliche Voraussetzung des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB VI , das Betroffensein von einer Maßnahme nach Art. 56 § 2 Buchst. b des EGKS-V, kann nicht dadurch geschaffen werden, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des Vertrages und außerhalb der zu ihm erlassenen Richtlinien eine sog. Ursprungsliste ausgefüllt wird. Ein Vertrag, der nicht anwendbar ist, kann nicht durchgeführt werden. Aus der "Durchführung" eines Vertrages ergibt sich nicht seine Anwendbarkeit.

c) Der Senat verkennt nicht die "Gerechtigkeitslücke", die jedenfalls dadurch entstanden ist, dass mit der Stilllegung des Bereichs Karbochemie E schon vor dem 1. Juli 1990 begonnen wurde. Diese muss um so stärker empfunden werden, wenn für andere Stilllegungsmaßnahmen im Bereich des ehemaligen Kombinats, die später begonnen wurden, erfolgreich Beihilfen nach den MUV-RL beantragt wurden und dies im weiteren Verlauf als Voraussetzung nach § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB VI anerkannt wurde. Diese im Ergebnis des politischen Prozesses eingetretene Benachteiligung führt aber zu keinem Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte. Sie hat als Arbeitgeberin ihre Pflicht, die Renteninteressen des Klägers zu wahren, nicht verletzt.

C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung:

Fortführung der Senatsrechtsprechung zur "Fürsorgepflicht" des Arbeitgebers nach der Schuldrechtsreform 2002

Weiterführende Hinweise:

Vorliegend schied eine Pflichtverletzung der Arbeitgeberin schon deswegen aus, weil die Pflicht aus § 237 Abs. 4 SGB VI abgeleitet wurde, diese Gesetzesbestimmung jedoch auf den Fall des Klägers gar nicht anzuwenden ist.

Vorinstanz: LAG Berlin-Brandenburg, vom 30.11.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 22 Sa 1127/07
Vorinstanz: ArbG Berlin, vom 07.03.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 48 Ca 19267/06
Fundstellen
AP BGB § 241 Nr. 5
ArbRB 2010, 110
AuA 2009, 671
DB 2010, 395
NJW 2010, 1098
NZA 2010, 337